Kapitel 22

In den nächsten zwei Tagen organisierten sie alles, was zu Sarahs Schutz nötig war. A.J. rief bei seiner Managerin an und sorgte dafür, daß sie nicht mehr ohne Bodyguards aus dem Haus gingen. Für Sarah war es zuerst ein sehr unangenehmes Gefühl, zu jeder Zeit von zwei Männern umgeben zu sein, die sich um ihren Schutz kümmern sollten. Doch die beiden waren ihr sehr sympathisch und bald gehörten sie für sie sozusagen zur Familie. Mike war schwarz, über eins neunzig groß und muskelbepackt. Die ersten drei Stunden redete er kein Wort mit ihr, sondern unterhielt sich mit A.J., als sei sie garnicht anwesend. Später erfuhr sie, daß er Frauen gegenüber einfach nur schüchtern war und er einige Zeit brauchte, um sich zu akklimatisieren. Nachdem ihm Sarah allerdings ein Stück von ihrem selbstgebackenen Kuchen anbot und ihn vorsichtig in ein Gespräch verwickelte, taute er langsam auf. Robert war etwas kleiner, aber auch gut durchtrainiert. Was die Konversation betraf, war er das genaue Gegenteil von seinem Kollegen. Von der ersten Sekunde an plauderte er drauf los, und erzählte ihr von einigen brenzligen Situationen, die er schon mit den Backstreet Boys erlebt hatte „das heftigste, was ich jemals gesehen habe, war auf der Black & Blue Tour,“ erzählte er. Sie saßen gemeinsam um den großen Tisch auf der Terrasse herum, A.J. saß neben ihr und hielt ihre Hand. „Wir sind in hundert Stunden einmal um die Welt gereist,“ berichtete Robert weiter „und in jedem Land war wirklich die Hölle los. Dann kamen wir nach Rio de Janeiro und glaub mir, sowas hast Du noch nie gesehen,“ „das stimmt,“ schaltete A.J. sich ein. „Soviele Fans auf einen Haufen, es war unglaublich, ich war wirklich das erste mal im meinem Leben sprachlos,“ „sie verstopften die Straßen,“ erzählte Robert weiter „wir hatten wirklich Mühe mit dem Bus durch zu kommen und alle hatten die ganze Zeit Angst, daß sich irgendjemand von den Leuten da draußen verletzten könnte,“ „sie hämmerten gegen die Scheiben des Busses,“ fuhr A.J. fort „sie rannten hinterher, sprangen hinten auf den Bus auf und immer wurden es noch mehr und noch mehr.“ „dann kamen wir am Hotel an. Die Sicherheitskräfte dort hatten Absperrung aufgestellt, aber bei sovielen Leuten hat das wenig genützt. Wir saßen also in diesem Bus, eingekeilt von tausenden von Fans und wussten nicht, wie wir den Hoteleingang erreichen sollten, ohne daß den Jungs etwas passiert.“ „Du musst Dir vorstellen, der Bus stand hier,“ A.J. fuhr mit der Hand durch die Luft „und die Türen waren auf der rechten Seite. Das Hotel befand sich aber links von uns und dazwischen lauter kreischende Kids.“ „Wir wollten den Bus erst nicht verlassen, wir hielten es einfach für zu gefährlich. Die hätten die Jungs einfach zerquetscht. Dann haben die Sicherheitsleute draußen eine kleine Gasse freigemacht. Sie standen in einer Reihe, hatten sich untergehakt und haben sich mit den Füßen gegen die Massen gestemmt. Und dann sind wir raus. Alle sind so schnell wie möglich zum Eingang gerannt. Das war wirklich eine unheimlich beängstigende Situation.“ Robert schüttelte bei dem Gedanken daran immernoch fassungslos den Kopf. „Ich dachte immer nur, bitte Gott, lass uns heil im Hotel ankommen, es war der Hammer. Aber, wie Du siehst,“ A.J. breitete die Arme aus „haben wir es überlebt,“ „und das auch noch ohne Kratzer,“ fügte Mike hinzu. Sarah warf einen Blick in dir Runde. Was sie hier zu hören bekam klang für sie so fantastisch, wie aus einer anderen Welt. Es fiel ihr schwer, sich selbst in dieser Welt zu sehen. Bisher hatte sie, abgesehen von den beiden Mädchen beim Frühstück, kaum etwas davon gemerkt, daß A.J. ein Star war. Als sie durch Orlando spaziert waren, waren ihnen schon einige Blicke gefolgt und manche hatten mit dem Finger auf sie gezeigt und getuschelt, aber ansonsten war es bisher recht friedlich zugegangen. Sie fragte sich, auf was sie sich da eigentlich eingelassen hatte. Sie sah zu A.J. hinüber und fing seinen Blick auf. Er lächelte, beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie „mach Dir keine Sorge,“ sagte er, als hätte er ihr Gedanken gelesen „man gewöhnt sich daran. Es kann auch unheimlich schön und aufregend sein. Wir sind zum Beispiel an diesem Abend auf dem Dach des Hotels aufgetreten. Eigentlich wollten wir nur ein Lied singen, aber als wir über den Rand des Daches blickten, standen da 45.000 Menschen. Es war überwältigend, Menschen soweit das Auge reichte und das alles nur wegen uns, das muss man sich mal vorstellen. Wir haben dann ca. 30 Minuten gespielt und fühlten uns immernoch schlecht, weil es nur so kurz war.“ Sarah musste lächeln, als sie seinen strahlenden Blick sah. Diese Momente gehörten so sehr zu seinem Leben und es war das, was ihn zu einem großen Teil ausmachte. Die Begeisterung für die Musik und für seine Fans. „Damit werde ich wohl in zukunft leben müssen,“ dachte sie und fand den Gedanken schon nicht mehr so beängstigend. Die nächsten Tage vergingen, ohne das irgendetwas von Markus zu sehen war. Doch Sarah wußte, daß er ständig in ihrer Nähe war. Sie spürte seine Anwesenheit genau so, wie manche Menschen das Wetter auf Grund einer alten Sportverletzung vorhersagen konnten. A.J. hatte beschlossen, daß er sich von Markus nicht die restliche Zeit von Sarahs Aufenthalt vermiesen lassen wollte. Also gingen sie weiterhin abends zum Essen aus, machten kleinere Ausflüge in die Umgebung oder verbrachten einfach einen ruhigen Tag am Pool, immer begleitet von Mike und Robert, die sie keine Sekunde aus den Augen ließen. Trotz deren Anwesenheit fühlt sich Sarah nicht wirklich sicher. Immerwieder ertappte sie sich dabei, wie ihre Augen die Umgebung absuchten, immer davon überzeugt, Markus hinter einem Busch oder der nächsten Straßenecke zu erblicken. Nachts wachte sie oft schweißgebadet auf, sicher er würde an ihrem Bett stehen um sie zu holen. Sie hatte darauf bestanden, weiterhin alleine in ihrem eigenen Bett zu schlafen. Der Gedanke neben A.J. zu liegen, nur mit einem Nachthemd bekleidet, machte ihr Angst. Zuviel konnte da passieren. Er hatte dies wiederwillig akzeptiert und jeden Abend verabschiedete er sich ein wenig länger an ihrer Schlafzimmertür. So vergingen die Tage, mittlerweile war Sarah schon zwei Wochen in Florida und sie begann langsam, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Über den Tag ihrer Abreise versuchte sie nicht allzuviel nachzudenken, das deprimierte sie nur, aber sie dachte oft an die Zeit danach, wenn sie wieder alleine zu Hause war. A.J.s Terminkalender begann sich jetzt schon rasend schnell zu füllen. Für die nächsten Tage waren einige Pressetermine angesetzt, um über die kommende Arbeit für das neue Album zu sprechen. Außerdem war am Abend vor Sarahs Abreise ein Konzert für krebskranke Kinder geplant. Sie fragte sich, wie bei dem ganzen Trubel noch Zeit für sie bleiben sollte. Wie es überhaupt funktionieren konnte, wenn er auf der anderen Seite der Erde lebte. Doch sie sprach diese Gedanken nicht aus. Zu sehr genoß sie die Zeit mit ihm, trotz der äußeren Umstände. Sie wollte sich diese kostbaren Tage nicht mit endlosen Diskussionen verderben. Auch A.J. sprach nicht darüber und so lebten sie von einem Tag zum nächsten und spürten doch beide das unausweichliche Ende ihres Urlaubs nahen. Am Dienstag war dann der erste Interviewtermin angesetzt. A.J. hatte sie gebeten mitzukommen, damit sie einen Teil seiner Arbeit kennenlernen und sich ein besseres Bild davon machen konnte. Maik und Robert holten sie um neun Uhr morgens mit einem kleinen Minivan ab und brachten sie zum Studio des Fernsehsenders. Als sie um die Ecke des großen Gebäudes bogen, hörte Sarah schon von weitem lautes Schreien und Rufen. Vor sich erblickte sie etwa hundert Teenager, die hinter einer Absperrung neben dem Eingang warteten. Sie winkten begeistert und hielten Plakate in die Höhe auf denen „Backstreet Boys, you are larger than live“ oder „Brian I love you“ stand. „Ich denke, das ist nur ein Interviewtermin,“ sagte Sarah erstaunt. „Das ist richtig, aber unsere Fans ergreifen jede Gelegenheit, um uns live zu sehen. Sie wissen meistens schon vor uns, wo wir sein werden und was wir da machen, es ist unglaublich.“ Inzwischen hatten sie das Studio erreicht und Maik hielt vor der großen Eingangstür. Er und Robert stiegen unter Jubelrufen aus und öffneten die Schiebetür des Busses. A.J. stieg zu erst aus und sofort wurden die Rufe ohrenbetäubend laut und ein wahres Blitzlichtgewitter ging auf sie hernieder. Er streckte die Hand aus und half Sarah aus dem Wagen. Mit zitternden Knien stand sie dann neben ihm auf dem Bürgersteig und sah den kreischenden Fans entgegen. A.J. beugte sich zu ihr hinüber „keine Angst,“ flüsterte er ihr ins Ohr „sie sind wirklich unheimlich nett, keiner wird Dir etwas tun und Mike und Robert sind ja auch noch da.“ Er küsste sie sanft auf die Wange und zog sie dann einfach mit sich, zu der wartenden Menge hinüber. „Hallo Leute,“ begrüßte er die mittlerweile außer sich geratene Meute. Dutzende Arme reckten sich ihm entgegen, jeder wollte ihn berühren. Kleine Zettel und Kugelschreiber wurden ihm entgegengestreckt. „A.J. ich liebe Dich,“ kreischte ein junges Mädchen in ihrer Nähe und Sarah sah, wie ihr Tränen über das Gesicht liefen. A.J. lies ihre Hand los und ging zu der hauptsächlich aus jungen Mädchen bestehenden Menge hinüber. Geduldig schüttelte er Hände, schrieb Autogramme, unterhielt sich mit den Mädchen, machte Scherze und nahm kleine Geschenke entgegen. Sarah beobachtete ihn fasziniert. Er bewegte sich so sicher, war so aufmerksam gegenüber dieser Welle von Zuneigung. Zum ersten Mal begriff sie wirklich was er meinte, wenn er sagte, das hier wäre sein Leben. Scheinbar wiederwillig verabschiedete er sich dann von der Menge und trat wieder neben sie. Er war beladen mit Blumen und kleinen, in Folie verpackten Geschenken. Er legte ihr den Arm um die Schulter und brachte es dabei auch noch fertig, keines seiner Päckchen fallen zu lassen, lächelte sie an und steuerte dann zielstrebig auf den Eingang zu. Bevor sie im inneren des mehrstöckigen Gebäudes verschwanden hob er noch einmal die Hand und winkte den immernoch kreischenden Teenies ein letztes Mal zu. Dann betraten sie die große Eingangshalle, die Türen schlossen sich hinter ihnen und sofort wurde der Lärmpegel auf ein erträgliches Maß gedämpft. „Wow,“ sagte Sarah ehrlich beeindruckt „das war ja ein Empfang.“ „Ja, nicht wahr?“ A.J. lächelte selig „es überwältigt mich immer wieder. Ohne unsere Fans währen wir nicht da, wo wir heute sind. Sie sind wirklich die Besten.“ Sarah musste über A.J.s Begeisterung lächeln. Er wirkte wie ein kleiner Junge an Weihnachten, der soeben seine Geschenke geöffnet und genau das vorgefunden hatte, was er sich schon immer gewünscht hatte. Spontan beugte sie sich zu ihm hinüber und küsste ihn. „Du bist der Beste,“ sagte sie leise und A.J. erwiderte ihr Lächeln. Dann wandte er sich Robert zu und übergab ihm die vielen Päckchen und Blumensträuße „die Unterwäsche hätte ich gerne wieder, den Rest kannst Du behalten wenn Du möchtest,“ scherzte er. Sarah sah sich in der großen Empfangshalle um. Durch eine große Glasscheibe zu ihrer linken konnte sie die immer noch tobenden Fans sehen. Ein Stück weiter befand sich ein großer Empfangstresen hinter der ein Wachmann in blauer Uniform stand und ihnen erwartungsvoll entgegenblickte. Auf der rechten Seite waren kleine Sitzgruppen zwischen riesigen Grünpflanzen angeordnet und ziemlich in der Mitte des Raumes plätscherte ein kleiner Brunnen vor sich hin. A.J. fasste erneut nach ihrer Hand und ging zielstrebig auf den Wachmann hinter seinem Tresen zu. „Guten Tag Mr. McLean,“ begrüßte dieser ihn noch bevor A.J. auch nur einen Ton sagen konnte. „Es ist schön, sie malwieder hier begrüßen zu dürfen.“ „Guten Tag Will, ich freue mich auch wieder hier zu sein. Wo müssen wir denn heute hin?“ „Zehnter Stock,“ entgegnete Will der Wachmann lächelnd „Miss Jenson wird sie wie immer oben in Empfang nehmen.“ „Vielen Dank und einen schönen Tag noch,“ „Gleichfalls Mr. McLean, viel Spaß wünsche ich.“ A.J. wandte sich um und ging schnurstracks auf die Fahrstühle im hinteren Teil der großen Halle zu. Robert und Maik folgten ihnen in einigem Abstand. Als sich die Fahrstuhltüren im zehnten Stock öffneten betraten sie einen langen Korridor, der mit einem teuer aussehenden, beigen Teppich ausgelegt war. An den weißen Wänden hingen große gerahmte Fotografien von prominenten Persönlichkeiten. Sarah entdeckte Bilder von Britney Spears, Mike Jagger, Steven Spielberg und Tom Cruise. Auf jedem Foto prangte eine Widmung, die schwungvoll unterschrieben war. Eine junge Frau mit randloser Brille und braunen, kurzen Haaren kam ihnen lächelnd entgegen. Ihre schlanke Gestalt steckte in einem teuren, grauen Kostüm. Als sie ihre kleine Gruppe erreicht hatte, ergriff sie A.J.s ausgestreckte Hand. „A.J., schön das sie da sind. Dann sind wir ja fast vollzählig.“ Ihr Blick blieb fragend an Sarah hängen. „Hallo,“ sagte sie freundlich „Ich bin Maria Jenson, die Produktionsassistentin,“ Sarah ergriff Marias ausgestreckte Hand und schüttelte sie „Hi, ich bin Sarah Conner,“ „freut mich sie kennenzulernen,“ entgegnete Maria und wandte sich dann wieder an A.J. „folgen sie mir bitte. Ich bringe sie zum Aufenthaltsraum,“ und mit diesen Worten ging sie ihnen Voraus, den langen Gang entlang. Sie kamen an einigen offen stehen Türen vorbei, hinter denen emsig gearbeitet wurde. Ein wenig erinnerte Sarah diese Szene an ihr eigenes Büro und ihr wurde schmerzlich bewusst, daß sie bald wieder in ihren eigenen Arbeitsalltag zurückkehren würde. Doch bevor sie noch weiter darüber nachdenken konnte öffnete Maria eine Tür, die in einen kleinen Raum führte, in dem sich schon etliche Personen aufhielten. Auf den ersten Blick erkannte Sarah Brian, Kevin und Nick, die auf einem Sofa in der Ecke saßen und jetzt aufstanden, als A.J. und Sarah hinter Maria den Raum betraten. Mindestens fünf weitere Personen wuselten ohne erkennbaren Grund in dem Zimmer herum. „Hallo Leute,“ begrüßte A.J. seine Freunde und wie immer begann nun die große Umarmungs- und Begrüßungsrunde. Sarah wurde den anderen anwesenden Personen vorgestellt. Zum einen war da Nicole, die Hairstylistin, Michael und Ronni, die für das Make-up zuständig waren und Tasha und Sabrina, die für die richtigen Klamotten sorgten. Howie fehlte noch „wie immer,“ wie Nick bemerkte. Sarah setzte sich in die Ecke des riesigen Sofas um nicht im Weg zu stehen und beobachtete fasziniert, wie die vier Jungs auf ihren Auftritt vorbereitet wurden. Sie nahmen nacheinander vor zwei riesigen beleuchteten Spiegel platz und Nicole begann ihnen die Haare zu fönen, während Michael und Ronni Make-up auftrugen, die Gesichter puderten und Lippenstift und Mascara auftrugen. Zwischendurch traf auch Howie ein und nach einer guten Stunde waren alle fünf frisch gestylt, hatten sich umgezogen (wobei Sarah versuchte nicht zu angestrengt auf die gut gebauten Körper der Jungs zu starren) und geschminkt. Sarah musste grinsen, als A.J. sich zu ihr auf das Sofa setzte. „Irgendwie siehst Du ein bisschen aus wie ein Zirkusclown mit der ganzen Schminke im Gesicht,“ bemerkte sie nicht sehr taktvoll und erntete auch gleich einen sanften Knuff in die Seite. „Vielen Dank auch, aber das gehört leider zum Business,“ entgegnete er „im fertigen Interview fällt das garnicht auf, da würden wir ohne das ganze Zeug ganz schön blass wirken. Nun gib mir schon einen Kuss,“ sagte er grinsend und formte seine Lippen dann zu einem riesigen roten Kußmund. „Igitt,“ lachte Sarah und versuchte ihm auszuweichen, doch er war schneller. Mit einem lauten Schmatzer drückte er ihr einen Kuss auf die Lippen und sie schmeckte den Lippenstift und einen winzigen Rest von dem Orangensaft, den er gerade getrunken hatte. Mit gespielt angeekeltem Blick wischte sie sich über den Mund und war nicht überrascht, als auf ihren Fingern Spuren des Lippenstiftes zu sehen waren. „Jetzt siehst Du mal wie es uns Männern immer ergeht, wenn ihr Euch so anmalt,“ sagte Nick lachend. „Es ist übrigens schön Euch beide endlich zusammen zu sehen,“ sagte Kevin mit einem Blick auf ihre ineinander geschlungenen Finger. „Das wurde aber auch Zeit,“ setzte Nick hinzu „es war ja schon nichtmehr mit anzusehen, wie ihr umeinander rumgeschlichen seit.“ Lächelnd senkte Sarah den Blick. War es so offensichtlich gewesen? Plötzlich öffnete sich die Tür und Maria steckte den Kopf herein. „Seit ihr soweit? Wir müssen langsam anfangen.“ „Kein Problem, wir sind fertig,“ entgegnete Brian und erhob sich von seinem Stuhl vor dem Spiegel. Sarah war unschlüssig, ob sie nun mitgehen, oder besser hier warten sollte, bis das Interview beendet war. Sie wollte niemandem im Weg stehen und außerdem wußte sie garnicht, ob fremde Personen im Studio überhaupt erlaubt waren. Doch A.J. nahm ihr die Entscheidung ab indem er sie einfach an der Hand in die Höhe zog und gemeinsam folgten sie Maria den langen Gang entlang. An einer großen Tür, über der ein Schild mit der Aufschrift „Achtung Aufnahme“ und einem großen roten Licht daneben hing, machte sie Halt und lies die Jungs mit Sarah und dem Stylingteam im Schlepptau eintreten. Der Raum dahinter war, bis auf einen Bereich im hinteren Teil, dunkel. Etwa ein dutzend Personen liefen geschäftig hin und her. Vorsichtig stiegen sie über Armdicke Kabel und schlängelten sich zwischen riesigen Kameras hindurch. Auf halbem Weg kam ihnen ein untersetzter Mann mit Schnauzbart und einem beginnenden Doppelkinn entgegen. Seine Glatze wurde von einem Rest spärlicher, grauer Haare umrahmt und darauf hatte er eine Lesebrille geschoben, von deren Bügel goldene Kettchen baumelten. Er strahlte über das ganze Gesicht und streckte ihnen beide Hände entgegen „The Backstreet Boys are in the house,“ tönte er mit tiefer Stimme, die Sarah nicht bei ihm erwartet hatte. „Hallo Archie, schön Dich malwieder zu sehen,“ entgegnete Nick und ergriff eine der ausgestreckten Hände. Archie schüttelte sie, als wollte er sie abreißen und wiederholte die Prozedur auch bei den anderen vier Jungs. Dann war er bei Sarah angelangt „oh, welch Glanz in unserer Hütte,“ lächelte er „ich bin Archie, der Aufnahmeleiter, ich bin hier dafür zuständig, das alle auf ihrem richtigen Platz sitzen und das Endprodukt auch so aussieht, wie es der Sender haben möchte.“ „Hi, freut mich sie kennen zu lernen Archie, ich bin Sarah und wahrscheinlich dafür zuständig, jedem in der nächsten Zeit im Weg rumzustehen.“ grinste Sarah und mit einem dröhnenden Lachen schüttelte Archie auch ihr die Hand. Er zwinkerte A.J. zu „sie hat Humor und ist wunderhübsch, Du solltest gut auf sie aufpassen,“ „keine Sorge,“ erwiderte A.J. und legte den Arm um Sarahs Schulter „so schnell lass ich sie nicht mehr aus den Augen,“ dabei sah er sie an und sein Blick sagte ihr, daß er dabei nicht nur an ihre Beziehung dachte. Wie immer wenn Markus sich wieder in ihre Gedanken einschlich überkam sie eine trostlose Leere und ihr Magen protestierte für einen kurzen Moment. Doch es blieb keine Zeit um sich weiter in angstvollen Spekulationen zu verlieren. Archie bugsierte sie an Scheinwerfern und Kameras vorbei zu einem Klappstuhl der in einer Ecke des Studios stand. Von hier hatte sie einen guten Überblick über das Set mit der großen Couch auf denen die Backstreet Boys für das Interview platz nehmen würden und sie konnte auch die anderen Leute bei ihrer Arbeit beobachten. Der helle Bereich wirkte wie eine Bühne, umgeben von gleißenden Scheinwerfern und Kameras. Neben der weißen Couch befand sich ein kleiner Glastisch auf dem zwei Gläser Wasser standen und daneben stand ein ebenfalls weißer Sessel. Zwei Männer machten sich nun daran, den Jungs kleine Mikrofone an die Ausschnitte ihrer T-Shirts bzw. an das Revers ihrer Hemden zu befestigen. Dünne Kabel führten zu kleinen, schwarzen Kästchen mit mehreren Knöpfen. „Das sind die Sender,“ sagte plötzlich Maria neben ihr. Lächelnd reichte sie Sarah einen Becher Kaffee. Dankend nahm Sarah ihn entgegen und sah wieder zu den Jungs hinüber. „Alles was die Jungs sagen wird durch diese Kästchen zu dem Pult dadrüben übertragen,“ Maria deutete in den hinteren Teil des Raumes wo Sarah durch die Dunkelheit nur vereinzelte grüne und rote Punkte auf einem großen tischartigen Gebilde leuchten sah. Schemenhaft war dahinter eine Gestalt zu erkennen, die mit Knöpfen und Reglern hantierte. „Dort wird alles so abgemischt, das jeder gleich gut zu hören ist, auch wenn sie durcheinander sprechen,“ erklärte Maria weiter. Die Sender wurden nun am Hosenbund der Jungs mit Klebeband befestigt und die Kabel, für die Kamera unsichtbar, am Rücken entlanggeführt. Währenddessen schwirrten Michael und Ronnie wie aufgescheuchte Hühner um sie herum und puderten ein letztes Mal Nasen und Stirn. Dann betrat ein hochgewachsener Mann von mitte dreißig die „Bühne“ und wieder wurden Hände geschüttelt. Das Gesicht des Mannes kam Sarah irgendwie bekannt vor. „Das ist David Milton,“ sagte Maria neben ihr. Sarah erinnerte sich, daß sie mit A.J. zusammen vor ein paar Tagen ein Interview von ihm gesehen hatte. Es war Teil einer Musiksendung gewesen, die wöchentlich bei VH1 ausgestrahlt wurde. „David ist wohl der bekannteste Moderator bei unserem Sender. Wenn alles gut läuft, bekommt er nächstes Jahr seine eigene Show.“ Sarah sah zu Maria hoch und deren leuchtende Augen und Wangen sagten ihr, daß ihr Interesse nicht nur beruflicher Natur zu sein schien. Als Maria ihren Blick bemerkte lächelte sie, „außerdem kann er hervorragend kochen und ist ein klasse Liebhaber,“ sagte sie und die beiden Frauen begannen zu kichern. „Ich muss Dich jetzt leider alleine lassen,“ sagte Maria und legte ihr die Hand auf die Schulter „ich sollte wohl mal anfangen, für mein bescheidenes Gehalt auch was zu tun,“ mit diesen Worten drückte sie Sarah leicht die Schulter und ging dann hinüber zu David, Archie und den Jungs. Howie und Kevin wurden von Archie hinter die Couch auf zwei Stühle dirigiert, Brian, Nick und A.J. machten es sich in den bequemen Polstern gemütlich und David nahm, mit dem Rücken zu ihr, im Sessel platz. Maria ging von einem zum anderen, rückte da ein Mikrofon in die richtige Position und strich dort ein paar Falten im T-Shirt glatt. Dann entfernte sie sich zusammen mit Archie aus dem hellerleuchteten Bereich. „O.k., dann fangen wir mal an. Licht bitte,“ sagte Archie und mit einem lauten Klack begannen die Scheinwerfer noch heller zu strahlen. Sofort begann die Raumtemperatur um ein paar Grad zu steigen. Sarah wollte sich garnicht vorstellen, was für eine Hitze auf der Couch herrschen musste. „Kamera?“ rief Archie „Kamera ein,“ tönte es zurück „Wir beginnen mit der Vorstellung und bitte,“ David wandte sein Gesicht zur Kamera und begann mit seiner Einführungsrede „Hallo Leute, schön daß ihr auch diese Woche wieder eingeschaltet habt. Heute präsentieren wir Euch einen besonderen Leckerbissen. The Backstreet Boys are in the house. Hallo Jungs,“ damit wandte er sich seinen Gästen auf der Couch zu. Diese winkten grinsend in die Kamera und riefen „Hi,“ und „Hallo,“ „Ihr habt eine ziemlich aufreibende Tour hinter Euch. Froh wieder zu Hause zu sein, oder traurig, daß alles schon wieder vorbei ist?“ „Eigentlich beides,“ antwortete Howie „froh, weil so eine Tour natürlich sehr anstrengend ist. Immerhin waren wir fast fünf Monate unterwegs. Traurig natürlich auch, weil es immerwieder ein überwältigendes Gefühl ist, vor so vielen Fans aufzutreten. Sie waren wirklich großartig und man kann eben nur auf einem Konzert ihre Reaktion auf unsere Musik so hautnah erleben.“ „Bei der Millenium Tour hattet ihr eine Runde Bühne, jetzt bei der Black&Blue war es eine herkömmliche Bühne. Wie war der Unterschied?“ „In der Mitte auf einer runden Bühne zu stehen, war wie ein Kreis, den wir immer und immerwieder umrundet haben,“ entgegnete Brian „Wir waren nur am rennen. Diesmal war es etwas einfacher. Immerhin ist es auch nicht leicht, 21 Songs an einem Abend live zu performen.“ „War das Eure längste Songliste bisher?“ „Ja,“ sagte A.J. „bei der Millenium Tour waren es noch 19, jetzt sind es 21 und wir mussten ein paar Medleys einbauen, weil wir nicht genug Zeit hatten um alles von den vier Alben zu singen.“ „Soviel ich weiß war das auch die teuerste Tour bisher, oder?“ „Ja das stimmt,“ ergriff Kevin das Wort „es war wirklich alles sehr teuer, wir hatten 29 Trucks voll mit Geräten und so. Aber das war es uns wert. Es war eine tolle Show und unsere Fans haben für ihr Geld wirklich was geboten bekommen, das ist das wichtigste.“ „Addiere die kosten für unsere bisherigen Shows,“ setzte A.J. noch hinzu „und nehme sie mal drei, dann kommst Du ungefähr hin.“ David lachte und warf kurz einen Blick auf seine Karten, die er als Gedächtnisstütze in der Hand hielt. „Nun hattet ihr ein paar Wochen Zeit Euch wieder zu erholen und im Februar geht es ab ins Studio. Was erwartet uns auf dem neuen Album?“ „Das ist zu diesem Zeitpunkt schwer zu sagen,“ entgegnete Brian „wir wollen uns Zeit lassen und ein bisschen herum experimentieren. Wir haben schon ein paar gute Ideen und ein paar von uns haben auch Songs geschrieben, die sicherlich in der einen oder anderen Form auf dem Album erscheinen werden. Doch wir wollen noch nicht zu viel veraten.“ „Wir haben uns bisher bei jedem Album ein Stückchen weiter entwickelt,“ sagte Nick „Genau so wird es diesmal auch sein. Sicherlich wird es wieder Balladen geben und Stücke mit schnelleren Rhythmen. Wir wollen diesmal vielleicht ein bisschen mehr dance-lastiger werden. Aber wie gesagt, bis jetzt sind das alles noch Hirngespinste. Was zum Schluss rauskommt wissen wir auch erst, wenn wir alles im Kasten haben.“ „Wie kann man sich denn das vorstellen? Ihr geht ins Studio, stellt Euch vor die Mikros und fangt einfach an irgendetwas zu singen?“ die Jungs lachten „So ungefähr,“ sagte Kevin „Wir hatten in unserem Tourbus ein kleines Ministudio und so sind manche Musikstücke in der Rohfassung schon so gut wie fertig. Allerdings kann man das alles auch noch verändern. Jeder kann seine Ideen einbringen und sagen das oder das würde mir so besser gefallen und dann probieren wir es aus. Es ist eine riesige Teamarbeit und macht eine Menge Spaß.“ „Ja, wir freuen uns alle schon riesig darauf,“ bestätigte Howie. „Wie sieht es in dieser Zeit mit Privatleben aus? Zwei von Euch sind verheiratet, der Rest ist Single soweit ich weiß...“ Sarah horchte auf „ich nicht,“ sagte A.J. auch prompt und hob die Hand als ob er in der Schule wäre, die anderen lachten „o.k.,“ sagte David lächelnd „also zwei von Euch sind verheiratet und A.J. hat eine Freundin. Ist das so korrekt,“ „Jeap,“ entgegnete A.J. und während er so tat, als ob er David angrinste warf er einen verstohlenen Blick zu Sarah hinüber. „Was passiert also mit Euren Beziehungen? Hat man neben der Arbeit auch noch Zeit dafür?“ „Leider viel zu wenig,“ antwortete Brian und Kevin und A.J. nickten zustimmend „wir sind teilweise von morgens früh bis spät in die Nacht am Arbeiten. Manchmal vergessen wir wirklich die Zeit. Alles soll ja perfekt sein, da kommen unsere Beziehungen teilweise schon zu kurz. Unsere Frauen sind das allerdings alles schon gewöhnt und akzeptieren das so.“ A.J. warf wieder einen schnellen Blick zu Sarah hinüber. Für die Kamera sah es so aus, als ob er gespannt auf Davids nächste Frage wartete. „Ich bin sowieso ewig weit weg,“ dachte Sarah bei sich „da ist es egal, ob er arbeitet oder zu Hause ist,“ sie seufzte leise und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Interview zu. „Gibt es schon einen Termin für die nächste Tour?“ „Nein, bis jetzt noch nicht,“ entgegnete Howie „wir wollen jetzt erstmal das Album abwarten.“ „Ja,“ mischte Kevin sich ein „ein Schritt nach dem Anderen. Sicher ist, das es eine Tour geben wird. Dann wollen wir uns auch nicht nur auf Amerika beschränken. Wir haben soviele Fans überall auf der Welt, die müssen wir auch unbedingt wieder besuchen.“ „Vielen Dank für dieses Interview und hoffentlich sehen wir uns bald wieder um ein bisschen ausführlicher über Euer neues Album zu sprechen. Das war's für heute,“ David wandte seinen Blick wieder in Richtung Kamera „ich hoffe wir sehen uns nächste Woche wieder. Bis dahin macht es gut, by.“ Die Jungs winkten zum Abschied, dann rief Archie „Cut,“ und das Interview war beendet. Die Scheinwerfer wurden wieder auf ein erträgliches Maß zurückgedimmt und sofort stürzten drei, vier Leute auf die Backstreet Boys zu um ihnen die Sender abzunehmen. Währenddessen plauderten die Jungs noch ein wenig mit Maria und David. Sarah kam sich auf ihrem Stuhl hier in der Ecke ausgeschlossen vor und so starrte sie unbeteiligt in ihren Kaffeebecher. „Noch vier Tage,“ dachte sie „und nur Termine, das kann ja heiter werden,“ Sie sah auf und erschrak, als plötzlich ein schwarzer Schatten vor ihr stand. „Hey Baby, ist alles in Ordnung?“ fragte A.J. und beugte sich zu ihr hinunter um sie auf die Stirn zu küssen. „Alles bestens,“ sagte sie und stellte zitternd ihren Kaffeebecher auf den Boden. „Ich habe mich nur etwas erschreckt, als Du so plötzlich vor mir standest.“ „Das tut mir leid,“ A.J. ging vor ihr in die Hocke und betrachtete prüfend ihr blasses Gesicht. „Du machst Dir Sorgen,“ stellte er fest. Wiedereinmal überraschte es sie, wie leicht A.J. in ihrem Gesicht lesen konnte. „Ich mache mir über viele Dinge Gedanken, ja. Aber ich krieg das schon in den Griff.“ A.J. seufzte „ich wünschte, Du würdest ab und zu Deine Gedanken mit mir teilen und nicht immer alles in Dich hineinfressen,“ er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte. „Was hältst Du davon, wenn wir heute Abend einen kleinen Ausflug an den Strand machen. Nur wir beide. Wir packen einen kleinen Picknickkorb und reden.“ Sarah nickte langsam „warum nicht. Ich glaube es wird Zeit, ein paar Dinge zu klären.“ A.J. überhörte ihren traurigen Ton „also abgemacht. Ich muss jetzt zu den Jungs zurück. Wir wollen uns unten nochmal zusammen bei den Fans sehen lassen. Maik wird Dich nach Hause bringen. Wir treffen uns dann dort, o.k.?“ „Sicher, bis später dann.“ „Bis später,“ er stützte sich auf ihre Knie und stand auf. Er gab ihr einen Abschiedskuss und ging dann ohne ein weiteres Wort zurück zu den Anderen. Traurig blieb Sarah noch einen Moment auf ihrem Stuhl sitzen. So fühlte es sich also an mit einer berühmten Persönlichkeit zusammen zu sein. Sie schüttelte den Kopf, darauf konnte sie auch gut und gerne verzichten. Seufzend stand sie auf und sah sich suchend nach Maik um. Sie entdeckte ihn im hinteren Teil des Raumes in eine Unterhaltung mit der Gestalt hinter dem Mischpult vertieft. Langsam ging sie auf ihn zu. Sie wich einigen Leuten aus, schlängelte sich um Kameras und Scheinwerfer herum und fühlte sich plötzlich ziemlich alleine in diesem ganzen Chaos, das sie nicht verstand. Sie warf einen Blick hinüber zu dem hellerleuchteten Bereich. Archie hatte sich in der Zwischenzeit zu der Gruppe gesellt und sie lachten und scherzten. Nick sah auf, entdeckte sie und winkte ihr lächelnd zu. Sie winkte zurück und wäre dabei beinahe in Maik hineingelaufen, der ihr entgegengekommen war. „Du fährst mit mir nach Hause?“ fragte er. Sarah nickte und sah nocheinmal zu A.J. hinüber. „Mach Dir nichts draus,“ sagte er „er geht voll und ganz in seiner Arbeit auf, da kann es schonmal vorkommen, daß er ein bisschen kurz angebunden wirkt. Aber er liebt Dich, das weiß ich. Du hättest ihn mal hören sollen, als er mir Anweisungen gab, Dich nach Hause zu bringen. Man könnte meinen er wäre der Bodyguard. Er hat große Angst um Dich.“ „Ich weiß,“ entgegnete Sarah „ich muss mich einfach erst an das alles gewöhnen,“ sie machte eine ausholende Handbewegung, die das Studio und die restliche Welt einzuschließen schien. „Na komm, ich lade Dich unterwegs auf einen Kaffee ein,“ sagte Maik sanft, legte ihr den Arm um die Schulter und führte sie aus dem Studio.

Kapitel 23