Kapitel 11

Sie konnte im nachhinein nicht mehr sagen wie sie eigentlich nach Hause gekommen war. Die einstündige Heimfahrt über hatte sie abwechselnd geflucht und geweint. Ihr Auto hatte automatisch die richtige Autobahnabfahrt genommen und sie sicher nach Hause gebracht. Dort angekommen legte sie eine CD von Bush ein und drehte die Lautstärke auf. Sie fegte die Kissen vom Sofa, hob sie wieder auf um sie anschließend wieder quer durchs Zimmer zu schleudern. Dabei beschimpfte sie ihren Chef aufs übelste. Als sie sich nur noch leer und erschöpft fühlte, drehte sie die Musik leiser, ließ sich aufs Sofa fallen und griff zum Telefon. Automatisch wählte sie Katrins Nummer bis ihr einfiel, daß diese sich ja gerade mit Super-Martin auf Mallorca sonnte. Sie legte auf, überlegte kurz und wählte dann die Nummer ihres Bruders. Nach dem zehnten Klingeln legte sie resigniert auf. „Na toll, wenn man mal wirklich jemanden braucht ist keiner da,“ sagte sie laut und dabei viel ihr Blick auf den Computermonitor. Sie schloss die Augen. „Wenn A.J. jetzt hier wäre“ dachte sie sehnsüchtig. Er würde sie in die Arme nehmen und alles wäre gut. Tränen liefen ihr über die Wange und Bilder stürmten auf sie ein. Ihr Chef der auf der Bühne stand und die Glückwünsche von Herrn Anderson entgegen nahm, Katrin die sie darum bat, etwas offener zu ihr zu sein, ihr Bruder, der vermutlich gerade mit seinen Kumpels irgendwo feierte, ihre Mutter, wie sie ihr den Ring schenkte und zum Schluss stand ihr Ex-Mann mit erhobenen Fäusten vor ihr und sagte ihr, was für eine Verliererin sie doch war. Entschlossen stand sie auf und schaltete den Computer ein. „Ich werde es Euch allen zeigen,“ sagte sie laut und wischte sich fahrig die Tränen aus dem Gesicht. Schniefend wartete sie bis die Internetverbindung stand und wählte sich in ihr E-Mail-Postfach ein. Es war seit heute mittag keine neue Mail eingegangen. Sie klickte auf E-Mail schreiben.

An: Bone 69
Betreff: I need help!

Dear A.J., große Katastrophe, bin völlig fertig. Brauche dringend Abstand. Steht Dein Angebot noch? Bitte, ich brauche Dich. Sag mir, wann ich kommen kann. Bin sozusagen schon unterwegs.

Love Sarah x


ohne weiter darüber nachzudenken, schickte sie die Mail ab. Sie starrte noch eine Weile auf den Bildschirm und beendete dann die Verbindung. Sie ging ins Schlafzimmer und zog ihr neues Kleid aus und hängte es sorgfältig auf einen Bügel. Dann ging sie ins Bad und duschte ausgiebig. Als sie wenig später in ihrem Bett lag, konnte sie nicht einschlafen. Sie starrte wie gebannt auf das Kleid, daß ihr gegenüber an dem großen Schlafzimmerschrank hing. Es schien sie zu verspotten. Entschlossen stand sie auf und hängte es in den Schrank. Mit einem Knall schloss sie die Tür und legte sich wieder ins Bett. Doch wirklich geholfen hatte das auch nicht. Die halbe Nacht wälzte sie sich unruhig von einer Seite auf die Andere. Immerwieder kochte Wut in ihr hoch, dann dachte sie an die Mail die sie gerade abgeschickt hatte und Angst mischte sich in ihr Gefühlschaos. Ob sie die Entscheidung, ihn nun doch zu besuchen, nicht etwas vorschnell getroffen hatte? Doch dann dachte sie daran wie es sein würde wenn er sie vom Flughafen abholte, sie in seine Arme nahm und ihr sagte, daß alles gut würde. Dann wußte sie, daß sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, egal was danach passierte. Endlich viel sie dann doch in einen unruhigen Schlaf und als sie am nächsten Morgen wie gerädert erwachte, konnte sie sich nur daran erinnern, das sie nach langer Zeit malwieder einen Alptraum von ihrem Ex-Ehemann gehabt hatte. Die Einzelheiten verflogen schnell, zurück blieb ein Gefühl der Angst und als sie sich an den gestrigen Abend erinnerte krampfte sich ihr Magen zusammen. Seufzend schlug sie die Bettdecke zurück „hilft ja nichts,“ sagte sie zu sich selbst und tapste verschlafen ins Badezimmer. Während sie sich beim Zähneputzen im Spiegel betrachtete viel ihr auch die Mail wieder ein, die sie A.J. gestern geschickt hatte. Schnell beendete sie ihre Morgentoilette und begab sich ins Wohnzimmer. Sie schaltete den Computer ein und ging in die Küche um sich einen Kaffe zu kochen. Noch im Nachthemd und mit einer Tasse Kaffe und einer Zigarette bewaffnet nahm sie vor dem Monitor platz und wählte sich ins Internet ein. „Sie haben Post“ verkündete die Frauenstimme. Sarah zögerte. „Oh Gott, bitte mach, das es A.J. ist,“ flüsterte sie und klickte dann auf ihr Briefkastensymbol. Und da war sie. Bone69 stand da und schnell klickte sie auf Mail lesen.

Dear Sunshine, natürlich kannst du kommen. Habe Dir für morgen (Montag 5.30 Uhr) ein Ticket nach Orlando am Schalter der American Airlines in Frankfurt hinterlegen lassen. Was um Gottes willen ist denn passiert? Mache mir ernsthafte Sorgen. Komm schnell, damit ich Dich in die Arme schließen kann. Ich warte auf Dich. Love A.J. x

Sarah war hin und her gerissen zwischen Angst, Aufregung und Freude. Er hatte schon für das Ticket gesorgt, sie würde ihm tatsächlich morgen gegenüberstehen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie beendete die Internetverbindung und griff zum Telefon. Sie musste Christian bescheid geben, daß sie die nächste Zeit nicht im Büro erscheinen würde. Nach dem vierten Klingeln nahm er ab. Im Hintergrund konnte sie Babygeschrei hören „Vorhof zur Hölle, das arme Würstchen ist selbst am Apparat,“ meldete er sich. „Wunderschönen Guten Morgen Christian, hier ist Sarah,“ meldete sie sich mit einem Lachen. „Hey, wie geht’s Dir. Hast Du den gestrigen Abend einigermaßen verdaut?“ Sarahs lächeln verschwand „nicht wirklich, deshalb rufe ich auch an. Ich möchte Dir nur Bescheid geben, daß ich die nächsten zwei, drei Wochen nicht ins Büro kommen werde.“ „Wie soll ich denn das verstehen, Sarah, Du machst doch hoffentlich keine Dummheiten? Ich bin mir sicher wir können das mit Renner regeln, wir...“ Sarah unterbrach ihn „es ist mir egal was Renner sagt oder tut, ich brauche ne Auszeit. Ich werde die Tage nutzen um mir darüber klar zu werden, was jetzt weiter passiert.“ „Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist. Einfach nicht im Büro zu erscheinen, dafür können sie Dich feuern, ist Dir das klar?“ „Glasklar, aber ich denke, Renner wird nichts dagegen haben. Immerhin habe ich noch zwei Wochen Resturlaub vom letzten Jahr und wir haben jetzt schon Oktober. Außerdem finde ich, daß er mir einen größeren Gefallen schuldig ist, als dieses bisschen Urlaub im Nachhinein zu genehmigen.“ „Trotzdem, das klingt alles garnicht nach der überlegten Sarah die ich kenne.“ „Mach Dir keine Sorgen Christian, ich hab alles im Griff. Ich werde mir einen schönen Urlaub in Florida genehmigen und danach sehen wir weiter.“ „Florida? Wie kommst Du denn gerade jetzt auf Florida?“ „Ich hab da einen guten Bekannten sitzen. Der wird mich hoffentlich auf andere Gedanken bringen.“ „Na gut, Du bist ein großes Mädchen und weißt hoffentlich was Du tust. Rufst Du mich wenigstens in den nächsten Tagen mal an? Damit ich weiß, ob es Dir gut geht.“ „Versprochen, bin auch sehr gespannt wie Renner reagieren wird. Dürfte am Montag recht unterhaltsam für Euch werden.“ „Warten wir es ab. Ich weiß nur noch nicht wie ich mich verhalten soll. Was meinst Du, soll ich ihm gleich eine reinhauen, oder warten bis er Dir den Urlaub genehmigt hat?“ „Das überlasse ich Dir,“ erwiderte Sarah lachend „Renner mit nem blauen Auge stelle ich mir wirklich witzig vor, verdient hat er es auf jeden Fall. Schade, daß ich das nicht miterleben kann. So, ich muss dann jetzt auch Schluss machen, ich muss noch packen.“ „Wann geht's denn los?“ „Morgen früh um 5.30 Uhr geht mein Flieger. Bin schon ein bisschen aufgeregt.“ „Na dann wünsch ich Dir viel Spaß und Sarah?“ „Ja?“ „Versprichst Du mir, daß Du wieder kommst?“ „Wie meinst du das? Natürlich komme ich wieder. “ „Ich weiß nicht, ist nur so ein Gefühl.“ „Ich verspreche es Dir.“ „Gut, dann bin ich beruhigt. Und mach Dir keine Sorgen wegen Renner, ich kümmere mich darum.“ „Das ist wirklich lieb von Dir. Dann gib David von mir einen Kuss und grüße Maria von mir. Noch einen schönen Sonntag.“ „Dir auch, und vergiss nicht anzurufen.“ „Mach ich, also bis dann.“ „Ja, machs gut, tschüss.“ „Tschüss.“ Sarah legte den Hörer auf die Gabel und dachte über Christians Worte nach. „Versprich mir, daß Du wiederkommst,“ wie kam er bloß darauf? „Egal,“ sagte sie laut mit einem Schulterzucken und ging in ihr Schlafzimmer um den großen Koffer vom Schrank zu hiefen.

Kapitel 12