Kapitel 25
Am nächsten Morgen erwachte sie vom Rauschen der Dusche. Das Bett neben ihr war leer und genüsslich rollte sie sich auf die Seite und atmete A.J.s Duft ein, der noch ganz leicht in seinem Kissen hing. Kurz darauf trat er aus dem Bad, nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Guten Morgen Prinzessin, sagt er und beugte sich zu ihr hinunter um sie zu küssen. Kleine Wassertropfen benetzten dabei ihr Gesicht und Sarah zog eine Grimasse. A.J. lachte aufstehen Schlafmütze, wir müssen bald los. Wieder ein Interview? stöhnte Sarah. Ganz recht, wieder ein langweiliges Interview, grinste A.J.. Ich sehe schon, das muss ich wohl heute alleine erledigen. Schlimm? fragte sie. Nein, ist schon o.k. Es dürfte diesmal auch nicht so lange dauern. Ich denke in zwei bis drei Stunden bin ich wieder da. Wir könnten ja dann unser Picknick von gestern nachholen. Essen klingt garnicht schlecht, entgegnete Sarah und stand wiederwillig auf. Nachdem sie ebenfalls geduscht, die Zähne geputzt und sich angezogen hatte, ging sie hinunter. A.J. stand mit Maik zusammen in der Küche. Sie tranken Kaffee und redeten über Football. Guten Morgen Maik, Guten Morgen Sarah, gut geschlafen? Wie man es nimmt, entgegnete sie und schenkte sich ein Glas Orangensaft ein. Wie darf ich denn das verstehen? fragte Maik und sah dabei A.J. mit hochgezogenen Brauen an. Ich bin unschuldig, verteidigte sich dieser auch gleich und Sarah musste lachen. Nein, so war das nicht gemeint, ich hatte nur einen nicht besonders angenehmen Traum, das ist alles. O.k. Baby, ich muss los, sagte A.J. Mach Dir mit Maik einen schönen Vormittag. Wie gesagt, ich bin bald wieder zurück. Nur keine Hektik entgegnete Sarah ich komme schon zurecht. Sie gab ihm einen Abschiedskuss und zusammen mit Maik sah sie dem Minivan hinterher, bis er um die Ecke gebogen war. Und was machen wir zwei Hübschen jetzt? fragte Maik. Ich glaube ich hätte Lust ein bisschen shoppen zu gehen. Hier in der Nähe soll es ein nettes Einkaufszentrum geben, antwortete Sarah und wenig später waren sie auch schon auf dem Weg in die Shoppingmall. Sie bemerkten beide den dunklen Kombi nicht, der ihnen in dem dichten Verkehr mit einigem Abstand folgte. Maik fand einen Parkplatz in der Nähe des Eingangs und gemeinsam betraten sie das Einkaufszentrum. Alles war hier mit hellem Marmor und viel Glas ausgestattet. Rolltreppen führten in die weiteren vier Stockwerke in denen sich ein Geschäft an das andere reite. In der Mitte fuhr ein gläserner Fahrstuhl auf und ab. Trotz der frühen Uhrzeit waren schon viele Leute auf den Beinen und in einigen Geschäften herrschte ein mordsmäßiges Gedränge. Sarah schlenderte von einem Laden zum nächsten und probierte hier und da ein paar Kleider an. Sie kaufte einen todschicken roten Hut für Katrin und eine schwarze Baseballkappe für Jona. Als sie dann endlich im letzten Stockwerk ankamen waren sie beide ziemlich erschöpft und Sarahs Magen knurrte. Hier in der obersten Etage reihte sich ein Fastfoodladen an den nächsten. Sarah lief bei dem Anblick der Burger und dem Duft nach Pommes Frites das Wasser im Mund zusammen. Ich weiß ja nicht wie es Dir geht, sagte sie zu Maik aber ich könnte jetzt eine ganze Kuh verschlingen. Lass uns irgendwo hinsetzen und etwas essen. Maik nickte und gemeinsam gingen sie durch die Tischreihen und suchten nach einem freien Platz, was bei dem Gedränge garnicht so einfach war. Nach einigen Minuten hatten sie Glück. Zielstrebig ging Sarah auf einen Tisch zu, an dem sich gerade ein Vater mit seinen beiden kleinen Söhnen erhob. Kurz bevor sich eine ältere Dame mit ihrem Tablett niederlassen konnte lies sich Sarah auf den orangenen Plastikstuhl fallen und sah zu Maik auf. Einen riesen Cheeseburger mit Pommes und eine Cola bitte, sagte sie lächelnd und ignorierte dabei die Verwünschungen, die die alte Dame ausstieß. Diese trollte sich dann geschlagen mit ihrem Tablett und suchte weiter nach einem freien Tisch. Keine Chance, entgegnete Maik ich werde Dich nicht alleine hier sitzen lassen, Ach komm schon, entgegnete Sarah, die um nichts auf der Welt diesen schwer ergatterten Tisch wieder aufgeben wollte hier sind so viele Menschen, was soll da schon passieren? Er hat sich bis jetzt nicht blicken lassen und das wird er bestimmt die nächsten fünfzehn Minuten auch nicht. Ich bleibe ganz brav hier sitzen bis Du wieder da bist, mit einem treuherzigen Lächeln sah sie zu ihm auf. Sie sah, wie sich die widersprüchlichsten Gefühle in Maiks Gesicht widerspiegelten. Auf der einen Seite wollte er Sarah nicht von der Seite weichen, andererseits wußte er, daß sie nur mit viel Glück einen freien Tisch erwischt hatten. Seine Füße taten ihm bestimmt auch schon weh und sein Magen knurrte vernehmlich. Also gut, gab er mit einem kleinen Seufzer nach aber Du bleibst hier sitzen, wo ich Dich sehen kann und falls irgendetwas ungewöhnliches passiert, schreist Du so laut Du kannst, verstanden? Ey,Ey Chef, entgegnete Sarah und salutierte. Maik machte sich auf den Weg zu dem Stand, der ihrem Tisch am nächsten war und nach einem kurzen Moment hatte Sarah ihn in der Menge schon aus den Augen verloren. Erschöpft lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und beobachtete die Menschen um sich herum. An dem Tisch zu ihrer Linken saß ein junges Pärchen, die sich verliebt in die Augen blickten. Hin und wieder fütterte der junge Mann seine Partnerin mit einer Pommes und sie kicherte, wenn er diese, kurz bevor sie zubeißen konnte, wieder zurück zog. Sarah musste lächeln. Die beiden schienen die Welt um sich herum völlig vergessen zu haben. Rechts von ihr saß ein älterer Herr in einem dunklen Anzug. Er hatte einen Stapel Papiere neben seinem Salat ausgebreitet und während er sich abwesend ein Salatblatt nach dem Anderen in den Mund schob, blätterte er darin und machte sich hin und wieder Notizen. Direkt vor ihr saßen zwei junge Mädchen mit dem Rücken zu ihr. Sie steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Dabei sahen sie immer wieder verstohlen zu einem jungen, gutaussehenden Mann hinüber, der einige Tische entfernt saß. Sarah warf einen sehnsüchtigen Blick nach rechts in Richtung Essensstand. Sie hatte wirklich Hunger. Plötzlich wurde ihr ein Gegenstand in die linke Seite gepresst und eine Stimme flüsterte ihr ins Ohr keine Zicken, sonst puste ich Dir ein Loch so groß wie Frankreich in Deinen schönen Körper. Sarah erstarrte. Der vertraute Geruch von Davidoff stieg ihr in die Nase. Das war Markus Lieblingsaftershave und noch heute wurde ihr regelmäßig schlecht, wenn sie es an irgendjemandem wahr nahm. Steh langsam auf, keine schnellen Bewegungen, sagte Markus immernoch so nah an ihrem Ohr, daß sie seinen warmen Atem spüren konnte. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen stieß er den harten Gegenstand noch tiefer in Sarahs Seite. Sie stöhnte leise auf und erhob sich dann zitternd von ihrem Stuhl. Schnell warf sie einen Blick nach rechts, doch von Maik war nichts zu sehen. Du brauchst Dich garnicht anstrengen, sagte Markus, der ihren Blick bemerkt hatte. Dein neuer Freund steht in einer ewig langen Schlange und wird sicherlich noch eine Weile brauchen. Los jetzt, Markus, das hat doch keinen Sinn, Sarah versuchte etwas Zeit zu gewinnen die Polizei hat Dich schneller, als Du piep sagen kannst. Das werden wir ja erstmal sehen, entgegnete Markus unwirsch und mit einem weiteren Stoß in die Rippen bedeutete er ihr, sich in Bewegung zu setzen. Langsam ging sie um ihren Tisch herum, Markus wich ihr dabei kein Stück von der Seite und als sie den etwas breiteren Hauptgang erreicht hatten ging er neben ihr, den Arm vertraulich um ihr Schulter gelegt. Über den linken Arm hatte er eine Jacke gelegt, darunter hielt er eine Waffe in der Hand, dessen war Sarah sich sicher, und die Mündung zielte genau auf ihre Nieren. Verzweifelt blickte Sarah sich um, doch keiner schien notiz zu nehmen von der zierlichen, bleichen jungen Frau, die von einem großen dunkelhaarigen Mann zum Fahrstuhl geführt wurde. Als sie dort ankamen hielt gerade eine Kabine und die Türen öffneten sich. Mehrere Leute stiegen aus, ohne auf das Pärchen zu achten. Unsanft stieß Markus sie dann hinein Erdgeschoss, befahl er und automatisch streckte Sarah die Hand aus und drückte auf den entsprechenden Knopf. Die Türen schlossen sich, ohne daß noch jemand zugestiegen war und ohne ein einziges Mal anzuhalten rauschte der Fahrstuhl nach unten. Während der kurzen Fahrt überlegte Sarah fieberhaft, wie sie Markus entkommen konnte, doch schnell wurde ihr klar, daß sie keine Chance hatte. Sie kannte Markus gut genug um zu wissen, daß er sie ohne mit der Wimper zu zucken vor all diesen Leuten erschießen würde, wenn sie ihm einen Anlass dazu gab. Zitternd stand sie neben ihm in der engen Kabine, Angst schnürte ihr die Kehle zu und Tränen traten ihr in die Augen. Als sich im untersten Stockwerk die Türen öffneten dirigierte Markus sie in Richtung Hauptausgang. Sarah hätte sich gerne noch einmal umgesehen, doch sie traute sich nicht. Mittlerweile musste Maik ihr Verschwinden doch bemerkt haben. Ihre Einkaufstüten und sogar ihre Handtasche standen immernoch oben auf dem orangenen Plastikstuhl. Unbehelligt erreichten sie den Parkplatz. Neben einem dunkelblauen Ford Kombi blieb Markus stehen. Er nahm seine Hand, die immernoch schwer auf ihrer Schulter lastete, herunter und kramte in seiner Hosentasche nach den Autoschlüsseln. Dabei lies er sie keinen Moment aus den Augen und die Waffe hielt er weiterhin auf sie gerichtet. Dann drückte er ihr die Schlüssel in die Hand. Mach die Tür auf, ganz langsam und mach keine Faxen. Sarahs Hände zitterten so sehr, daß sie es beinahe nicht geschafft hätte, die Schlüssel ins Schloss zu stecken. Markus wurde an ihrer Seite immer ungeduldiger nun mach schon, knurrte er. Nach dem dritten Anlauf glitt der Schlüssel endlich ins Schloss und erleichtert öffnete sie die Tür. Was jetzt? fragte sie. Markus entriss ihr die Autoschlüssel steig ein und denk noch nicht mal daran abzuhauen. Ich bin ein guter Schütze. Sarah lies sich langsam auf den Fahrersitz gleiten und nachdem Markus die Tür hinter ihr zugeschlagen hatte, eilte er schnell um den Wagen herum. Für einen kurzen Moment war sie nahe dran einfach die Tür wieder zu öffnen und so schnell sie ihre Beine tragen konnten davon zu laufen. Doch bevor sie diesen Gedanken zu ende führen konnte öffnete Markus schon die Beifahrertür und setzte sich neben sie. Mit der linken Hand schob er den Schlüssel ins Zündschloss, die Rechte war immernoch unter seiner Jacke verborgen und zielte auf ihren Bauch. Fahr los, immer schön an die Geschwindigkeitsbeschränkungen halten und keine Schlangenlinien fahren. Dann verspreche ich Dir auch, Dich nicht umzubringen. Wie tröstlich, murmelte Sarah während sie den Wagen anließ, doch ihre Worte gingen in dem Geräusch unter. Sie lenkte den Wagen vom Parkplatz und reihte sich in den dichten Verkehr ein. Markus dirigierte sie durch die halbe Stadt und wenig später hatten sie den Highway erreicht. Außer wenn er seine Kommandos gab, sprach er kein Wort. Sein Blick ruhte gelassen auf ihr und für keinen noch so winzigen Augenblick lies er die Waffe sinken. Wo fahren wir hin? versuchte Sarah ein Gespräch in Gang zu bringen. Das wirst Du noch früh genug erfahren, entgegnete Markus schroff bieg hier ab. Sarah verließ den Highway und nach wenigen Metern fuhren sie eine gewundene Küstenstraße entlang. Links von ihr ging es etwa hundert Meter steil in die Tiefe und rechts ragten zerklüftete Felsen empor. Bei einer anderen Gelegenheit hätte Sarah den Ausblick auf das glitzernde Meer sicherlich genossen, heute hatte sie allerdings keinen Blick dafür. Ihr Gedanken kreisten um eine mögliche Flucht. Doch die Szenarien Während-der-Fahrt-aus-dem-Auto-springen und Einfach-die-Klippen-hinunter-fahren verwarf sie gleich wieder. Sie sagte sich immer wieder, daß sie Geduld haben musste. Momentan konnte sie gegen Markus nichts ausrichten. Dann dachte sie an A.J.. Er würde sich bestimmt große Sorgen und wahrscheinlich auch Vorwürfe machen. Er würde bestimmt die Polizei alarmieren, doch wie sollten die sie bloß finden? Sie dachte an Jona und Katrin und ob sie sie wohl je wiedersehen würde. Doch spätestens hier schüttelte sie innerlich den Kopf. Sie würde nicht kampflos aufgeben. Es würde sich bestimmt irgendwann eine Möglichkeit ergeben. Leider verspürte sie im Moment relativ wenig von der starken Entschlossenheit, die sie sich selbst versuchte einzureden. Im Gegenteil, innerlich zitterte sie vor Angst und es viel ihr zunehmend schwerer nach außen hin Gelassenheit zu zeigen. Der Verkehr war hier auf der Küstenstraße nur spärlich und so kamen sie viel zu schnell voran. Schweigend legten sie Kilometer um Kilometer zurück. Irgendwann machte die Straße einen Rechtsbogen. Sie verließen die Küste und fuhren weiter ins Hinterland hinein. Links und rechts erstreckten sich nun Mais- und Getreidefelder und Sarah erblickte ab und zu in der Ferne den rauchenden Schornstein eines Bauernhofs. Ansonsten wirkte die Gegend verlassen. Nur selten kam ihnen ein Auto oder ein Traktor entgegen. Außerdem fuhren sie jetzt sicherlich schon zwanzig Minuten durch diese eintönige Landschaft und sie waren noch durch keinen Ort oder wenigstens an einer Tankstelle vorbei gekommen. Sarah sah ihre Chancen, doch noch von der Polizei gerettet zu werden mit jedem Meter schwinden. Nach weiteren fünf Minuten deutete Markus mit der freien Hand nach vorne. Bieg dort nach rechts ab. Sarah tat wie ihr geheißen und nach wenigen Metern kamen sie an einem verwitterten Schild mit der Aufschrift Petrol Motel - 500m rechts vorbei. Markus dirigierte sie dann auch kurz darauf nach rechts auf einen holprigen Feldweg und hinter einer Baumgruppe tauchte auch schon bald ein ziemlich heruntergekommener Gebäudekomplex auf. Sie passierten ein altes Weidegatter, daß schief in den Angeln hing und so aussah, als währe es seit Jahren nicht mehr bewegt worden. Gras überwucherte es bereits hüfthoch. Direkt dahinter verkündete ein großes, mit staub bedecktes Schild Willkommen im Patrol-Hotel, das ruhigste Fleckchen Erde des Südens. Das glaube ich unbesehen, dachte Sarah sarkastisch und steuerte den Wagen nun langsam, wegen der vielen Schlaglöcher, auf einen großen, verlassenen Parkplatz. Das Gebäude war U-förmig angelegt. Sie befanden sich in der Mitte dieses Hufeisens. Direkt vor ihr erstreckte sich eine langgezogenen Veranda von der im Abstand von ca. 5m eine Tür nach der anderen abging. Direkt in der Mitte prangte das Schild Office neben dem einzigen, mit Brettern vernagelten Fenster. Rechts und links verliefen die beiden kürzeren Enden des U. Auch dort führte eine Tür nach der anderen in Zimmer, die sich Sarah lieber nicht vorstellen wollte. Markus dirigierte sie nach links und vor der letzten Tür bedeutete er ihr, den Wagen anzuhalten. Willkommen daheim, sagte Markus grinsend und stieg aus dem Wagen aus. Schnell kam er um das Auto herumgelaufen und bevor Sarah auch nur einen Fuß auf den Boden setzen konnte, hatte Markus sie schon am Arm gepackt und stieß sie unsanft in Richtung Zimmer Nr. 102. Stolpernd lief Sarah auf das Gebäude zu, dicht gefolgt von Markus, der sie keine Sekunde aus den Augen lies. Zwei staubige Stufen führten die Veranda hinauf und das morsche Holz knirschte unter ihren Schuhen, als sie auf die Tür zuging. Markus öffnete sie und Sarah bemerkte erstaunt, daß sie nicht verschlossen war. Dahinter befand sich ein nicht sehr großer Raum. In dem bisschen Licht, daß durch die offene Tür herein fiel erkannte Sarah zwei Betten mit Metallgestell auf denen zerschlissene, blaue Tagesdecken lagen, daneben standen zwei kleine, schiefe Nachtschränkchen und davor ein viereckiger Tisch mit zwei Stühlen. Ein Fernseher, dessen Bildschirm zerborsten war, stand in einer Ecke auf einem kleinen Schränkchen. Im hinteren Teil des Raumes konnte man eine Tür erkenne, die wahrscheinlich ins Badezimmer führte. Daneben war ein kleines Fenster, daß allerdings ebenfalls mit Brettern vernagelt war und nur einige schmale Lichtstreifen, in denen Staubpartikel tanzten, hereinließ. Alles in allem wirkte der Raum, als hätte ihn seit Jahren keiner benutzt. Der Boden war notdürftig gekehrt worden, wahrscheinlich von Markus, als er sein Versteckt ausgekundschaftet hatte. In den Ecken und auf den wenigen Möbeln lag allerdings immernoch zentimeterhoch der Staub. Markus betätigte den Lichtschalter und in dem Licht der nackten Glühbirne wirkte der Raum noch trostloser. Sarah schluckte und machte vorsichtig zwei Schritte in den Raum hinein. Angewidert blieb sie dann stehen. Die abgestandene Luft roch muffig und vermischte sich mit einem anderen, süßlichen Geruch, den Sarah nicht gleich deuten konnte. Zum lüften hatte ich leider nicht genug Zeit, sagte Markus grinsend, während er die Tür hinter ihr schloss. Als ich hier das erste Mal ankam, lag ein totes Kaninchen unter dem Bett. Zumindest nehme ich mal an, daß es ein Kaninchen war, viel war nicht mehr davon übrig. Sarah versuchte die aufkommende Übelkeit zurückzudrängen. Jetzt erinnerte sie sich an diesen Geruch, es war der selbe, den sie gerochen hatte, als sie vor einem Jahr von einem zweiwöchigen Urlaub zurückgekommen war und ihre Wohnung betrat. Eine Maus hatte sich irgendwie in ihr Badezimmer verirrt und hatte keinen Weg nach draußen gefunden. Sie war elendig auf dem kleinen Teppich vor dem Waschbecken verendet und die Verwesung war schon weit fortgeschritten gewesen, als sie sie entdeckt hatte. Dieser eklige, süßliche Geruch hatte tagelang in ihrer Wohnung gehangen, obwohl sie sofort alle Türen und Fenster aufgerissen hatte. Sie war vorübergehend bei Jona eingezogen und war jeden Tag voller Angst in ihre Wohnung zurückgekehrt um zu sehen, ob der Geruch verschwunden war und ob ihre Habseligkeiten noch an ihrem Platz waren. Es war ziemlich unwahrscheinlich, daß jemand an der glatten Hauswand in den vierten Stock hinauf kletterte um sie auszurauben, trotzdem kontrollierte sie jedes Mal mit angehaltenem Atem alle Zimmer. Der Geruch in diesem Motelzimmer war Gott sei Dank nicht ganz so stark, doch es reichte, daß sich ihr Magen unruhig anfühlte. Markus trat nun neben sie und packte sie am Arm. Die Jacke, die die ganze Zeit seine Hand verdeckt hatte, hatte er achtlos auf einen Stuhl geworfen. Mit einem kurzen Blick stellte sie fest, daß die Waffe in seiner Hand um einiges größer war, als die, die sie bei Robert gesehen hatte (war das tatsächlich erst gestern gewesen?). Auch war sie nicht schwarz sondern silbern und der Lauf zeigte wieder auf ihren Bauch, als hätte sie einen Magneten verschluckt, der die Waffe immerwieder auf den richtigen Punkt ausrichtete. Die Angst, die sie beim Anblick des Zimmers fast vergessen hatte, kehrte nun mit aller Macht zurück. Sie war hier draußen allein, allein mit diesem Wahnsinnigen und seiner Waffe. Mittlerweile war sie zu der Überzeugung gelangt, daß sie die einzigen Gäste in dieser heruntergekommenen Absteige waren und das sie nicht auf die Hilfe eines Angestellten hoffen konnte, da diese das Gebäude vor langer Zeit verlassen hatten. Sie hatte keine Ahnung, was Markus mit ihr vor hatte, doch sie war sich sicher, das es nichts Gutes sein konnte. Zieh Deine Turnschuhe und die Jeans aus, sagte nun Markus auch wie aufs Stichwort und Sarah blickte ängstlich zu ihm auf. Sie war unfähig auch nur einen Finger zu rühren, ihre Knie schlotterten und das Blut pochte ihr in den Schläfen. Bilder ihrer Ehe tauchten sofort in ihrem Kopf auf. Wie Markus schnaufend und schwitzend über ihr lag und sie bei jedem Stoß seiner Lenden dachte, es würde sie einfach zerreißen. Tränen liefen ihr über die Wange und die Übelkeit verstärkte sich. Immernoch war sie unfähig sich zu rühren. Unvermittelt traf sie seine flache Hand im Gesicht und durch die Wucht seine Schlages wurde sie zurückgeschleudert und landete unsanft auf dem Bett, das am weitesten von der Tür entfernt stand. Die alten Sprungfedern protestierten quietschend unter ihr und ein heißer Schmerz breitete sich auf ihrer rechten Wange aus. Nur das eines klar ist, sagte Markus wütend ich habe hier das Sagen und wenn ich sage zieh Dich aus, dann tust Du das auch gefälligst. Mit einem kurzen Wink seiner Waffe verlieh er seinen Worten Nachdruck. Sie wollte ihn auf keinen Fall noch mehr reizen und so begann sie mit zitternden Fingern ihre Jeans auf zu knöpfen. Sie streifte sich die Turnschuhe von den Füßen und nachdem sie auch die Jeans ausgezogen hatte, saß sie zittern, nur noch mit ihrem weißen Top und einem weißen Höschen bekleidet auf der Bettkante. Na also, sagte Markus etwas besänftigt geht doch. Mit schnellen Schritten ging er um das Bett herum und öffnete mit einiger Mühe die verzogene Schublade des kleinen Nachtschränkchens. Wie ein Zauberer sagte er Abrakadabra, und mit einer schwungvollen Handbewegung holte er ein paar chromglänzende Handschellen hervor, so als ob er ein Kaninchen aus dem Hut zauberte. Das eine Ende machte er an dem Metallgestell des Bettes fest und das Geräusch mit dem sich die Handschelle darum schloss lies Sarah frösteln. Dann wandte er sich wieder ihr zu komm hier rüber, sagte er und wedelte dabei mit der Waffe in seiner Hand. Das kannst Du doch nicht machen, Markus, flehte Sarah und konnte ihren Blick dabei nicht von dem baumelnden Stück Metall lösen, daß da am Bett hing. Und ob ich das kann und wenn Du nicht bei drei hier bist zeige ich Dir noch ganz andere Sachen die ich mit Dir machen kann, knurrte Markus und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Eins ... zwei ... Ein Schluchzer entrang sich Sarahs Kehle und mit steifen Gliedern begann sie auf dem Bett auf ihn zu zu krabbeln. Als sie das Kopfende erreicht hatte blieb sie wie erstarrt sitzen. Markus packte ihren rechten Arm und schlang das andere Ende der Handschelle um ihr Handgelenk. Klickend rasteten die Metallbolzen ein. Ihre Hand hing nun schlaff in Höhe ihres Kopfes, sie konnte sich nur noch einige Zentimeter vor und zurück bewegen, die Handschelle schnitt ihr jetzt schon unangenehm ins Fleisch und ihre Wange pochte immernoch dort, wo sie sein Schlag getroffen hatte. Markus trat einige Schritte vom Bett zurück und betrachtete zufriedenen sein Werk. Dann nickte er und ging hinüber zu dem kleinen Tisch. Endlich legte er die Waffe aus der Hand und ließ sich dann auf einen der Stühle fallen. Sarah lehnte sich erschöpft an das Kopfende des Bettes und zog die Beine fest an ihren Körper. Sie versuchte die Arme darum zu schlingen, doch ein metallisches Klirren und ein stechender Schmerz, der sofort durch ihr Handgelenk schoß, erinnerte sie daran, daß das nur mit einem Arm möglich war. Sie biss die Zähne zusammen und schloss für einen Moment die Augen. So saßen sie sich dann für eine Weile schweigend gegenüber. Markus weidete sich sichtlich an Sarahs Angst und Schmerzen und unvermittelt begann er zu lachen. Weißt Du, es ist schon eine komische Sache. Da tust Du alles um mich zu demütigen, zerrst mich in einen Prozess, der mich meinen Ruf und meine Existenz kostet, hurst mit irgendwelchen milchgesichtigen Boybandsängern herum und jetzt sieh Dich an. Was hat es Dir genutzt? Garnichts. Wir sind einfach füreinander bestimmt, siehst Du das endlich ein? Du kannst noch so sehr versuchen, Dein eigenes Leben zu führen, all Dein Tun führt Dich doch nur zurück zu mir. Sarah hatte während er sprach die Augen geöffnet und sah ihn nun voller Abscheu an Du kannst mich vielleicht hier festbinden und glauben, ich gehöre jetzt ganz Dir, aber so funktioniert das nicht. Mein Herz wird immer einem Anderen gehören und Dir kann ich nicht mehr als Verachtung entgegenbringen. Finde Dich schonmal damit ab, egal was Du tust, Du wirst Dein Ziel niemals erreichen. Sie sah, wie Markus die Zähne zusammen biss und sich seine Augen zu wütenden Schlitzen verengten. Instinktiv zog sie den Kopf tiefer zwischen die Schultern und rechnete mit weiteren Schlägen. Doch nichts passierte. Markus entspannte sich wieder und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus Ich habe schon mehr Macht über Dich, als Dir lieb ist. Ich habe Zeit und ich garantiere Dir, irgendwann wirst Du mich anflehen bei Dir zu bleiben. Mit diesen Worten stand er auf und zog seine Jacke an. Ich werde jetzt erstmal was zu Essen für uns besorgen. Du solltest hoffen, daß die Polizei mich nicht schnappt. Hier draußen finden sie Dich ganz bestimmt nicht und in spätestens zwei Tagen bist Du verdurstet, wenn Du nicht vorher von einem herumstreunenden Köter angenagt wirst. Also, drück mir die Daumen Schatz. Er kam zu ihr herüber, beugte sich hinunter und wollte sie küssen. Schnell dreht sie den Kopf zur Seite doch er hatte diese Bewegung vorausgeahnt. Er packte sie grob bei den Haaren und zwang sie so ihn anzusehen. Mit der freien Hand packte er ihr Kinn und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Als er sich von ihr löste spuckte Sarah ihm ins Gesicht Du Bastard, zischte sie noch, bevor seine Faust sie an der Schläfe traf. Sie sackte zur Seite und verlor für einen Moment das Bewusstsein. Als sie wieder zu sich kam, hörte sie gerade noch, wie die Tür ins Schloss viel. Ihr Arm war schmerzhaft verdreht und vorsichtig richtete sie sich wieder auf um ihre schmerzenden Glieder zu entspannen. Tausende kleiner Punkte tanzten vor ihren Augen und die bekannte Übelkeit meldete sich wieder zurück. Sie legte ihren Kopf auf die angezogenen Knie und atmete ein paarmal tief durch. Langsam legte sich die Übelkeit und auch das Flimmern vor ihren Augen lies nach. Stattdessen pochte nun ihr Schädel als wollte er zerspringen. Die Tränen, die sie so lange zurückgehalten hatte bahnten sich nun mit aller Macht ihren Weg und schluchzend brach sie auf dem Bett zusammen. Nach einer Weile versiegten die Tränen und die Verzweiflung wich einer wilden Entschlossenheit. Dieses Monster sollte sich nicht einbilden, daß sie kampflos aufgeben würde. Sie setzte sich auf und lies ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Als erstes entdeckte sie Markus Waffe, die er achtlos auf dem kleinen Tisch liegen gelassen hatte. Ein heiteres Grinsen breitete sich auf Sarahs Gesicht aus. Das war ein Fehler, dachte sie. Vorsichtig schwang sie ihre Füße vom Bett. Sie stand auf und versuchte, so weit es die Handschellen eben zuließen, in die Nähe des Tisches zu kommen. Doch es reichte nicht annähernd. So lang sie sich auch machte und so sehr sie auch an den Handschellen zerrte, berührten ihre Fingerspitzen nur das Fußende des Bettes. Sie drehte sich um und betrachtete das Bett. Es schien nicht besonders schwer zu sein und doch hatte es sich bei ihrer ganzen bisherigen Anstrengung keinen Zentimeter bewegt. Entschlossen packte sie das metallene Kopfende und zerrte daran. Weder das Bett noch das Metallgitter bewegten sich. Das gibt es doch nicht, fluchte Sarah laut alles hier ist vergammelt und vermodert und ausgerechnet das Bett steht fest wie ein Fels in der Brandung. Sie versuchte es erneut. Sie ächzte und stöhnte unter der Anstrengung, doch nichts passierte. Plötzlich rutschten ihre schweißnassen Hände von dem Metallgestell ab, die Handschellen schnitten ihr dabei tief ins Fleisch und sie kugelte sich fast den Arm aus als sie hinten über viel. Hart schlug sie mit dem Hinterkopf gegen die Bettkante und wieder begann sie Sterne zu sehen. Scheiße, brüllte sie laut und einmal mit dem schreien angefangen konnte sie nicht mehr damit aufhören. Hilfe, rief sie so helft mir doch. Ist da jemand, bitte. Ich brauche Hiiilfe. sie schrie und schrie und wußte doch tief in ihrem Innern, das sie da draußen niemand hören würde. Irgendwann brachte sie kaum noch einen Ton heraus. Jeder Knochen im Körper tat ihr weh, ihre Kehle brannte von dem vielen Schreien und Weinen und sie hatte unglaublichen Durst. Mühsam richtete sie sich auf und als sie gerade dabei war sich mit der freien Hand abzustützen um sich auf die Knie und danach wieder auf das verfluchte Bett zu begeben sah sie plötzlich, warum sich das Bett keinen Zentimeter bewegt hatte. Direkt vor sich sah sie den Fuß des Bettgestelles. Der chromglänzende Kopf einer Schraube lachte sie an und schien sie zu verspotten. Der Bastard hat das Bett am Boden festgeschraubt, murmelte sie ungläubig. Ganz recht, antwortete ihr plötzlich eine Stimme und erschrocken fuhr Sarahs Kopf unter dem Bett hervor. Markus war unbemerkt von seinem Einkaufstrip zurückgekehrt und stand nun vergnüglich grinsend mit zwei Papiertüten in den Händen über ihr. Ich bin doch nicht blöd. Hast Du wirklich gedacht ich würde es Dir so einfach machen? belustigt schüttelte er den Kopf und stellte die beiden Tüten auf dem Tisch ab. Seufzend richtete sich Sarah auf und setzte sich wieder auf das Bett. Vorsichtig rieb sie sich den Hinterkopf und ertastete dabei eine riesige Beule. Wenigstens keine Platzwunde, dachte sie während sie ihre Finger betrachtete, an denen keine Spur von Blut zu sehen war. Dann blickte sie zu Markus hinüber, der gerade dabei war, die Einkaufstüten auszupacken. Nacheinander holte er Toastbrot, ein wenig Käse, gekochten Schinken, ein Glas mit Essiggurken, zwei Tüten Chips, eine Packung Cracker und zwei Flaschen Mineralwasser hervor und stapelte alles ordentlich neben dem kaputten Fernseher auf das kleine Schränkchen. Als Sarah das Wasser sah wurde sie sich sofort wieder ihres trockenen und schmerzenden Halses bewusst. Könnte ich bitte etwas zu trinken haben? fragte sie und rechnete halb damit, daß Markus ihr diese Bitte verweigern würde, nur um sie noch ein bisschen mehr zu quälen. Doch ohne zu zögern griff Markus zur Wasserflasche, verschwand damit für einen Moment im Badezimmer und kam mit einem Plastikbecher zurück. Er goss etwas Wasser hinein und reichte ihn Sarah. Sie setzte ihn an und mit zwei großen Schlucken hatte sie ihn geleert. Noch mehr, sagte sie gierig und hielt ihm den Becher entgegen. Markus füllte ihn erneut und sah ihr beim Trinken zu. O.k. mein Schatz, hier ist der Deal. Du verhältst Dich brav und anständig und tust das was ich Dir sage, im Gegenzug dazu werde ich dafür sorgen, daß Du es hier so bequem wie möglich hast. Das bedeutet etwas zu trinken und zu essen wann immer Du willst. Zumindest so lange bis ich mir überlegt habe, wie es weiter geht. Wie es weiter geht? fragte Sarah ungläubig das heißt, Du hast mich einfach so in die Wildnis geschleppt und weißt noch nicht mal, was Du als nächstes mit mir vorhast? Markus zuckte nur die Schultern es musste schnell gehen. Immerhin waren die Chancen Dich ohne Deinen Bodyguard und den eingebildeten Fatzke zu erwischen ziemlich gering. Außerdem warst Du ja schon fast wieder auf dem Weg nach Hause. Sarah schüttelte ungläubig den Kopf. Markus erzählte dies alles so nüchtern, als ob es sich hier um einen Sonntagsausflug handelte. Dir ist schon klar, daß Du hier eine Straftat begehst, oder? fragte sie dann auch ich meine, diesmal kommst Du nicht so glimpflich davon. A.J. wird alles in Bewegung setzen um mich zu finden und dann wirst Du für eine sehr lange Zeit eingesperrt, das verspreche ich Dir. Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihr und packte sie an der Kehle. Er drückte sie rücklings aufs Bett und stand dann mit wütend blitzenden Augen über ihr Ich will seinen Namen Niedere aus Deinem Mund hören, hast Du verstanden? Du gehörst mir und niemand, ich wiederhole niemand hat das Recht auch nur an Dich zu denken. Sarah konnte nur ein Nicken andeuten, so fest hielt er sie umklammert. Sie versuchte mit der linken Hand seine Umklammerung zu lösen, doch er drückte nur noch fester zu. Sie bekam keine Luft mehr und begann wild mit den Beinen zu strampeln. Unvermittelt lies er sie los und trat einen Schritt zurück. Sarah wälzte sich hustend und nach Atem ringend zu Seite. Das soll Dir eine Lehre gewesen sein, sagte Markus schwer atmend mach mich Niedere wütend, sagte er und zeigte dabei mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf sie. Dann wandte er sich um und verschwand im Bad. Sarah rollte sich zitternd auf dem Bett zusammen, soweit es ihre festgekettete Hand zuließ, und schloss die Augen. Ganz ruhig, sagte sie sich immer wieder in Gedanken Du darfst ihn nicht provozieren. Hab Geduld. Tu was er sagt und gedulde Dich. Warte auf den richtigen Zeitpunkt. Irgendwann macht er einen Fehler. Alles in Ordnung so lange Du Dich ruhig verhältst. Also, nur die Ruhe, nur die Ruhe. Dieses Mantra beruhigte sie nach und nach, ihr Atem ging wieder regelmäßig und die Panik zog sich langsam in ihr dunkles Versteck zurück. |