Kapitel 26

Als Markus aus dem Bad zurück kam, hatte sie sich wieder aufgesetzt, sich ein Kissen in den Rücken gestopft und es sich den Umständen entsprechend bequem gemacht. Nachdem er sich die Schuhe ausgezogen hatte, legte er sich auf das Bett neben ihrem, stützte den Kopf in die Hand und sah zu ihr hinüber. Sarah hätte gerne gewusst, welcher kranke Gedanke momentan in seinem Kopf die Runde machte und was er als nächstes mit ihr vorhatte. Doch seinem Gesicht war nichts anzusehen, er sah sie einfach weiter eindringlich an, ohne einen Ton zu sagen. „Wie hast Du mich eigentlich gefunden?“ fragte Sarah und hoffte ein Gespräch würde ihn erstmal davon abhalten ihr irgendwie zu nahe zu kommen. „Oh, das war eigentlich relativ einfach,“ sagte Markus und ein gewisser Stolz schwang dabei in seiner Stimme mit „ Deinen Bruder zu finden war erstmal nicht besonders schwer. Ich war zuerst in Braunschweig, doch da sagte man mir, daß ihr vor zwei Jahren umgezogen seit. Erinnerst Du Dich an die spießigen Nachbarn Deiner Eltern?“ Sarah nickte. Sie konnte sich noch gut an das nette, ältere Ehepaar in Braunschweig erinnern. Ihrer Meinung nach waren die beiden die liebsten und hilfsbereitesten Menschen, die man sich vorstellen konnte. Sie hatten ihr und Jona nach dem Tod ihrer Eltern sehr geholfen. Elisabeth hatte sich anfangs nur ein wenig um den Haushalt gekümmert, da Sarah ihr Zimmer tagelang nicht verlassen hatte. Nach und nach hatte sie dafür gesorgt, daß Sarah und Jona wieder ins Leben zurück kehrten, hatte endlose Gespräch mit ihnen über den Tod und den Sinn des Lebens geführt. Walther hatte sich um den riesigen Garten und den Einkauf gekümmert. Er hatte lange Zeit kein Wort mit ihnen gesprochen, doch er war immer zur Stelle, wenn es irgendetwas am Haus oder am Auto zu reparieren gab. Sie waren beide nicht besonders glücklich über den Umzug nach Mannheim gewesen, doch Sarah und Jona konnten sie davon überzeugen, daß ein Neuanfang genau das Richtige war, was sie jetzt brauchten. Unter Tränen hatten sie sich damals voneinander verabschiedet und Sarah telefonierte heute noch mindestens alle zwei Wochen mit ihnen. Sie hatte ihnen nie von Markus erzählt, was sie sogleich bereute, als er weiter sprach. „Sie waren sehr auskunftsfreudig und haben mir erzählt, daß Dein Bruder und Du nach Mannheim umgezogen sind. Sie haben mich sogar zu einem Kaffee eingeladen und ich habe anstandslos eine Stunde Spießigkeit ertragen,“ sagte er mit stolzgeschwellter Brust. Sarah drehte sich der Magen um als sie daran dachte, was alles hätte passieren können, wenn er nicht gleich seinen Willen bekommen hätte. Mittlerweile traute sie ihm alles zu. „Jedenfalls bin ich dann auf direktem Wege nach Mannheim gefahren. Die nette nennen-Sie-mich-doch-Elisabeth-Schlampe hat mir verraten, daß Jona dort studiert, ich musste also nur warten, bis mir Dein Bruder in der Uni über den Weg läuft. Natürlich war er nicht begeistert mich zu sehen. Ich konnte richtig dabei zuschauen, wie er sich überlegt hat, mir jetzt gleich an Ort und Stelle eine rein zu hauen,“ Markus lachte und Sarah währe am Liebsten auf ihn losgegangen. „Leider war er nicht sehr redselig. Immerhin hat er sich ein bisschen verplappert und mir gestanden, daß Du nicht im Lande bist,“ er lachte erneut „Du hättest sein Gesicht sehen sollen als ihm aufging, daß er mir mehr verraten hatte, als er eigentlich wollte. Wirklich gebracht hat mir die Auskunft natürlich nichts. Doch wie das Leben manchmal so spielt, hat mich ein glücklicher Zufall zu Dir geführt,“ er machte eine kurze Pause und vergewisserte sich, daß Sarah nun auch wirklich an seinen Lippen hing „das Internet ist wirklich eine tolle Sache,“ fuhr er dann fort „ich habe nur so aus Langeweile in einem Internetcaffee Deinen Namen in eine Suchmaschine eingegeben und tataaa, er hat ein Foto von Dir und diesem Lackaffen ausgespuckt. Wirklich unglaublich. Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich mir die ganze Aktion in Braunschweig und mit Deinem Bruder sparen können.“ „Du hast ein Foto von mir und A.J. im Internet gefunden?“ fragte Sarah ungläubig und hätte sich am liebsten gleich dafür auf die Zunge gebissen. Bei A.J.s Namen verfinsterte sich Markus Blick und sie sah wie sich sein ganzer Körper anspannte. „ Was habe ich Dir vorhin über diesen Mistkerl gesagt?“ fragte er drohend und richtete sich auf dem Bett auf „es tut mir leid,“ versuchte Sarah ihn schnell zu beschwichtigen „ich habe nicht nachgedacht.“ „Wie immer, Du redest erst, bevor Du Dein bisschen Verstand einschaltest,“ sagte Markus und saß nun aufrecht auf der Bettkante. Ein schneller Schritt trennte ihn von Sarah, die unbewusst ein Stückchen weiter von ihm weg rutschte. „Merke Dir ein für alle mal, dieser Typ ist für Dich gestorben, kapiert? Du wirst ihn nie wieder sehen oder auch nur an ihn denken, hast Du mich verstanden?“ „Ja,“ Sarah nickte unterwürfig und hoffte, daß Markus ihr das abkaufte. „Gut,“ er legte sich wieder zurück auf das Bett, verschränkte die Arme im Nacken und starrte an die Zimmerdecke. Sarah konnte kaum glauben, wie schnell er sich wieder beruhigt hatte. „Vielleicht sollte ich doch noch was gegen diesen Mistkerl unternehmen,“ sagte er laut und sah dann mit einem wölfischen Grinsen zu Sarah hinüber. Ihr gefror das Blut in den Adern. Er würde A.J. doch nicht wirklich etwas antun? „Es hängt ganz von Dir ab,“ sagte er dann und schien zufrieden zu sein, mit seinem neuen Plan. „Ja genau, das ist es. Was Du hier bei mir verbockst, muss er ausbaden. Das gibt dem ganzen doch eine neue, persönlichere Note,“ er wandte seinen Blick wieder der Zimmerdecke zu und lächelte in sich hinein. Sarah wollte sich lieber nicht vorstellen, welche Horrorszenarien jetzt wieder durch seinen Kopf geisterten. „Was ist danach passiert, nachdem Du das Bild entdeckt hattest?“ fragte sie um ihn abzulenken. „Jeder sollte sich wirklich ausführlich mit dem Internet beschäftigen,“ fuhr er dann auch bereitwillig fort „unter dem Bild waren nicht nur Eure Namen angegeben, sondern auch der Ort, an dem es aufgenommen wurde. Außerdem war ein kleiner Text dabei, aus dem ich erfuhr, daß die weltbekannten Backstreet Boys auf irgendeiner Party von so einem Exboxer anwesend waren und das man munkelt, dieser Vollidiot mit dem Du da rumhängst hätte eine neue Freundin. Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich erkannt habe, daß sie damit Dich meinen.“ Vor Sarahs innerem Auge tauchte sofort der Strand auf, an dem sie A.J. von Markus erzählt hatte. Sie sah sich mit ihm tanzen und hörte Angus tiefe Stimme. Fotografen waren ihr an diesem Abend garnicht aufgefallen, doch bei den vielen Menschen, die um sie herum gewesen waren, war das wohl auch kein Wunder. Die Erinnerung an diesen Abend machte sie sofort noch trauriger und verzweifelter. Sei sehnte sich so sehr nach A.J. und wünschte sich, daß er sie in die Arme nahm und ihr versprach, daß alles gut werden würde. Markus holte sie allerdings schnell wieder in die harte Wirklichkeit zurück „danach war es relativ einfach, seine Adresse heraus zu finden,“ erzählte er weiter „Wozu gibt es denn im Internet millionen von Fanseiten? Ich musste mir nur die durchgeknallteste Tussi aus der endlosen Reihe von Mädels aussuchen. Es ist unglaublich, die nehmen sogar schon die Nachnamen von diesen Flachwichsern an. RobertaMcLean war ihr Chatname und sie hat mir ohne weiteres seine Adresse verraten. Sie wollte, daß ich ihm einen schönen Gruß ausrichte, wenn ich ihn sehe. Ich glaube, das habe ich doch tatsächlich im Eifer des Gefechts vergessen,“ sagte er und lachte hämisch. Dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder ernst. „Mir wurde fast schlecht, als ich Euch beide zusammen gesehen habe. Ekelerregend liebevoll, die ganze Zeit händchenhaltend und so. Welcher richtige Mann tut denn sowas? Die Gelegenheit auf dem Basketballplatz konnte ich mir dann natürlich nicht entgehen lassen. Leider waren die Typen zu aufmerksam, sonst hätte ich Dich da gleich mitgenommen. Du sahst schon immer umwerfend in kurzen Shorts aus,“ sagte er und lies seinen Blick lüsternd über Sarahs nackte Beine schweifen und sie bekam dabei eine Gänsehaut. „Dieser Bodyguard ist auch nicht wirklich der hellste, oder?“ wechselte er dann unvermittelt das Thema. Als sie schwieg fuhr er fort „er hat Dich doch tatsächlich in dem Einkaufszentrum alleine sitzen lassen. So ein riesen Blödmann. Wirklich ein Jammer, ich denke seinen Job ist er wohl los,“ und wieder grinste er vergnügt. Das Alles schien ihm einen riesen Spaß zu machen. „Und die Geschichte mit dem Foto?“ fragte Sarah, die jetzt auch noch den Rest der Geschichte hören wollte „Oh das,“ Markus kicherte „das sollte Euch einfach nur ein bisschen Angst einjagen, was mir wohl auch recht gut gelungen ist,“ fügte er hinzu und sah zu ihr hinüber. „Dein neuer Schatz hatte ordentlich die Hosen voll als er aus der Haustür gestürzt kam und nach seinem Bodyguard gewinselt hat.“ Sarah schloss die Augen und ließ den Kopf auf ihre angezogenen Knie sinken. Ihr Gefühl hatte sie also nicht getrogen. Markus war die ganze Zeit in ihrer Nähe gewesen und hatte sie beobachtet. Wahrscheinlich konnte sie von Glück reden, daß er so viel Geduld bewiesen hatte und nicht sofort, als er sie das erste Mal gesehen hatte, mit gezogener Waffe auf sie los gestürmt war. Die Panik, die sie vorhin so tapfer niedergekämpft hatte, meldete sich zurück. Sie hatte Angst und mittlerweile mehr um A.J. als um sich selbst. Markus war schon immer krankhaft eifersüchtig gewesen. Er hatte damals einen Teenager krankenhausreif geschlagen, nur weil dieser angeblich etwas zu lange auf ihren Hintern gestarrt hatte. Wie immer war Markus um eine Verurteilung herum gekommen, doch es hatte ihn eine schöne Stange Geld gekostet. Wie schlimm musste es erst gewesen sein, sie nach so langer Zeit wieder zu sehen und dann auch noch in den Armen eines Anderen? Ein Gedanke kam ihr in den Sinn und der vertrieb für einen Moment die Angst. „Warum bist Du überhaupt zurückgekommen?“ fragte sie. „Fünf Jahre habe ich nichts von Dir gehört und plötzlich fährst Du durch die Weltgeschichte und suchst mich. Warum?“ Markus starrte weiterhin an die Decke und sie glaubte schon, er hätte sie nicht gehört, doch dann antwortete er leise „ich habe Dich vermisst. Ich liebe Dich,“ lauter fügte er hinzu „Ich bin nur zurückgekommen um mir das zu holen, was mir zusteht.“ Er stand vom Bett auf und setzte sich zu ihr auf die Bettkante. Er nahm ihre kalten Finger und umschloss sie mit beiden Händen. Sarah kamen sie vor wie riesige Pranken eines wilden Tieres und sie musste sich beherrschen um ihre Hand nicht angewidert zurück zu ziehen. Seine Zärtlichkeit ängstigte sie fast mehr als seine Wutausbrüche. „Wir gehören zusammen, auch wenn Du das jetzt noch nicht so siehst,“ sagte er „glaub mir, ich habe viele Frauen kennengelernt, aber keine war wie Du. Wir werden wieder eine Familie sein und viele Kinder zusammen haben. Ich werde Dir die Welt zu Füßen legen. Ich habe in Brasilien ein großes Haus, ich bin dort ein angesehener Arzt. Du wirst sehen, daß Leben dort wird Dir gefallen. Das ganze Jahr über Sonne, Strand und Meer. Wie hört sich das an?“ „Toll,“ erwiderte Sarah und hoffte, daß er ihr die Verzweiflung nicht anmerkte, die sie überviel. Brasilien. Wenn er sie erstmal dort hatte, war alles zu Ende. Markus runzelte die Stirn, sagte aber nichts. „Gut, jetzt sollten wir uns erstmal eine Runde hinlegen. Morgen werde ich mir dann überlegen, wie es weiter geht,“ mit diesen Worten stand er auf und legte sich wieder auf sein Bett. Sarah wischte ihre Hand unbemerkt an der Tagesdecke ab und behielt dabei Markus aufmerksam im Auge. Doch er hatte die Augen geschlossen und beachtete sie nicht weiter. Sie wußte immernoch nicht, warum er erst nach so langer Zeit zurückgekehrt war. Sie vermutete, daß mehr dahinter steckte, als er ihr gesagt hatte, aber fürs erste lies sie es auf sich beruhen. Sie würde ihn jetzt nur aufregen und das war das Letzte was sie wollte. Erschöpft lehnte sie sich zurück und versuchte es sich so bequem wie möglich zu machen. Als sie vorsichtig die Finger ihrer linken Hand bewegte, waren diese taub und begannen gleich darauf unangenehm zu kribbeln. Erschrocken richtete sie sich wieder auf, dabei klirrten die Handschellen laut an das Metallgestell des Bettes. „Sei ruhig,“ grummelte es von der anderen Seite des Zimmers „ich versuche zu schlafen.“ „Ich weiß Markus, aber meine Finger sind schon total taub, kannst Du mir nicht die Handschellen abnehmen? Ich verspreche auch ganz brav hier liegen zu bleiben.“ Doch sie bekam lediglich ein Grunzen zur Antwort. „Ich meine es ernst. Die Handschellen sind viel zu weit oben festgemacht. Mein ganzes Blut ist überall anders, nur nicht in meinen Fingern.“ Seufzend erhob sich Markus von seinem Bett. Schläfrig schlurfte er zu ihr hinüber und zog dabei zwei winzige Schlüssel aus seiner Hosentasche. Er öffnete die Schelle, die am Bettpfosten festgemacht war und hakte sie weiter unten wieder ein. Mit einem klicken verschloss er sie wieder und schlurfte ohne ein weiteres Wort zurück zum Bett, lies sich darauf fallen und drehte ihr den Rücken zu. Das Blut schoß sofort zurück in ihre Finger und einige Minuten kämpfte sie mit dem Schmerz, der damit einher ging. Sie biss die Zähne fest zusammen, sie wollte ihm keinen Grund geben, sich ein weiteres Mal darüber aufzuregen, daß er nicht schlafen konnte. Dann beruhigte sich das Pochen und Kribbeln allmählich, bis sich ihre Hand schließlich wieder einigermaßen normal anfühlte. Enttäuscht, daß er sie nicht von diesen Ketten befreit hatte und gleichzeitig erleichtert, daß sie ihre Finger wieder spüren konnte, schlüpfte sie unter die Bettdecke. Nach einigem hin und her hatte sie eine einigermaßen bequeme Stellung gefunden und erschöpft schloss sie die Augen. Hinter ihren geschlossenen Lidern erschien A.J.s Gesicht mit den wunderschönen Augen, den langen schwarzen Wimpern, der etwas zu groß geratenen Nase und den sinnlichen Lippen. „Ob ich ihn jemals Wiedersehen,“ dachte sie noch und dann geschah das, womit sie am allerwenigsten gerechnet hatte. Sie schlief ein.

Kapitel 27