Kapitel 10

Samstag, der große Abend. Sarah hatte zwei Stunden damit verbracht, sich für die Veranstaltung und die anschließende Party zurecht zu machen. Sie hatte ihr langes Haar hochgesteckt und einige widerspenstige blonde Strähnen umrahmten ihr Gesicht. Wie immer hatte sie nur dezent Make-up aufgelegt. Ihr Lippen glänzten in einem leichten rosa und ihre Wangen waren von der Aufregung alleine sanft gerötet. Sie trug ihr blaues Kleid und die neu erworbenen Riemchensandalen. Dazu passend hatte sie sich für eine schmale Silberkette und den breiten, schlichten Silberring ihrer Mutter als einzigen Schmuck entschieden. Ihre Mutter hatte ihr den Ring vor zwei Jahren, drei Tage vor ihrem tödlichen Unfall, geschenkt. Innen waren die Worte „Für einen besonderen Menschen, in Liebe“ eingraviert. „Dies war das erste Geschenk Deines Vaters an mich. Er soll Dir immer Glück bringen, mein Schatz, so wir er mir über all die Jahre Glück gebracht hat,“ hatte sie gesagt und ihn ihr an den Finger gesteckt. Er war Sarahs wertvollster Besitz und sie trug ihn nur zu besonderen Anlässen oder wichtigen Terminen. Er gab ihr Mut und Kraft und wenn sie besonders nervös oder ängstlich war, drehte sie ihn unbewusst immer wieder um den Finger. A.J. hatte ihr heute Morgen noch ein kurzes Mail geschickt (Sarah hatte nachgerechnet und laut dieser Berechnung musste er diese Mail um drei Uhr morgens abgeschickt haben). Mittlerweile war er wieder zu Hause in Florida, die Tour war beendet. Er wünschte ihr viel Glück und Erfolg und wartete auf einen ausführlichen Bericht, wie der Abend gelaufen war. Abschließend betrachtete sie sich nochmal in dem großen Spiegel in ihrem Schlafzimmer. Sie erkannte sich kaum wieder. Normalerweise trug sie Hosen und sich selbst jetzt in diesem aufreizend kurzen Kleidchen zu sehen war für sie eine neue Erfahrung. Sie lächelte ihrem Spiegelbild verführerisch zu und kicherte. Christian und Alex würden in Ohnmacht fallen, wenn sie sie so sahen. Beschwingt schnappte sie sich ihre Handtasche und machte sich auf dem Weg zu ihrem Auto. Zwei Stunden später betrat sie das Kongresszentrum im Herzen Frankfurts. Christian, Alexander und sie hatten sich in der Nähe der Eingangstür verabredet. Sie blickte sich in der großen Empfangshalle um. Zwischen den vielen, dicken Säulen standen überall Männer und Frauen, mehr oder weniger angeregt in ein Gespräch vertieft. Die Männer waren hauptsächlich in dunklen Anzügen erschienen, die Frauen brachten die Farbtupfer ein. Wie sie schon Katrin erklärt hatte, war ihr Kleid bei weitem nicht das auffälligste oder freizügigste. Manche ihrer Kolleginnen waren tatsächlich in bodenlangen Kreationen in rot oder gelb erschienen, wieder andere hatten Ausschnitte bis zum Bauchnabel, die nur das nötigste verdeckten. Sie erblickte einige Leute aus ihrer Abteilung und winkte ihnen zu. Sie schienen im ersten Moment etwas irritiert zu sein, bis einer anscheinend ihren Namen sagte und dann alle wie aufs Stichwort die Hand hoben und zurück winkten. Die großen Flügeltüren zum Tagungsraum standen weit offen und sie konnte sehen, das einige schon ihre Plätze eingenommen hatten. Alles in allem mussten es ungefähr siebenhundert Menschen sein, die sich hier trafen um den Bilanzen des letzten Jahres und den Zukunftsaussichten für das nächste Jahr zu lauschen. Da entdeckte sie Christian und Alexander am verabredeten Treffpunkt und steuerte direkt auf sie zu. Sie registrierte belustigt, wie sie plötzlich aufhörten miteinander zu reden und sie anstarrten. „Mund zu Jungs,“ sagte sie als sie die beiden erreicht hatte „bin bloß ich.“ „Bloß? Du bist gut,“ erwiderte Alexander „wo hast Du unsere nette, brave Kollegin gelassen?“ und damit sah er sich suchend um. Als er dabei um sie herum ging, sog er scharf die Luft ein und meinte an Christian gewand „Du solltest dir wirklich mal die Rückseite ansehen, skandalös wie ich meine.“ Christian gesellte sich zu seinem Kollegen und interessiert betrachten sie beide Sarahs Rückseite mit dem Tattoo. „O.k. ihr zwei,“ sagte Sarah schließlich und drehte sich entschlossen zu ihnen um „genug geglotzt. Kriegt Euch wieder ein.“ „Ich werde es versuchen, aber ich glaube ich brauch jetzt erstmal ein Bier,“ erwiderte Christian „Du auch eins?“ fragte er an Alexander gewandt „ich glaube, ich brauche was stärkeres. Wie wäre es mit einem Glas Sekt? Einem doppelten für mich, bitte. Ich denke unsere Pretty Women hier wäre da auch nicht abgeneigt, oder?“ Sarah nickte grinsend und Christian machte sich auf den Weg um die Getränke zu besorgen. „ Der Hammer, Sarah, ich wußte bis heute wirklich nicht was so in Dir steckt.“ „Tja, kannst Du mal sehen. Ich habe mich für heute abend auch mächtig ins Zeug gelegt. Hat man schon irgendwas über den Gewinner des heutigen Abends gehört?“ „Nee, wie immer ist das wohl das strengst gehütete Geheimnis der Firma, abgesehen vielleicht davon wer der wirkliche Vater von Kollegin Maiers Sohn ist.“ Sarah lachte „Leider müssen wir ja erstmal zwei Stunden Gelaber von unserem Vorstand über uns ergehen lassen, bis wir erfahren wer dieses Jahr das Rennen beim Projektwettbewerb gemacht hat.“ Die Reden des Vorstandsvorsitzenden waren berüchtigt für seine Langatmigkeit und Langeweile. Sarah hoffte inständig, daß dieses Jahr ein Wunder geschehen und er sich kürzer fassen würde. Da kam Christian auch schon mit drei Gläsern in den Händen zurück. Sie stießen auf den vor ihnen liegenden Abend an und schlenderten dann gemeinsam zu ihren Plätzen in den Tagungsraum. Sie hatten noch eine halbe Stunde, bis die Veranstaltung beginnen würde und so vertrieben sie sich die Zeit mit Kommentaren über das Aussehen und die Garderobe der diversen Kollegen. Ein lauter Gongschlag bedeutete allen Anwesenden ihre Plätze einzunehmen und nach weiteren fünf Minuten wurde das Licht langsam gelöscht und das Stimmengewirr verstummte. Dann betrat der Vorstandsvorsitzende die Bühne und lauter Applaus brandete auf. Eine Weile genoß er sichtlich das Getose der Menge, dann hob er beschwichtigend die Hände und nach und nach erstarb der ohrenbetäubende Lärm. „Es ist schön, so warm empfangen zu werden. Vielen Dank ihnen allen.“ Dann begann er mit seinen Ausführungen zum vergangenen Geschäftsjahr. Seine Worte wurden durch Schaubilder unterstütz, die auf eine große Leinwand links neben ihm projiziert wurden. Nach eineinhalb Stunden oft langatmiger, manchmal allerdings auch sehr interessanter Ausführungen über die Lage der Bank kam er auf die einzelnen Projekte zu sprechen, die in diesem Jahr umgesetzt worden waren. Er erwähnte ihren Chef Marius Renner als Gewinner des letztjährigen Wettbewerbs und die Masse klatschte jubelnd Beifall als dieser auf die Bühne gerufen wurde. „Vielen Dank für den Applaus,“ wandte er sich an das Publikum „aber ohne ihre Hilfe und Aufgeschlossenheit, hätten wir das alles wohl nicht geschafft,“ wieder brandete Applaus auf. „Ich möchte mich auf diesem Wege auch bei meinen Mitarbeitern im Projektmanagement bedanken. Sie haben hervorragende Arbeit geleistet und dafür gesorgt, das soviele neue und innovative Ideen umgesetzt werden konnten.“ Wieder Applaus. Sarah, Christian und Alexander sahen sich stolz lächelnd an. „In diesem Sinne möchte ich das Wort wieder an unseren Vorstandsvorsitzenden Herrn Dr. Anderson übergeben, der jetzt, glaube ich, die mit Spannung erwarteten Gewinner des diesjährigen Wettbewerbs bekannt geben wird.“ Mit diesen Worten trat er vom Mikrofon zurück, schüttelte Herrn Anderson die Hand und lies sich im hinteren Teil der Bühne neben den dort sitzenden Vorständen und Abteilungsleitern nieder. „Wie Herr Renner schon angekündigt hat, kommen wir nun zum spannenden Teil der Veranstaltung,“ lächelnd zog er ein Blatt Papier aus der Innentasche seines Jacketts. „Ich werde ihnen die Titel der Projekte und deren Urheber vorlesen und möchte dann die entsprechenden Personen bitten, hier zu mir auf die Bühne zu kommen, um ein paar kurze Worte zu ihren Ideen zu sagen.“ Wieder wurde geklatscht, diesmal allerdings nicht so lange, da alle gespannt auf die Ergebnisse warteten. „So, Platz fünf belegt das Projekt mit dem klangvollen Namen „Internetbanking leicht gemacht“.“ Jubel brandete im hinteren Teil des Saales auf. Eine junge Frau erhob sich. „Dieser Vorschlag wurde von Frau Irene Maiwald eingereicht und ich möchte sie nun bitten, hier zu mir nach vorne zu kommen.“ Frau Maiwald hatte schon die hälfte des Weges zurückgelegt und beeilte sich nun unter dem Applaus der Anwesenden auf die Bühne zu kommen. Herr Anderson schüttelte ihr die Hand und übergab ihr dann das Mikrofon. Sie wirkte sehr nervös und bei den ersten Worten stotterte sie noch etwas. Aber je länger sie über ihre Idee sprach, um so sicherer wurde sie. Nach zehn Minuten beendete sie ihren Vortrag und Herr Anderson überreichte ihr unter dem Jubel der Anwesenden einen riesigen Blumenstrauß und Karten für das Musical „Miss Saigon“ in Stuttgart. Platz vier und drei gingen beide an Kundenbetreuer die interessante Ideen für Kundenveranstaltungen in den jeweiligen Filialen gehabt hatten. Sie erhielten hierfür jeweils ein Wochenende auf einer Wellnessfarm im Schwarzwald. Nachdem sich der Beifall für den letzten Gewinner gelegt hatte, fuhr Herr Anderson mit der Preisverleihung fort „kommen wir nun zum Platz zwei. Der Gewinner kommt diesmal aus dem Team der Projektmanager.“ Sarah straffte sich und hielt aufgeregt den Atem an „das Projekt trägt den Titel „Revolutionierung unserer Anwenderdatenbank“ und Herr Alexander Buchhaas hat uns mit diesem Konzept wirklich überzeugt.“ Christian und Sarah sprangen gleichzeitig von ihren Sitzen auf und klatschten jubelnd für ihren Kollegen Beifall, der etwas verschüchtert und mit hochrotem Kopf auf seinem Sitz festgeklebt schien. „Ist Herr Buchhaas anwesend?“ fragte der Vorstandsvorsitzende dann auch von der Bühne hinunter in die Runde blickend. „Hier ist er,“ rief Sarah und zog Alexander am Arm in die Höhe. „Gratuliere, ich freu mich ja so für Dich,“ und mit diesen Worten umarmte sie ihn und küsste ihn auf die Wange. Christian klopfte seinem Kollegen anerkennend auf die Schulter „das hast Du wirklich gut gemacht Kumpel.“ „Vielen Dank, ich wußte nur nicht, daß man da auch was sagen muss. Will nicht einer von Euch da hoch?“ Sarah lachte „tut mir leid, den Ruhm musst Du Dir schon selbst abholen.“ Alexander grinste gequält und begann sich durch die Sitzreihe hindurchzukämpfen. Als er auf der Bühne ankam, hatte er unzählige Hände geschüttelt und auf der rechten Wange prangte ein großer roter Lippenstiftfleck von Martina Schulz, die ihn überschwänglich an ihren großen Busen gedrückt hatte. Herr Anderson schüttelte auch ihm die Hand und drückte ihm dabei das Mikrofon in die Andere. Sofort wurde es wieder still im Saal. „Tja, nun stehe ich hier oben und weiß eigentlich garnicht was ich sagen soll. Damit habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet,“ bei diesen Worten fuhr er sich nervös mit den Fingern durch seine blonden Locken, „Immerhin, ich glaube ich bin schon lange nicht mehr von sovielen Frauen geküsst worden, also so schlimm ist das alles eigentlich garnicht,“ das Publikum lachte und langsam gewann er seine Fassung wieder. „Also, nun zu meiner Idee,“ und damit begann er mit einer zehnminütigen Ausführung seines Projektes. Als er geendet hatte, tobte der Saal ob seiner witzigen und dennoch präzisen Darstellung. Herr Anderson überreichte auch ihm einen großen Blumenstrauß und einen Gutschein für ein Wochenende mit einem Auto seiner Wahl, zu mieten beim Autohaus Kocher, und zwei Übernachtungen in einem Nobelhotel in München. Als sich Alexander zu den anderen Gewinnern im hinteren Teil der Bühne gesetzt hatte, zog Herr Anderson wieder seinen Zettel hervor und blickte in die Runde. Alle warteten gespannt auf die Bekanntgabe des ersten Platzes. „Nun mach schon,“ flüsterte Sarah. Christian grinste neben ihr. „Wirst es schon noch erwarten können, bis er Deinen Namen aufruft,“ erwiderte er. „Ach,“ mit einer Handbewegung brachte Sarah ihn zum schweigen und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Vorstandsvorsitzenden auf der Bühne zu. Dieser sagte eben „der erste Platz geht auch an eine Person aus dem Team Projektmanagement.“ Sarah begann aufgeregt an ihrem Ring zu drehen. „Das Projekt nennt sich „Vorschlagswesen, eine Chance für jeden“,“ Christian drückte Sarahs Hand und grinste sie an, sie selbst konnte es nicht fassen, sie hatte es tatsächlich geschafft. „Eingereicht wurde der Vorschlag von dem letztjährigen Gewinner Marius Renner, Applaus.“ und unter tosendem Beifall stand Herr Renner auf und ging nach vorne um Herrn Anderson erneut die Hand zu schütteln. „Was?“ Sarah sprang auf „das kann er doch nicht machen,“ rief sie verzweifelt, doch ihre Worten gingen in dem lauten Getöse der Anwesenden unter. Christian nahm ihre Hand „vielleicht hat er einen Vorschlag mit einem ähnlichen Titel eingereicht. Warte doch erstmal ab, was er zu sagt hat,“ und damit zog er Sarah zurück auf ihren Platz. „Das ist genau Wort für Wort mein Titel, Christian. Das kann doch kein Zufall sein.“ „Warte es ab, o.k.?“ „Na gut, aber ich schwör Dir, wenn er meine Idee geklaut hat, dann ...“ in diesem Moment begann ihr Chef auf der Bühne mit seinem Vortrag. „Ich habe mir darüber Gedanken gemacht, warum man nur einmal im Jahr so einen Projektwettbewerb ausschreibt? Ich bin mir sicher, das jeder Mitarbeiter Ideen und Vorschläge hat, wie man die Arbeitsabläufe verbessern kann und das nicht nur einmal im Jahr. Ich stelle mir ein Vorschlagswesen vor, daß computerunterstützt kinderleicht anzuwenden ist. Ich habe ein zwei Folien vorbereitet, wenn man die vielleicht mal kurz zeigen könnte?“ und mit diesen Worten erschien eine Tabelle auf der großen Leinwand, die einen Kosten-Nutzenvergleich zog. Sarah war den Tränen nahe „daran war ich zwei Wochen gesessen, dieser Bastard. Er hat sich noch nicht mal die Mühe gemacht und eine eigene Tabelle erstellt.“ „Das ist unglaublich,“ flüsterte Christian neben ihr aufgebracht. „Der hat jedes Wort geklaut und ich muss es wissen, schließlich habe ich mir beim korrekturlesen eine ganze Nacht um die Ohren geschlagen. Du musst was tun, Sarah. Geh da rauf und sag ihm die Meinung,“ er sah sie beschwörend an. „Mir würde doch kein Mensch glauben. Er ist der Boss und ich nur die kleine Angestellt, die seine Anweisungen ausführt.“ „Quatsch, sie müssen Dir einfach zuhören.“ „Vergiss es,“ und mit diesen Worten stand sie auf und bahnte sich einen Weg durch die neben ihr sitzenden Kollegen. Sie achtete nicht darauf, daß sie einigen dabei auf die Füße trat und einige unschmeichelhaften Kommentare dafür erntete. Endlich hatte sie es geschafft und lief nun den breiten Mittelgang entlang, dem Ausgang entgegen. Bevor sich die großen Türen hinter ihr schlossen hörte sie ihren Chef noch sagen „ich habe mir lange darüber Gedanken gemacht, wie man den Nutzen von Vorschlägen berechnen kann, die noch garnicht gemacht sind,“ dann wurden seine Worte von den dicken Türen ausgesperrt und sie stand in dem großen, menschenleeren Foyer. „Scheiße,“ rief sie laut und ihre Stimme hallte dumpf von den großen Säulen wieder. Im vorübergehen griff sie sich ein Glas Sekt von der Bar und stürzte es in einem Zug hinunter. Sie schnappte sich sofort ein weiteres Glas und sah sich um. Sie entdeckte eine kleine dunkle Nische und steuerte darauf zu. Sie stellte den Drink ab und fischte eine Packung Zigaretten aus ihrer Handtasche. Als sie das brennende Feuerzeug an die Spitze hielt, zitterten ihre Hände so sehr, das sie es beinahe nicht geschafft hätte die Zigarette zu entzünden. Schließlich gelang es ihr doch und sie inhalierte tief den ersten Zug. „Mistkerl, Bastard, Arschloch,“ fluchte sie vor sich hin. Da legte sich eine Hand von hinten auf ihre Schulter. Sie zuckte zusammen und fuhr herum. Vor ihr stand Christian, die Hände jetzt beschwichtigend erhoben. „He, tu mir nichts, ich bin's nur.“ „Schleich Dich das nächste mal nicht so an, Du hast mich zu tode erschreckt,“ fauchte sie „o.k., o.k., aber lass Deine Wut bitte nicht an mir aus.“ Sarah senkte den Blick, er hatte recht. Als sie sich herumgedreht hatte, hätte sie ihm am liebsten ans Schienbein getreten. „Tut mir leid,“ sagte sie und sah ihn an. „Ich bin nur so wütend, wie kann er nur sowas tun?“ „Ich habe keine Ahnung, ich nehme mal an, daß er ziemlich unter Druck steht.“ „Das tun wir alle, aber soetwas Schäbiges würde uns doch nie einfallen,“ ihre Wut war verpufft, zurückgeblieben war Verzweiflung und Traurigkeit. Wie hatte er ihr das bloß antun können? Ihre Augen füllten sich mit Tränen „dieser Mistkerl,“ sagte sie zum wiederholten Male, doch diesmal klang dieses Wort nicht mehr wütend sondern einfach nur kläglich. „Komm her,“ entgegnete Christian und zog sie in seine Arme. Ihr Zigarette verglomm ungeraucht im Aschenbecher, während sie in Christians Armen weinte. Als sie sich einigermaßen beruhigt hatte löste sie sich von ihm und bemerkte voller entsetzen die schwarzen Wimperntuschespuren auf seinem blassblauen Hemd. „Oh Gott, jetzt habe ich Dir auch noch Dein Hemd ruiniert. Ich hoffe Du kriegst jetzt keinen Ärger mit Deiner Frau.“ „Mach Dir darüber mal keine Gedanken. Du hast im Moment andere Sorgen als mein Hemd. Ich bin immernoch der Meinung, daß Du Renner die Meinung sagen solltest und das vor versammelter Mannschaft.“ „Jetzt ist es eh zu spät,“ entgegnete Sarah und suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Plötzlich öffneten sich die großen Flügeltüren zum Konferenzraum und eine Masse von Menschen ergoss sich lachend und rufend ins Foyer. „Auch das noch, ich denke ich werde schnellstens die Flucht ergreifen,“ sagte Sarah und schickte sich an zu gehen. „Warte, ich suche schnell Alex und dann gehen wir gemeinsam irgendwohin und besprechen das in Ruhe, o.k?“ „Danke, daß ist lieb von Dir, aber ehrlich gesagt will ich einfach nur nach Hause und ein bisschen alleine sein.“ „Bist Du sicher? Ich möchte Dich jetzt eigentlich ungern Autofahren lassen.“ „Christian hat recht,“ meldete sich Alexander zu Wort, der sich unbemerkt mit dem riesigen Blumenstrauß in den Händen genähert hatte „lass uns noch irgendwo was trinken gehen. Der Idiot hat sie wohl nicht mehr alle, oder? Ich habe ein bisschen gebraucht um zu kapieren, daß das Dein Vorschlag war, aber als ich die Tabelle gesehen hab, war mir alles klar. Ich kann mich gut daran erinnern, wie Du einen ganzen Tag über dem Layout gehockt hast.“ Sarah traten schon wieder Tränen in die Augen, als sie an die vielen Arbeitsstunden dachte, die sie in diesen Vorschlag investiert hatte. „Komm Sarah, wir können auch zu mir fahren. Wir betrinken uns ordentlich und Du kannst auf unserem Sofa schlafen,“ versuchte es Christian nochmal. „Nein. Vielen Dank für das Angebot aber ich möchte einfach nur nach Hause.“ Christian hob resigniert die Schultern. „Dann bringen wir Dich wenigstens zum Auto,“ sagte Alexander als er merkte, daß es keinen Sinn hatte, weiter auf sie einzureden. Er hakte sich bei ihr unter, Christian nahm ihren anderen Arm und gemeinsam verließen sie das Kongresszentrum. Sarah senkte den Blick und versuchte so unauffällig wie möglich die Party zu verlassen. Das letzte was sie jetzt wollte, war von einem Kollegen angesprochen zu werden. Unbehelligt erreichten sie den Parkplatz und ihr Auto. „Vielen Dank fürs herbringen Jungs,“ „keine Ursache,“ antworteten Christian und Alexander wie aus einem Mund. Sarah brachte ein trauriges Lächeln zu stande. Sie umarmte beide und setzte sich dann ins Auto. „Du bist sicher, daß Du zurecht kommst?“ fragte Alexander nocheinmal besorgt. „Ja, macht Euch keine Gedanken. Ich werde jetzt nach Hause fahren und mich dort ein bisschen austoben. Dann werde ich ins Bett gehen und schlafen wie ein Baby. Morgen werde ich mir dann überlegen, was ich tun werde.“ „Wenn was ist, Du hast ja meine Nummer,“ sagte Christian und schloss die Wagentür. Sarah ließ das Fenster herunter und startete den Wagen. „Danke ihr zwei und ich hoffe, ihr werdet jetzt ausgiebigst Alexanders zweiten Platz feiern. Das hat er sich nämlich wirklich verdient.“ Alexander sah betreten auf seine Schuhspitzen „eigentlich ist mir jetzt nichtmehr nach feiern zu mute.“ „Und ob Dir danach ist. Du wirst ordentlich einen drauf machen, versprich mir das. Es kommt ja nicht alle Tage vor, das man vor versammelter Mannschaft geehrt wird.“ „Wir werden es versuchen,“ entgegnete Christian an Alexanders Stelle. Sie winkte ihnen nochmal zu und lenkte dann den Wagen vom Parkplatz.

Kapitel 11