Kapitel 3
Am nächsten Morgen weckte sie der Radiowecker um 5.00 Uhr. Sie fühlte sich, als wäre sie gerade erst eingeschlafen. Ihr erster Gedanke galt dem Mail das sie gestern abgeschickt hatte. Sofort war sie hellwach. Scheinbar funktionierte ihr alter Trick heute immernoch so gut wie früher. Sie schlug die Bettdecke zurück und begab sich ins Bad um erstmal ausgiebig zu duschen. Während sie so unter dem heißen Wasserstrahl stand musste sie sich eingestehen, daß sie mehr als neugierig war, ob A.J. sich wohl melden würde. Doch das musste warten. Sie hatte heute einige wichtige Termine in der Arbeit, zu denen sie nicht zu spät kommen durfte und so würde sie sich wohl bis heute abend gedulden müssen. Sarah arbeitete seit 10 Jahren für die gleiche Bank. Ausgenommen die zwei Jahre als sie für Markus das Hausmütterchen gespielt hatte natürlich. Ihr damaliger Chef war entsetzt gewesen, als sie mit 18 Jahren kündigte um sich ganz um ihren Ehemann zu kümmern. Nach zwei Jahren und um einige Erfahrungen reicher, hatte sie wieder bei ihrem Chef auf der Matte gestanden und ihn um einen Job gebeten. Er gab ihr tatsächlich nochmal eine Chance. Dafür war sie ihm bis heute mehr als dankbar. Seit dem war es mit ihrer Karriere steil bergauf gegangen. Mittlerweile war sie vom Kassenschalter der Filiale in einem Provinznest in die Zentrale nach Frankfurt aufgestiegen und arbeitete nun als Projektmanagerin. Ihre Aufgabe bestand darin, neue Programme und Produkte von der Idee bis zur Einführung zu begleiten. Sie fungierte als Vermittlerin zwischen den einzelnen Abteilungen, die in solche Projekte involviert waren, brachte eigene Ideen mit ein und hatte durch ihren Einsatz mittlerweile eine Reihe ihrer "Babys" auf den Weg gebracht. Sie wählte einen hellgrauen Hosenanzug und einen bordeauxroten Kurzarmpullover mit Rollkragen aus ihrem überfüllten Kleiderschrank. Ein guter Eindruck war alles. Eine Tasse Kaffe und zwei Toasts mit Honig später verließ sie ihre Wohnung und machte sich an die einstündige Autofahrt zu ihrem Arbeitsplatz. Sie hatte sich in der Anfangszeit überlegt, ob sie nach Frankfurt ziehen sollte. Immerhin hätte sie sich dadurch viel Zeit und Fahrtkosten gespart. Doch damals hatte sie sich so wohl in dem kleinen Ort, in dem sie jetzt immernoch lebte, gefühlt, daß sie dort nicht weg wollte. Außerdem wohnte das letzte bisschen Familie das sie noch hatte keine 10 Gehminuten von ihr entfernt. Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Jona war nach dem Tot ihrer Eltern der wichtigste Mensch in ihrem Leben und so hatte sie sich gegen Frankfurt entschieden. Gegen halb acht fuhr sie in die Tiefgarage der Bank ein. Als sie aus dem Wagen stieg war sie wiedereinmal froh, daß ihr Arbeitgeber hier unten vor einem halben Jahr Frauenparkplätze eingerichtet hatte. Es beruhigte sie zu wissen, daß das wachsame Auge der Überwachungskamera jeden ihrer Schritte das kurze Stück bis zum Fahrstuhl mitverfolgte und ihr Carlos der Wachmann jederzeit zur Hilfe eilen konnte. Trotzdem fühlte sie sich erst richtig sicher, als sich die Fahrstuhltüren im 35. Stock öffneten und sie wohlbehalten den langen Gang zu ihrem Büro hinunterschritt. Wie fast jeden Morgen war sie eine der Erste, die Büros an denen sie vorbei kam waren weitgehend leer und ihre beiden Kollegen, die sich mit ihr ein Zimmer teilten, kamen meistens so gegen halb neun. In Ihrem Büro angekommen schaltete sie als erstes ihren Computer ein und ging dann in die kleine Küche nebenan um Kaffee aufzusetzen. Als sie wenig später mit einer dampfenden Tasse an ihrem Schreibtisch saß, genoss sie die erste Zigarette des Tages bei offenem Fenster. Waren ihre Kollegen erstmal eingetroffen, herrschte hier striktes Rauchverbot. Ihr Meeting hatte sie um zehn Uhr und so griff sie zu den Unterlagen die sie dafür vorbereitet hatte, um noch mal alle Einzelheiten durchzugehen. Nach und nach füllte sich die Etage mit Mitarbeitern und damit mit den üblichen Arbeitsgeräuschen. Telefone klingelten, Gesprächsfetzen wehten in ihr Büro und Kollegen schauten bei ihr herein um ihr einen guten Morgen zu wünschen. Um kurz nach halb neun betrat ihr Kollege Christian Schneider das Büro. Er stellte seine Aktentasche unter den Schreibtisch, schaltete seine Computer ein, lies sich mit einem Seufzer in seinen Schreibtischstuhl sinken und legte die Füße auf den Tisch. "Morgen Sarah," "Morgen Christian, sieht aus als hättest Du eine harte Nacht hinter Dir," antwortete Sarah mit einem Blick auf die dunklen Ränder unter seinen Augen. Christian war 32, hochgewachsen, hatte eine sportliche Figur und kurzgeschnittene dunkle Haare. Sein hübsches Gesicht, der dunkle Teint und seine leuchtenden grünen Augen hatten schon so mancher Sekretärin den Kopf verdreht, doch er hatte sich für eine etwas mollige Geschichtslehrerin entschieden und vor drei Wochen hatte sie ihr erstes Kind zur Welt gebracht. "Frag nicht nach Sonnenschein. David hat uns die ganze Nacht auf Trab gehalten. Ich sag Dir Sarah, schaff Dir nie Kinder an, die bringen dich vorzeitig ins Grab." Sarah lachte und stand auf um Christian eine Tasse Kaffee zu holen. "Hier, damit Du wieder fit wirst," "Danke Schatz, genau das brauche ich jetzt." In diesem Moment betrat Alexander Buchhaas das Zimmer. "Hab ich irgendwas verpasst?" fragte er anstelle eines guten Morgen und ließ sich auf seinem Stuhl gegenüber von Sarah fallen. Alexander war 26, ein Jahr älter als Sarah. Er war ein stämmiges Energiebündel mit einer kupferfarbenen Nickelbrille und blonden Locken, die ihm immerwieder in die Augen vielen. "Ach was, Christian, hat nur eine ziemlich anstrengende Nacht mit seinem Sohn hinter sich, ich dachte ein bisschen Freundlichkeit baut ihn wieder auf. So wie der aussieht, hilft da nichts mehr, meinte Alexander mit einem kurzen Seitenblick auf seinen Kollegen. Sarah musste grinsen. Die beiden kabbelten sich ständig auf diese liebenswürdige Art und Weise und gerade das war es, was Sarah an den beiden am meisten mochte. Sie konnte mit bierernsten Menschen relativ wenig anfangen. Die beiden frotzelten noch eine Weile weiter und wandten sich dann ihrer Arbeit zu. Um kurz vor zehn machte Sarah sich auf in den Konferenzraum. Sie stellte zwei Kannen mit frisch gekochtem Kaffee auf den großen ovalen Tisch und richtete kalte Getränke, Gläser und Tassen für ihre Gäste die teilweise 400 km zurücklegen mussten um an dieser Sitzung teilnehmen zu können. Nach und nach trafen die Teilnehmer ein. Insgesamt waren sie zu neunt. Zwei Programmierer hier aus der Zentrale, zwei Mitarbeiter aus dem Back Office in München, zwei Mitarbeiter aus dem Back Office in Düsseldorf, der Leiter der Filialen Süddeutschlands und sie selbst. Als sich alle begrüßt und vorgestellt hatten eröffnete Sarah die Sitzung. Es ging heute um ein Programm, daß das Internetbanking sowohl für die Kunden, also auch für die Kundenbetreuer, die dieses Produkt verkauften, erleichtern sollte. Damit kam aber auch mehr Arbeit auf die Mitarbeiter der Back Offices zu, die zukünftig den Kundenbetreuern einige Arbeit abnehmen sollten. Es war somit nicht ganz einfach, allen Wünschen und Vorstellungen der Anwesenden gerecht zu werden. Nach zwei Stunden mehr oder weniger heftiger Diskussionen unterbrach Sarah die Sitzung für die Mittagspause und sie begaben sich alle zusammen in die Kantine. Das Essen verlief ziemlich friedlich, danach gingen sie wieder zurück in den Konferenzraum. Nach weiteren zwei Stunden hatten sie einen Großteil der Fragen und Wünsche besprochen und abgeklärt. Sarah beschloss die Sitzung mit dem guten Gefühl schon einen großen Schritt weiter gekommen zu sein. Sie verabschiedete die Teilnehmer und als sie mit mehreren vollgeschrieben Seiten Papier wieder in ihr Büro kam, wartete dort schon Alexander mit einer großen Tasse Kaffee auf sie. Na, wie ist es gelaufen, konntest Du die Hexe aus Düsseldorf überzeugen? Sagen wir mal, wir haben uns auf einen Waffenstillstand geeinigt. Stell Dir vor, sie kam zum Schluss noch zu mir und hat sich für dieses sehr produktive Meeting bedankt. Ist nicht wahr? Wie machst Du das bloß? Mich sieht sie immer an, als wollte sie mich zum Frühstück verspeisen, Tja Alex, der eine hat`s, der andere eben nicht, erwiderte Sarah grinsend und setzte sich vor ihren Computer, um ihre Notizen zu ordnen und danach ein Protokoll der Sitzung zu erstellen. Ein Radiergummi kam zu hier herübergeflogen und traf sie an der Schulter. Das war für deine äußerst unangebrachte Bemerkung. Ich denke ich werde mich beim Betriebsrat darüber beschweren. Seelische Grausamkeit am Arbeitsplatz, jawohl. Lachend hob Sarah den Radiergummi auf und warf ihn zurück. Leider verfehlte sie Alexander knapp weil dieser sich rechtzeitig unter den Schreibtisch duckte. Tja Sarah, der eine hat`s, der andere nicht, wie? Sarah drohte im scherzhaft mit dem Finger pass bloß auf, und lachend machten sie sich wieder an die Arbeit. Einige Stunden später, nach etlichen Telefonaten und jeder Menge Papierkram, beschloss Sarah für heute Schluss zu machen. Alexander war noch in einer Sitzung und Christian war schon vor einer Stunde nach Hause zu Frau und Kind und vorallem in sein Bett gefahren. Sie schrieb Alexander schnell einen kleinen Abschiedsbrief und begab sich dann zum Fahrstuhl. Wenig später war sie schon auf der Autobahn auf dem Weg nach Hause, zu ihrem Jogginganzug, einem guten Glas Wein und ihrem E-Mail-Briefkasten. |