Der Zauberspiegel

by Barby Kaluza   BarbyK@gmx.de

 

Patrick stand vor dem großen Spiegel, der über seiner Kommode hing. Er liebte das alte Stück, dass sein Vater ihm damals, als er noch kleiner war, auf einem der alten märkte ersteigert hatte. Er erinnerte sich noch gut daran, und begann zu lächeln, als er daran dachte, wie er ihn einst für einen Zauberspiegel gehalten hatte. Zuerst, da war er sich sicher, war es nur Einbildung gewesen. Reine Phantasie, und davon hatte er in den jungen Jahren genug gehabt. Dann schien es, als hätte der Spiegel tatsächlich magische Kräfte , denn Patrick hatte oft mehr als nur sein eigenes Spiegelbild gesehen. Besonders stark waren seine Erinnerungen an einer seiner Geburtstage, den er damals in der alten Holzhütte gefeiert hatte. Es musste der achte oder neunte gewesen sein, da war er sich nicht mehr so sicher. Damals war er Morgen saufgestanden und hatte in den Spiegel geschaut. Doch es war kein Acht oder Neunjähriges Kind, das ihn da anlachte, sondern ein alter Mann mit traurigen blauen Augen. Die grauen Haare fielen noch immer leicht über seine Schultern herab, und im Hintergrund sah er eine Unmenge von goldenen Platten, die fein säuberlich an der Wand aufgehangen waren. Doch all das Gold schien den alten Mann nicht glücklich zu machen. Patrick hatte damals sehr viel Mitleid mit dem alten Mann verspürt und wollte ihm helfen. Doch keiner seiner Geschwister konnte den alten Mann in dem Spiegel sehen und seit diesem Tag an hatte dieser sich auch dem kleinen Jungen nicht mehr gezeigt. Patrick hatte noch eine ganze Weile daran gedacht, den Mann auf allen Straßen der Welt gesucht, aber natürlich nie gefunden. Der Spiegel allerdings schien mit der Erinnerung an den alten Mann zu verblassen und als Patrick den ernsten Gesichtsausdruck eines erwachsenen Mannes annahm, hatte der Spiegel seine magische Wirkung völlig verloren.
An diesem Morgen, es war Patricks einundzwanzigster Geburtstag, der Tag, an dem er nun entgültig erwachsen werden würde, stand er vor dem Spiegel und betrachtete den alten Goldrahmen. Nur sein eigenes Spiegelbild schien ihn unentwegt anzustarren, so dass er sich schließlich genervt abwand und sich mit den Händen vors Gesicht schlug. Er konnte sich selber nicht mehr länger ertragen. Sollte der Spiegel doch alle anderen zeigen, sich selber wollte er nicht mehr ansehen müssen. Er begann sich anzuziehen und kämmte die Haare nach hinten. Als er gerade dabei war, die Schuhe zuzubinden, da kamen auch schon seine Geschwister mit einem Geburtstagslied in das Zimmer. Patrick lächelte, auch wenn er lieber allein gewesen wäre. Schließlich wollten seine Geschwister ihn nur aufheitern, und er war kein Spielverderber. Wenn er es schaffte, jeden Abend eine perfekte Show hinzulegen, dann dürfte es wohl doch auch nicht so schwer sein, an seinem eigenen Geburtstag einmal zu lächeln. Also lächelte er.
Patrick nahm alle Glückwünsche entgegen und das große Paket, dass seine Schwester Kathleen ihm überreichte. Zufrieden und dankbar begann er es voller Neugierde auszupacken und unter dem bunten Papier kam ein neuer strahlender Spiegel zum vorscheinen.
"Jetzt kannst du das alte Ding endlich wegschmeißen", sagte John. Patrick lächelte zaghaft und besah sich zaghaft sein Spiegelbild. Es war ein ebenso schöner Rahmen, der fast genauso prunkvoll verziert war wie der Alte. Patrick wusste nicht so genau, ob er sich freuen sollte. Einerseits hing er sehr an dem alten Spiegel, aber ansehen konnte er es wirklich nicht mehr. Also lies er den alten Spiegel von seinem Bruder wegräumen und stellte den Neuen an seinen Platz. Doch die magische Wirkung hatte er nicht verloren, sie hatte nur darauf gewartet dass Patrick endlich erwachsen wird. Der alte Mann lächelte Patrick noch einmal entgegen, bevor er endgültig auf dem Sperrmüll landete und traurig darüber war, dass er ersetzt wurde.
Jedoch Patricks Spiegelbild änderte sich nicht.


*** END ***


© Barby Kaluza