Am
Morgen erwachten alle erst, als schon die ersten Schulkinder da waren
und neugierig die Lagerstätte umringten. Das war unangenehm, denn
infolge der großen Hitze, die jetzt gegen Morgen allerdings wieder
einer empfindlichen Kühle gewichen war, hatten sich alle bis auf
das Hemd ausgekleidet und gerade, als sie sich anzuziehen anfingen, erschien
Gisa, die Lehrerin, ein blondes, großes, schönes, nur ein wenig
steifes Mädchen, in der Tür. Sie war sichtlich auf den neuen
Schuldiener vorbereitet und hatte wohl auch vom Lehrer Verhaltungsmaßregeln
erhalten, denn schon auf der Schwelle sagte sie: »Das kann ich nicht dulden.
Das wären schöne Verhältnisse. Sie haben bloß die
Erlaubnis, im Schulzimmer zu schlafen, ich aber habe nicht die Verpflichtung,
in Ihrem Schlafzimmer zu unterrichten. Eine Schuldienerfamilie, die sich
bis in den Vormittag in den Betten räkelt, Pfui!« Nun, dagegen wäre
einiges zu sagen, besonders hinsichtlich der Familie und der Betten, dachte
K., während er mit Frieda die Gehilfen waren dazu nicht zu
gebrauchen, auf dem Boden liegend, staunten sie die Lehrerin und die Kinder
an eiligst den Barren und das Pferd herbeischob, beide mit den
Decken überwarf und so einen kleinen Raum bildete, in dem man, vor
den Blicken der Kinder gesichert, sich wenigstens anziehen konnte. Ruhe
hatte man allerdings keinen Augenblick lang, zuerst zankte die Lehrerin,
weil im Waschbecken kein frisches Wasser war; gerade hatte K. daran gedacht,
das Waschbecken für sich und Frieda zu holen, er gab die Absicht
zunächst auf, um die Lehrerin nicht allzu sehr zu reizen, aber der
Verzicht half nichts, denn kurz darauf erfolgte ein großer Krach,
unglücklicherweise hatte man nämlich versäumt, die Reste
des Nachtmahls vom Katheder zu räumen, die Lehrerin entfernte alles
mit dem Lineal, alles flog auf die Erde; dass das Sardinenöl und
die Kaffeereste ausflossen und der Kaffeetopf in Trümmer ging, musste
die Lehrerin nicht kümmern, der Schuldiener würde ja gleich
Ordnung machen. Noch nicht ganz angezogen, sahen K. und Frieda am Barren
lehnend der Vernichtung ihres kleinen Besitzes zu; die Gehilfen, die offenbar
gar nicht daran dachten, sich anzuziehen, lugten zum großen Vergnügen
der Kinder unten zwischen den Decken durch. Am meisten schmerzte Frieda
natürlich der Verlust des Kaffeetopfes; erst als K., um sie zu trösten,
ihr versicherte, er werde gleich zum Gemeindevorsteher gehen und Ersatz
verlangen und bekommen, fasste sie sich so weit, dass sie, nur in Hemd
und Unterrock, aus der Umzäunung hinauslief, um wenigstens die Decke
zu holen und vor weiterer Beschmutzung zu bewahren. Es gelang ihr auch,
obwohl die Lehrerin, um sie abzuschrecken, mit dem Lineal immerfort nervenzerrüttend
auf den Tisch hämmerte. Als K. und Frieda sich angezogen hatten,
mussten sie die Gehilfen, die von den Ereignissen wie benommen waren,
nicht nur mit Befehlen und Stößen zum Anziehen drängen,
sondern zum Teil sogar selbst anziehen. Dann, als alle fertig waren, verteilte
K. die nächsten Arbeiten: Die Gehilfen sollten Holz holen und einheizen,
zuerst aber im anderen Schulzimmer, von dem noch große Gefahren
drohten denn dort war wahrscheinlich schon der Lehrer. Frieda sollte
den Fußboden reinigen und K. würde Wasser holen und sonst Ordnung
machen; ans Frühstücken war vorläufig nicht zu denken.
Um sich aber im Allgemeinen über die Stimmung der Lehrerin zu unterrichten,
wollte K. als Erster hinausgehen, die anderen sollten erst folgen, wenn
er sie riefe, er traf diese Einrichtung einerseits, weil er durch Dummheiten
der Gehilfen die Lage nicht von vornherein verschlimmern lassen wollte,
und andererseits, weil er Frieda möglichst schonen wollte, denn sie
hatte Ehrgeiz, er keinen, sie war empfindlich, er nicht, sie dachte nur
an die gegenwärtigen kleinen Abscheulichkeiten, er aber an Barnabas
und die Zukunft. Frieda folgte allen seinen Anordnungen genau, ließ
kaum die Augen von ihm. Kaum war er vorgetreten, rief die Lehrerin unter
dem Gelächter der Kinder, das von jetzt ab überhaupt nicht mehr
aufhörte: »Na, ausgeschlafen?« und als K. darauf nicht achtete, weil
es doch keine eigentliche Frage war, sondern auf den Waschtisch losging,
fragte die Lehrerin: »Was haben Sie denn mit meiner Mieze gemacht?« Eine
große, alte fleischige Katze lag träg ausgebreitet auf dem
Tisch, und die Lehrerin untersuchte ihre offenbar ein wenig verletzte
Pfote. Frieda hatte also doch recht gehabt, diese Katze war zwar nicht
auf sie gesprungen, denn springen konnte sie wohl nicht mehr, aber über
sie hinweggekrochen, war über die Anwesenheit von Menschen in dem
sonst leeren Hause erschrocken, hatte sich eilig versteckt und bei dieser
ihr ungewohnten Eile sich verletzt. K. suchte es der Lehrerin ruhig zu
erklären, diese aber fasste nur das Ergebnis auf und sagte: »Nun
ja, ihr habt sie verletzt, damit habt ihr euch hier eingeführt. Sehen
Sie doch!« und sie rief K. auf das Katheder, zeigte ihm die Pfote, und
ehe er sich dessen versah, hatte sie ihm mit den Krallen einen Strich
über den Handrücken gemacht; die Krallen waren zwar schon stumpf,
aber die Lehrerin hatte, diesmal ohne Rücksicht auf die Katze, sie
so fest eingedrückt, dass es doch blutige Striemen wurden. »Und jetzt
gehen Sie an Ihre Arbeit«, sagte sie ungeduldig und beugte sich wieder
zur Katze hinab. Frieda, welche mit den Gehilfen hinter dem Barren zugesehen
hatte, schrie beim Anblick des Blutes auf. K. zeigte die Hand den Kindern
und sagte: »Seht, das hat mir eine böse, hinterlistige Katze gemacht.«
Er sagte es freilich nicht der Kinder wegen, deren Geschrei und Gelächter
schon so selbstverständlich geworden war, dass es keines weiteren
Anlasses oder Anreizes bedurfte und dass kein Wort es durchdringen oder
beeinflussen konnte. Da aber auch die Lehrerin nur durch einen kurzen
Seitenblick die Beleidigung beantwortete und sonst mit der Katze beschäftigt
blieb, die erste Wut also durch die blutige Bestrafung befriedigt schien,
rief K. Frieda und die Gehilfen, und die Arbeit begann.
Als
K. den Eimer mit dem Schmutzwasser hinausgetragen, frisches Wasser gebracht
hatte und nun das Schulzimmer auszukehren begann, trat ein etwa zwölfjähriger
Junge aus einer Bank, berührte K.s Hand und sagte etwas im großen
Lärm gänzlich Unverständliches. Da hörte plötzlich
aller Lärm auf, K. wandte sich um. Das den ganzen Morgen über
Gefürchtete war geschehen. In der Tür stand der Lehrer, mit
jeder Hand hielt er, der kleine Mann, einen Gehilfen beim Kragen; er hatte
sie wohl beim Holzholen abgefangen, denn mit mächtiger Stimme rief
er und legte nach jedem Wort eine Pause ein: »Wer hat es gewagt, in den
Holzschuppen einzubrechen? Wo ist der Kerl, dass ich ihn zermalme?« Da
erhob sich Frieda vom Boden, den sie zu Füßen der Lehrerin
reinzuwaschen sich abmühte, sah nach K. hin, so, als wolle sie sich
Kraft holen, und sagte, wobei etwas von ihrer alten Überlegenheit
in Blick und Haltung war: »Das habe ich getan, Herr Lehrer. Ich wusste
mir keine andere Hilfe. Sollten früh die Schulzimmer geheizt sein,
musste man den Schuppen öffnen; in der Nacht den Schlüssel von
Ihnen zu holen wagte ich nicht; mein Bräutigam war im Herrenhof,
es war möglich, dass er die Nacht über dort blieb, so musste
ich mich allein entscheiden. Habe ich Unrecht getan, verzeihen Sie es
meiner Unerfahrenheit; ich bin schon von meinem Bräutigam genug ausgezankt
worden, als er sah, was geschehen war. Ja, er verbot mir sogar, früh
einzuheizen, weil er glaubte, dass Sie durch Versperrung des Schuppens
gezeigt hätten, dass Sie nicht geheizt haben wollten, bevor Sie selbst
gekommen wären. Dass nicht geheizt ist, ist also seine Schuld, dass
aber der Schuppen erbrochen wurde, meine.« »Wer hat die Tür
erbrochen?« fragte der Lehrer die Gehilfen, die noch immer vergeblich
seinen Griff abzuschütteln versuchten. »Der Herr«, sagten beide und
zeigten, damit kein Zweifel sei, auf K. Frieda lachte, und dieses Lachen
schien noch beweisender als ihre Worte, dann begann sie den Lappen, mit
dem sie den Boden gewaschen hatte, in den Eimer auszuwinden, so, als sei
durch ihre Erklärung der Zwischenfall beendet und die Aussagen der
Gehilfen nur ein nachträglicher Scherz; erst als sie wieder, zur
Arbeit bereit, niedergekniet war, sagte sie: »Unsere Gehilfen sind Kinder,
die trotz ihren Jahren noch in diese Schulbänke gehören. Ich
habe nämlich gegen Abend die Tür mit der Axt allein geöffnet,
es war sehr einfach, die Gehilfen brauchte ich dazu nicht, sie hätten
nur gestört. Als dann in der Nacht aber mein Bräutigam kam und
hinausging, um den Schaden zu besehen und womöglich zu reparieren,
liefen die Gehilfen mit, wahrscheinlich weil sie fürchteten, hier
allein zu bleiben, sahen meinen Bräutigam an der aufgerissenen Tür
arbeiten, und deshalb sagen sie jetzt nun, es sind Kinder .«
Zwar
schüttelten die Gehilfen während Friedas Erklärung immerfort
die Köpfe, zeigten weiter auf K. und strengten sich an, durch stummes
Mienenspiel Frieda von ihrer Meinung abzubringen; da es ihnen aber nicht
gelang, fügten sie sich endlich, nahmen Friedas Worte als Befehl,
und auf eine neuerliche Frage des Lehrers antworteten sie nicht mehr.
»So«, sagte der Lehrer, »ihr habt also gelogen? Oder wenigstens leichtsinnig
den Schuldiener beschuldigt?« Sie schwiegen noch immer, aber ihr Zittern
und ihre ängstlichen Blicke schienen auf Schuldbewusstsein zu deuten.
»Dann werde ich euch sofort durchprügeln«, sagte der Lehrer und schickte
ein Kind ins andere Zimmer um den Rohrstab. Als er dann den Stab hob,
rief Frieda: »Die Gehilfen haben ja die Wahrheit gesagt«, warf verzweifelt
den Lappen in den Eimer, dass das Wasser aufspritzte, und lief hinter
den Barren, wo sie sich versteckte. »Ein verlogenes Volk«, sagte die Lehrerin,
die den Verband der Pfote eben beendigt hatte und das Tier auf den Schoß
nahm, für den es fast zu breit war.
»Bleibt
also der Herr Schuldiener«, sagte der Lehrer, stieß die Gehilfen
fort und wandte sich K. zu, der während der ganzen Zeit, auf den
Besen gestützt, zugehört hatte: »Dieser Herr Schuldiener, der
aus Feigheit ruhig zugibt, dass man andere fälschlich seiner eigenen
Lumpereien beschuldigt.« »Nun«, sagte K., der wohl merkte, dass
Friedas Dazwischentreten den ersten hemmungslosen Zorn des Lehrers doch
gemildert hatte, »wenn die Gehilfen ein wenig durchgeprügelt worden
wären, hätte es mir nicht Leid getan; wenn sie bei zehn gerechten
Anlässen geschont worden sind, können sie es einmal bei einem
ungerechten abbüßen. Aber auch sonst wäre es mir willkommen
gewesen, wenn ein unmittelbarer Zusammenstoß zwischen mir und Ihnen,
Herr Lehrer, vermieden worden wäre, vielleicht wäre es sogar
auch Ihnen lieb. Da nun aber Frieda mich den Gehilfen geopfert hat «,
hier machte K. eine Pause, man hörte in der Stille hinter den Decken
Frieda schluchzen , »muss nun natürlich die Sache ins Reine
gebracht werden.« »Unerhört«, sagte die Lehrerin. »Ich bin
völlig Ihrer Meinung, Fräulein Gisa«, sagte der Lehrer. »Sie,
Schuldiener, sind natürlich wegen dieses schändlichen Dienstvergehens
auf der Stelle entlassen; die Strafe, die noch folgen wird, behalte ich
mir vor; jetzt aber scheren Sie sich sofort mit allen Ihren Sachen aus
dem Haus. Es wird uns eine wahre Erleichterung sein, und der Unterricht
wird endlich beginnen können. Also schleunig!« »Ich rühre
mich von hier nicht fort«, sagte K. »Sie sind mein Vorgesetzter, aber
nicht derjenige, welcher mir die Stelle verliehen hat, das ist der Herr
Gemeindevorsteher, nur seine Kündigung nehme ich an. Er aber hat
mir die Stelle doch wohl nicht gegeben, dass ich hier mit meinen Leuten
erfriere, sondern wie Sie selbst sagten damit er unbesonnene
Verzweiflungstaten meinerseits verhindert. Mich jetzt plötzlich zu
entlassen wäre daher geradewegs gegen seine Absicht; solange ich
nicht das Gegenteil aus seinem eigenen Munde höre, glaube ich es
nicht. Es geschieht übrigens wahrscheinlich auch zu Ihrem großen
Vorteil, wenn ich Ihrer leichtsinnigen Kündigung nicht folge.«
»Sie folgen also nicht?« fragte der Lehrer. K. schüttelte den Kopf.
»Überlegen Sie es wohl«, sagte der Lehrer. »Ihre
Entschlüsse
sind nicht immer die allerbesten; denken Sie zum Beispiel an den gestrigen
Nachmittag, als Sie es ablehnten, verhört zu werden.« »Warum
erwähnen Sie das jetzt?« fragte K. »Weil es mir beliebt«, sagte der
Lehrer, »und nun wiederhole ich zum letzten Male: Hinaus!« Als aber auch
das keine Wirkung hatte, ging der Lehrer zum Katheder und beriet sich
leise mit der Lehrerin, diese sagte etwas von der Polizei, aber der Lehrer
lehnte es ab, schließlich einigten sie sich, der Lehrer forderte
die Kinder auf, in seine Klasse hinüberzugehen, sie würden dort
mit den anderen Kindern gemeinsam unterrichtet werden. Diese Abwechslung
freute alle, gleich war unter Lachen und Schreien das Zimmer geleert,
der Lehrer und die Lehrerin folgten als Letzte. Die Lehrerin trug das
Klassenbuch und auf ihm die in ihrer Fülle ganz teilnahmslose Katze.
Der Lehrer hätte die Katze gern hier gelassen, aber eine darauf bezügliche
Andeutung wehrte die Lehrerin mit dem Hinweis auf die Grausamkeit K.s
entschieden ab; so bürdete K. zu allem Ärger auch noch die Katze
dem Lehrer auf. Es beeinflusste dies wohl auch die letzten Worte, die
der Lehrer in der Tür an K. richtete: »Das Fräulein verlässt
mit den Kindern notgedrungen dieses Zimmer, weil Sie renitenterweise meiner
Kündigung nicht folgen und weil niemand von ihr, einem jungen Mädchen,
verlangen kann, dass sie inmitten Ihrer schmutzigen Familienwirtschaft
Unterricht erteilt. Sie bleiben also allein und können sich, ungestört
durch den Widerwillen anständiger Zuschauer, hier so breit machen,
wie Sie wollen. Aber es wird nicht lange dauern, dafür bürge
ich!« Damit schlug er die Tür zu.
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