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VATERERLANDSTAGE 

Und die Kunst des Verschwindens

Benziger Verlag, Zürich 1986
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Über das Buch:

Sprachgewaltig bannt Dieter Schlesak die Verhältnisse hier und dort, in Ost und West, in das Bild des achten Tages der Menschheitsgeschichte. Neue Zürcher Zeitung
 
 
 
 

Dieter Schlesak, vigoroso e sottile narratore... sembrava riconoscersi nell´ indicativo presente. La vita, come diceva Svevo, originale e lascia presto indietro il suo ritratto stesso da una penna (...) Nel suo intervento a Trieste, Schlesak (...)ha detto genialmente che soltanto dopo Stalingrado é comniciata, per la sua gente, la possibilita di' una vera letteratura che nasce dalla consapevolezza e dall' esperienza della disfatta del perverso sogno di dominio. Ii romanzo ,Giorni della patria di Schlesak é un´espressione poetica di questo amore di patria puro e purificato e reca significativamente ii sottotitob L´arte di sparire.
 
 

Claudio Magris, Corriere della Sera (8 febbraio 87).


 
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tEin VORTRAG zu Vaterlandstage:
 
 

ZUR URSACHENFORSCHUNG DES HEUTIGEN ZUSTANDES IM INNEREN UND ÄUßEREN NIEMANDSLAND DES HEIMATVERLUSTES: ZEITFELDER 1940-1945. DAS VERDRÄNGTE INFERNO.

 
 

Diese "Zeitfelder" spiegeln sich in der Literatur durch Strukturen und Strukturen psychischer Gegebenheiten von Personen. Es geht um einen bestimmten, historisch geformten Menschentypus, den der Siebenbürger Sachsen, zu dem ich selbst gehöre, so daß ich mich für meine Personen auch auf Selbstanalyse stützen konnte. Um diesen Menschentypus und das auch selbstverschuldete Ende seiner Geschichte, 1940-1945, und sein heutiges Verhältnis dazu, um diese innern "Zeitfelder" analysieren zu können, nehme ich als Grundlage Texte aus meinem eigenen Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens", der 1986 bei Benziger in Zürich erschienen ist, und an dem ich über zehn Jahre gearbeitet habe. 6000 Seiten sind in Mappen geordnet, ein Bruchteil davon ist erschienen. Der Erzähler, der "zu Hause" von einem kommunistischen Gericht verurteilt ist, nicht heimkehren kann, schickt an seiner Stelle die Hauptfigur Michael T. in seine siebenbürgische Vaterstadt S. Diese Hauptfigur charakterisiert sich selbst und ihre Heimkehr so: "Es kam mir alles sehr weit entfernt vor, obwohl es heißt, ich sei hier zu Hause... gewesen... ja, gewesen... eine Art Krankheit, ein Gewesener zu sein... Angehöriger einer sehr schwerblütigen Menschenart. Und hatte nie Gefallen gehabt an der Gegenwart. Zukunft als Angst erlebt, wie alle meine Leute; die Vergangenheit als riesigen Raum verbrauchter Erfahrung zog mich an, als wäre ich beauftragt, diesen Berg des Verlorenen, der wächst jeden Tag, abzutragen; schwitzend; - in Zeitnot."

Dieses Vakuum aber charakterisiert und charakterisierte eine ganze Menschengruppe, die Siebenbürger Sachsen, ihre Zeit, ihre Katastrophe und Tragödie.

Was ich vorhabe, ist den Entstehungsprozeß dieses Katastrophen-Romanes einmal umzukehren: zurückzugehen zum Material, den Rohstoffen. Und zu den Materialien dieses Buches gehören ganze Stöße von Briefen aus jener Zeit, Tonbandprotokolle zu diesem Thema zwischen 1976-1985 in meiner rumäniendeutschen Familie, mit rumäniendeutschen SS-Offizieren aus dieser Familie und mit dem Auschwitzapotheker Dr. Victor Capesius, der Apotheker der Apotheke "Zur Krone" meiner Heimatstadt Schäßburg in Siebenbürgen war. Mein Gespräch mit ihm ist übrigens in der "Halbjahresschrift. Zeitfelder 1918-1944", Frühjahr 1993 erschienen.

Im Zentrum der "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" steht das Schuldproblem.

Hier ein Zitat aus einem Brief des in Kronstadt/ Siebenbürgen geborenen Theologen Gerhard Möckel in die Zelle des siebenbürgischen Auschwitzapothekers Dr. Capesius nach Frankfurt: "... Denn je länger wir darüber nachdenken, desto klarer wird es uns, daß Sie nicht allein und auch nicht für sich allein vor Gericht stehen. Je tiefer man diesen Vorgängen in Auschwitz folgt - und da können nur letzte Maßstäbe helfen - desto solidarischer werden wir andern mit Ihnen in der Verantwortung und in der Schuld". "Die radikale Schuld ist durch menschliches Rechnen und Selbstprüfen wohl nicht zu begreifen. Die Übernahme einer Verantwortung dieses Umfangs und dieser apokalyptischen Tiefe spottet allen menschlichen Kräften." (Gerhard Möckel, Brief an Capesius, 1965). Meinem Roman "Vaterlandstage" hatte ich ein Hölderlin-Motto vorangestellt: "... daß jedes, als von unendlicher Umkehr ergriffen, und erschüttert, in unendlicher Form sich fühlt, in der es erschüttert ist. Denn vaterländische Umkehr ist die Umkehr aller Vorstellungsarten und Formen." ("Anmerkungen zur Antigonä"). Daß durch diese Erfahrungen und Erkenntnisse die kleine Gruppe der Rumäniendeutschen, die in dieses Verbrechen und die nachfolgende Apokalypse mit hineingerissen wurde, nicht nur überfordert war, sondern daß dadurch ihr gesamtes Schutzsystem der Verdrängungen erschüttert worden wäre, ist klar. Ich habe in einer Sendung (" Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Was habe ich mit Auschwitz zu tun", Hessicher Rundfunk 1, 8.5.81) über die beiden Auschwitzoffiziere Capesius und Albert, diese Frage in den Mittelpunkt gestellt, und Erwin Wittstock parallel dazu zitiert, Wittstock hatte in seinem Roman " Das Jüngste Gericht von Altbirk" diesen wundesten Punkt der Siebenbürger Sachsen so charakterisiert: "Jedenfalls sind viele Maßstäbe, die man uns anerzogen hat, falsch ... Wir fühlen uns glücklich, solange wir naiv nach diesen Maßstäben messen. Und wir müßten aus tiefster Seele unglücklich sein... die Sicherheit verlieren, wenn wir dessen innewerden, daß unser Weltbild zu einem Traumbild geworden ist ... (den) verborgenen, unbewußten Widerspruch in unserem Innenleben ... (erkennen) denn sonst müßte man sehr schwerwiegende Entscheidungen treffen."

Diese schwerwiegenden Entscheidungen sind nie getroffen worden, es sei denn durch Auswanderung, indem man sich nur und ausschließlich als Opfer einer Diktatur, nie zweier Diktaturen ansah, geschweige denn sich selbst mitschuldig fühlte.

Verweisen möchte ich auf den Aufsatz des Hermannstädter Literaten und Kritikers Joachim Wittstock "Die Neue Schuldlosigkeit" (Manuskript, 1990), wo Wittstock nach einer eingehenden Analyse erkennt, daß die rumäniendeutschen Autoren Schwierigkeiten mit einem "verinnerlichten Schuldbegriff" die beiden Diktaturen betreffend haben. Von den Rumäniendeutschen ganz allgemein ganz zu schweigen. Und um diesen verdrängten Schuldbegriff geht es auch in den "Vaterlandstagen" und meinen Recherchen zum Thema. Je jünger die Autoren, aber auch die Leser, umso weniger sind sie geneigt, auch nur zu verstehen, was damit gemeint ist. Wittstock spricht von einer "dritten Schuld", nämlich - sich für völlig unschuldig zu halten. Auch in der Literaturkritik und Historie ist wenig von dieser Problematik spürbar, sie fällt einer Pseudoobjektivität zum Opfer.

Mein Vortrag beschäftigt sich eigentlich mit diesem rumäniendeutschen speziell siebenbürgisch-sächsischen Bewußtsein, beschränkt allerdings auf die Jahre 1976-85, gebrochen im Spiegel der Jahre 40-44, in der die Rumäniendeutschen völlig "gleichgeschaltet" in Schule, Kultur, Kirche, Gemeinwesen, "ideell" sozusagen ein Teil des Nazireiches gewesen waren, eine mächtige und anmaßende Enklave im Reich des Marschalls Antonescu. Seither gehört die rumäniendeutsche Geschichte (1940-1944) unmittelbar und mit allen historischen und moralischen negativen Konsequenzen und heute praktischen Konsequenzen zur Geschichte des Dritten Reiches. Eine finstere Zeit - und die schönste Zeit meiner Kindheit, was seine Spuren in mir, und freilich im Roman hinterlassen hat, und mit zum Thema gehört: die Korrektur und damit Beschädigung der Erinnerung durch aktuelle Information, durch die grausame Wahrheit im Erwachsenenalter. Wobei es sonst auf Rumäniendeutsch üblich ist, politisch ein Kind zu bleiben, nur nicht daran zu "rühren", diesen Schaden zu vermeiden, zu vergessen und zu verdrängen, was wohlgelungen ist und wohlgelingt, und zum zweiten Hauptthema meines Vortrages gehört, dessen Analyse via Tonbandprotokolle und Briefe zu unserer vertrautesten Minderheitskrankheit führt: einer gesellschaftlichen Lebenslüge, die mindestens bis 1867, bzw. 1876, der Zerschlagung des Königsbodens, zurückzuverfolgen ist und seine Folgen heute im Untergang zeigt. Der Tragödie letzter Akt: die historische Selbstvernichtung dieser Minderheit.

Und ich will mit diesem Schutzsystem der Abschottung von der Realität beginnen, ein geschlossenes minisoziales ethnozentrisches System, das schon nach Gesetzen der Entropie dem Untergang geweiht ist. Und mich vor allem auf meine eigene engere Herkunftsgruppe, die Siebenbürger Sachsen stützen, der ältesten, und ausgeformtesten deutschen Minderheiten-Gruppe, bei der alle negativen und positiven Charakteristika der Rumäniendeutschen am ausgeprägtesten sind, und die auch in den "Vaterlandstagen" im Mittelpunkt steht-

Zu beachten ist hier, daß diese Sachsen bis zur Auflösung ihres Territoriums und ihrer Institutionen keine MINDERHEIT waren, sondern mit den andern "Ständen" Ungarn und Szeklern eine selbstbewußte "Nation", wie sie sich nannte, die als Teil der "unio trium nationum" im siebenbürgischen Landtag vertreten war.

Erlauben Sie mir einen kurzen Rückblick, der historisch und völkerpsychologisch diese tiefsitzende Verdrängung objektiviert: Die Sachsen hatten auf ihrem fundus regius, dem Königsboden, allein Bürgerrecht, so war dies vor 750 Jahren im Andreanum 1224 festgelegt worden, ein Privileg der ungarischen Könige. Doch schon durch die Konzivilität Josephs II. Ende des 18. Jhdts. wurde das Privileg aufgehoben, und dann wurden moderne und demokratische Verfassungen, ja, das Bürgerliche Gesetzbuch, das gleiche Rechte allen versprach, nach 1876 Gesetz. Die privillegierten "mittelalterlichen" Sachsen wurde aus einem gleichberechtigten "Volk" der "unio trium nationum" eine schutzlose Minderheit, und ihrer historischen Existenzgrundlage beraubt, die "Volksidee", Gebietsherrschaft, samt ihren Institutionen beseitigt, die einmal festgelegt worden war im statuta iurium municipalium Saxonum Transsilvaniae von 1583. Tragisch war, daß diese Existenzgrundlage mittelalterlich und gegen die Zeit existierte, wie der gesamte Volksstamm, sich abschotten mußte, um zu überleben, in zwei Diktaturen furchtbaren Schicksalsschlägen ausgesetzt, nach dem Krieg deportiert, vom Staatssozialismus enteignet, verfolgt, das eigene, alte Identitätsangebot eigenwüchsigen Deutschtums betrügerisch eingesetzt in der Vernichtungs- und Eroberungs- Maschinerie der Nazis, schließlich dem sanften Bazillus der Wohlstandsgesellschaft ausgesetzt, der den Siebenbürger Sachsen endgültig den Garaus macht, sie nun dem Untergang weiht. All dies nicht ohne eigene tragische Schuld, und vor allem Schwäche und Schuld der eigenen Politikerklasse.

Das Elend beginnt radikal aber erst mit dem Minderheitenstatus nach 1867 bzw. 1876, der Auflösung ihres "fundus regius", des Königsbodens, und dem dazugehörigen Minderwertigkeitskomplex, dem historischen Nichts, ja, Abgrund dem sie gegenüberstanden. Das sich nachher ans "Reich"- Anschließen, um irgendwo einen Boden zu haben, begann damals. Die beginnende chauvinistische Reichsbegeisterung setzte schon mit der Reichsgründung 1871 ein.

Einer der von mir Befragten, Helmut K., Arzt, ehemaliger SS- Arzt, geb. 1914, der in den "Vaterlandstagen" dann als Figur auftaucht, sagte: "So ist dies zum Teil auch als Rettungsanker begriffen worden wie in Deutschland... Und es war ja vieles furchtbar anachronistisch... ein irrationaler Versuch, gewisse Dinge aufzuhalten... die sich überlebt hatten. Formen und Werte und Wertvorstellungen, die eigentlich stark angekränkelt waren, künstlich wieder auf ein Podest gesetzt wurden..." So hätten viele gedacht, sagte er. "Es gründet, da mußt du zurückgehen, auf unsere Privilegien, die unser Dasein garantierten, viele Jahrhunderte hindurch.... Aber dieses Bewußtsein, das jahrhundertelang sich entwickelt hat, ist so stark gewesen, daß es dieses Jahrhundert praktisch überdauert hat, wo die äußere Form nicht mehr vorhanden war."

Wir sehen, wie in dieser Generation das Geschichtsbewußtsein noch stark ausgeprägt war, und gerade dieses, d.h. der drohende Geschichtsverlust, sie zu Nazis hat werden lassen. Ein anderer Siebenbürger, Roland A., Jahrgang 1916, ehemaliger Auschwitz-Offizier, der heute keine Distanz zu seiner Vergangenheit hat, faßte zusammen: er wolle das gesunde Mittelalter.
 
 

Die große "Nations-Zeit" als "Volk" im Mittelalter wirkte also wie ein Märchen, eine Traumtänzerei im Bewußtsein weiter, daher wirkten dann auch die "völkischen" und heroischen Nazi-Worte wie ein Zauber. "Wir waren immer geschlossen" und hatten ein "deutsches Herz", sagten andere der Befragten; und der Interviewer hatte "kein deutsches Herz", wenn er "daran" rührte, es war ein "im Häßlichen Wühlen", hörte er bei seinen Interview- Fragen. Manchmal hieß es auch " kein Instinkt" oder gar "Verrat". Der Glaube ans "Völkchen", sich selbst als Teil davon zu betrachten, die "große Vergangenheit nicht zu beschmutzen", stand im Vordergrund. Es korrespondierte mit dem wichtigsten Verdrängungsinstrument, das ein ästhetisches war, das sogenannte "Schöne", "Edle", "Hohe", "Geistige" - völlig abgekoppelt von jeder Realität oder Geschichte, dieses "Schöne" hatte den "grauen Alltag" vergessen zu machen, und zu "erheben". Wobei vor allem von "Gefühl", von jener Sentimentalität, die "ergreift" die Rede war, die zu "Tränen rührt". Dieses "Schöne" erreicht seinen Höhepunkt in den sentimentalen sächsischen Gassen- und Dorf-Chor-Liedern und der Operettenkultur der Kleinstädte.

All dieses sind die Grundvoraussetzungen des Kitsches, die Unwahrhaftigkeit, das Vorspiegeln falscher Tatsachen, das unbewußte Heucheln, auch das Vorspielen von triefend sentimentalen Gefühlen. Und wer die Kitsch-Analysen von Hermann Bloch liest, (in der großen Arbeit: "Das Böse im Wertsystem der Kunst" und "Zum Problem des Kitsches") und von den politischen Gefahren dieses Kitsches erfährt, ist verblüfft wie dies übereinstimmt mit jenem kollektiven Zustand, aber auch mit einem großen Teil der rumäniendeutschen Heimatliteratur. Das oben erwähnte "Schöne" etwa ... Oder, ich zitiere weiter Broch: die "Flucht ins Historisch- Idyllische ... denn jene historische Welt ist `schön`... Es wird ein unmittelbarer Anschluß an die Vergangenheit gesucht, genauso wie der Kitsch stets den unmittelbaren Vorgänger kopiert..."

Das stimmt genau mit dem überein, was auch Gerhardt Csejka in seinem Essay "Der Weg zu den Rändern, der Weg der Minderheitenliteratur zu sich selbst", 1990, Heft 7/8 in der "Neuen Literatur" erschienen, festgestellt hat: nämlich wie "zwingend mächtig der Glaube an den Volkscharakter der sächsischen Gemeinschaft noch nachwirkte", obwohl es sie gar nicht mehr gab, so "assimiliert die Literatur", laut Csejka, "jeweils das Rollenbild, das der Erwartungshaltung der vorausgegangen Epoche entsprach - sie hinkte gewissermaßen sich selber nach:" Wittstock, Meschendörfer, Zillich realisieren "Projekte" der Michael-Albert-Generation aus dem vorigen Jahrhundert, und sogar nach dem endgüligen Geschichtsbruch 1944 führe Paul Schuster (geb. 1930) in der "Fünf-Liter-Zuika-Trilogie", so Csejka, diese Vorstellung des "repräsentantiven" und realistischen sächsischen "positiven" Geschichtsromans ohne Geschichte und "Volk" weiter. Ja, die sozialistisch-realistischen Thesen stützten diese Lebenslüge 40 Jahre lang weiter, die zwangsläufig Fälschung, also Kitsch produzieren mußte, nämlich schmerzlich tragische Themen im beschönigenden, unwahrhaftigen, nicht-entsprechenden und pseudorealistisch-abbildenden Stil zu behandeln, wo doch furchtbare Abgründe und Unbeschreiblichkeiten metasprachlich z.B. im Totengespräch mit den Millionen Opfern zu übersetzen gewesen wären: das, was zwischen 1940 und 1944 geschehen war, und nachher erstrecht. In einem Vortrag an der Universität Triest bei Claudio Magris hatte ich die These aufgestellt, daß erst Stalingrad die moderne rumäniendeutsche Literatur geboren habe, aus dem endgültig totalen Nichts und der Bodenlosigkeit nämlich, Magris hat das dann im "Corriere dela Sera" vom 8. Februar 1987 so kommentiert: - der Autor der "Vaterlandstage" habe in seinen Ausführungen in Triest, ich zitiere: "gesagt, daß für seine Leute erst nach Stalingrad eine wahrhaftige Literatur möglich wurde."
 
 

Die "Vaterlandstage" sind dem Verständnis des Autors und seiner Stilmethode nach - ein radikaler Bruch mit der rumäniendeutschen ästhetischen Tradition auch des verdrängenden Narrativen im Sinne eines allgemeinen sächsischen Publikumsgeschmacks: und dieser Roman wurde natürlich von den Landsmannschafts-Publikationen nicht einmal richtig verrissen, nicht einmal im Negativ-Spiegel durfte, man höre und staune: noch 1986 das tabuisierte Thema berührt werden, sondern der "modernistische Stil" wurde als "unschön" und das "Gebrochene" und Bruchstückhafte, als "unsächsisch" und "fremd" diffamiert, der Roman über die Todeslager und die sächsische Schuld als etwas, das "fremd" ist, die Sachsen also gar nichts angeht, beiseitegeschoben, den Leuten vom Besuch von "Vaterlandstage"- Lesungen abgeraten, als täten sie beim Zuhören etwas Unsittliches.-

Nun ja, genau dieser Stil der Zersplitterung gehört meiner Meinung nach zum Umgang, zum zerbrochenen Spiegel und dem Haltlosen eines ins Nichts und Nirgendwo entlassenen Rumäniendeutschen als typischer Hauptfigur, die hier Michael T. heißt, und bei der auch noch die "schönen" Erinnerungen und die Kindheit durch Wissen von dem was während dieser Kindheit zwischen 1940 und 1944 geschehen ist, zerstört worden war. Und am deutschen Höllengeschehen, wo die deutsche Sprache, ja, jedes "Und" oder "Oder" mitgewirkt hat, zerbricht ja auch sie, und kann nicht mehr so sein, wie bisher. Stottern angesichts des Geschehens, anstatt schöne schwingende Syntax. Sprachblöcke, anstatt Rhythmus und "schöne" Bilder und Sätze oder Sentimentalität fürs Gemüt.

In sich selbst hinabfallende Bewegung, so dicht, daß anstatt Handlung, nur dichter Prosavers dasteht, der Zeitabläufe blockiert. "Sic et non," das sofort wieder Zurücknehmen des Gesagten im gleichen Satz als Stilprinzip. Usw.

Am genauesten hat die siebenbürgische Autorin Bettina Schuller diese durch den Romangehalt aufgebrochene Sprache analysiert. (In: "Neue Literatur", 3/4, 1990). Die Sprache bediene sich "streckenweise nicht der Logik und Grammatik des Denkens... sondern der Assoziationen der Gefühle", doch "nach solchen Strecken ergibt sich unversehens" "ein Bild", so daß "die, wie zufällig aneinandergereihten Worte und unfertigen (grammatikalisch unfertigen) Wortgruppen genau am rechten Fleck stehen, und man von einer Stimmung des Déjà-vu, des "ja, so war es damals (in der Summe von Farbe, Geruch, Möbelstück, Tagesgespräch) - erfaßt wird." Wichtiger als dieses Umkreisen ist der wunde Punkt, den es, sprachlos geworden, doch benennt, das Grauen, eben mit diesen "sprunghaften Assoziationen," die schon "intuitiv geformt" sind, vor allem in "Ungereimtheiten der Assoziation", etwa in solchen Zitaten, wie "die Faust aufs Aug". Weiter Schuller: "Ein Beispiel von Unzähligen: Eichhörnchenjagd - und Tod assoziert mit Löns-Liedern, und dabei entsteht eine Bangigkeit, eine Sehnsucht nach - und Furcht vor Kindheit. Geborgenheit inmitten (wie sich später herausstellte) unsäglicher Grausamkeit." Und: "was sich der Logik zu entziehen sucht, wird locker und gezielt von diesem eigenständigen Stil... eingekreist". "Es war die Zeit meiner Kindheit, gewußt und gewesen." "Im Rückblick wird die Idylle zum Verhängnis; eine ungeahnte Schuld, ähnlich einer antiken Tragödie." ",In der Klosterkirche predigt ein junger Divisionspfarrer`, - ein klarer Aussagesatz, kein Spekulieren, aber im Konzept schlägt er ein wie ein Orakel, das in der Regel Unheil verkündet."

"Ich fühle mich wie einer", sagt der Hauptheld: "dem das Recht auf sein Gedächtnis abgesprochen wurde". Aber die Sprache wird verwendet "für suspekt gewordene, kompromittierte Gefühle".

Es ist, wie es Andreas Möckel, Siebenbürger, heute emeritierter Historiker an der Universität Würzburg in einer sehr genauen Besprechung nennt: "Seelenarbeit der Hauptperson, die in die eigene Vergangenheit zurückkehrt... anders und neu nacherlebt." "Naiver Kode von einst und entschlüsselter, wissender Kode heute liegen übereinander." (In: "Zugänge", Juli 1987). Das sei verheerend für die Seele des Kindes, die "Vergangenheit sich selbst fremd", ein "merkwürdig irrealer Alptraum und gibt ihm erst im Neubesinnen die wirkliche Bedeutung, erst nachträglich Realität". Diese Last, meine ich,. nämlich daß Literatur allein die Vergangenheit verändern kann, sogar neu begründen hilft, ist mit bisherigen Mitteln nicht mehr möglich. Für die Sachsen sei dieses Buch eben gerade deshalb eine "Provokation", sagt Möckel, da es eine Umkehr fordere. Auch in der Sprache, die durch die Nazizeit und das rote Chaos nicht unbeschädigt geblieben sei, deren Museum, genau wie das Museum des Bewußtseins allein gelten soll. Solch ein Museum aber wurde in den "Vaterlandstagen" auch vorgeführt durch die Verarbeitung der vielen Interviews. Am spannendsten beim ehemaligen SS-Offizier Roland A. Ich will zu diesen "Rohmaterialien" zurückkehren, und hier nicht allzu ausführlich auf die Poetik der "Vaterlandstage" eingehen, obwohl sie einiges zum Thema hergeben würde, da sie ganz eng am Inhalt liegt.

Zum Rohstoff des Buches gehören auch vier Sendungen: Radio Bremen eine Stunde, Süddeutscher Rundfunk drei Stunden, Hessischer Rundfunk eine Stunde, wo vor allem O-Ton meiner Interviewpartner die Basis war. Darunter der Auschwitzapotheker Capesius und ein Verwandter, der Schöngeist, Religionslehrer und SS-Offizier Roland A.. Die Szene, die ich zitieren möchte, erscheint auch in den "Vaterlandstagen" als eine Szene mit "Onkel Andreas", allerdings steht das Dokument wie ein starre Wand dem Stil im Wege.

Meine Bemühung ums Dokument, hat mir von vielen älteren siebenbürgischen Lesern den Vorwurf eingetragen, das "Schöne" zu vernachlässigen; ja, ich habe am Gegenteil gearbeitet, unbewußt aber ist das "Gräßliche", also das "Verdrängte" zu einem Zeichen geworden. Dokumente dieser Art, ja, jeder Art zu bemühen, heißt der "Authentizität des Alltäglichen den schönen Schein zum Opfer" zu bringen: " ... doch verleiht er ihnen durch Montage eine Schönheit zweiten Grades - die der Allegorie" ( Norbert Bolz) In den "Vaterlandstagen" habe ich versucht, auch diese Montagen wie den "Traum hieroglyphisch, mit Bildzeichen" funktionieren zu lassen. Ich gehe von jenem ganz persönlichen Wissen aus, daß beim Verstehen, beim Schreiben vor allem, in der Lektüre, ein flash möglich ist, wenn man sich dem größeren Zusammenhang, dem "Einen", das nicht ausdrückbar ist, nähert. Neben vielen andern, hat mich auch Thomas Pynchon mit seinen "Enden der Parabel" beeinflußt, hier kehrt der ineinsgleitende metonymische Schreibprozeß die Wirklichkeit und unser kausal funktionierendes Bewußtsein um wie einen Handschuh. Der Stil geht dem Inhalt wider den Strich, wider die Moral von der Geschichte ist er ÖFFNUNG, sucht Berührung, erfüllt mit Optimismus, während auf inhaltlicher Ebene Tod und Zerstörung wüten. Diese Spur der Schrift ins Offene des Augenblicks, da, wo Zeit, die noch nie war, sich als überraschendes Fallen aus dem Unbekannten zur Inspiration verdichtet, kooperiert mit dem Wissen der Quanten-Logik, einer neuen Wissenschaft vom JETZT, die wie dieses erst im Entstehen ist. Hier ist die neue U-Topie einer "Gegenmacht" zu suchen, nachdem die alte des erstarrten Ego, die sich mit Ideologie verband und mit dem politischen Verbrechen, weltweit gescheitert ist.

Aber ich will Sie mit diesen ästhetischen Problemen jetzt verschonen. Und zitiere aus dem Roman: "Wer unterscheidet noch zwischen Licht und Irrlicht.... T. will Kontakt mit seinem toten Vater aufnehmen und hört nur die Stimme des Andreas: `Man hat ja dort manches ansehen müssen,` höre ich ihn, anstatt der Totenstimme meines Vaters: `Funktionshäftlinge hatten unter Aufsicht Dylewskys wohl ein seltsames Gestell getragen, es war die sogenannte SPRECHMASCHINE oder SCHAUKEL, darin wurde der verschärft zu Vernehmende reinmontiert wie ein Stehaufmännchen... schlugen Board und Dylewsky auf ihn ein, daß er sich wie ein Kreisel drehte... Die meisten starben kurz nach der Tortur.`" Und Andreas sagte dazu: "Wo andere ohnmächtig geworden sind... da blieb ich standhaft und hart... es hat mich weniger berührt als andere. Ich war robuster als die Robustesten." Und gibt vage zur Erklärung an: "Jaja, aber die Kunst, Musik und Poesie vor allem, sie haben mir oft zur Flucht verholfen, auch dort..." Das Schöne also? Als wäre das andere "notwendig" , der graue Alltag eben, dort etwas grauer. Aber das Schöne blieb ja hoch oben und war das Wichtigste? Das war Verdrängung schon im Augenblick des Geschehens mit Hilfe des ominösen "Schönen".

Wieder also dieses typisch "Schöne", abgekoppelt. Brochs Kitschdefinition auch hier: "Neurose und Kitsch", wo sogar Hölderlin so, schlimmer noch als der Tornister-Hölderlin, denn Andreas las ihn auf dem KZ-Wachturm, zu Kitsch werden kann.

"Andreas", Untersturmführer, Leutnant, Schöngeist, führte es vor. Ebenfalls in einem Gespräch (1979) in Innsbruck, sagte er, wie er ständig "Wachvergehen" begangen habe, da er auf dem Wachturm, "um das nicht sehen zu müssen", andauernd "die Nase in einem Buch hatte". Mit Vorliebe las er Nietzsche und Hölderlin, "um das nicht sehen zu müssen." Er war ein guter Klavierspieler, obwohl ihm die Finger oberhalb des Gelenkes vor Moskau abgeschossen worden waren, und er nur mit den Stummeln spielen konnte; frontuntauglich wurde er 1942 nach Auschwitz versetzt.

Und er habe nur gedacht `inter arma silent musae'; vor den Waffen schweigen die Musen. "Doch ja, sagte er: "Ich hab auch Posten geschoben und ständig den Rucksack voller Gedichte gehabt. Nicht wahr. Ich hab ständig Wachvergehen begangen."

In den Sendungen "Vaterlandstage" (90 Minuten) beim Süddeutschen Rundfunk am 1. März 1980 und "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Oder was habe ich mit Auschwitz zu tun" (Gemeinschaftsproduktion HR/ Radio Bremen 60 Minuten, am 8. 5. 1981), kamen Capesius und "Andreas" ausführlich zu Wort. Hier ein Fragment aus der zweiten Sendung:

"A. hat eine weiche pastorale Stimme. Unterbrach sich, setzte sich ans Klavier und spielte ein Schubertlied. Plötzlich ist er absent, starrt auf einen entfernten Punkt außerhalb des Raumes, ist nur mit sich selbst beschäftigt, seine Freundin, eine blonde Frankfurterin, tippt ihn vorsichtig an, wie man Irre anrührt, da er nur sich Wein eingeschenkt hat und sagt: das war aber nicht höflich. Sieht ihn mit einer milden Wut an. Doch er nimmt es kaum wahr, murmelt abwesend: jaja.

Du willst also ein Buch schreiben, erkundigt er sich neugierig. Was beschäftigt dich?

Die Ursachen unseres Verschwindens.

Aha, aha, du bist also kritiksüchtig! Nietzsche hat da ein schönes Wort: Menschliche Tugenden: Güte, Hilfsbereitschaft, Edelmut usw. seien nichts als eine Art Luxusgüter, die wir uns nicht immer leisten können. Das habe ich irgendwo bei Nietzsche gefunden, und das möchte ich fast unterschreiben.

Es sind nicht die obersten und höchsten Werte?

Ich möchte sagen, es gibt keine obersten Werte. Weltanschauung ist immer biologisch: Ich will leben und überleben.

Das Gesicht des SS-Sturmführers war wie verweht, ein großes verschwommenes Ei.

Aber ich meine, fuhr er plötzlich ungewohnt leise fort: Gewissensfreiheit ist das Höchste.

Warum bist du dann nicht aus Auschwitz geflohen, wie andere auch?! Stand die Todesstrafe darauf?

Er sah mich mit seinen bläßlichen Augen amüsiert an: Freilich stand die Todesstrafe darauf. Desertion. Nein, das wars ja nicht, an Mut hat es mir nicht gefehlt, aber ich war für Ordnung, für bedingungslose Disziplin. Wohin hätte ich auch fliehen sollen, es waren ja meine Leute, die dort das Sagen hatten, die mich brauchten."

In einer Besprechung der Sendungen, in "Licht der Heimat", Beilage der "Siebenbürgischen Zeitung", damaliger Betreuer der Beilage: der Historiker Prof. Andreas Möckel, erschien eine positive Kritik der Sendung. Und brach damit ein Tabu der Landsmannschaft, da damals lauter ehemalige NS-Amtsträger das Sagen hatten, Schreibtischtäter, die um ein Vielfaches schuldiger sind, als der "Pechvogel" Dr. Capesius, oder Roland A., hatte diese positive Rezension über dieses, das brisantest mögliche Thema, ein Eklat zur Folge: Der Chefredakteur der "Siebenbürgischen Zeitung, " Hans Bergel, weigerte sich das "Licht der Heimat" mit jener Rezension zu veröffentlichen. Sicher auf "höhere Weisung." Möckel mußte die Beilage abgeben. Er wurde gefeuert. Und etwas später wurde als eine Art "Gegenlandsmannschaft" der "Evangelische Freundeskreis Siebenbürgen" gegründet. Und diese Auseinandersetzung über die siebenbürgisch-sächsische Mit-Schuld fand erst im Jahre 1981 statt. 1981! Man höre und staune!
 
 

Schöne Gedichte konnte man ab 1940 in den "Kirchlichen Blättern" Siebenbürgens lesen. Etwa dies: "Herrgott/ steh dem Führer bei,/ daß sein Werk das deine sei,/ daß sein Werk das seine sei,/ Herrgott, steh dem Führer bei." Oder diese Verse des "wertvollsten" Sachsen-Autors Heinrich Zillichs, seine Hitler-Hymne: "Den Deutschen von Gott gesandt... Gütiges Auge, blau, und erzene Schwerthand,/ dunkle Stimme du und der Kinder treuester Vater..."

Es entspicht in hohem Maße Hermann Brochs Kitschdefinition des Uneigentlichen, des schreienden Widerspruchs zur Wahrheit des Besungenen. Freilich weniger gefährlich, als das innere und akzeptierte Regelsystem des blutigen "Spiels", wie wir es bei A. gesehen haben, es nicht mehr ethisch, sondern nur noch ästhetisch zu werten: nämlich, wer innerhalb des vorgeschriebenen Spiels entsprechend handelt, handelt gut.

Broch warnt aber auch vor der Droge Sprache, ihren sentimentalen Giften: vor innerer Hohlheit, Leere, die das Übersteigerte, Emphatische, Geschwollene braucht, eine furchtbare Sentimentalität, die sich für "hohes Gefühl" hält, bei Hitler am stärksten ausgeprägt, der tot und leer war, und wie ein Vampir die Masse, aber auch das Komödiantische brauchte, scheint ein Charakteristikum jener Generation und sicher nicht nur bei den Rumäniendeutschen gewesen zu sein. Ich habe es immer wieder, auch in Deutschland bei den Männern dieser Generation in ihren "schwachen Stunden" beobachtet: Das falsche, unechte Pathos und auch das falsche Gefühl. Doch falsches Pathos, Kitsch, reichte bis zu den kritischsten Geistern wie Karl Kraus, so daß wir laut lachen mußten beim Anhören eines von Kraus vorgetragenen eigenen Gedichtes; bei Schauspielern wie Alexander Moise oder bei Gustav Gründgens ist dieses Pathos noch penetranter. Klaus Mann hat sogar einen Roman, "Mephisto", mit Gründgens als Modell geschrieben. Und die verlogenen Fassaden einer geheuchelten Welt, die Natur und Echtheit vor sich hertrug und das Gegenteil war: gefühliger und tränenreicher enthusiastischer Kitsch in jeder Lebensregung bis zur Kunst, den Monumentalbauten, Filmen, Reden, ist typisch für die Nazizeit: Kitsch, vor allem in der Sprache als tödliche Gefahr, "kochende Volksseele" mit viel "Gefühl", das von der Politik, der Realität aber völlig abgekoppelt war, und so Krieg und Todeslager möglich machte, Alltag wurde das Unvorstellbare der Todesfabriken - und gleich daneben wurden im Familienkreis der Offiziere deutsche Weihnachtslieder gesungen und Bescherung gefeiert. Konzerte gegeben, Gedichte vorgetragen. Kunst und Barbarei. Hermann Broch hat in seinem großen Essay "Das Böse im Wertsystem der Kunst" früh vor der Gefahr gewarnt: "der... Zusammenhang zwischen Neurose und Kitsch" sei "zeitgeschichtlich nicht unbedeutsam", schreibt er, es sei "kein Zufall, daß Hitler (gleich seinem Vorgänger Wilhelm II.) ein unbedingter Kitsch- Anhänger war." Ähnliches wissen wir von anderen Diktatoren, inklusive Stalin. Und denken wir nur an die Szene des auf dem Wachturm Hölderlin lesenden siebenbürgischen SS-Mannes: So ist Nero als Modell nicht weit... "ein Schönheitsbeflissener," so Broch: "das Feuerwerk des brennenden Rom", "die lebendigen Christenfackeln hatten sicherlich gewisse künstlerische Valeurs, wenn man kraft Ästhetentum taub gegen die Schmerzensschreie der Opfer sein oder gar als ästhetische Begleitmusik einwerten konnte." Kitsch ist nach Broch Imitation, Simulation. Überhitzte Lüge, imitiertes Gefühl etwa und gefährlich ins "Hohe" gebracht zur Verführung: "sieh, es stehen geschart über die Erdteile hin/ Weib und Mann in den Flammen der Seele/ heilig vereint..." Heinrich Zillich: Hitler ist gemeint. Ist das nicht Pseudoreligion, die der arme sächsische Leser oder Hörer damals nicht mehr von echter unterscheiden konnte.

Aus den "Vaterlandstagen" (S. 84) dazu diese Passage, die freilich ebenfalls auf realen Zitaten und Dokumenten beruht, der "junge Divisionspfarrer" in der Klosterkirche: "Alles für die Front, d.h. aber: alles für unser Volk... dem wir mit der Herz- und Heilkraft unseres Glaubens in erster Reihe zu dienen haben... Der Herr segne und behüte euch, der Herr lasse leuchten sein Angesicht über euch und sei euch gnädig."

Eben: das "Völkische", Volksgemeinschaft, ja "die Front" gar als Gottersatz. Volk "Heilig vereint". Und man sang: "Heilig Vaterland in Gefahren/ alle Söhne sich um dich scharen." Usw. Mit schwülstig getragener hymnischer Melodie.

Daß die Siebenbürger Sachsen "areligiös" seien, wie sogar einer der Nazi-Vordenker und kryptofaschistischen Theoretiker schreibt, stimmt leider völkerpsychologisch, und es stimmt auch, daß der "Nationsbegriff als religiöses Surrogat... anstelle des Gottesbegriffs" wirkte, so Alfred Pomarius; Pomarius hat diesen "Hang zum Rationalismus", eine "Abart des religiösen Lebens", eine "politisch-ökonomische Religiosität" genannt. Eine ähnliche Charakterisierung finden wir auch beim siebenbürgischen Philosophen Lucian Blaga, der als Beispiel für diese rationale Grund- und Abwehrhaltung die Tuchfühlung der sächsischen Häuser in einer Dorfgasse angibt.

Daß Religiosität ästhetisch, mit allen möglichen "Gefühlen", vor allem dem höchsten Wert "Gemeinschaft", "deutsches Wesen" und dazugehörend: Pflicht, Gehorsam usw. ersetzt wurde, hat Hitler und die Todeslager erst ermöglicht. Vor allem die Vermischung der Nazi-Pseudoreligion mit dem Christentum zum "germanischen Christentum", Abschaffung Gottes und des freien Gewissens, mit dessen Hilfe man sich den Macht- und Befehlszwängen der "deutschen" Sozialisation hätte entziehen können. Dieser Breich aber war bei den Siebenbürger Sachsen betäubt durch die historische Seelenverfassung der ethnisch bedingten Gruppenhalluzination "Geschlossenheit", die heftige Emotionen bei meinen Gesprächen mit Verwandten weckte. Zitat: "Wir waren immer geschlossen. Immer geschlossen... andernfalls wären wir doch längst nicht mehr da!"

Der vielleicht klarsichtigste sächsische Autor, Erwin Wittstock, schrieb in seinem klarsichtigsten Roman " Das Jüngste Gericht von Altbirk" über diese sächsische kollektive Seelenverfassung: "Weltgericht ...(weil sie keine Möglichkeit haben, ihre Zeit, die Zeit des Feudalismus, aus eigener Kraft zu überwinden....) Religion, Sitte, Brauch, Treue, Bildung und Geschichtsbewußtsein, Opfersinn und Unterordnung sind die Seiten der Windharfe, die nur unserem Ohr vernehmbar sind." Und übersteigert wurden. Bei großen Gemeinschaften ist sie nie so ausgeprägt, diese instrumentelle Moral, die ohne höheren Wert, ohne das System überschreitende Gewissensfreiheit blind macht. Wir erinnern uns: Hitler nannte das Gewissen eine "jüdische Erfindung", auch gab es das Wort "innerer Schweinehund" dafür.

"Mir ist der Kampf etwas Heiliges" - Ernst Jünger. Wer das nicht kenne, bei dem sei die "Idee des Vaterlandes tot... uns war es noch vergönnt, in den unsichtbaren Strahlen großer Gefühle zu leben." Wider das "Negative", das "Kritteln" und "Klügeln", alles "jüdische Eigenschaften". Das "Negative" warfen mir meine sächsischen Gesprächspartner vor. Zitat: "Es ist traurig... weil du es nicht mehr nachempfinden kannst. - Doch, ich kanns leider nachempfinden ... ich lehne aber diesen Teil in mir ab... - Du lehnst ihn ab... aber er ist da... der bessere Teil ist verlorengegangen... Du hast kein deutsches Herz."

Die Erregung, wenn man diesem Empfinden nahetritt, ist groß. Als wäre es Religion und sakrosankt, dieses "Gefühl".

Die Gemeinschafsthalluzination war heilig, unantastbare Grundlage des Selbstverständnisses. Und sogar lebensrettend in schweren Zeiten. Eine Verwandte sagte bei unseren Gesprächen: "Wir haben überhaupt viel verdrängen müssen. Das ist so. Wir sind aus der Zeit... wir haben uns nicht ausreden können, wie es heute an der Tagesordnung ist ... Aber wir müssen ja auch mit unserem Leben fertig werden, irgendwie."

Ja, "aus der Zeit". Zum Problem der Verdrängung, der unbewußten Verdrängung hier ein Zitat: eine in den "Vaterlandstagen" nicht erschienene Szene aus den 6000 Seiten, die in Mappen liegen. Es geht dabei um eine andere Figur aus dem Roman, um Karl Wilhelm oder "Töff" genannt, der ebenfalls, wie fast alle männlichen Mitglieder dieser Sippe zur SS ging, und nun dem armen Vetter, dem Andreas helfen sollte, von Auschwitz wegzukommen, was nicht gelang, da Auschwitz "Frontdienst" war. In einem Brief heißt es, der Brief ist ein Dokument und im Roman nur zitiert:

"An einem dieser Tage hatten sie sich im Herrenzimmer versammelt, und saßen im Kreis und Mama las den Brief Karl Wilhelms mit lauter Stimme vor, kam von oben, der Brief, und alle hatten gerötete Wangen, waren sehr aufgeregt, Mama entzifferte mit Mühe die großen ungelenken Schriftzüge Karl Wilhelms:

OA, 2. August.

Ihr Lieben!

- Meine Arbeit hier ist sehr interessant und macht mir viel Spaß, nur leider muß man auch viel Wache schieben u. zwar in ähnlicher Art wie unser Andreas, und das gehört so ziemlich zu den ermüdensten Angelegenheiten und so gilt ein entsprechend erhöhtes Schlafbedürfnis. Andreas will sich Studienurlaub geben lassen u. da mußte ich mich hier erkundigen, weil sie dort von nichts wissen wollen. Ich habe mir dann hier von einen Fürsorgeoffizier des Batt. die genauen Bestimmungen geben lassen, auf die er sich berufen kann und auf Grund derer es ihm als Kriegsversehrtem unbedingt zusteht. Hoffentlich klappt es, daß er endlich von Auschwitz loskommt..."

In der Psychiatrie gibt es den Ausdruck "Zustandsgrenzen", zwischen Traum und Wachen, das Vergessen - z.B. von Träumen beruht darauf. Diese Grenzen gelten aber auch für Zeitgefühle und Stimmungen. Meine Gesprächspartner behaupteten, sie hätten nie von "Auschwitz" gehört. Ich zeigte ihnen diesen Brief, und sie waren ehrlich erstaunt. Das Wort Auschwitz war eben heute anders "besetzt" als damals. Sie hatten nicht gelogen.

Die Frage, kann sich der Einzelne überhaupt diesem Zeiteinfluß entziehen, habe ich aus eigener Erfahrung für mich negativ beantwortet. Bei den Gesprächsaufnahmen sagte ich wörtlich: "Vielleicht wäre ich auch ein KZ-Aufseher geworden, ich weiß nicht. Wahrscheinlich." Und die Antwort der Runde: "Wahrscheinlich?! Wahrscheinlich? Bestimmt! Na., siehst du, da liegt der Unterschied... Der Mensch wird geprägt von der Zeit, in der er lebt... Aber warum willst du in dem wühlen? Was für einen Sinn hat das!"

Die Antwort war eigentlich schon in der vorherigen Aussage gegeben. Erstaunlich aber, daß dieses erst im Westen geschah, zu Hause, wurde alles "vergessen", weil man sich selbst als Opfer einer anderen Diktatur sah, die eigentlich jenes Schuldgefühl zur Pflicht, ja zur Staatsgrundlage hatte machen wollen. Und es so überdeckte, ja, absorbierte. Antifaschismus war Pflichtübung. Umso frischer aber blieben die alten Gefühle, dieses Ostreservoir der Verdrängungen schädigt heute die Demokratie in der Bundesrepublik. Im "Nachfolgestaat" BRD aber war diese Nazivergangenheit historische Grundlage des so und nicht andersseins. Eine Verwandte sagte: "Ich habe insoweit ein Schuldgefühl, daß ich deutschen Blutes bin, das sag ich. Das hab ich Zuhause nie gehabt, aber hier hab ich es!"

Wer aber diese Schuld wirklich annimmt, wird geschlagen, mit einer Art Tabula rasa geschlagen, im Roman heißt es über den Haupthelden: "Er fühlte sich wie ausgebrannt. Sein ganzes Leben war von einem Rächer bestimmt gewesen, wie von einer Furie, die das Verschwinden auf raffinierte und kaum merkliche Weise betrieben hatte, nun schon vierzig Jahre lang... Er hatte sich gewehrt, hatte Widerstand geleistet, geplant, gearbeitet, nun war er leergebrannt. Sogar das Heimweh war nur noch ein leises Ziehen..."
 
 

Da das, was tatsächlich geschieht, kaum wahrgenommen wird, 1945 genau wie heute, etwa jenes Erwachen wie aus einem Alptraum, das Kaum-Wahrgenommene verstärkt, übersetzt und erhält es die Literatur, sie ist dieses Modell des Erwachens aus einem Traum, und Erwachen aus einem Traum im Traum; in den "Vaterlandstagen" ist dieses zum Grundmodell des Romans geworden: intensiv wie im Traum stößt so dem Subjekt das Gewesene zu, alles ist nun wieder da wie ein frisches Erlebnis, das eben erst geschieht, und so wird Verdrängung schmerzlich aufgehoben, "das umgekehrte Verhältnis zwischen realem Erlebnis und Erinnerung" (Freud) tritt ein; es könnte lebensgefährlich werden, wäre es nicht eine Aufhebung im transzendenten Bereich.

Die Schlüsselszene ist eine Erschießungsszene: Michael T. kehrt heim, wird verhaftet, träumt in der Zelle seine Hinrichtung, Reflex und Projektion seines Schuldgefühls, Wissen um den Verrat, das Land verlassen zu haben; doch die Zeit wird aufgehoben, die Kugeln des roten Erschießungskommandos kommen nicht an, zwischen Leben und Tod, in einer einzigen Sekunde, träumt T. sein ganzes Leben, es ist wie ein Gericht. Und diese Rückschau, dieser Gerichtstag oder besser die richtende Sekunde entwickelt die Handlung dieses Buches.

Es ist ein geträumtes Erwachen zu einer thanatologischen Panoramaschau im Todesmoment der geträumten Hinrichtung, der Rahmen für die ganze Handlung: das Gericht. Schmerzlicher aber ist die "Befreiung", das endgültige Erwachen aus dem Traum, ein heroisch Verfolgter zu sein; T. erwacht dann schockartig in der Zelle; seine Verhaftung war nur ein "Irrtum", er wird mit Entschuldigungen zum Flughafen gebracht und ins Aus-Land abgeschoben. "Befreiung" durch die Abschiebung ins Aus-Land am Ende des Buches zerstört endgültig seine heroische Emigrantenlegende, wie jedes dieser Erwachen-Szenen eine Ent-Täuschung zur kruden Wirklichkeit ist, die keinen Sinn und keine Überhebung ins Ideal kennt: Alles ist so wie es ist; nach 1989 erwies sich dieses als neues Vernichtungsmittel, das Endgültige der normalen Banalität, nachdem der Ausnahmezustand der Diktatur aufgehoben war, der zumindest für ein Später als Hoffnung Anlaß gab; Negativspiegel.

Noch ein Wort zum "Verdrängen" wie es heute in der Literatur gesehen wird: nämlich als Schutzsystem, das nicht etwa von Schuld befreit, aber erklärt und mit Mitleid umgeht: vor allem bei Alexander Kluge und H.M. Enzensberger, nicht bei Peter Weiß. Doch packt uns bei einem tieferen und vergleichenden Blick das Entsetzen. Wenn wir von Jean Baudrillards Theorie der "Schweigenden Mehrheiten oder Das Ende des Sozialen", (schon 1979 im "Freibeuter") ausgehen. Wo die "Banalität" des Alltags, das Private als eine Rache der Mehrheiten, ihr Schweigen wider Politik, Wissenschaft, Kunst und Geist gesetzt wird, ein Sich-Sperren gegen das Denken, das Abstrakte ist, ein im Bedeutungslosen des unmittelbaren Alltags Versinken ist, wie sich die Masse der Un-Subjekte der Kultur entzieht.( Hanns Johst, der Nazi-Dichter sagte sogar: "Wenn ich das Wort Kultur höre, entsichere ich den Revolver".) Die Un-Klasse des Kleinbürgers, ihre Wut gegen Intellektuelle, Außenseiter, Fremde, ist eine ewige Trägheits-Kategorie der Tiermenschen, sie ist wieder akut da, diese Masse heute. Schon in Hitlers Bewegung läßt sich eine Ranküne, eine jubelnde Masse, die sich am Geist rächen will, erkennen. Das Hitler-Modell ist noch längst nicht passe´, es war nur eine Variante.
 
 

(Erweiterte Fassung eines Vortrages gehalten in der Walberberger Bildungsstätte im Rahmen des Symposions " Die historische und kulturelle Entwicklung der deutschen Minderheiten im südosteuropäischen Raum von 1918 bis 1945, 8.-10. Oktober 1993.)
 
 


 
 

Leseproben:
 
 
 
 

März 1969. Am Grenzübergang, letzte Station West, zweihundert Meter weiter die Wach- und Beobachtungstürme, rechts ein verwaistes Gleis, das zum verlassenen Bahnhof Wartha führte, Gras wächst zwischen den Schienen, Gras wächst übers Deutsche Reich. Der Schlagbaum hebt sich lautlos. - So fuhren wir nach WEIMAR, Jann am Steuer. Knirschen, aufgewirbelter Schnee, Räder eines Lastwagens, Weggabelung zu Kasernen, Schneewirbel, vielleicht Militärfahrzeuge, eine Kolonne marschierender Soldaten. Katjuschalied. Oder Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein, drei, vier?
 
 

Gasthof ZUM ELEPHANTEN, gegessen mit ganz normalen Spießern, alte, aber billige Suppe, eine Roulade, dachte dabei an Lotte, die Greisin. Und kamen auch nachher nicht weit mit dem Auto in Richtung Buchenwald; auf der Chaussee stellte uns ein Vopo; stand da breitbeinig auf der Landstraße und hielt das Westauto an, blätterte in unseren Pässen.

Eine Kompagnie der Roten Armee kam den Hang herab. Als wäre nun alles zurückgedreht erinnerungsfrisch wie aus dem Kopf gesprungen, Uhr zurückgestellt, und da ein Trupp Phantome, die das Jahr 45 hier zurückgelassen hatte.

Nach einigen Steigungen erreichten wir den Ettersberg: auf dem Appellplatz Risse, schwärzlicher Pulverschnee, weite Betonfläche, Sausen des Windes, Schnitt ins Gesicht; Risse im Beton: scharfe Zacken, ein Baum, eine Buchengruppe abseits, Herzen in die Stämme geritzt, Liebessprüche (ich schnitt in seine Riindee....). Gipfel des Ettersberges, Berg umhüllt, Laub modert naßglänzend, Risse, kein Gras; Beton eiskalt, Schilder, ACHTUNG LEBENSGEFAHR! KOMMANDANTURBEREICH, OHNE ANRUF WIRD SCHARF GESCHOSSEN!... Flugplatz für ganz andere Tote, die zum Abendappell angetreten sind. Schnee auf Beton, auf dem Appellplatz, Goetheeiche und Baracken, leergefegt der Flugplatz, eisiger Wind und gute Sicht weit ins Land hinab, das Dorf Hottelstedt mit rotem Kirchturm. Die Eiche näher im Blick. Entziffere die drei Buchstaben: JWG. Märzhimmel blaß, Sonne kaum erkennbar über Thüringen. Onkel A. war einmal hier gewesen, blutjunger SS-Ingenieur, baute Stollen für den Durchbruch in die Ewigkeit, Tausendjähriges Reich; er ein Toter, ein Zeuge: liegt unten in Hottelstedt. Von jüdischen Häftlingen beim Aufstand am 13. April 45 erschlagen. Über dem Beton schaukelt trocknes Astwerk, sieh, Knochen, schöne Knöchlein brechen ab, Unterholz im Schnee, blendet. Über allen Gipfeln ist ja Ruh. Spürest du kaum einen Hauch. Goethe unter den Buchen, sein Spaziergang; an diesem Morgen zu einer Spazierfahrt geladen nach der Hottelstedter Ecke, westliche Höhe Ettersberg, zum Jagdschloß Ettersberg eingeladen. Der Tag überaus schön, "zeitig zum Jakobstore hinaus, oben auf der Höhe rasch weiter, zur Seite Eichen und Buchen sowie anderes Laubholz." Hier ist gut sein; Goethe ließ halten. Gebratene Rebhühner, frisches Weißbrot, Wein, feine goldene Schale im gelben Lederfutteral auf dem noch nicht vorhandenen Appellplatz, der ist jetzt fast nicht mehr da. Zeitschichten im Hirn, im Gewissen brechen sie erst auf. Zubetonierte Erde kein Hälmchen mehr in der Mondlandschaft, Risse versuchen durchzubrechen zur Erde, du reißt dir die Hand auf, blutig.

Und immer noch steht Zeit still, reißt: zugleich: rast: weiter! Eiserne Öfen, Schienen, Bahrenwagen, wie ein Trog, man bäckt, da ist die Menschenform, grauer Staub, langgestreckter Steinbau, eine Kammer, Betonbau und Pfützen, Betonboden abgetreten, massiv die Betontragbalken, vier Öffnungen, quadratisch..... alles viereckig, appellplatzartig, deutsche Kommandos, Ruh, Komma, fühlest du Komma kaum einen Hauch; im Faust und anderswo, wie Hier, gleiche Worte, das Komma, der Punkt, der Satz bricht aus, übergibt sich, kann nicht mehr, gleiche deutsche Worte und: Komma Strich fertig ist das Mondsgesicht... gewesen, ein Guckloch in die Betonwelt mit Menschen... dichtgedrängt, ganz kahl der Raum, nichts ist drin, kein Raum außer Raum, Leere zum Fühlen nicht gedacht oder zum Gutsein wie edel sei der Mensch hilfreich und gut; Menschen in der Kammer Beton, kantig schneidet er ins Fleisch, hart tot, der Boden hat Betonrisse, Deckel, oben ein Gitter, das körnige Präparat ... die eisenbeschlagene Tür... Tür wie oft komm Tür im Wilhelm Meister vor ... gar in Sämtliche Werke ... Wer wagt es noch, einen Grashalm etwa oder gar eine Blume auf der Heiden ... rot ohne Blut in die Betonkammern ... wo Herzschlag oder Augenlicht, Haut und Knochen nackt "saubergemacht" werden sollen? Auch die Nacktheit wird ausgezogen, auch der Leib, auch der wird ihnen ausgezogen, wehe , es lebt noch einer, regt sich, atmet... Linde, Appellplatz, Vögel im Geäst. Es gab den ORT, es gibt ihn noch. Dort war jedes Und und Oder mit dabei. Eine Sicht geht weit hinab nach Thüringen zur Oder. Der Tod hat seither ein anderes Gesicht.

Wirf das Buch fort und lies! Hör, wie sie sprechen! Nein, es ist ein anderer, der da redet, den triffst du nie!