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Jazz Live Nr. 124/99

Dixonia: Im Brennpunkt von Schönheit und Nonkonformismus
Ein Portrait Bill Dixons

von Dr. Robert Stubenrauch
erschienen in Jazz Live Nr 124/99

Bill Dixon ist eine singuläre Erscheinung: Als Free-Jazz-Musiker der ersten Stunde (Trompete und Flügelhorn, später auch Piano), bildender Künstler, "New-Thing-Aktivist", Musik-Lehrer und Produzent kann er auf eine langes und produktives Schaffen zurückblicken. Dennoch ist nach 40-jährigem musikalischen Wirken nur eine Handvoll Tonträger im Handel erhältlich und sein Werk ist nur Insidern bekannt.

 

Foto: Hans Kumpf

Wer also ist Bill Dixon? Geboren 5.10.1925 in Nantucket, USA, studierte Malerei, fand spät zur Musik und zur Trompete. Von 1962 bis 1965 kooperierte er mit Archie Shepp, mit dem er gemeinsam eine Gruppe leitete und erste Platteneinspielungen machte (bis heute nicht auf CD wiederveröffentlicht). Im Oktober 1964 organisierte er die legendäre "Oktoberrevolution des Jazz", ein viertägiges Alternativ-Festival im Cellar Cafe in New York, in dem er die damals unbekannte und von Major-Labels unabhängige Avantgarde präsentierte. Unter den - heute - bekannten Namen waren u.a. Sun Ra, Paul Bley, Joe Maneri, John Tchicai, Roswell Rudd, Jimmy Giuffre, Alan Silva und Giuseppi Logan. Zur selben Zeit gründete er ein Musiker-Kollektiv genannt Jazz Composers Guild, das die Interessen der jungen Avantgarde gegenüber Veranstaltern und Plattenfirmen vertreten und sie aus dem "Underground"-Status herausführen sollte. Die Gründungsmitglieder waren Cecil Taylor, Sun Ra, Archie Shepp, Carla und Paul Bley, Roswell Rudd, Mike Mantler und Burton Greene. Um ein starkes gemeinschaftliches Auftreten zu ermöglichen sahen die Regeln dieser Vereinigung vor, daß Verträge mit dem etablierten Musik-Business nur nach Absprache mit dem gesamten Kolletiv angenommen werden sollten; der Künstler sollte Herr seiner Kunst sein! Nach diesem Motto war fortan Bill Dixons künstlerisches Leben ausgerichtet und ist es immer noch - Nonkonformismus extrem! An diesen hohen Ansprüchen zerbrach jedoch die Guild schnell; auch Archie Shepp war unter denjenigen, die ohne Absprache einen Vertrag mit einem Label annahmen (in seinem Fall Impulse). Mit der Guild-Initiative war Dixon jedenfalls einer der ersten, der dem starken künstlerischen Selbstverständnis der "alternativen" Jazzmusiker einen entsprechenden formalen gesellschaftlichen Status verleihen wollte (ein Vorläufer war die Jazz Artists Guild, die 1960 u.a. von Charles Mingus und Max Roach als Gegenpol zum Newport Jazz Festival gegründet worden war). Inzwischen will Dixon allerdings lieber als "Künstler" angesprochen werden, denn als "Jazzmusiker".

Neben reger Auftrittstätigkeit war Dixon in den 60er-Jahren als Produzent für das Savoy-Label und als Musiklehrer tätig. Zwischen 1966 und 1968 gab es eine Phase der intensiven Zusammenarbeit mit der Tänzerin Judith Dunn, die zu gemeinsamen Musik-Tanz-Performances führte. Die Gelegenheiten zu Plattenaufnahmen waren allerdings rar: Außer auf den erwähnten zwei Platten mit Archie Shepp ist Dixon nur auf der wegweisenden Platte "Conquistador" von Cecil Taylor (Blue Note) zu hören, wo er mit seinen lyrisch-abstrakten Linien einen wunderbaren Beitrag abliefert, sowie auf seiner eigenen ambitionierten Platte "Intents and Purposes" (RCA), auf der ihm erstmals eine gültige Umsetzung seiner Vorstellungen für größere Ensembles gelang. Leider ist dieses Meisterwerk nie auf CD erschienen und nach Dixons Aussage ist es fraglich, daß dies jemals der Fall sein wird, da bis jetzt kein Wiederveröffentlichungsprojekt eine authentischer Präsentation nach seinen Vorstellungen gewährleistet hätte. Beide Aufnahmen stammen aus dem Oktober 1966.

1968 nahm Dixon eine Position als Lehrer am Bennington College in Vermont an, die er erst 1995 zurücklegen sollte. Bis 1980 sind nur wenige, teilweise von Dixon selbst produzierte Aufnahmen am Markt erschienen. Diese Platten dokumentieren die Entwicklung seines Solospieles, aber auch Projekte, die er in verschiedenen Formationen mit seinen Studenten durchführte. Dabei war ihm die Darstellung des künstlerischen Prozesses immer wichtiger als eine marktgerechte Präsentation "fertiger" Musikprodukte. Akribisch legte er in selbstbewußt-trotziger Reaktion auf das Desinteresse des Musikbusiness ein möglichst lückenloses Archiv seines Musikschaffens an. Proben mit Studenten, Solospiel, öffentliche Auftritte: Alles wird gleichermaßen für wert befunden, auf Band festgehalten zu werden. Aus diesem Fundus wählt Dixon immer wieder Aufnahmen aus (teils Jahrzehnte nach ihrem Entstehen) um sie auf Platten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sein bislang letztes Projekt ist das ehrgeizigste: Auf einer selbst produzierten 6CD-Box - betitelt "Odyssey" - werden Aufnahmen von 1970 bis 1992 zusammengeführt (viele davon solo). Eine CD wird gesprochenem Wort vorenthalten sein; wer Dixon je sprechen gehört hat wird sich darauf besonders freuen. Die limitierte Luxusbox wird Essays des Meisters und Repräsentationen seiner bildenden Kunst enthalten und vielleicht noch dieses Jahrtausend erscheinen.

Andere Aufnahmen - wie Duos mit Cecil Taylor aus dem Jahre 1992 (live und im Studio!) harren indes weiter der Veröffentlichung. Seit Dixon sich Ende 1995 aus der Lehre zurückgezogen hat ist er allerdings wieder besonders aktiv und man kann hoffen. Ohne jede Kompromisse will er seine Kunst nur mehr für die kleine Schar derjenigen zugänglich machen, die sie wirklich zu schätzen wissen; der Massenmarkt hat ihn nie interessiert. Neue Technologien erlauben inzwischen, CDs in sehr kleinen Auflagen kostengünstig herzustellen und sogar "CD-Unikate" sind möglich. Dixon denkt daran, sein Archiv auf diese Weise Interessierten zugänglich zu machen. Leute, die seine Musik hören wollen, sollen die Möglichkeit haben, praktisch beliebig aus seiner Aufnahmen-Sammlung CDs bestellen zu können. Natürlich werden die guten Stücke handsigniert und daher zu "Künstlerpreisen" angeboten werden. Dixon ist also durchaus High-Tech-bewußt und geschäftstüchtig, wie auch seine Internet Homepage (http://www.bill-dixon.com) beweist, auf der der Hinweis prangt: "Bill Dixon is a trademarked name"!

Dixons pointierte, immer präzis formulierten Äußerungen, ob mündlich oder schriftlich (oft als ausführliche Begleittexte zu seinen CDs), gewähren erhellende Einsichten in musikbezogene Themen wie Komposition, Improvisation und Musikerziehung. Aber auch kultur- und gesellschaftspolitisch brisante Fragen der Musikbranche und insbesondere der Situation schwarzer Musikschaffender in den USA werden in oftmals provokanter Weise angesprochen. Dixons nicht immer schmeichelhafte Direktheit hat ihm dabei vielfach das Image einer abweisenden, schwierigen Person eingebracht, über das man sich nur wundern kann, wenn man ihm persönlich und ohne bestimmte Absicht begegnet: Seine Person ist geprägt von Witz, Charme und einem unüblich großen Maß an Freundlichkeit; er ist ein brillanter Erzähler.

Zurück zur Historie, die auch einige österreichische Episoden bereithält: Der Wiener Franz Koglmann (den mit Dixon vieles verbindet: Musikinstrument, bildnerische Tätigkeit und verbaler Scharfsinn) lädt Dixon 1976 ein, auf einer von ihm im Selbstverlag produzierten Platte eine Seite zu gestalten ("Opium / For Franz"). Im Februar 1985 leitet Dixon ein fünftägiges "New Music Workshop" im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien. Der letzte Auftritt Dixons in Österreich war bei den Nickelsdorfer Konfrontationen 1997, im Trio mit Barry Guy und Tony Oxley. Ihn live zu erleben ist ein äußerst rares Erlebnis - seine Auftritte in den letzten Jahren kann man an einer Hand abzählen.

Obwohl - laut Dixons eigener Aussage - die meisten Leute ihn 1980 bereits für tot gehalten hatten, werden erst seit diesem Jahr die meisten Aufnahmen allgemein zugänglich auf einem verbreiteten Label herausgebracht: Auf dem italienischen Label Soul-Note (bis auf eine Ausnahme sich auch alle anderen Platten nach 1968 auf europäischen Labels herausgekommen!) sind seit damals bislang 7 CDs unter eigenem Namen und eine Beteiligung an einer Aufnahme mit dem Tony Oxley Celebration Orchestra erschienen. Mit letzterem war er im Herbst 1998 auch live in Deutschland zu hören - bei Oxley Geburtstagskonzert. Noch in diesem Sommer sollen auf Soul Note unter dem Titel "Papyrus" zwei separate Duo-CDs mit Oxley herauskommen, die im Juni 1998 aufgenommen wurden. Mit Oxley verbindet Dixon eine musikalische Freiheit, die - gepaart mit großartiger Sensibilität - nie in Powerplay ausartet. Schon früh setzte Dixon auf wohl-akzentuierte Klanggebilde, wobei er die gesamte Bandbreite möglicher Besetzungen von solo bis zu Großformationen erforschte. Bald verzichtete er auf alle offenen Referenzen auf typisch "schwarze" Anklänge. Blues oder Standard-Interpretationen wird man von ihm nicht hören, womit er sich klar von vielen Zeitgenossen (allen voran Shepp) unterscheidet! Die Jazzgeschichte in dieser Form aufzuarbeiten ist ihm kein Anliegen.

Dixon hat sich ein sehr individuelles Repertoire von Klängen erarbeitet: Spaltklänge, verwischte Klangflächen bis in extreme Tonlagen, oft kaum noch isolierbare Töne. Dann wieder einzelne, klagend erscheinende Sequenzen von warmen reinen Tönen, zusammengefügt zu mikroskopischen Melodie-Splittern. Gerne werden die tiefen Register ausgeschöpft - im Ensemble oft mit zwei Bässen oder Tuben. Ohne herkömmlichen Rhythmus atmet die Musik in großen dynamischen Bögen. Auch wohlklingendes Flügelhorn und kühles Piano gehören dazu; Bill Dixon, der Lyriker des Free Jazz. Aber es ist eine Lyrik, die dem Hörer äußerste Konzentration abverlangt! Der Begriff "Schönheit" ist in solchem Zusammenhang hochsensibel, aber ohne dieses Vokabel wäre die Beschreibung seiner Musik schlicht unmöglich. Vielleicht sind auch noch Worte wie "Wahrheit" und "Authentizität" brauchbar beim Versuch, Bill Dixon und seine Musik zu erfassen.

Bill Dixon allerdings ist ein "Gesamtkünstler"; wer ihn verstehen will sollte sich daher nicht nur mit seinen musikalischen und verbalen Äußerungen befassen, sondern auch mit seiner bildenden Kunst. Diese - meist in Form von Zeichnungen, Radierungen und Lithographien - ist leider nur sehr begrenzt in Form von Reproduktionen auf Platten- und CD-Covers verfügbar (wobei sich diesbezüglich ein unschlagbarer Vorteil der guten alten Schallplatte - bzw deren Verpackung - bestätigt). Dixons Bilder sind in ihrer Abstraktheit seiner Musik ähnlich, aber auch in der Balance zwischen klar logischen, manchmal geometrischen Komponenten einerseits und spontanen, kürzelhaften Elementen andererseits. Das im Selbstverlag erschienene - und leider vergriffene - Buch "L'Opera" enthält eine Sammlung von Essays, Partituren und Reproduktionen bildender Kunst und ist als wesentliche Selbstdarstellung- und Dokumentation Dixons anzusehen. Im Moment arbeitet er sowohl an einer Neuauflage von Band 1, als auch an einem komplett neuen Band 2; weiterer Grund für Vorfreude und viel Geduld!

Foto: Hans Kumpf

Diskographie (komplett)

Für 1999 geplante Veröffentlichungen:

Ausgewählte Literatur:

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