CARPE DIEM
Nummer 1 (1995)
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Interview mit
Andreas Gross
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Herr Gross, heute morgen früh hat die
diesjährige Basler Fasnacht begonnen. An der Fasnacht bietet
sich die Gelegenheit, sein wahres Gesicht hinter einer Maske zu
verbergen. Hat man als Politiker nicht oft auch den Wunsch oder sogar
Zwang, dies zu tun?
Gerade das finde ich das Schlimme, dass gewisse Politiker
meinen, sie müssten eine Maske tragen. Ich versuche immer mich
selbst zu bleiben. Trotzdem muss man zeitweise schauspielern, aber
weniger um sich zu verstecken, als die Rolle zu spielen, in die man
von den Leuten gedrängt wird und übernommen hat. In meinem
Fall ist es die Rolle des Armeekritikers, auch wenn für mich die
Fragen der Direkten Demokratie oder Europapolitik eigentlich
wichtiger sind.
Gerade weil es für die Wähler schwierig ist, hinter
die Masken zu sehen, spricht vieles für Volksabstimmungen als
Ergänzung zu Wahlen. Sachen sind verständlicher als
Personen.
Fühlen Sie sich in Bern manchmal auch an einem
"Narrentreiben"?
Manchmal erlebt man schon realsatirische, paradoxe und absurde
Momente. Es gibt einzelne Narren oder Schauspieler, aber es besteht
die Tendenz, die Politik schlechter zu machen, als dass sie in
Wirklichkeit ist. Man darf nicht vergessen, dass es um sehr viel
Macht und Interessen geht. Hier sehen viele die Zusammenhänge
gar nicht.
Sie sind ja Politiker von Beruf oder besser gesagt,
Politikwissenschafter. Was darf man darunter verstehen? Wie sieht ihr
beruflicher Alltag aus?
Ich bin nicht Politiker von Beruf, sondern ich befasse mich
beruflich mit Politik. Diese berufliche Tätigkeit inspiriert
meine Politik. Konkret bedeutet dies, dass ich Aufsätze und
Bücher schreibe, Vorträge halte und Studienaufträge
bekomme. Viele Aufträge stehen im Zusammenhang mit meinem
Spezialgebiet der Direkten Demokratie. In vielen Ländern steckt
die Demokratie in einer Krise. Da ist es wichtig, dass von der
Schweiz keine falschen Bilder vermittelt werden. Anderseits
beschäftige ich mich mit dem Entstehen der Direkten Demokratie
in den beiden demokratischsten Ländern Schweiz und USA.
Kann man Politik überhaupt lernen?
Wie eine andere Berufslehre natürlich nicht. Doch das
permanente Beschäftigen mit dem Thema schafft eine gewisse
Kompetenz und hilft zum besseren Verständnis der Materie. Das
Privileg sich an der Uni damit beschäftigen zu können, ist
sicher von Vorteil. Doch man kann sich das Wissen ebenfalls durch die
Mitarbeit in einer guten politischen Gruppe aneignen.
Unerlässlich ist, viel zu lesen und sich Zeit für
Gespräche und die Vertiefung zu nehmen.
Sie engagieren sich stark im Kampf gegen die Armee.
Hatten Sie einmal ein ausschlaggebendes Erlebnis oder woher kommt die
Motivation dazu?
Ein konkretes Erlebnis gibt es nicht. Bereits in der
Jugendzeit empfand ich antimilitaristische Gefühle. In der
Schule haben wir oft über den Vietnamkrieg gesprochen. Auch
Gespräche mit meinem Grossvater haben mich sicher stark
beeinflusst. Die Überzeugung wächst langsam im Verlauf der
Jahre. Durch das Absolvieren von RS und fünf WK habe ich die
Armee auch von Innen erleben und studieren können. Gleichzeitig
wurde mir klar, dass Krieg keine Probleme lösen kann.
Ich habe nicht grosse Aggressionen gegenüber der Armee,
es ist einfach eine überflüssige Institution.
Das Militär ist eigentlich wie eine Schule, welche die
Leute im verkehrten Sinn erzieht. Es wird einem nahegelegt, dass
Konflikte nur mit Gewalt gelöst werden können. So ist die
Armee einerseits Vergeudung von Zeit und Geld, anderseits eine
falsche Erziehung.
Sie sind Mitbegründer der GSoA. Mit ihr verbindet
man automatisch den Willen zur Abschaffung der Armee. Hinter der
Tätigkeit der GSoA steckt aber viel mehr...
Ja, das tut manchmal weh, aber es ist unvermeidbar. Wenn man
eine Institution wie die Schweizer Armee in Frage stellt, bekommt man
diesen Stempel. Doch die geistige Auseinandersetzung der GSoA-Leute
geht viel weiter als nur die Abschaffung zu fordern. Die Idee der
Initiative entstand bereits 1980, zwei Jahre vor der Gründung
der GSoA. Im Ganzen wurden fünf Jahre geplant und gedacht bis
zur Lancierung der ersten Initiative im Jahre 1985.
In den Statuten wird das Ziel zum Aufbau einer
gewaltfreien Gesellschaft geäussert. Fehlen die Ideen zur
Bekämpfung von Alltagskriminalität oder
Jugendgewalt?
Die Medien sind vor allem auf Spektakuläres fixiert. Die
GSoA befasst sich intensiv mit dem Thema Gewalt, doch davon wird
ausserhalb der Gruppe selten gesprochen. Dazu kommt, dass
Gewaltfreiheit eine Utopie, aber keine Illusion ist. Das heisst, dass
man sich immer in Richtung Ziel bewegen sollte, jedoch mit dem
Wissen, dieses nie ganz zu erreichen.
Die erste GSoA-Initiative war so radikal, dass damit ein
eigentlicher Höhepunkt geschaffen wurde. Hat sich die GSoA
selbst ins Abseits befördert?
Dies ist richtig und falsch zugleich. Eine so
spektakuläre Initiative wie die erste kann es nicht mehr geben,
selbst wenn eine zweite Abschaffungsinitiative Erfolg hätte.
Doch die Kunst ist es, dort anzupacken, wo es im entscheidenden
Moment an die Wurzeln geht. Das bedeutet das Wort radikal.
Möglich ist das auch heute noch, aber es wird immer
schwieriger.
Man spricht von der Lancierung einer
"Wehrpflicht-Abschaffungsinitiative"...
Intern wird schon längere Zeit darüber diskutiert.
Es wäre sicher ein weiterer wichtiger Schritt, den Zwang des
Militärdienstes abzuschaffen, auch wenn wir dabei ein
Weiterbestehen der Armee dulden würden. Dadurch könnte man
sich etwas von der verkehrten Erziehung lösen.
Die Linke hat etwas den Mythos, dass eine Wehrpflicht-Armee
volksnäher und demokratischer ist als eine freiwillige oder eine
Berufsarmee. Dies war in der Vergangenheit sicher richtig, doch in
der Zukunft muss nicht mehr alles stimmen.
An der laufenden Session wird die Debatte über das
Zivildienstgesetz wohl von besonderer Bedeutung für Sie sein.
Was sind Ihre persönlichen Wünsche an das
Gesetz?
Sicher wäre ich froh, wenn auch die Schweiz endlich einen
Zivildienst anbieten würde. Ich bin der Meinung, dass man das
Gewissen nicht beurteilen kann. Deshalb plädiere ich dafür,
dass jemand der sagt, er könne Militärdienst mit dem
Gewissen nicht vereinbaren, für den Zivildienst zugelassen wird.
Als Kompromiss würde ich die 1,5fache Dauer gegenüber dem
Militärdienst akzeptieren, als sogenannten Tatbeweis. Doch
vermutlich werde ich mich aus der Debatte raushalten, da meine Rolle
als Armeekritiker möglicherweise kontraproduktiv wäre und
dem Gesetz schaden könnte. Nicht alles was ich sage ist für
die Armeeabschaffung. Doch dies ist wieder die Gefangenheit der
Rolle...
Ihre Partei, die SP, hat eine Initiative gestartet,
welche die Armeeausgaben halbieren soll. Nach dem mühsamen und
aufwendigen Unterschriften-Sammeln wird die Initiative womöglich
für ungültig erklärt.
Ich möchte vorwegnehmen, dass ich nicht für diese
Initiative bin, da ich keine halbe Armee will. Aber ich trete
dafür ein, dass eine Initiative nicht für ungültig
erklärt wird, weil dies eine Missachtung des Willens der 100’000
Unterschreibenden und der Instrumente der Direkten Demokratie
ist.
Was haben Sie persönlich für Ziele und
Wünsche für die Zukunft?
Für mich ist eine Öffnung der Schweiz und eine
Demokratisierung der EU sehr wichtig. Je demokratischer die EU wird,
um so mehr Schweizer lassen sich von ihr überzeugen.
Haben Sie eine Botschaft an die Jugend? Etwas, das Sie aus
Ihren wertvollen Erfahrungen weitergeben möchten?
Die Entwicklung einer gesunden Mischung aus Selbstbewusstsein
und Sensibilität halte ich für sehr wichtig.
Selbstbewusstsein im Sinne von wissen was man will, doch
Flexibilität für Neues und Fremdes. Auch ist eine gewisse
Menschenverachtung zu spüren, die ein politisches Arbeiten
verunmöglicht. Man soll immer bereit sein, sich selber in Frage
zu stellen. Ich erhoffe mir von den Jugendlichen, diesem Zynismus
nicht zu erliegen.
Herr Gross, wir danken Ihnen für das
Gespräch.
Interview: Iwan Reinhard und Alexander Meier
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© 1997/1996 by A. Meier, Switzerland
Last update: 17.02.97
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