Kapitel 27

Am nächsten Morgen wurde sie von der Toilettenspülung geweckt. Als sie die Augen öffnete wußte sie zuerst nicht wo sie war. Sie wollte sich auf die andere Seite rollen und wurde auf der Hälfte des Weges unangenehm von den Handschellen gebremst. Schlagartig viel ihr der gestrige Tag wieder ein und sofort war sie hellwach. Als sie sich vorsichtig im Bett aufsetzte, kam Markus aus dem Bad. „Guten Morgen, gut geschlafen?“ „Ja, wie ein Stein,“ antwortete Sarah wahrheitsgemäß und wunderte sich über sich selbst. Sie hatte tatsächlich die ganze Nacht schlafend wie ein Baby neben ihrem Entführer verbracht. Sie ärgerte sich ein wenig darüber. Vielleicht hatte sie eine Chance zu entkommen verpasst. Doch es war müßig, jetzt noch darüber nachzudenken. Ihre Blase drückte und sie hatte einen Bärenhunger. „Ich werde Dich jetzt los machen, damit Du ins Bad kannst,“ sagte Markus und nahm dabei die Pistole vom Tisch. „Ich rate Dir, keine Schwierigkeiten zu machen. Es würde mir leid tun, wenn ich Dir ins Bein schießen müsste. Außerdem würde ich dann Deinem Lover mal einen Besuch abstatten und glaube mir, dem würde ich nicht nur ins Bein schießen. Alles klar?“ Sarah konnte nur nicken. „Gut,“ und damit holte er wieder die Schlüssel aus seiner Hosentasche hervor und öffnete die Schelle um Sarahs Handgelenk. Vorsichtig rieb Sarah über die roten Striemen, die mittlerweile wie Feuer brannten und erhob sich dann langsam vom Bett. Markus war zurückgetreten und hielt die Waffe auf sie gerichtet, während sie an ihm vorbei ins Bad ging. Als sie die Tür schließen wollte, schob er schnell einen Fuß dazwischen. „Du willst mir doch nicht etwa beim Pinkeln zusehen,“ fragte Sarah und sah dabei lächelnd zu ihm auf. Misstrauisch beäugte Markus sie. Sarah blickte sich schnell im Badezimmer um. „Hör zu, hier ist kein Fenster, also kann ich Dir nicht weglaufen. Gib mir einfach zehn Minuten, o.k.?“ Für einige Sekunden starrte er sie noch an, dann gab er nach und zog den Fuß zurück. „Zehn Minuten, nicht länger,“ sagte er und erleichtert schloss Sarah die Tür. Einen Schlüssel suchte sie vergebens, also setzte sie sich auf die Toilette und während sie pinkelte, sah sie sich genauer in dem winzigen Raum um. Zu ihrer Linken stand eine Badewanne, die sicherlich auch schon besser Tage erlebt hatte, mit einem ehemals durchsichtigen Duschvorhang. Er war mittlerweile von grauem Schimmel überzogen und die Wanne hatte etliche Sprünge, die sich in einem wilden Zickzackmuster über die ganze Länge erstreckten. Ihr gegenüber hing ein kleines, ehemals weißes Waschbecken. Mittlerweile war es fleckig und fast komplett gelb angelaufen. Ein kleines Stückchen Seife lag auf dem Beckenrand und auf der Ablage darüber stand ein sauberes Glas mit zwei Zahnbürsten und einer Tube Zahnpaste. Daneben lag eine Haarbürste, mit einigen schwarzen Haaren darin. Der Spiegel darüber hatte einen Sprung der von der linken unteren Ecke, bis hinauf in die rechte Ecke reichte. Neben dem Waschbecken hingen zwei saubere Handtücher an Plastikhaken. Ansonsten erblickte sie nur eine neu aussehende Klobürste neben der Kloschüssel. „Toll,“ dachte sie „ich kann ihn ja mit der Klobürste erschlagen. Wirklich ein toller Plan.“ Seufzend erhob sie sich und betätigte die Spülung. Ihr Blick blieb an ihrem Spiegelbild haften und sie erkannte die Person die ihr da entgegenblickte kaum wieder. Trotz des tiefen Schlafes, hatte sie dunkle Ränder unter den Augen. Ihr Wangen wirkten eingefallen und da wo sie Markus Schlag an der Schläfe getroffen hatte, breitete sich ein blauer Fleck aus. Ihr Hals war gerötet und als sie etwas genauer hinsah, konnte sie Markus Fingerabdrücke erkennen. Sie fühlte sich um Jahre zurück versetzt. Der Ausdruck ihrer Augen war der Selbe, wie vor fünf Jahren. Nichts hatte sich verändert. Sie war wieder in der Hölle gelandet und diesmal würde es ihr wesentlich schwerer fallen, daraus zu entkommen. Als sie merkte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, drehte sie entschlossen den Wasserhahn auf. „Nur die Ruhe,“ dachte sie „nur die Ruhe,“ und wie auch schon am vergangenen Tag beruhigten sie diese drei Worte nach kurzer Zeit. Sie wusch sich das Gesicht, putzte sich die Zähne und kämmte sich das Haar. Dann setzte sie sich unentschlossen auf den Badewannenrand. Irgendetwas musste sie doch tun können. Sie brauchte einen Plan. Doch ihr Kopf war wie leergefegt und als Markus ungeduldig an die Tür klopfte und sie barsch aufforderte endlich heraus zu kommen, war ihr immernoch nichts eingefallen. Resigniert erhob sie sich und öffnete die Tür. Was sie sah verblüffte sie so sehr, daß sie für einen Moment wie festgenagelt in der Tür stehen blieb. Markus stand mit dem Rücken zu ihr über den kleinen Tisch gebeugt und schmierte sich ein Sandwich. Seine Pistole lag achtlos neben ihm auf dem Stuhl. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte sie, ob es wirklich gut war, was sie da vorhatte, doch schon stürmte sie vor und versetzte Markus einen Tritt ins Kreuz, der ihn über den Tisch katapultierte. Hart schlug er auf dem Boden auf und blieb für einen Moment benommen liegen. Ohne darüber nachzudenken schnappte sie sich die Waffe und als Markus schwankend auf die Füße kam, stand sie ihm gegenüber, die Beine leicht gespreizt und zielte auf die Stelle unter der sie sein Herz vermutete. „Keine Bewegung Arschloch,“ brüllte sie und versuchte das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken. Langsam hob Markus die Hände und blickte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht an. „Damit hast Du nicht gerechnet, was?“ sagte sie triumphierend „los, rüber auf das Bett,“ und mit einem kurzen Wink mit der Pistole verlieh sie ihren Worten Nachdruck. Langsam setzte Markus sich in Bewegung. Als er schon fast an ihr vorbei war packte er plötzlich die Waffe und zerrte daran. Sarah zog den Abzug , doch nichts passierte. Schon hatte Markus ihr die Waffe aus den klammen Fingern gerissen und mit einem groben Stoß beförderte er sie auf das Bett. „Du solltest beim nächsten Mal daran denken die Waffe zu entsichern, bevor Du damit auf mich zielst,“ sagte er wütend. Doch Sarah wollte noch nicht aufgeben. Mit einer flinken Bewegung rollte sie sich nach hinten über das Bett ab und war schon fast an der Tür, als ein lauter Knall ertönte. Sie erstarrte in der Bewegung, die Hand nach der Türklinke ausgestreckt. Verputz rieselte auf sie nieder und als sie nach oben blickte, sah sie ein etwa fünfmarkstück großes Loch in der Decke. „Noch eine einzige kleine Bewegung in die falsche Richtung und die nächste Kugel trifft Dich,“ knurrte Markus hinter ihr. Sarah wagte kaum zu atmen. „Komm langsam zurück und setz Dich aufs Bett.“ Widerspruchslos gehorchte sie. Sie machte zwei vorsichtige Schritte rückwärts und stieß mit den Waden an das Bett. Langsam lies sie sich auf die Bettkante sinken und wagte es dann zum ersten mal ihn anzublicken. Sein Gesicht war zu einer wutverzerrten Maske erstarrt und mit der Pistole zielte er auf ihren Bauch. „Rutsch nach hinten, damit ich Dich wieder festbinden kann.“ Als sie sich nicht gleich bewegte schoß er ein zweites Mal. Diesmal schlug die Kugel knapp neben ihrem rechten Fuß ein. „Wird’s bald? Oder muss ich noch deutlicher werden?“ fauchte er und hastig rutschte Sarah auf dem Bett nach hinten, bis sie mit dem Rücken an das metallenen Kopfende stieß. Mit zwei schnellen Schritten war Markus bei ihr und packte mit der freien Hand ihr Handgelenk. Die Waffe zielte dabei auf ihr Gesicht und Sarah betete innerlich, daß sich nicht im Eifer des Gefechts ein Schuss lösen würde. Mit einem lauten Klick schlossen sich die Handschellen. Sie war erneut gefangen. Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, als sie seine Faust mitten ins Gesicht traf. Von der Wucht seines Schlages wurde sie nach hinten geschleudert und ihr Kopf krachte an das metallene Bettgestell. Ein furchtbarer Schmerz explodierte in ihrem Kopf, Blut rann ihr aus der Nase und für einen Moment sah sie alles verschwommen. Bevor sie wieder richtig zu sich kam traf sie ein weiterer Schlag, diesmal nicht ganz so fest, im Gesicht. „Was habe ich Dir gesagt, he? Leg Dich nicht mit mir an habe ich gesagt. Aber was macht die feine Dame? Meint sie könnte es mit mir aufnehmen.“ Seine Faust traf sie wie ein Dampfhammer in den Magen und sie klappte einfach zusammen. Nach Luft ringend und gegen die Übelkeit ankämpfend blieb sie mit verdrehtem Arm auf der Seite liegen, das Gesicht ihm zugewandt. Kaltes Metall presste sich an ihre Schläfe und wimmernd kniff sie die Augen zusammen. War es jetzt so weit? Würde er sie jetzt töten? „Ich sollte Dich auf der Stelle erschießen,“ zischte er und sie spürte das Zittern seiner Hände durch die Waffe an ihrer Schläfe. Dann verschwand der Druck und sie hörte, wie Markus sich langsam vom Bett zurückzog und sich dann kurz darauf schwer atmend auf einen Stuhl fallen lies. Mit leisem klappern legte er die Pistole auf den Tisch. Als Sarah langsam die Augen öffnete, sah sie ihn zusammengesunken auf dem Stuhl sitzen, das Gesicht in seinen Händen vergraben. „Was mache ich bloß mit Dir,“ murmelte er mehr zu sich selbst. „Wie bringe ich Dir nur bei, daß man das mit mir nicht macht? Verdammt noch mal,“ brüllte er dann unvermittelt, sprang vom Stuhl auf, schnappte sich seine Jacke, steckte sich die Waffe hinten in den Hosenbund und schon war er aus der Tür hinaus. Gleich darauf hörte sie, wie draußen der Wagen angelassen wurde und mit durchdrehenden Reifen vom Hof fuhr. Heiße Tränen stiegen Sarah in die Augen und stöhnend richtete sie sich auf. Blut tropfte auf das weiße Leintuch ihres Bettes. Weinend zog sie einen Zipfel des Bettlakens zu sich heran und betupfte damit vorsichtig ihr Gesicht. Langsam legte sie sich zurück in die zerwühlten Kissen und drückte sich dabei das bereits mit Blut vollgesogene Laken unter die Nase. Dann zog sie die Beine dicht an den Körper um so das Brennen in ihrem Bauch ein wenig zu lindern. Ein einziger Gedanke raste ihr immer wieder durch den Kopf. „Was wird jetzt aus A.J.?“ denn es war sonnenklar, wo Markus jetzt hingefahren war. Es begann eine unendlich lange Zeit des Wartens.

Kapitel 28