Kapitel 20
Im Nachhinein erinnerte sich Sarah an die nächsten Tage als unheimlich aufregend und lustig. Jeden Tag unternahmen sie etwas anderes. Einen Tag besuchten sie A.J.s Mum und Sarah schloss sie von der ersten Sekunde an ins Herz. Sie war ihrer eigenen Mutter nicht unähnlich, sie hatte den gleichen Sinn für Humor und war genauso ein warmherziger Mensch. Sie behandelte Sarah gleich als einen Teil der Familie und bis spät in die Nacht redeten sie pausenlos, sodass A.J., als sie wieder zu Hause waren gutmütig bemerkte, er hätte sich zeitweise ziemlich überflüssig gefühlt. An einem anderen Abend gingen sie zusammen mit Nick, Howie und Kevin essen. Die Anderen hatten leider keine Zeit, doch sie ließen Sarah liebe Grüße ausrichten. Sie saßen auf einer, von kleinen Stehlampen erhellten Terrasse und ließen sich die herrlichsten Gerichte und Weine schmecken. Anschließend gingen sie noch bis in die frühen Morgenstunden in einen Club in der Stadt tanzen. Am nächsten Abend führte A.J. sie in ein nahegelegenes Autokino aus. Bei Popcorn und Bier aus Plastikbechern sahen sie sich Bridget Jones, Schokolade zum Frühstück an und beide hatten zum Schluss Bauchschmerzen vom vielen Lachen. Es war eine unbeschwerte Zeit und Sarah konnte kaum glauben, daß sie erst eine Woche hier war. Sie fühlte sich so wohl, wurde von allen akzeptiert und respektiert. Zwischendurch hatte sie sich auch bei Christian gemeldet. Er hatte ihr ausführlichste und mit einer gewissen Schadenfreude beschrieben, wie erschrocken ihr Boss reagiert hatte, als er erfuhr, daß Sarah nicht zur Arbeit erscheinen würde. Dem Urlaubsantrag von drei Wochen hatte er ohne großes Zögern zugestimmt, er hatte allerdings Christian darum gebeten, dies nicht in der Abteilung publik zu machen. So vergingen die Tage. Jeden Abend vor dem Schlafengehen saß sie noch eine Weile mit A.J. auf der Terrasse oder auf der Veranda vor dem Haus und sie unterhielten sich über den vergangenen Tag. Mit jeder Minute schienen sie sich ein Stückchen näher zu kommen. Es war für Sarah zwischenzeitlich kein Problem mehr, wenn er sie in den Arm nahm oder einfach Hand in Hand mit ihr am Strand spazieren ging. Obwohl sie merkte, wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte, wertete sie diese Gesten allerdings als reinen Ausdruck seiner Freundschaft zu ihr. Sie war mittlerweile davon überzeugt, daß sie sich den Moment damals in der Küche nur eingebildet hatte und daß A.J. sie keinesfalls hatte küssen wollen. Es war einfach seine Art mit anderen Menschen umzugehen und sie war sich sicher, daß sie diesen Moment einfach überbewertet hatte. Heute hatten sie sich mit Brian und Nick zum Basketballspielen im nahegelegenen Park verabredet. Sarah hatte erst abgewehrt, da sie noch niemals vorher einen Basketball in der Hand gehabt hatte und sie der Meinung war, die Jungs würden sich mit ihr nur langweilen. Doch sie hatten darauf bestanden, daß sie nicht aus Florida abreisen durfte, bevor sie nicht mindestens einen Korb geworfen hatte. Und so standen sie nun auf dem großen betonierten Basketballplatz mitten im Park. Er war von einem fast vier Meter hohen Metallzaun umgeben. Nick erklärte ihr gerade die Grundlagen der Wurftechnik. Also, mit den Augen fixierst Du den Korb, sagte er gerade und zeigte dabei auf einen Metallreifen, der ca. drei Meter über dem Boden am Zaun befestigt war und unter dem ein Netz hing. Dann winkelst Du die Arme an, etwa so, erklärte er und dann, werfen und treffen, er warf den Ball in Richtung Korb, wo er er durch den Metallreifen und dem Netz darunter rauschte, fast ohne diese zu berühren. A.J. stand darunter und fing den Ball geschickt auf. Jetzt Du, sagte er und warf ihr den Ball zu. Sarah stellte sich auf wie Nick es ihr gezeigt hatte, fixierte den Korb, winkelte die Arme an und warf. Der Ball verfehlte sein Ziel um etwa zwei Meter und krachte scheppernd gegen den Zaun. Für den ersten Versuch garnicht schlecht, meinte A.J. grinsend und schnappte sich den Ball. Erneut warf er ihn zu ihr herüber. Der Sinn des Ganzen ist allerdings den Ball in den Korb zu werfen und nicht so weit wie möglich daneben, sagte Brian und lachte als er Sarahs gespielt wütenden Blick auffing. Euch werde ich es zeigen, passt gut auf, sagte sie dann. Entschlossen stellte sie sich erneut auf. Sie ging leicht in die Knie und warf den Ball in Richtung Korb. Er prallte oben auf den Metallreifen auf und hopste dort noch zwei, drei Mal hin und her bis er sich endgültig entschieden zu haben schien und durch den Reifen viel. Sarah riß die Arme in die Höhe und führte einen kleinen Siegestanz auf, die Männer applaudierten lachend. Sarah warf noch mindestens zwanzig Mal auf den Korb, verfehlte ihn aber meistens. Als sie resigniert aufgeben wollte, kam A.J. zu hier herüber und nahm ihr den Ball ab. Versuchen wir es mit etwas anderem. Nicht jeder kann ein Torjäger sein, sagte er grinsend. Sarah knuffte ihn gutmütig in die Seite. Versuch mir einfach den Ball abzunehmen. Du darfst mich allerdings dabei nicht berühren, mit diesen Worten fing er an den Ball immerwieder auf den Boden zu prellen. Dabei sah er sie unverwandt an na los, versuch es, sagte er grinsend. O.k., Sarah rieb sich die Hände und fixierte den Ball. Sie versuchte A.J. zu überrumpeln als sie unvermittelt den Arm ausstreckte und versuchte den Ball einfach unter seiner Hand wegzuschlagen, doch er war schneller. Geschickt machte er einen Schritt zur Seite, sodass Sarah ins Leere griff. Streng Dich ein bisschen mehr an, sagte er mit einem schadenfrohen Grinsen das kannst Du doch besser. Sarah konzentrierte sich wieder auf den Ball. Sie täuschte einen Schritt nach rechts an und als A.J. versuchte nach links auszuweichen versetzte sie dem Ball ein kräftigen Schlag. Er hopste sofort davon. Sarah schenkte A.J. ihr hochnäsigstes Siegerlächeln und drehte sich herum um den Ball wieder einzufangen. Sie hörte A.J. noch hinter sich lachen als sie am Eingang eine Gestalt bemerkte. Ein Mann lehnte lässig am Zaun, die Beine überkreuzt und die Arme vor der Brust verschränkt. Etwas daran kam ihr sehr vertraut vor und sie hielt abrupt inne. Sie sah den orangenen Ball auf den Mann zu rollen und dieser bückte sich langsam und hob ihn auf. Sarahs Atem ging stoßweise als hätte sie gerade einen hundert Meter lauf hinter sich und ihr Herz klopfte zum zerspringen. Ihr Hals fühlte sich vor lauter Angst wie zugeschnürt an. Langsam und mit weichen Knien ging sie auf den Mann zu. Die Geräusche um sie herum verblassten und sie hörte nur ihr abgehacktes Atmen. Als Brian hinter ihr etwas rief, verstand sie es nicht. Noch ein paar Schritte und sie hatte den Mann erreicht, der ihr nun grinsend den Ball entgegenstreckte. Hallo Sarah, schön Dich nach so langer Zeit wieder zu sehen, sagte Markus und als sie seine Stimme hörte wäre sie am liebsten davongerannt. Stattdessen trat sie mit einer Entschlossenheit auf ihn zu, die sie eigentlich nicht verspürte und nahm den Ball zitternd entgegen. Sie entfernte sich rückwärtsgehend einige Schritte von ihm und blieb dann stehen. Verschwinde, stieß sie gepresst hervor und hielt den Ball dabei wie ein Schutzschild vor sich. Och, ich hätte ein bisschen mehr Wiedersehensfreude erwartet, entgegnete Markus belustigt. Er sah sie unverwandt an und unter seinem Blick hatte Sarah das Gefühl zu schrumpfen, bis sie sich ganz klein und ihm ausgeliefert fühlte. Hast Du mich nicht verstanden? Verzieh Dich. Ich will Dich nicht mehr sehen, versuchte sie es nocheinmal. Ich habe doch nicht den weiten Weg hierher gemacht, nur um Dir einen Basketball aufzuheben. Nette Freunde hast Du übrigens, sind sie wenigstens gut im Bett? sagte er grob. Sarah zuckte zusammen, sie hatte die Jungs fast vergessen. Schnell sah sich nach ihnen um. Sie standen immernoch unter dem Korb, doch sie sahen angestrengt zu ihnen herüber. Der Anblick ihrer Freunde gab ihr neue Kraft. Entschlossen wandte sie sich wieder Markus zu lass uns einfach in Frieden. Wir legen auf Deine Gesellschaft keinen wert, sagte sie fest Das sehe ich aber anders. Ich glaube Püppchen, es wird Zeit, daß Dir malwieder jemand Manieren beibringt. Diese Bubis sind doch nichts für Dich. Was Du brauchst ist ein richtiger Mann. Komm schon, wir waren doch immer ein Spitzenteam, sagte er versöhnlich. Sarah schüttelte ungläubig den Kopf Du warst schon immer ein Arschloch und wirst immer eins bleiben, sagte sie dann schlicht und wollte sich einfach umdrehen und ihn da stehen lassen, als er sie grob am Arm packte. Dann ging alles sehr schnell. Sie hörte A.J. hinter sich laut Hey schreien und danach vernahm sie Schritte, die schnell näher kamen. Immernoch hielt sie Markus Hand wie in einem Schraubstock gefangen. Sein Gesicht war ihr ganz nah und mit einem kurzen Blick auf die herannahenden Jungs zischte er ihr zu wir sehen uns noch, dann ließ er sie los und war im nächsten Moment zwischen den Büschen verschwunden. Im gleichen Augenblick hatten die Anderen sie erreicht alles in Ordnung? fragte A.J. besorgt alles bestens, entgegnete Sarah nicht sehr überzeugend und massierte sich geistesabwesend den Oberarm. Sie konnte immernoch jeden einzelnen Finger seiner Hand darauf spüren. Was wollte der Kerl von Dir? fragte Nick. Sarah antwortete nur mit einem leichten Schulterzucken. Immernoch starrte sie wie hypnotisiert auf die Stelle, an der Markus verschwunden war. Sarah? A.J. berührte sie leicht an der Schulter. Endlich konnte sie ihren Blick von den Büschen lösen und sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Du bist weiß wie eine Wand. Vielleicht sollten wir uns besser erstmal setzen, stellte er fest und sanft aber bestimmt führte er sie zu einer nahegelegenen Bank. Sie bewegte sich wie in Trance und als sie sich auf der Bank niedergelassen hatten starrte sie weiter mit verschleiertem Blick vor sich hin. Die Jungs sahen sich besorgt an Sarah, was ist denn los? versuchte Nick es erneut und legte ihr dabei einen Arm um die Schulter Du zitterst ja, stellte er erschrocken fest. Baby, hey, red mit mir, sagte A.J. leise und versuchte ihr in die Augen zu sehen. Brian ging vor ihr in die Hocke und zwang sie so, ihn anzusehen. Hey, ich mach mir langsam Sorgen. Bitte sag doch was. Sein ängstlicher Gesichtsausdruck riß sie aus ihrer Lethargie. Sie blinzelte ein paarmal und richtete sich dann auf. Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht Sorry, es geht schon wieder, war wohl bloß der Kreislauf, log sie nicht sehr überzeugend und wagte es nicht A.J. dabei in die Augen zu sehen. Oh Mann, stöhnte Nick Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt. Du hast ausgesehen als hättest Du einen Geist gesehen, Sarah brachte ein einigermaßen glaubwürdiges Lächeln zu stande. Innerlich fühlte sie sich einfach nur leer und geschockt, sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, doch die Anderen sollten davon auf keinen Fall etwas merken. Ist wirklich wieder alles o.k.? fragte Brian immernoch besorgt ja, es geht mir gut. Aber ich glaube, das Basketballtraining ist für mich erstmal beendet. Ehrlich gesagt, ist mir die Lust sowieso vergangen, sagte Nick und lehnte sich auf der Bank zurück. Ich glaube, ich würde jetzt ganz gerne nach Hause gehen, sie wagte immernoch nicht A.J. anzusehen. Sie befürchtete er würde sie sofort durchschauen, wenn er ihr in die Augen sah. Ich bring Dich heim, bot A.J. tonlos an. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu und sie erkannte, daß es für ihn nicht nötig war, ihr in die Augen zu sehen. Er hatte längst verstanden, was da eben vor sich gegangen war. Er stand auf um ihre Sachen zu holen. Brian und Nick begleiteten ihn. Sarah blieb alleine auf der Bank zurück und ängstlich sah sie sich nach allen Seiten um. Vielleicht war Markus ja zurück gekommen und wartete nur darauf, sie alleine zu erwischen. Doch sie konnte ihn nirgends entdecken. Fast glaubte sie, sie hätte sich das alles nur eingebildet, doch dann spürte sie wieder den immernoch leise pochenden Schmerz in ihrem Arm und sie wußte, daß sie ihn tatsächlich gesehen hatte. Er hatte sie gefunden, wußte der Teufel wie. |