Kapitel 2
"Lieber A.J.," schrieb sie in ihrem besten Schulenglisch. "Das ist doch Quatsch, ich kenn ihn ja noch nicht mal," entschlossen löschte sie die gerade getippten Worte und begann von neuem "Hi," " viel zu kurz und unpersönlich," auch diese zwei Buchstaben löschte sie wieder und starrte dann missmutig auf den blinkenden Cursor auf der noch leeren Seite. "Na super, wenn das weiter so geht, bin ich morgen früh noch nicht fertig," sie sah auf ihre Armbanduhr und stellte fest, daß es schon halb zehn vorbei war. "Toll, ich werde morgen am Schreibtisch einschlafen." Entschlossen setzte sie die Finger auf die Tasten und begann von Neuem "Hallo A.J., ich bin Sarah und habe zufällig Dein Mail an Peter erhalten. Du solltest vielleicht doch ab und zu mal Deine Empfängeranschrift überprüfen, bevor Du Deine Mails versendest ;-). Ich war überrascht, das auf der Bühne zu stehen besser sein soll als Sex, das muss wirklich gewaltig sein ;-). Ich könnte mir allerdings nicht vorstellen vor hunderten (oder tausenden, oder millionen?) Menschen zu stehen und zu singen, alle achten auf Dich und jeder sieht und hört den kleinsten Fehler, ziemlich gruselig, oder? Wenn ich Glück habe, hast Du noch nicht gelangweilt aufgegeben meine Mail zu lesen (noch dazu in diesem hochgestochenen british-english) und ich kann Dir noch schnell erklären warum ich Dir diesen ganzen Mist hier eigentlich schreibe. Wahrscheinlich denkst Du, ich bin ein weiterer ausgeflippter Fan, der zufällig das Glück hatte, eine verirrte Mail von Dir zu bekommen. FALSCH! Ehrlich gesagt, weiß ich nochnichteinmal genau wer Du eigentlich bist. Meine Freundin Katrin hat da so eine Vermutung, aber ich bin mir da nicht so sicher. Wie Du Dir sicher denken kannst, habe ich Deine Mail gelesen (zur Erinnerung schicke ich sie Dir unten nochmal mit, damit Du auch weißt, wovon ich rede), ich entschuldige mich auch tausend mal dafür, ich weiß, sowas tut man nicht, aber das ist wohl eine Frauengeschichte (Neugier und so). Ich konnte mich sehr gut in Deine Lage, was das morgendliche Aufstehen betrifft, hinein versetzen. Mir ging es eine ganze Weile ganz ähnlich (über zwei Jahre um genau zu sein). Das ich morgens überhaupt aus dem Bett gekommen bin habe ich einem kleinen, relativ simplen Trick zu verdanken. Es gab immer etwas auf das ich mich freuen konnte und sei es auch nur eine gute Tasse frischgebrühten Kaffees bei der morgendlichen Lektüre der Zeitung. Wenn ich alleine zu Hause war und meine Ruhe hatte, war es das größte eine CD einzulegen und zu meiner Lieblingsmusik zu tanzen. Der Gedanke daran hat mich jeden Morgen aus dem Bett geholt, egal wie schlimm der Tag auch wurde, es gab immer Momente des Glücks und waren sie auch noch so kurz. Daran habe ich mich festgeklammert und es hat meistens funktioniert. Vielleicht probierst Du es ja mal aus? Ich hoffe ich bin Dir nicht zu nahe getreten. Das ist nicht meine Absicht. Aber ich weiß, was es für ein Gefühl ist aufzuwachen und festzustellen, daß man lieber überall anders auf der Welt wäre als gerade in diesem Bett mit der Last des neuen Tages auf der Bettdecke. Apropos Bettdecke, ich denke meine wartet schon sehnsüchtig auf mich. Also, ich würde mich freuen, wenn Du mir berichten würdest ob mein kleiner Tip geholfen hat. Liebe Grüße, Sarah." Zufrieden lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück. Geschafft, und das auch noch relativ zügig. Sie zündete sich eine weitere Zigarette an und las nochmal den gerade geschriebenen Text. Je länger Sie davor saß, desto stärker wurde das Gefühl, die Mail zu löschen und das Ganze einfach auf sich beruhen zu lassen. Schnell klickte sie auf "senden". Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie stellte überrascht fest, das ihr Herz schnell und laut gegen ihre Rippen hämmerte. "Du führst Dich auf wie ein kleines Schulmädchen,"schimpfte sie mit sich "Du hast nur einem netten jungen Mann eine E-mail geschickt. Wenn er sich nicht mehr meldet war es das eben." Sie widerstand der Versuchung noch eine Weile online zu bleiben um zu sehen, ob er ihr vielleicht gleich antworten würde und beendete die Internetverbindung. Sie brachte die Tasse mit dem kalten Rest Kaffe in die Küche und stellte sie in die Spülmaschine. Sie leerte den Aschenbecher und begab sich in ihr Schlafzimmer. Als sie dann wenig später gewaschen und mit geputzten Zähnen im Bett lag, dachte sie daran, was sie da eigentlich getan hatte. Sie hatte sich einfach in das Leben eines anderen eingemischt. Ob Star oder nicht, sowas mochte doch niemand gerne. Das war normalerweise auch nicht ihre Art. Sie konnte es selbst nicht leiden, wenn das jemand bei ihr tat. "Du solltest Deine Empfängeranschrift ab und zu überprüfen, bevor Du Deine Mail abschickst, so ein Schwachsinn. Ich klinge wie meine Religionslehrerin in der Grundschule. Er wird mich hassen." Mit einem gequälten Laut drückte sie ihr Gesicht in die Kissen und schloss die Augen. "Ist ja nun nicht mehr zu ändern, warten wir ab, ob er sich meldet," versuchte sie sich selbst zu trösten und im nächsten Moment war sie auch schon eingeschlafen. |