CARPE DIEM
Nummer 1 (1995)
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Hinter Gitter
für den Frieden
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von Iwan Reinhard
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Entkriminalisierung der Verweigerer
Bis heute sind die Türkei und die Schweiz die beiden
letzten Staaten in Europa ohne rechtliche Stellung für
Militärdienstverweigerer. Der Bundesrat wurde bereits mehrmals
vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
gerügt, weil der Verfassungsartikel der Wehrpflicht gegen das
Recht auf Glaubens- und Gesinnungsfreiheit verstosse. Dies soll sich
nun aber bis 1996 ändern.
Was sich in andern Ländern schon längst bewährt
hat, ist in der Schweiz noch immer in heftigen Diskussionen
verfangen: Ein Gesetz für einen zivilen Ersatzdienst. Die
Verfassungsgrundlage dazu hat das Volk 1992 mit 82,5 % Ja-Stimmen
gutgeheissen. In der Frühjahrssession befasste sich der
Nationalrat mit der Gesetzesvorlage, welche jetzt noch vom
Ständerat verabschiedet werden muss. In seiner Botschaft fordert
der Bundesrat, dass Dienstpflichtige, die Militärdienst nicht
mit ihrem Gewissen vereinbaren können und dies glaubhaft
darlegen, die Möglichkeit eines zivilen Ersatzdienstes erhalten.
Der Zivildienst soll eine gemeinnützige Arbeit im
öffentlichen Interesse darstellen und kann in den
verschiedensten Tätigkeitsbereichen wie Gesundheits- oder
Sozialwesen, Umwelt- und Naturschutz oder Entwicklungs- und
Katastrophenhilfe erfolgen. Die Gesamtbelastung durch den
Zivildiensteinsatz muss dem Militärdienst entsprechen und
gleichwertig sein. So rechtfertigt man die 1,5fache Dauer
gegenüber dem zu leistenden Militärdienst, weil dieser im
Normalfall härter sei und mehr von den Dienstpflichtigen
fordere.
Gewissen als Massstab
Der heikelste Diskussionspunkt liegt bei der Frage einer
Gewissensprüfung. Während die Verweigerer auf die
Problematik einer Beurteilung des Gewissens hinweisen, möchte
der Bundesrat nicht darauf verzichten. Ein Teil der Politiker fordert
sogar, weiterhin an der Unterscheidung zwischen ethischen und
politischen Motiven festzuhalten. Die Mehrheit des Nationalrats hat
sich in der Märzsession aber dem Bundesrat angeschlossen und
fordert allgemein eine Berufung auf das Gewissen. Den
Gewissenskonflikt soll man vor einer zivilen Kommisson rechtfertigen
und nicht wie bis heute vor einem Divisionsgericht. Mit einem Gesuch
ans Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) kann man
künftig eine Zulassung zum zivilen Ersatzdienst beantragen.
Bereits seit 1991 besteht für Verweigerer mit
«schwerer Gewissensnot» die Möglichkeit eines
Arbeitsdiensteinsatzes. Im letzten Jahr sind zum erstenmal mehr als
zwei Drittel der verurteilten Dienstverweigerer zu einer solchen
Arbeitsleistung zugelassen worden. Bisher konnten vorwiegend positive
Erfahrungen gesammelt werden. Die Arbeitsdienstleistenden sind gut
motiviert und den Einsatzstellen ist mit Fachkräften oft mehr
geholfen als mit Geld.
Weniger Verweigerer - mehr
«Drückeberger»
In den letzten Jahren ist die Anzahl Verurteilungen von
Dienstverweigerern kontinuierlich zurückgegangen. Waren es 1985
noch 686, sank die Zahl im letzten Jahr auf 239 Personen. Dies
könnte daran liegen, dass Verweigerungswillige ihre
miliärische Dienstpflicht aufschieben und das Inkrafttreten des
neuen Zivildienstgesetzes abwarten. Die Nachfragen bezüglich des
aktuellen Stands des Gesetzes sind auf den Beratungsstellen zumindest
deutlich angestiegen. Das zuständige Volkswirtschaftsdepartement
rechnet mit jährlich 1000 Gesuchen.
Anderseits nützen immer mehr Stellungspflichtige den
«blauen Weg» für die Ausmusterung. Damit ist die
Dienstbefreiung mittels ärzlichem Gutachten gemeint. 1994 wurden
6635 Stellungspflichtige und 13 414 eingeteilte Dienstpflichtige
für untauglich erklärt. Hier will man mit verschärften
Massnahmen den Missbrauch eindämmen. Die mangelnde Motivation
der Stellungspflichtigen zur Landesverteidigung wird der Armeespitze
und den Politikern auch weiterhin Kopfzerbrechen bereiten.
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Last update: 17.02.97
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