Kapitel 17
Als sie am nächsten Morgen erwachte, war das Bett neben ihr leer. Bei dem Gedanken an die vergangene Nacht kniff sie peinlich berührt ganz fest die Augen zusammen, kleine Lichtblitze tanzten hinter ihren geschlossenen Liedern . Hatte sie tatsächlich im Schlaf geschrien und A.J. war gekommen um sie zu trösten? Er musste ja den Eindruck haben, daß er sich eine Psychopatin ins Haus geholt hatte. Erst die Geschichte in der Küche und dann das. Gestern Nacht war es ihr ganz normal vorgekommen in seinen Armen zu weinen und dann mit ihm einzuschlafen. Im Licht des neuen Tages schämte sie sich einfach nur. Widerwillig schlug sie die Bettdecke zurück hilft ja nichts, murmelte sie. Verschlafen schlurfte sie ins Badezimmer. Nachdem sie sich einige handvoll kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt, die Zähne geputzt, die Haare gebürstet und zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, ging es ihr schon etwas besser. Sie zog ihre Jeansbermuda und eine weiße, ärmellose Bluse an und tapste barfuß die Stufen hinunter. Sie warf einen Blick ins Wohnzimmer und sah A.J. mit einer Tasse Kaffee in der Hand draußen auf der Terrasse sitzen. Nachdem sie sich in der Küche selbst eine Tasse eingeschenkt hatte, gesellte sie sich zu ihm. Guten Morgen, begrüßte er sie fröhlich wie fühlst Du Dich? Guten Morgen, entgegnete sie es geht mir ganz gut. Bin nur ein bisschen müde. Kein Wunder bei der Nacht, sagte er. Ja, nickte Sarah zerknirscht und stellte sich zum wiederholten male vor, was sie wohl für einen Eindruck bei ihm hinterlassen hatte. Er schien sich darüber aber keine weiteren Gedanken zu machen sondern fragte Fühlst Du Dich fit für eine kleine Sightseeingtour? Oder willst Du lieber heute noch hier bleiben? Nein, Sightseeing klingt gut, entgegnete Sarah. Sie beschloss die vergangene Nacht einfach auf sich beruhen zu lassen. Wunderbar, ich kenne einen netten Laden, wo wir erstmal ordentlich frühstücken können und dann zeige ich Dir ein bisschen was von der Umgebung. Einverstanden? Einverstanden. Sie verbrachten einen wundervollen Tag bei strahlendem Sonnenschein. Das Frühstück viel typisch amerikanisch aus. Sie bestellten Berge von Eiern, Speck und Pfannkuchen mit Ahornsirup. Während sie genüsslich die riesigen Portionen verdrückten und sich über Gott und die Welt unterhielten, kamen zwei junge Mädchen von vielleicht dreizehn Jahren schüchtern kichernd an ihren Tisch und baten A.J. um ein Autogramm auf einer Papierserviette. Sarah lehnte sich belustigt zurück und beobachtete ihn dabei, wie er sich kurz mit den Mädchen unterhielt und dann mit schwungvoller Handschrift seine Unterschrift auf die Servietten setzte. Glückselig strahlend verließen die beiden dann den Tisch und nahmen im hinteren Teil des Lokales wieder Platz. Das restliche Frühstück lang blickten sie dann wie hypnotisiert zu ihrem Tisch hinüber und tuschelten und kicherten dabei. Du hast wirklich eine interessante Wirkung auf Frauen, bemerkte Sarah grinsend. Tja, das schwere Los, das jeder Popstar zu tragen hat, entgegnete er theatralisch und schob sich eine weiter Gabel Pfannkuchen in den Mund. Normalerweise will ich beim Essen meine Ruhe haben. Teilweise komme ich mir echt vor wie bei der Raubtierfütterung im Zoo. In New Orleans war ich einmal mit meiner Mum, meinem Onkel und Howie Mittagessen. Furchtbar. Die ganzen Fensterscheiben rund um das Lokal waren von Teenies besetzt, die sich die Nasen platt gedrückt haben um zu sehen wie wir essen. Ich habe mich total unwohl gefühlt. Hier geht es Gott sei Dank. Die meisten sind Stammgäste und kennen mich mittlerweile. Ich stelle es mir komisch vor, wenn Du Dich nicht mehr so einfach in der Welt bewegen kannst. Einkaufen oder Essen gehen ist bestimmt kein reines Vergnügen mehr. Stimmt, manchmal müssen wir regelrecht die Flucht ergreifen. Aber manchmal erkennt mich auch keiner. Dann kann ich mich fast wie ein normaler Mensch fühlen. Vermisst Du das manchmal, ein normaler Mensch zu sein? Manchmal, aber mittlerweile habe ich mich an dieses Leben gewöhnt. Es ist für mich sozusagen normal geworden. Solange mich die Fans nicht zu sehr bedrängen ist es auch ein tolles Gefühl, wenn Dich die Leute auf der Straße ansprechen. Es hat alles, wie immer, seine Vor- und Nachteile. Sie beendeten ihr Frühstück und machten sich auf den Weg und fuhren mit A.J.s Landrover durch die Stadt, wo er ihr die vielfältigen Sehenswürdigkeiten zeigte. Sie spazierten durch Downtown Orlando und Sarah bestaunte die kunstvoll angelegten Parkanlagen und Seen. A.J zeigte ihr das Charles Hosmer Morse Museum of American Art, in dem die weltgrößte Ausstellung von Glaskunst von Tiffany gezeigt wurde. Er bemerkte, daß heute wohl ein Glückstag sei, da sie nicht weiter von Fans angesprochen wurden. Sie fuhren an der Orlando Arena vorbei, in der die großen Baseball und Hockeyspiele stattfanden, auch die Backstreet Boys waren hier schon aufgetreten. Außerdem wies er sie auch auf die großen Vergnügungsparks wie Epcot Center, Seaworld und natürlich Disney World hin und versprach in den nächsten Tagen eines davon mit ihr zu besuchen. Er zeigte ihr die Highschool die er besucht hatte und die Kirche in der er früher im Kirchenchor gesungen hatte. Das Mittagessen ließen sie zu Gunsten eines ziemlich fade schmeckenden Hot Dogs ausfallen. Gegen fünf Uhr kamen sie dann erschöpft aber glücklich wieder zu Hause an. Sarah war beladen mit Mitbringseln für Jona, Katrin und ihre Kollegen. Während sie sich auf die Couch fallen lies und genüsslich ihre Tüten auspackte ging A.J. zu dem blinkenden Anrufbeantworter hinüber und drückte den Abspielknopf. Nach Nachrichten von seiner Mum, seiner Managerin und einer kurzen Erinnerung von Kevin, die Party heute Abend nicht zu vergessen, erklang plötzlich Jonas Stimme aus dem Lautsprecher. Hi Sarah, ähm, hier ist Jona. Ruf mich bitte dringend zu Hause an. Es ist wirklich wichtig. Sobald als möglich, egal wieviel Uhr, o.k.? Dann bis dann. Ein Piepsen verkündete, daß das die letzte Nachricht gewesen war. Sarah runzelte die Stirn. Es war garnicht Jonas Art so eine Panik zu verbreiten. Es musste wirklich etwas passiert sein. Ich nehme an, daß war für Dich, stellte A.J. grinsend fest ich finde Eure Sprache klingt so lustig. Das war Jona, entgegnete Sarah geistesabwesend Er scheint sich über irgendetwas ziemliche Sorgen zu machen. Ich werde ihn wohl gleich mal anrufen. A.J.s Lächeln erlosch und machte einem besorgten Stirnrunzeln platz. Wortlos reichte er ihr den Hörer des schnurlosen Telefons und mit fliegenden Fingern wählte sie Jonas Nummer. Nach dem zweiten Klingeln nahm er ab Hi ich bin's, was ist denn los? meldete sie sich Hi Sarah, endlich, ich sitze hier schon seit Stunden wie auf glühenden Kohlen. Was ist denn nur passiert? fragte Sarah besorgt Du wirst nicht glauben, wer mir heute über den Weg gelaufen ist. Aber vorher solltest Du Dich besser setzen. Ich sitze bereits, entgegnete Sarah ungeduldig und sah A.J. nach, der sich mit einem Glas Orangensaft diskret auf die Terrasse verzog. Ich habe heute Markus getroffen. Dieser Satz traf sie wie ein Hammerschlag direkt in die Magengrube. Für einige Sekunden blieb sie reglos sitzen und wartete darauf, daß ihr Herz wieder anfing zu schlagen. Wie bitte? hauchte sie dann und war sich doch sicher, daß sie ihn richtig verstanden hatte ich habe Deinen Ex-Mann gesehen, er ist mir in der Uni über den Weg gelaufen. Ich hätte ihn beinahe nicht erkannt, aber dann hat er mich direkt angesprochen. Glaub mir, am liebsten hätte ich ihm gleich eine reingehauen, aber ich konnte mich gerade noch beherrschen. Was wollte er, fragte Sarah mit zitternder Stimme. Er wollte wissen, wie es Dir so geht. Hat was davon gelabert, daß er die letzten Jahre in Brasilien verbracht hat und dann urplötzlich Heimweh bekommen hat. Ich habe ihn gefragt, wie er mich gefunden hat, aber darauf wollte er nicht antworten. Sarahs Hände begannen unkontrolliert zu zittern. Markus war wieder aufgetaucht, dieser Gedanke jagte immerwieder durch ihren Kopf. Er ist wieder da, er ist wieder da, er ist wieder... Sarah? Bist Du noch dran? J-a, aber ich verstehe das nicht, sagte sie verzweifelt Was will er denn auf einmal, nach all den Jahren? Wenn ich das wüsste. Ich glaube, er sucht Dich. Keine Ahnung was er vorhat. Aber Du bist nicht mehr mit ihm verheiratet, er hat keinerlei Rechte mehr und wenn er Dir auch nur zu nahe kommt, mache ich ihn fertig, antwortete Jona mit wilder Entschlossenheit in der Stimme. Das ist ja lieb, aber glaubst Du der Umstand, daß wir nichtmehr miteinander verheiratet sind, macht ihm irgendetwas aus? Er ist verrückt und brutal, keine Ahnung was ihm als nächstes einfällt. Was mach ich denn jetzt bloß? Ich denke, wir sollten auf jeden Fall der Polizei bescheid geben. Quatsch, denen ist das doch völlig egal. Du weißt doch, er wurde freigesprochen, er hat nichts verbrochen und darf ungestraft rumlaufen und mir das Leben zur Hölle machen. Hast Du eine bessere Idee? Nein, ich muss darüber nachdenken. Mein Gott, ich darf garnicht daran denken was passiert wäre, wenn ich ihm einfach so unvorbereitet auf der Straße begegnet wäre, Sarah fuhr sich mit der freien Hand über das Gesicht. Ich war mir erst nicht sicher, ob ich es Dir überhaupt erzählen soll. Immerhin bist Du momentan ziemlich weit weg und genießt Deinen ersten richtigen Urlaub seit Jahren. Du hast schon das Richtig gemacht. Besser ich kann mich hier in aller Ruhe auf zu Hause vorbereiten. Wie geht's Dir denn jetzt? fragte er vorsichtig, als hätte er Angst sie würde gleich zusammenbrechen ich glaube ich stehe etwas unter Schock, aber es geht schon entgegnete sie und betrachtete ihre Hände die nun schon nicht mehr ganz so sehr zitterten das beruhigt mich. Wirst Du es A.J. erzählen? Auf keine Fall, entgegnete sie erschrocken. Ich werde hier gemütlich meinen Urlaub verbringen. Markus hat mir lange genug das Leben zur Hölle gemacht, er hat hier nichts zu suchen, sie glaubte nicht wirklich an das was sie da sagte, doch sie wollte Jona nicht noch mehr beunruhigen. Scheinbar schien er ihr die Lüge abzukaufen denn er sagte Das ist die richtige Einstellung. Der Kerl kann uns mal. Ja, das kann er wirklich, Gut, ich muss dann los, ich bin noch mit Maja verabredet. Melde Dich bitte bald, vielleicht fällt uns ja doch noch irgendetwas ein. Ja sicher, doch sie glaubte nicht daran, irgendeinen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Markus war wieder da und wartete nur darauf, daß sie wieder nach Hause kam. Als sie aufgelegt hatte saß sie minutenlang wie versteinert da. In ihrem Kopf drehte sich alles und ihr war furchtbar kalt. Sie war sich so sicher gewesen, daß sie ihn nie wieder sehen würde. So sicher. Sie schüttelte den Kopf. Wie naiv sie doch gewesen war. Er hatte ihr gerade genug Zeit gelassen um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Plötzlich stieg Wut in ihr hoch. Wie konnte er es wagen wieder in ihr Leben zu treten und alles auf den Kopf zu stellen? Wer gab ihm das Recht einfach wieder aufzutauchen und sie in Angst und Schrecken zu versetzen? Plötzlich entsann sie sich, daß A.J. draußen auf der Terrasse saß und auf sie wartete. Er durfte auf keine Fall merken, wie sehr sie durch den Wind war. Sie beschloss einfach so zu tun, als sei alles nur ein Missverständnis gewesen oder, noch besser, sie würde ihm erzählen, Jona hätte Ärger mit seiner Freundin. Entschlossen stand sie auf und strich sich das Haar zurück. Sie straffte sich und setzte ein, wie sie hoffte, echt wirkendes Lächeln auf. Dann betrat sie die Terrasse. Männer, sagte sie betont fröhlich als sich A.J. mit fragendem Blick zu ihr umdrehte kaum haben sie Krach mit der Freundin, ist das schon der Weltuntergang, A.J. lächelte hab ein bisschen Mitgefühl. Manchmal kann das wirklich der Weltuntergang sein. Vielleicht. Ich werde mich jetzt auf jeden Fall noch ein Stündchen hinlegen, damit ich fit für heute Abend bin. Irgendwas ist anders an Eurer Luft. Ich könnte nur schlafen. Kein Problem, ich bin auch etwas geschafft vom vielen rumlaufen heute. Also dann bis später, Ja, bis später, und damit drehte sie sich herum und verschwand im Haus. |