Die BR23 bei der DRG

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Die erste BR23:

- BR23.0 - DRG - Bauart 1’C1’h2 - 1. Baujahr 1940

Lange Jahre glaubte die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG, ab 1938: DR) auf neue Personenzugloks verzichten zu können, weil das Gros der mehr als 2.000 Exemplare umfassenden Baureihe 38.10 erst in den Jahren 1919 bis 1924 gebaut worden war.
Die Hauptverwaltung der DRG hatte mit Schreiben vom 17.07.1936 (Al 31 Fk1736) das Reichsbahn-Zentralamt für Maschinenbau mit der Durchbildung einer 2'C-Einheitslokomotive beauftragt, die als Ersatz für die preußische P8 (BR 38.10-40) gedacht war.
Das Pflichtenheft enthielt Forderungen, bei deren Erfüllung von einigen Einheitsbaugrundsätzen abgewichen werden mußte. Deshalb hat man auch das RZA ersucht, die Entwürfe nicht vom Vereinheitlichungsbüro, sondern von geeigneten Lokomotivbaufirmen ausarbeiten zu lassen. Die neue Lokomotive sollte eine Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h besitzen und in der Lage sein, 500 t Zugmasse in der Ebene mit 100 km/h zu befördern. Der Kessel sollte eine lange, schmale, geschweißte Stahlfeuerbüchse mit eingeschweißten Rohren und Stehbolzen haben und einen hohen Anteil Strahlungsheizfläche gemessen an der Verdampfungsheizfläche besitzen. Die nochmalige Prüfung von Feuerbüchswasserkammern wurde empfohlen. „Es ist auffallend“, schrieb die HV, „daß sich die Feuerbüchswasserkammern im Gegensatz zu den Erfahrungen der Reichsbahn bei anderen Bahnverwaltungen (z.B. in Frankreich und Chile) unter teilweise viel ungünstigeren Ver
hältnissen bewährt haben sollen“.
Die gewünschten Entwürfe lagen auf der 28. Beratung des Lokomotiv-Ausschusses am 01.06. und 02.06.1937 in Detmold vor. Das war bereits der zweite Vorstoß der HV, zu spezifisch höher belastbaren Kesseln zu kommen und die Kesselgrenze der Einheitslokomotivkessel von 57 kg/m2h nach oben zu verschieben. Auf der 26. Beratung des Lokomotiv-Ausschusses standen Entwürfe für 2 D-Schnellzuglokomotiven zur Diskussion, bei denen ebenfalls die lange, schmale Feuerbüchse gefordert worden war. Betriebsmaschinen- und Werkstättendienst hatten diese Entwürfe als Preisgabe der Einheitsbaugrundsätze vom Tisch gewischt und der HV nachgewiesen, daß für solche Lokomotiven gar kein dringender Bedarf vorlag.
Friedrich Witte vom Reichsbahn-Maschinenamt 3 in Berlin und Reichsbahnrat Ziem vom RAw Meiningen kommentierten die von den Firmen Borsig und Schwartzkopff ausgearbeiteten Entwürfe und bemängelten, daß die HV zwei Aufgaben miteinander verknüpft hätte. Die eine sei die Ersatz-P8, die andere eine Lokomotive nach neuen Baugrundsätzen, die zunächst jedoch den Charakter einer Versuchslokomotive habe. Die Wettbewerbsfähigkeit der Dampflokomotive gegenüber anderen Schienenfahrzeugen, die die HV wohl im Auge hatte, werde nicht durch die Veränderung von Heizflächenanteilen gesichert, sondern bedinge neben Änderungen am Kessel auch solche an Lauf- und Triebwerk und bei der Masse der Vorräte.
Zum Vergleich: Eine Großdiesellokomotive führt ca. 4 t Treibstoff mit; eine Dampflokomotive, gekuppelt mit dem 2'2'T34, muß außer der Tenderleermasse von ca. 30 t noch 34 t Wasser und 10 t Kohle mitschleppen, also 70 t mehr als die Diesellok.
Der Wunsch der HV nach einer langen und schmalen Feuerbüchse entstand offensichtlich durch den Vergleich der Einheitsfeuerbüchse mit der preußischen Garbescher Bauart, wie sie auch die P8 besaß, die hoch belastbar war und nie Probleme bereitet hatte. Aber zwischen den Rahmenwangen läßt sich nur eine Rostbreite von ca. 1000 mm unterbringen, und die gewünschte Kesselleistung zwingt zu einer Verlängerung der Rostfläche. So zeigten die Entwürfe Rostlängen von mehr als 3000 mm, die kein Heizer mehr beherrschen konnte. Witte hatte von Borsig und Schwartzkopff die von der HV gewünschten Entwürfe einer 2’C-Lokomotive noch durch Entwürfe einer 1’C1’-Lokomotive erweitern lassen. Man müsse sich endlich von dem Gedanken lösen, daß für hohe Fahrgeschwindigkeiten nur ein zweiachsiges Drehgestell geeignet sei. Ausländische Bahnen bewiesen schon lange, daß das Krauss-Helmholtz- Lenkgestell auch für hohe Geschwindigkeiten geeignet sei und die Anordnung der gekuppelten Radsätze dann nicht die Ausbildung des Stehkessels behindere. Um zu einem günstigeren Verhältnis von Rohr- und Strahlungsheizfläche zu kommen, schlug Witte den Einbau einer kurzen Verbrennungskammer vor.
R. P. Wagner, Leiter des Reichsbahn-Zentralamtes für Maschinenbau, meinte, eine Verbrennungskammer bringe nur eine Gewichtsvermehrung, wenn auch nur eine kleine, daneben aber eine Gewichtsverschiebung. Er plädiere für eine „reinliche Scheidung“ zwischen Ersatz-P8 und Versuchslokomotive.
So beschloß denn auch der Ausschuß und empfahl den Bau von zwei Lokomotiven als Ersatz-P8 mit der Achsfolge 1'C1' und Zwillingstriebwerk nach den herkömmlichen Baugrundsätzen und den Bau einer Ver
suchslokomotive mit Verbrennungskammerkessel.
Mit einem 1939 aufgestellten, riesigen Beschaffungsprogramm wollte die DR die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte ausgleichen und endlich ihren Triebfahrzeugpark vereinheitlichen. Im Beschaffungsprogramm standen die Baureihe 50 mit zunächst 1.200 und die Baureihe 23 mit 800 Lokomotiven - im Hinblick auf die zu ersetzenden Typen sicherlich nicht zu viel. Während die Vorausexemplare der Baureihe 50 bereits 1939 fertig werden sollten - 50 001 wurde tatsächlich am 17. März 1939 von Henschel abgeliefert - sah man die Beschaffung der 23 mit längerer Perspektive: 2 Baumuster im Jahr 1941, 398 Serienloks 1942, 400 Serienloks 1943.

Bereits Ende 1939 hatte die Reichsbahn begonnen, die mit der Industrie geschlossenen Verträge über die Lieferung von Reisezuglokomotiven auf Güterzugloks der Baureihen 44, 50 und 86 umzustellen. Auch der Serienbau der Baureihe 23 war vorläufig davon betroffen. Die Lieferung der Loks 23 001 und 23 002 allerdings wurde nicht storniert. Auch nach dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 erschien die Kriegssituation im Reich keineswegs bedrohlich. Aus den besetzten Ländern standen fast unbegrenzte Rohstoffvorkommen zur Verfügung, skrupellos wurde der Arbeitskräftemangel durch Arbeiter aus dem Osten und Westen ausgeglichen, die Sowjetunion galt als fast besiegt. So erlaubte sich die DR weiter den Luxus, die dringend benötigten Güterzugloks teuer und in perfekter Arbeitsqualität fertigen zu lassen und auch die - eigentlich nicht mehr benötigten - 23er in Dienst zu stellen. Eine friedensmäßig gebaute 50 kostete damals übrigens 176.000 RM, eine 23 175.310 RM.
Äußerlich wirkten die beiden 23er wie die Vollendung der klassischen Einheitslokomotive, und zumindest zeitlich stellten sie diese ja auch dar. Die Linienführung der Maschinen war durchdacht und gelungen, für 1'C1'-Loks besaßen sie außerordentlich gestreckte Formen. Die auseinandergerückten Radsätze, die wie bei der Baureihe 01 aufgehängten Luftbehälter und die langen Windleitbleche ließen die Baureihe 23 zur womöglich schönsten Einheitslokomotive werden.
Im 1. Typisierungsplan der DRG waren an Personenzuglokomotiven eine 2’C (Baureihe 20) und eine 1'D1' (Baureihe 22) vorgesehen. Beide Baureihen sollten 20 t Kuppelradsatzfahrmasse besitzen. Auf die 1'D1’-Lokomotive konnte verzichtet werden, weil gerade die preußische P10 mit über 19 t Radsatzfahrmasse ausgeliefert worden war; die BR20 ist nie in Angriff genommen worden, weil kein Einsatzgebiet für eine so schwere Maschine vorhanden war. 
Parallel zur Beschaffung der Ersatz-P8 wurde am Ersatz der preußischen G10 (Eh2) gearbeitet. Der Werkstättendienst legte Wert darauf, daß auch bei den neuen Einheitslokomotiven die Kesselgleichheit und damit die Tauschbarkeit wie bei P8 und G10 erhalten blieb. Die Ersatz-G10 wurde die Baureihe 50, die beiden Baumuster der Ersatz- P8 erhielten die Baureihenbezeichnung 23. Auf Basis der Entwürfe von Borsig und Schwartzkopff erarbeitete das Vereinheitlichungsbüro die Zeichnungen für die 1'C1’-Lokomotive. Der Bauauftrag ging an die Schichau AG in Elbing, weil die beiden Berliner Firmen mit anderen Aufträgen ausgelastet waren. Nach dem Beschaffungsprogramm sollten zwischen 1940 und 1943 800 Lokomotiven der BR23 gebaut werden. Die beiden Baumuster 23 001 und 23 002 lieferte Schichau mit den Fabriknummern 3443 und 3444 im Herbst 1941.

Beide Loks wurden im Herbst 1941 zunächst durch das Lokversuchsamt (LVA) Berlin-Grunewald erprobt. Bei den Messfahrten zeigte sich 23 001 der Baureihe 03 in den meisten Geschwindigkeitsbereichen ebenbürtig, teils sogar überlegen. Statt der angenommenen 1.500 PSi erreichte man mit ihr vor Messwagen und Bremslok bis 1.950 PSi.
Ab dem 24.09.1941 war 23 001 dem Bw Grunewald zugeteilt und wurde zusammen mit der Schwesterlok bis 1945 im Dienstplan der Grunewalder 03 auf den von der Berliner Stadtbahn nach Osten ausgehenden Strecken im Schnellzug- und schweren Personenzugdienst eingesetzt. Auch im Alltagsbetrieb machte die Baureihe 23 eine sehr gute Figur. Der Mehreinsatz von 15 Prozent mehr Gewicht gegenüber den P8-Lokomotiven erbrachte eine Steigerung der möglichen Zugmasse von ca. 37 % im Personenzug
dienst und ca. 42% im Einsatz vor Schnellzügen. Der Bau weiterer Lokomotiven mußte wegen des Krieges unterbleiben.

Den 2. Weltkrieg überstand 23 001 und ihre Schwesterlok 23 002 unbeschädigt.

Beide Baumusterlokomotiven verblieben nach ihrer Untersuchung durch das LVA Grunewald in Berlin und kamen nach Kriegsende zur Deutschen Reichsbahn.


Lieferfirma: Schichau AG – 2 Stück

Betriebsnummer: 23 001 und 23 002


Quellen:
Dampflok-Report No 2 des Eisenbahn Journals – ISBN 3-922404-72-3
Eisenbahn Kurier No 12/ 2001
Eisenbahn Kurier No 12/ 2000

 

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