Kapitel 18
Sarah hatte eine Stunde damit verbracht, sich in ihrem Bett von einer Seite auf die andere zu wälzen und über die neue Situation nachzudenken. Sie hatte sich versucht vorzustellen, wie es wohl sein würde, wenn sie Markus wieder gegenüber stand. Allein der Gedanke daran lies sie vor Angst zittern. Sie hatte ihn jetzt seit fünf Jahren nicht mehr gesehen und in ihrer Fantasie war er zu einem großen Monster geworden, das nur darauf wartete, wieder Macht über sie zu erlangen. Sie hatte versucht sich einzureden, daß er vielleicht mit den Jahren einsichtig geworden war und nur gekommen war, um sich bei ihr zu entschuldigen. Doch sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Jemand wie Markus entschuldigte sich niemals. Wie sie es auch drehte und wendete, sie kam immer wieder zu dem Schluss, daß er sie wieder in Besitz nehmen wollte, doch so leicht würde sie es ihm diesmal nicht machen. Ich bin eine selbstbewusste Frau geworden, sagte sie sich immer wieder er hat keine Chance. Soll er doch kommen, dann wird er sehen, was aus seinem armen, verschüchterten Hausmütterchen geworden ist. Der wird sich umgucken. Wenn er auch nur einen Finger rührt, bekommt er einen Tritt dahin, wo es wirklich weh tut. Dann wird er mich ganz sicher in Ruhe lassen. Sie wiederholte dies so oft, daß sie irgendwann anfing es selbst zu glauben. Als sie sich nicht mehr wie ein kleines Häufchen Elend fühlte stand sie auf um zu duschen. Dir werde ich es zeigen. Ich bin etwas wert und das wirst Du mir nicht mehr nehmen. Sie beschloss diesen Abend in vollen Zügen zu genießen und sich nicht weiter verrückt zu machen. Sie würde die schönste Frau heute Abend auf der Party sein und sie würde vor Selbstbewusstsein nur so strotzen. Die Männer würden sich nach ihr umschauen und sich zuflüstern hast Du die selbstbewusste Schönheit da drüben schon gesehen. Wer ist sie bloß? bei dem Gedanken daran musste Sarah kichern und schüttelte den Kopf. Manchmal hatte sie wirklich eine all zu blühende Fantasie. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte ging sie hinüber ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. Sorgfältig auf einem Bügel aufgehängt hing dort ihr blaues Kleid von der missglückten Preisverleihung. Sie wußte nicht mehr welcher Teufel sie geritten hatte, gerade dieses Kleid einzupacken, aber heute kam es ihr gerade recht. Sie nahm es heraus und breitete es auf ihrem Bett aus. Daneben legte sie ihre Sonntagsspitzenunterwäsche und stellte ihre flachen blauen Sandalen darunter auf den Boden. Zufrieden ging sie zurück um sich die Haare zu fönen. Einige Zeit später stand sie dann fix und fertig angezogen vor dem Spiegel. Sie hatte etwas Make-up aufgelegt um die Schatten unter ihren Augen und ihr blasses Gesicht zu kaschieren. Sie trug ihre Kontaktlinsen und die getuschten Wimpern ließen ihre Augen noch größer und ausdrucksstärker erscheinen. Sie zwinkerte ihrem Spiegelbild aufmunternd zu und verließ das Zimmer. Als sie oben auf dem Treppenabsatz stand, hörte sie A.J. von unter rufen Sarah, wir müssen bald los. Wie weit bist Du denn? Schon fertig, entgegnete sie und stieg dann langsam die Stufen zu ihm hinunter. Er erwartete sie am Fuße der Treppe und stieß einen leisen Pfiff aus, als er ihre langen Beine und das wundervolle Kleid samt seinem Inhalt bewunderte. Himmel, was hast Du mit meiner kleinen Sarah gemacht? fragte er mit gespielter Bestürzung. Sarah lachte die kleine Sarah wollte nicht mehr klein sein und hat zur Abwechslung mal den Vamp herausgeholt. Gefällt mir ausgesprochen gut, sagte er und reichte ihr seinen Arm. Sie hakte sich bei ihm unter und gemeinsam gingen sie hinaus zum Auto. Galant öffnete er ihr die Tür und sie stieg ein. Während er um den Wagen herumlief stellte sie fest, daß er ebenfalls sehr gut aussah. Er trug ein dunkles, kurzärmliges Hemd, daß ihm lose über den Bund seiner beigen weiten Hosen hing. Als er zu ihr in den Wagen stieg, roch sie sein herbes Aftershave. Du hast Dich aber auch ganz schön herausgeputzt, bemerkte sie, als A.J. langsam rückwärts aus der Einfahrt setzte. Naja, ich will neben Dir ja auch nicht wie ein Landei aussehen, entgegnete er und gemeinsam fuhren sie durch die Nacht, einer rauschenden Party entgegen. Die Party war der absolute Hammer wie Katrin sich ausgedrückt hätte. Sie hielten vor einem großen Gebäude im spanischen Kolonialstil. Durch einen Steingarten gelangten sie zu der weit offen stehenden Eingangstür. Dahinter war die Party schon in vollem Gang. Drei Stufen führten hinunter in das riesige Wohnzimmer. Sarahs Blick schweifte über die etwa fünfzig Gäste die in kleinen Gruppen zusammenstanden, sich unterhielten, auf der kleinen Tanzfläche in der Mitte tanzten oder sich über das Buffet hermachten. Der Raum wirkte noch nicht überfüllt, was zum einen sicherlich an der Größe lag und zum anderen an den großen Flügeltüren, die auf eine große Veranda hinaus führten. Auch dort sah sie weitere Menschen die sich gut zu amüsieren schienen. Leises Lachen und Gesprächsfetzen drangen an ihr Ohr. Das Licht im Raum war auf ein Minimum gedimmt, etliche Kerzen brannten in großen massiven Leuchtern die überall im Raum verteilt waren. Die Wand zu ihrer Rechten wurde fast vollständig von einer riesigen, chromglänzenden Bar eingenommen, hinter der zwei Barkeeper im weißen Smoking und schwarzer Fliege mit viel Geschick dabei waren, die exotischsten Drinks zu mixen. An der gegenüberliegenden Wand war ein riesiges Buffet aufgebaut, das sich unter der Last der vielen Speisen zu biegen schien. Auch dahinter standen Männer und Frauen um die Gäste zu bedienen. Hier und da hatte man hochbeinige, runde Bistrotische aufgestellt die alle mit weißen, schweren Tischdecken bedeckt waren. Über allem lag das leise Rauschen des Meeres, daß lauter wurde, sobald sie die Veranda betraten. Als Sarah sich einen Weg durch die Menge gebahnt hatte und an das Geländer trat, sah sie direkt hinunter auf einen feinen, weißen Sandstrand. Auch hier standen und tanzten weitere Gäste im Schein von unzähligen Fackeln. Dahinter konnte sie das Meer erkennen, dunkle Wellen mit weißen Schaumkronen brachen sich grollend an vereinzelten riesigen Felsbrocken. A.J. war neben sie getreten und legte ihr sanft den Arm um die Hüfte. Und, was sagst Du? Es ist wunderschön hier, entgegnete Sarah schwärmerisch das verspricht eine wirklich tolle Party zu werden, A.J. lächelte sie an das glaube ich auch. Für einen Moment sahen sie sich tief in die Augen und Sarah vergaß alles andere um sich herum. A.J., altes Haus, schön das Du da bist, dröhnte es plötzlich hinter ihnen willst Du mir nicht Deine wunderhübsche Begleitung vorstellen, ein Bär von einem Mann pflügte durch die Menge der tanzenden Gäste und kam direkt auf sie zu. Sein Gesicht war schwarz wie Kaffee und eine Flut von Rastalocken umrahmte sein bärtiges Gesicht. A.J. und er umarmten sich herzlich, wobei A.J. förmlich in seinen Armen zu verschwinden schien. Sarah, das ist unser Gastgeber Angus, stellte A.J. sie einander vor Angus das ist meine Freundin Sarah aus Deutschland, Angus? fragte Sarah wie Angus Young von ACDC? Genau wie der, nur nicht ganz so weiß, sagte er und lachte dröhnend über seinen Scherz. Dann drückte er auch Sarah an sich. Ihr Arme reichten kaum von einer Seite zur anderen und ihr Kopf ruhte unterhalb seiner Brust. Schön Dich kennen zu lernen, sagte er und ließ sie los A.J.s Freunde, sind auch meine Freunde. Also, wenn ihr irgendetwas braucht, sagt mir bescheid, und mit diesen Worten verschwand er wieder in der Menge um die nächsten Gäste zu begrüßen. Angus war mal ein sehr erfolgreicher Boxer. Dann ist er an der Börse zu einer Menge Geld gekommen und seitdem genießt er das Leben in vollen Zügen, erzählte A.J. er ist der großzügigste Mensch den ich kenne und wie Kev schon sagte, sind seine Strandpartys legendär. Das kann ich mir inzwischen lebhaft vorstellen, entgegnete Sarah grinsend ob die anderen wohl schon da sind? fragte sie dann. Schwer zu sagen. Sie werden uns aber gewiss finden. So war es dann auch. Nacheinander trafen Nick, Howie, Brian, Leighanne, Kevin und Kristin ein. Sie unterhielten sich darüber, was A.J. und Sarah den ganzen Tag gemacht hatten, sie zeigten Sarah eine Menge Leute die sie kanten und erzählten zu jedem eine nette kleine Geschichte. Das da drüben ist Lisa, sagte Nick grinsend und deutete auf eine schlanke, rothaarige Frau die scheinbar um ihr Leben zu tanzen schien gib ihr zwei Tequila und drei Bier und sie tanzt nackt auf dem Tisch, und das da drüben, Howie deutete auf einen Mann Ende dreißig der mit untergeschlagenen Beinen im Sand saß ist Mark. Letztes Jahr war er auch auf dieser Party und wollte spät nachts noch unbedingt im Meer schwimmen gehen. Er hat es leider nicht mehr ganz zurück geschafft und so ist die halbe Partygesellschaft ins Wasser gesprungen um ihn zu retten. Sarah hörte staunend und belustigt zu. Und das da ist Sam, A.J. deutete mit dem Kopf auf einen hochgewachsenen, muskulösen Mann mit einem kantigen Gesicht und Glatze er war auf unserer Tour dabei und hat für die Sicherheit gesorgt. Wir mussten ihn dann leider rausschmeißen, nachdem rauskam, daß er heimlich an den benutzten Slips unserer Tourmanagerin schnupperte und auch einige davon in seinem Zimmer gehortet hatte. Sie fühlte sich irgendwie nicht mehr sicher bei ihm, was ich voll und ganz verstehen kann, entgegnete Sarah angewidert und beschloss diesem Verrückten aus dem Weg zu gehen. So ging es weiter, bis Sarah die Eigenarten der halben Partygesellschaft kannte. Immerwieder kamen Leute auf sie zu, begrüßten die Jungs und wurden Sarah vorgestellt. Einige blieben eine Weile bei ihnen stehen, andere gingen gleich weiter um auf die Nächsten mit lautem Hallo zuzustürzen. Irgendwann beugte A.J. sich zu ihr hinüber und sagte lass uns tanzen gehen.. Als sie nickte nahm er sie bei der Hand und führte sie die Stufen zum Strand hinunter. Hier unten bemerkte sie das erste Mal ein großes Pult hinter dem ein junger Mann von anfang zwanzig in weiten Khakishorts und hautengem T-Shirt stand. Er hatte sich einen Kopfhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt und hantierte an einem Plattenspieler herum. Dabei wippte er ausgelassen zum Takt der Musik. Das ist Phillip, er ist momentan der angesagteste DJ weit und breit, brüllte ihr A.J. über die laute Musik hinweg ins Ohr. Sarah nickt nur und gab sich dann ganz der Musik hin. Eine Stunde tanzten sie ohne Unterbrechung. A.J. war ein hervorragender Tänzer und immerwieder zog er Sarah ganz nah zu sich heran und gemeinsam wiegten sie sich im Takt der schnellen Rhythmen. Als Sarah langsam begann außer Puste zu kommen, legte Phillip ein langsames Lied auf. Die ersten Töne von All I have to give von den Backstreet Boys erklang aus den Boxen und A.J. grinste er weiß sicherlich nicht, daß wir hier sind. Sonst würde er das nicht spielen. Auf Angus Partys ist es eigentlich verboten die Musik der anwesenden Gäste zu spielen. Damit sich keiner benachteiligt fühlt, falls keines seiner Stücke gespielt wird, erklärte A.J. dicht an ihrem Ohr. Sarah war das egal. Es war eines ihrer Lieblingslieder und wie selbstverständlich schmiegte sie sich in A.J.s Arme. Leise sang er den Text mit. I dont know what he does to make you cry but I will even make you smile I dont have a fancy car to get to you I walk a thousand miles I dont care if he buys you nice things does his gifts come from the heart? I dont know but if you where my girl I make it so we never been apart But my love is all I have to give without you I dont think I could live I wish I could give the world to you but love is all I have to give When you talk does it seems like hes not even listen to a word you say? thats o.k. baby so tell me your problems I try my best to kiss them all away Does he leave when you need him the most? does his friends get all your time? Baby please Im on my knees praying for the day that youll be mine Der Text erinnerte sie irgendwie wieder an Markus, an all die Dinge, die er ihr angetan hatte und wie sehr sie in dieser Zeit gehofft hatte, es würde jemand kommen, jemand in einer strahlenden Rüstung, der sie von diesem Monster befreite und der ihr die große Liebe und Geborgenheit schenken konnte, die sie so sehr vermisste. Sie rückte ein Stück von A.J. ab und sie sah seine Lippen die Worte love is all I have to give formen. Er sah ihr dabei tief und ernst in die Augen, so als meinte er diese Worte wirklich und nicht als sänge er einfach einen Song mit. Das war zuviel für Sarah. Ihre Verdrängungstaktik war komplett fehlgeschlagen. Tränen schoßen ihr in die Augen. Sie riß sich von A.J. los und bahnte sich einen Weg durch die tanzenden Menschen um sie herum. Dabei ging sie nicht gerade rücksichtsvoll vor, sondern setzte ihre Ellbogen und Schultern ein um sich zu befreien. Endlich hatte sie es geschafft und hatte nun den dunklen und menschenleeren Strand vor sich. Sie begann zu laufen. Immer schneller flogen ihre Füße über den feuchten Sand. Schnell brannten ihre Lungen von der Anstrengung, doch sie konnte nicht anhalten. Sarah, hörte sie plötzlich A.J. hinter sich rufen, bitte bleib doch stehen. Doch sie hörte nicht auf ihn sondern verdoppelte noch ihr Anstrengung. Plötzlich wurde sie herumgerissen. A.J. hatte sie eingeholt und umfasste mit beiden Armen ihre Taille. Lass mich los, stieß Sarah mit tränenerstickter Stimme hervor und versuchte sich von ihm zu befreien. Dabei trommelte sie mit ihren Fäusten gegen seine Brust. Lass mich endlich los, versuchte sie es nocheinmal. Nein, erst wenn Du mir verdammt noch mal endlich sagst was los ist, entgegnete er heftig und hielt sie weiter fest. Gedanken und Bilder schossen Sarah wirr und zusammenhanglos durch den Kopf. Jona, wie er verkündete, daß Markus wieder da war, A.J. wie er versucht hatte, sie in der Küche zu küssen, Markus wie er drohend über ihr stand, die Hände zu Fäusten geballt, Szenen im Krankenhaus, nachdem er malwieder zu fest zugeschlagen hatte, wie A.J. sie nach ihrem Albtraum getröstet hatte, das wohlige Gefühl daß sie danach hatte, als sie sich in seine Arme kuschelte. Plötzlich erstarb ihr Widerstand, er verpuffte einfach und Sarahs Beine gaben unter ihr nach. Gemeinsam sanken sie hinunter auf den Sand. A.J. hielt sie noch eine Moment im Arm, dann schob er sie ein Stück von sich und strich ihr sanft einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er sah ihr lange und tief in die Augen vertrau mir einfach, sagte er dann eindringlich und diese drei Worte brachten dann endgültig Sarahs mühsam aufrecht erhaltene Mauer des Schweigens zum Einsturz. Sie seufzte schwer und setzte sich mit angezogenen Knien ihm gegenüber. Sie schlang die Arme um die Beine, sah hinaus aufs offene Meer, daß sie irgendwie beruhigte, und begann ihm ihre Geschichte zu erzählen: Ich war mal verheiratet. Zwei Jahre, drei Monate und fünf Tage und es war die Hölle auf Erden. Ich lernte Markus mit siebzehn auf einer Party kennen. Er war damals dreißig und schon ein sehr erfolgreicher Arzt. Er hatte seine eigene Praxis, ein Haufen Kohle, ein wunderbares Haus am See und ein unheimlich schickes Auto. Er war nett und charmant und hat mich sozusagen von der ersten Minute an um den Finger gewickelt. Ich habe ihn geliebt, das habe ich wirklich, und als er mich ein paar Wochen später fragte, ob ich ihn heiraten wollte, hielt ich das für eine gute Idee. Meine Eltern waren natürlich dagegen. Er sei viel zu alt für mich und außerdem hätte er sowas bedrohliches an sich, hat meine Mutter immer gesagt, ich hätte besser auf sie gehört, Sarah schluckte kurz und sah zu A.J. hinüber. Er hatte den Kopf schräg gelegt und hörte ihr aufmerksam zu. Sie wandte den Blick wieder ab und sah hinaus auf das dunkle Wasser an meinem achtzehnten Geburtstag haben wir dann geheiratet. Es war eine ganz kleine Feier, nur die engsten Freunde und Verwandten, meine Mutter hat die ganze Zeit nur geweint. Nach dem Abendessen hat sich dann auch alles ziemlich schnell aufgelöst und Markus und ich haben unsere Sachen geschnappt und sind nach Österreich in ein nettes kleines Landhotel gefahren. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nie mit einem Mann geschlafen und ich fand es irgendwie total romantisch. So wie es eben sein sollte, in der Hochzeitsnacht das erste Mal mit Deinem Ehemann. Ich war vorher tagelang in der Stadt unterwegs gewesen um das perfekte Negligé für dieses Ereignis zu finden und habe die Hälfte meines Azubigehaltes dafür hingeblättert. Als wir auf unserem Zimmer ankamen wollte ich schnell ins Bad und mich für ihn hübsch machen, aber er sagte nur zieh Dich aus und leg Dich hin, ich habe versucht ihm zu erklären, daß ich etwas ganz besonders vorhätte, aber er hat mir garnicht zugehört und mich dann einfach gepackt und auf das Bett geworfen, Sarah schloss für einen Moment die Augen, als sie an diese längst vergangene Nacht zurück dachte. es war furchtbar, ich hatte Schmerzen, aber ihm war das egal, neben sich hörte sie A.J. mein Gott, flüstern doch sie sprach weiter, ohne ihn anzusehen die vierzehn Tage unserer Flitterwochen waren nicht nur furchtbar. Wir haben romantische Ausflüge gemacht und die meiste Zeit war Markus auch wirklich sehr lieb zu mir, aber im Bett wurde er regelmäßig zum Tier. Unerfahren wie ich war dachte ich, ich würde mich sicherlich noch daran gewöhnen sie schüttelte den Kopf und seufzte erneut als wir wieder nach Hause kamen fingen dann ziemlich bald seine Wutausbrüche an. Ich weiß bis heute nicht warum, aber er war irgendwie immer wütend. Am Anfang versuchte ich ihm alles recht zu machen, aber nichts war gut genug für ihn. Ich gab meinen Job auf, ich brach den Kontakt zu meinen Freunden und meiner Familie ab. Ich sorgte dafür, daß das Essen rechtzeitig auf dem Tisch stand und ich hielt unsere Wohnung blitz blank. Aber es reichte nie. Immer fand er irgendetwas, was ihn rasend machte. Er hat mich regelmäßig grün und blau geprügelt. Manchmal aus den nichtigsten Anlässen heraus. Ein paar Mal musste ich deshalb ins Krankenhaus, Milzriß, einige gebrochene Rippen, ein gebrochener Arm, eine Fehlgeburt. Das mit dem Baby war nicht so schlimm. Ich wollte es sowieso nicht haben. Was hätte es denn vom Leben zu erwarten gehabt? Ich wollte nicht, daß es so leiden musste wie ich. Sie schwieg einen Moment, als sie an dieses ungeborene Leben zurückdachte. Dann nickte sie, es war besser so gewesen. Sie warf wieder einen Blick zu A.J. hinüber. Sie erschrak, als sie Tränen über seine Wangen laufen sah. Sie streckte die Hand aus und wischte sie ihm sanft weg. Er schüttelte den Kopf. Wieso so lange? fragte er mit tränenerstickter Stimme ich weiß es ehrlich gesagt nicht so genau. Ich denke, ich war in gewisser Weise von ihm abhängig. Ich hatte kein Geld, keine Familie, keine Freunde, nur ihn. Ich wußte nicht wohin und so bin ich eben geblieben. A.J. zog ein zerknülltes Taschentuch aus seiner Hosentasche und schnäuzte sich eines Tages war ich in einem Supermarkt gleich bei uns um die Ecke einkaufen. Ich stand hinter einer Frau an der Kasse, die ein kleines Mädchen an der Hand hielt. Die Kleine wollte unbedingt das Süßigkeitenregal ausräumen und die Frau war schon ganz verzweifelt, weil sie es nicht schaffte das Kind davon abzuhalten und gleichzeitig ihre Waren auf das Rollband zu legen. Sie flehte das Kind an bitte, sei doch vernünftig, wenn wir nicht rechtzeitig nach Hause kommen, schimpft Dein Vater wieder mit uns. Das wollen wir doch nicht, oder? und dann drehte sie sich zu mir herum und ich sah hinter ihren dunklen Brillengläsern ihr blaues Auge das total zugeschwollen war und ich erkannte sozusagen mein eigenes Spiegelbild. Markus hat mich nie ins Gesicht geschlagen. Er hielt sich für besonders schlau, da mir niemand ansah, was er mir antat. Doch mein restlicher Körper sah ungefähr so aus, wie das Auge dieser Frau und ich beschloss in diesem Moment, daß er soetwas nie wieder mit mir machen würde. Ich ging nach Hause, er war schon da und saß am Esstisch und arbeitete an irgendwelchen Papieren. Ich sagte ihm, ich würde ihn verlassen und da ist er komplett ausgeflippt. Es endete damit, daß er mich gegen die Wand presste und mir die Luft abdrückte, geistesabwesend fasste sich Sarah an die Kehle ich dachte wirklich, er würde mich umbringen. Aber scheinbar gibt es doch eine Gott, denn kurz bevor ich das Bewusstsein verlor, hat er mich losgelassen. Seinen Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen. Er sah richtig bestürzt aus. Ich bin dann auf allen vieren aus der Wohnung gekrabbelt und bin mit einem Taxi zu meinen Eltern gefahren. Sie waren großartig. Sie haben mich sofort mit offenen Armen empfangen und mein Vater ist noch am selben Abend zur Polizei gegangen und hat ihn angezeigt. Sarah hielt erneut inne als sie an ihre Eltern dachte, die nun auch nicht mehr bei ihr sein konnten. Komm her, flüsterte A.J., als ihr erneut Tränen über die Wangen liefen. Er zog sie in seine Arme und sie ließ es gerne zu. Sanft strich er ihr über das Haar. Was ist dann passiert? fragte er. Nicht viel. Es gab einen Prozess und er wurde freigesprochen, Was? fragte A.J. entsetzt aber warum? Tja, das frage ich mich heute auch noch. Er hatte gute Anwälte, wahrscheinlich die besten, die man für Geld bekommen konnte. Sie haben mich sozusagen als Lügnerin hingestellt. Da ich im Krankenhaus immer gesagt hatte ich wäre die Treppe heruntergefallen oder ähnlichen Schwachsinn, argumentierten sie, daß ich entweder dort gelogen hatte, also warum sollte ich jetzt die Wahrheit sagen, oder ich hatte dort die Wahrheit gesagt, dann hatte mich ihr Mandant auch nicht angerührt. Tja, es hat gereicht, daß er frei kam. Mein Gott, so eine Sauerei, Das kannst Du laut sagen. Er hat uns dann noch eine Weile tyrannisiert. Tauchte mitten in der Nacht auf oder hat angerufen und uns aufs übelste beschimpft. Nach und nach sind ihm seine Patienten weggelaufen. Es sprach sich herum, daß er vielleicht seine Frau misshandelt hatte und keiner wollte zum Schluss noch etwas mit ihm zu tun haben. Er ist ausgewandert. Wir bekamen irgendwann eine Postkarte aus Brasilien. Ich war zwei Jahre in Therapie. Ein halbes Jahr in einer Klinik, danach bei einem Therapeuten im Nachbarort. Ihm habe ich auch zu verdanken, daß ich einigermaßen normal geblieben bin. Abgesehen vielleicht davon, daß ich immernoch nicht mit anderen darüber rede und mich normalerweise weigere unbekannte Männer am anderen Ende der Welt zu besuchen, schloss sie lächelnd ihren Bericht. Eine Weile saßen sie schweigend da und hörten auf das Rauschen der Wellen. Er ist jetzt wieder aufgetaucht, brach Sarah dann das Schweigen der Anruf von meinem Bruder heute nachmittag, er hat mir gesagt, er hätte Markus an der Uni getroffen. Er hat sich wohl nach mir erkundigt. sie stockte Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich habe solche Angst davor, ihm wieder zu begegnen. A.J. umfasste sie fester kann die Polizei nicht etwas tun? Nein, er hat mir ja so zu sagen nichts getan. Die greifen erst ein, wenn es schon zu spät ist. Wir haben es damals auch versucht, als er uns so lange belästigt hat. Sie haben ihm nur mit einer Anzeige wegen Landfriedensbruch gedroht. Im Endeffekt ist aber nichts passiert. Unglaublich, sie spürte, wie A.J. hinter ihrem Rücken den Kopf schüttelte. Bleib doch einfach hier, sagte er dann schlicht dann kann er da drüben warten, bis er schwarz wird. Sarah musste gegen Ihren Willen lächeln. Wenn es nur so einfach wäre, danke für das Angebot, aber ich denke nicht, daß das der richtige Weg ist. Er seufzte Du hast ja recht, aber der Gedanke gefällt mir nicht, das Du zurück fährst und direkt in seine Arme läufst. Glaub mir, ich könnte mir auch schöneres vorstellen, erwiderte sie ironisch ich vertraue einfach darauf, daß ich jetzt wesentlich stärker bin als damals. Vielleicht lässt er mich in Ruhe, wenn er merkt, daß er mit mir nicht mehr so umspringen kann wie damals. Sie glaubten beide nicht daran, doch keiner von ihnen sprach es aus. Ich habe das noch nicht einmal Katrin erzählt, sagte Sarah nach einer Weile leise. Warum nicht? Ich denke, ihr seid so gut miteinander befreundet? fragte A.J. interessiert Das sind wir auch, doch ich habe es nie über mich gebracht. Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich von ihm rede, dann ist er irgendwie präsent. Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll, nachdenklich hielt sie inne Ich kann das gut verstehen. Besser nicht über etwas reden, sonst wird es wahr, faste A.J. ihre Gefühle in Worte Genau. Sie hat auch nie irgendwie nachgebohrt. Sie hat zwar schon ab und zu Bemerkungen gemacht, aber ziemlich schnell aufgegeben, wenn sie merkte, daß ich darüber nicht reden will. Das bewundere ich wirklich an ihr, sie hat eine unendliche Geduld mit mir. Warum hast du es dann mir erzählt? Gute Frage, Sarah dachte einen Moment darüber nach. Ich glaube, es sind einfach die Umstände, die alle auf einmal zusammen gekommen sind. Der Ärger in der Firma und Markus, der aus heiterem Himmel wieder aufgetaucht ist. Die vielen neuen Eindrücke und dann auch noch dieses Lied. Ich mag es wirklich, aber es hat mich an die Zeit erinnert, die ich mit Markus hatte. Naja, und dann bist Du ja auch nicht gerade der Typ, der schnell aufgibt wenn er etwas wissen will. A.J. lachte leise da hast Du wohl recht. Neugier ist, glaube ich, eine Familienkrankheit bei uns. Das Gleiche hat Kathy auch schon gesagt, entgegnete Sarah grinsend so langsam glaube ich, daß sie damit recht hatte. Sie lachte und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Schweigend sah sie hinaus in den Nachthimmel, an dem millionen von Sternen zu funkeln schienen. Ich wünschte, es könnte immer so sein wie jetzt. So friedlich, ich fühle mich hier wirklich sicher, mit einem Seufzer löste sie sich aus seiner Umarmung und stand auf. Sie klopfte sich den Sand vom Kleid und sah zu ihm hinunter Lass uns zurück gehen. Ich glaube ein bisschen Party tut mir jetzt ganz gut. A.J. erhob sich ebenfalls. Seite an seite gingen sie langsam den Weg zum hellerleuchteten Strandhaus zurück . Sarah war erstaunt darüber, wie erleichtert sie war, daß sie A.J. alles erzählt hatte und vorallem wie leicht es ihr gefallen war. Ein halbes Jahr E-Mail-Freundschaft und zwei Tage mit ihm hatten ausgereicht, daß sie ihm ihr tiefstes Geheimnis anvertraut hatte. Sie betrachtete ihn von der Seite während sie so über den feuchten Sand schlenderten. Er schien tief in Gedanken versunken und sah beim Gehen hinunter auf seine Füße, die Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben. Wiedermal schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, wie begehrenswert er doch war und die Art, wie er auf ihre Vergangenheit reagiert hatte, machte ihn nur noch liebenswerter. Sie fragte sich, was er jetzt wohl über sie dachte. Würde er sich von ihr zurückziehen? Immerhin war sie sozusagen beschädigte Ware und nicht das einfache, lebenslustige Mädchen, daß er vielleicht glaubte gekannt zu haben. Sicherlich würde er in Zukunft nicht mehr versuchen ihr nahe zu kommen oder sie gar zu küssen. Einerseits beruhigte sie der Gedanke, andererseits hatte sie das Gefühl, etwas verloren zu haben noch bevor sie es richtig besessen hatte. Sie konzentrierte sich wieder auf die Lichter vor ihr, die jetzt nicht mehr weit entfernt waren. Gleich würde sie wieder in die reale Welt zurückkehren und sie versuchte die Gedanken an Markus und ihre romantischen Gefühle gegenüber A.J. zu verdrängen. Sie nahm sich vor, A.J. einfach als das zu betrachten was er war, ein Freund und nichts weiter. Sie würde ihren Urlaub hier genießen und in einigen Tagen mit schönen Erinnerungen nach Hause zurückkehren. |