Werfen wir nun zunächst einen Blick darauf, wie und in welcher Gestalt uns Prinzipien oder Grundsätze im Bereich der Philosophie, der Logik und der Mathematik bisher entgegentreten. Jedes philosophische, logische, mathematische, naturwissenschaftliche und auch ethische System geht von solchen Prämissen aus, die seinen Ausgangs-, Bezugs-, Dreh- und Angelpunkt ausmachen.
Dieses EINE Prinzip, bei Platon die Urbilder oder Ideen, wird nicht nur als solches, sondern mit seinem dazugehörigen Gegenpol bzw. "Nicht-Moment", sowie mit seiner Methode gesetzt (Idee oder Stoff, Sein oder Nichtsein, wahr oder falsch): Die Idee allein ist das wahre Sein (Setzung, "Sein", wahr), der Stoff, die Materie verkörpert das Nichtsein schlechthin (Nicht-Setzung, "Nichtsein", falsch), und sämtliche auftretenden Mischformen, wo sich die Idee im Stoff ausprägt (Idee und Stoff), sind nur insofern "Sein", als sie an diesem "teilhaben", nämlich als sie das "Gattungsmoment", das Moment des Allgemeinen, also die Idee in sich tragen. Die Methode besteht im Falle Platons darin, daß sich die Urbilder oder Ideen den Einzeldingen der Erscheinungswelt "mitteilen" (parousía - Gegenwärtigkeit der Idee in den Dingen), und, von den Einzeldingen aus formuliert, diese an den Urbildern der Ideenwelt "teilhaben" (méthexis - Teilhabe der Dinge an der Idee). Das heißt, das "und" in "Idee und Stoff", also wo immer sich die Idee im Stoff ausprägt, setzt sich aus parousía und méthexis, aus Mitteilung (aktiv, seitens der Idee) und Teilhabe (passiv, seitens der Dinge) zusammen. Dabei sind die Ideen das unveränderliche, ruhende, seiende Wesen der Dinge, das in der Gattung sich ausdrückende Allgemeine der Dinge, und die Einzeldinge verkörpern die sich bewegende, veränderliche, vergängliche Erscheinung. Die Gattung, das Genus ist das eigentlich Wahre der Dinge, das ihre Wirklichkeit ausmacht (Ruhe), und nicht ihre sich in der verändernden, bewegenden, werdenden Stoff-Materie ausdrückende, konkrete Erscheinung (Bewegung). Je allgemeiner eine Sache ist - je unveränderlicher, ruhender, "seiender" und damit "vollkommener", desto realer und wahrer ist sie. Je konkreter eine Sache ist - je veränderlicher, beweglicher, "werdender" und damit "unvollkommener", desto irrealer und unwahrer ist sie. Laut dieser Auffassung muß "Sein" Ruhe-Sein sein, denn würde es sich bewegen, so wäre es nicht Sein in dem Sinne daß man von ihm aussagen könnte: Sein ist. Die Veränderung, das Werden, die Bewegung kann Sein nicht zukommen, sonst lautete die Aussage: Sein wird. Dementsprechend kommt die Bewegung dem Nicht-Sein zu, dem im Werden Begriffenen, dem Unvollständigen, dem Unvollkommenen. Was sich bewegt, mangelt an etwas, ist nicht vollständig, ist noch nicht bei sich angekommen. (Diese Auffassung von Ruhe und Bewegung ist in der Geschichte der Philosophie von Platon bis Bloch zu finden). Und hier macht sich dann bei Platon auch methodisch das ausschließende Entweder-Oder geltend, insofern, als nicht beide, Idee und Einzelding der Erscheinungswelt, gleichzeitig wahr und seiend sein können. Wahr ist die Idee, falsch ist das Einzelding der Erscheinungswelt in dem Sinne, als ihm nur in dem Maße "Sein" zukommt, in dem es an der Ideenwelt teilhat.
In dieser Art von Setzung (Urbild, Idee bei Platon; Form, Nous,
Wirklichkeit bei Aristoteles) wird also implicite ein erklärungsbedürftiger
Gegenpol ("me ón", "tó kenón", das Nicht-Sein, der
Stoff, die Materie, die bloße Möglichkeit, die Bewegung) mitgesetzt,
indem er nicht gesetzt wird. Im vorliegenden Falle betrifft dies den Stoff
bzw. die Materie als Nicht-Gesetztes, Nicht-Wahres (Erscheinung), Nicht-Allgemeines
(Konkretes), Nicht-Ruhe-Sein (die Bewegung, das "Vergängliche"). Es
werden also nicht ZWEI Prinzipien als gleichzeitig und unabhängig
voneinander wahr und gültig gesetzt, Form und Stoff, es wird auch
nicht, wie noch bei den Hylozoisten der Fall, EIN Prinzip gesetzt, in dem
sich beide Momente noch nicht voneinander differenzieren, sondern es wird
ein Sein, Einssein, ein Einssein, ein Ruhesein gesetzt, was "ist" und gegen
welches ein von ihm Verschiedenes dualistisch nicht-gesetzt wird, "nicht
ist". Der Wahrheitsgehalt des Gesetzten besteht eben darin, daß es
"ist", gesetzt ist, der Wahrheits-bzw. Falschheitsgehalt des Nicht-Gesetzten
besteht darin, daß es nicht-ist, denn es können nicht beide
gleichwertig gesetzt und wahr sein. Das Gesetzte, Wahre determiniert das
Nicht-Gesetzte, Falsche. (Die Frage bleibt hier nur, wer darüber entscheidet,
was "wahr" und was "falsch" ist.) Die Methode drückt sich im Verhältnis
des Gesetzten (Identität) zu dem von ihm Verschiedenen, Nicht-Gesetzten
(Differenz) aus, nämlich im vorliegenden Falle in den Sätzen
der Aristotelischen Formalen Logik, dem Satz der Identität, dem Satz
vom Widerspruch und dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten.
Wir kommen hier nochmals kurz auf die griechischen Philosophen und ihre
Setzungen zurück, nämlich hier auf die Hylozoisten mit ihren
materiell gefaßten Prinzipien. Bei ihnen fallen die oben unterschiedenen
Arten von Prinzipien wesentlich noch ineins, wenn sie den "belebten Stoff",
die "belebte Allmaterie" in Gestalt von jeweils "hyle" (Thales), "apeiron"
(Anaximander) "aêr" bzw. "pneuma" (Anaximenes), postulieren, und
insofern sie "das Belebende" vom "Stofflichen" noch nicht trennen, womit
auch das Erkennende wie das zu Erkennende ineins fallen. Ein Prinzip beinhaltet
hier noch alle aufeinander bezogenen Momente derselben Sache (Form und
Stoff, Geist und Materie, Erkennendes und zu Erkennendes), welche später
differenziert und dualistisch gegeneinander gestellt werden (Form oder
Stoff, Geist oder Materie, Subjekt oder Objekt).
Den Rahmen wie Ausgangspunkt der Axiome bildet wiederum die auf Aristoteles
zurückgehende Formale Logik (auch "zweiwertige" Logik genannt, mit
den Werten wahr oder falsch) mit ihrem Satz der Identität, dem Satz
vom Widerspruch und dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten, weitergeführt
durch die Stoische Logik und in der Scholastik, wo der Versuch einer vernunftmäßigen
Begründung des kirchlichen Dogmensystems auf Aristoteles zurückgreift,
und in den Gottesbeweisen kulminiert - das Pendant zu den Axiomen in der
Mathematik.
Die eigentliche Beweismethode besteht nun darin, daß das zu Beweisende aus den als wahr anerkannten Prämissen oder Voraus-Setzungen vermittels einer Reihe von Schlüssen abgeleitet wird. Sowohl in der zweiwertigen Logik wie in der Mathematik beruht die Beweisführung auf dem formallogischen Satz der Identität, insofern eine logische wie mathematische Aussage erst dann bewiesen ist, wenn sie nicht widerlegt werden kann, das heisst, wenn sie widerspuchsfrei ist. Dabei werden zwei zentrale Vorgehensweisen unterschieden, die direkte, welche den zu beweisenden Satz aus anerkannten Sätzen ableitet, und die indirekte Verfahrensweise, welche das exakte Gegenteil des zu beweisenden Satzes annimmt und nachweist, daß sich aufgrund dieser kontradiktorischen Annahme ein Widerspruch ergibt, was die Wahrheit des zu beweisenden Satzes demonstriert. Insbesondere der mathematische Beweis erfolgt durch Lehrsätze, die ihrerseits schon bewiesen sind, also durch Zurückfuehrung auf die oben erläuterten Axiome. Wenn wir allerdings die Beweisführung zu ihrer vollsten Konsequenz betreiben und auch vor dem Axiom nicht haltmachen, erweist sich dasselbe, insofern es sich selbst voraussetzt, als in letzter Instanz zum circulus vitiosus der Beweisfehler gehörig, welcher besagt, das ein Satz nicht durch seine eigene Voraus-Setzung, also nicht aus sich selbst abgeleitet werden darf.
In keinem der uns bekannten Systeme ändern sich die einmal gesetzten Prämissen, auf denen sie beruhen und auf die sie sich beziehen. Weniger noch ist es der Fall, dass sich die Prämissen sowohl radikal ändern, wie auch gleichzeitig als sich selbst bestehen bleiben. Vorwegnehmend können wir bemerken, daß im Verlaufe unserer logischen Überlegungen folgende Art von Aussagen gleichwertig, gültig und notwendig auftauchen werden:
wahr.
falsch.
wahr oder falsch.
wahr und falsch.
[wahr oder falsch] oder [wahr und falsch].
[wahr oder falsch] und [wahr und falsch].
Weder [wahr oder falsch] oder [wahr und falsch] noch
[wahr oder falsch] und [wahr und falsch]. etc.
Ferner werden wir gemäß unserer Methode nicht nur Setzungen, sondern auch Gegensetzungen und Entgegensetzungen vornehmen. In einer vorwegnehmenden Zusammenfassung gilt: Wir setzen, insofern wir die zur Durchführung unseres Handelns geforderten Voraussetzungen ergrifflich erfassen. Wir gegensetzen insofern wir uns auf die gesetzten Voraussetzungen begrifflich beziehen, insofern wir denken. Wir entgegensetzen indem wir die gesetzten Voraussetzungen und unser denkendes Beziehen darauf übergrifflich transzendieren.
Unsere Setzung, unser Satz: .