Nationalsozialistische Europapläne
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Die andere Möglichkeit
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
mit Wogenprall und Sturmgebraus,
dann wäre Deutschland nicht zu retten
und gliche einem Irrenhaus.
Mann würde uns nach Noten zähmen wie einen wilden Völkerstamm.
Wir sprängen wenn Sergeanten kämen,
vom Trottoir und stünden stramm.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wären wir ein stolzer Staat.
Und preßten noch in unseren Betten
die Hände an die Hosennaht.
Die Frauen müßten Kinder werfen.
Ein Kind im Jahre. Oder Haft.
Der Staat braucht Kinder als Konserven.
Und Blut schmeckt ihm wie Himbeersaft.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wär der Himmel national.
Die Pfarrer trügen Epauletten
Und Gott wär' deutscher General.
Die Grenze wär ein Schützengraben.
Der Mond wär ein Gefreitenkopf.
Wir würden einen Kaiser haben
und einen Helm statt einem Kopf.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wäre jedermann Soldat.
Ein Volk der Laffen und Lafetten!
Und ringsherum wär Stacheldraht.
Dann würde auf Befehl geboren.
Weil Menschen ziemlich billig sind.
Und weil man mit Kanonenrohren
allein die Kriege nicht gewinnt.
Dann läge die Vernunft in Ketten.
Und stünde stündich vor Gericht.
Und Kriege gäb's wie Operetten.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten -
zum Glück gewannen wir ihn nicht!
Erich Kästner (7.11. 1931)
abgedruckt in: Klaus Bergmann und Gerhard Schneider. Gegen den Krieg. Band 2: Nie wieder Krieg. Schwann, Düsseldorf 1982. 136-137.
[N.B. Ursprünglich bezog sich das Gedicht natürlich auf den ersten Weltkrieg; es erscheint mir dennoch passend.]
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