Kapitel 4
Sarah hatte es sich vor ihrem Computer zu Hause bequem gemacht. Sie hatte ihre Kontaktlinsen ausgezogen und statt dessen ihre randlose Brille aufgesetzt. Sie hatte heute in der Arbeit eindeutig mehr als genug Zeit vor dem Computer verbracht, ihre Augen brannten ein wenig und ihre Schultern waren verspannt. Trotzdem saß sie hier mit feuchten Händen und ihr Finger verharrte vor dem Einschaltknopf ihres Computers. Er hat bestimmt nicht geschrieben, versuchte sie sich auf eine Enttäuschung vorzubereiten und drückte dann zögernd den Knopf. Während der Computer hochfuhr stand sie auf, goss sich ein Glas Weißwein aus dem Kühlschrank ein und legte eine CD von Sting auf. Sie setzte sich wieder und gab ihr Passwort ein. Während die freundliche Frauenstimme Sie haben Post säuselte, zündete sie sich eine Zigarette an und klickte auf das E-Mail-Symbol. Gespannt überflog sie die Absender. Bone69 war nicht dabei. Enttäuscht stieß sie die Luft aus, die sie bisher angehalten hatte. Naja, vielleicht hatte er einfach zuviel Stress. Lächerlich zu glauben, daß er sich sofort melden würde. Immerhin ist er ziemlich beschäftigt, versuchte sie sich selbst zu überzeugen. Es gelang ihr aber nicht wirklich. Nochmals überprüfte sie die fünf Mails und ihre Absender, obwohl sie wußte, daß sie nichts finden würde. Enttäuscht lehnte sie sich zurück. Tja und nun? Was solls, ich werde jetzt erstmal Brian schreiben. Der antwortet wenigstens. Damit rief sie Brians Mail von gestern auf und begann zu tippen. Nach zehn Minuten verkündete ein kurzes Ping, daß sie ein Telegramm von einem ihrer E-Mail-Bekanntschaften erhalten hatte. Bei ihrem Internetanbieter war es möglich, jederzeit zu erkennen, welcher ihrer Freunde momentan online war und diesen, wenn gewünscht, direkt anzuwählen. So konnte sie ein direktes Gespräch mit dieser Person führen, in Computerkreisen wurde dies chatten genannt. Sie klickte auf das Telegramm Symbol. Sofort erschien ein kleines Fenster: Bone69 schickt ihnen ein Telegramm. Wollen Sie jetzt antworten? Sarahs Herz setzte für einen Schlag aus und klopfte danach schnell und laut weiter. Oh Mann, er ist hier, flüsterte sie. Leicht zitternd bewegte sie den Mauspfeil und klickte auf jetzt antworten. Ein weiteres kleines Fenster öffnete sich. Bone69 Hi Sarah, habe heute Deine Mail erhalten. Schön, daß ich dich hier treffe. Wie geht`s Dir so? und jetzt dachte sie panisch. Bloß nichts falsches schreiben. Softcake100 Hallo A.J. Finde es auch schön, Dich hier zu treffen. Bin ein bisschen müde. Hatte einen anstrengenden Arbeitstag und Du? sie klickte auf senden und wartete gespannt auf A.Js. Antwort. Einige Sekunden später erschienen seine Worte auf dem Bildschirm. Bone69 Mein Arbeitstag liegt noch vor mir. Es ist hier jetzt drei Uhr nachmittags. Sofcake100 Bei mir ist es neun Uhr abends. Ich sitze hier gemütlich bei einem Glas Wein und einer Zigarette. Bone69 Diese Kombination klingt äußerst reizvoll. Wo lebst du denn? In Amerika wohl nicht, bei sechs Stunden Zeitverschiebung. Sofcake100 Nein, Deutschland, Mannheim falls Du das kennst. Es liegt ca. 80 km von Frankfurt entfernt. Dort arbeite ich auch. Bone69 Mannheim kenne ich leider nicht, aber in Frankfurt sind wir schon mal aufgetreten. Ist jetzt aber auch schon zwei Jahre her. Softcake100 Ich kann mir vorstellen, daß man mit der Zeit die Städte ganz schön durcheinander bringt. Wo bist Du denn gerade? Bone69 Warte, lass mich mal aus dem Fenster sehen, nein, das war nur Spaß. Wir sind heute in St. Louis, waren gestern in Cincinnati und werden morgen in Kansas City auftreten. Softcake100 Oh Gott, es würde mich nicht wundern, wenn Du nicht weißt, wo Du gerade bist. Geht das die ganze Zeit so? Bone69 Seit einem halben Jahr, ja. Aber es hört sich schlimmer an als es ist. Man gewöhnt sich mit der Zeit daran. Solange Du Dich nicht auf die Bühne stellst und Deine Fans begrüßt: Hallo Pittsburgh wie geht es Euch und Du eigentlich in Kentucky bist. Das ist Howie mal passiert. Furchtbar! Softcake100 LOL*. Kann ich mir gut vorstellen. Verrätst Du mir wer Du eigentlich bist? Ich befürchte ich bin in diesem Punkt noch etwas ratlos. nachdem Sarah diese Notiz abgeschickt hatte, wartete sie gespannt und auch etwas ängstlich auf die Antwort. Vielleicht war er verärgert, daß sie immernoch nicht wußte wer er war. Bone69 Du hast drei Versuche es zu erraten :-). Softcake100 Das ist unfair, ich werde mich sicherlich tierisch blamieren. Gib mir wenigstens einen kleinen Tip. Bone69 Blamieren kannst Du Dich niemals und was den Tip betrifft, nun, wir sind eine Gruppe von fünf sehr talentierten, jungen Männern. Jetzt musst Du es aber wissen ;-). Sarah war nun so schlau wie vorher, doch sie glaubte langsam, das Katrin mit ihrer Vermutung recht hatte. In solchen Dingen kannte sie sich wesentlich besser aus als Sarah. Softcake100 O.k., erster Versuch. Wie wäre es mit NSYNC? dies schrieb sie nur um A.J. ein bisschen zu ärgern. Sollte Katrin recht behalten, würde es ihn nicht freuen für ein Mitglied seiner Rivalen gehalten zu werden. Seine Antwort kam dann auch prompt. Bone69 Ein bisschen mehr Geschmack kannst Du mir schon zutrauen! Versuche es nochmal. Sarah musste lachen. Da hatte sie ihn wohl getroffen. Softcake100 O.k., dann tippe ich auf die Spice-Girls. Mit rasierten Beinen macht ihr Euch richtig gut ;-). Bone69 Wieder daneben, aber wir sehen ähnlich gut aus. Der letzte Versuch, also streng Dich ein bisschen an. Softcake100 Na gut, versuchen wir es mit den Backstreet Boys. Sie schickte ihre Antwort ab und schaute gespannt auf den blinken Cursor. Die Zeit bis zu seiner Antwort kam ihr sehr lange vor, obwohl es wie bisher auch nur ein paar Sekunden dauerte bis seine Worte auf dem Bildschirm erschienen. Bone69 Die Kandidatin erhält hundert Punkte. Mein Name ist Alexander James McLean und ich komme aus Orlando, Florida. War doch garnicht so schwer, oder? Sarah konnte es nicht glauben. Da stand es schwarz auf weiß. Katrin würde sich freuen wenn sie ihr erzählte, daß sie recht behalten hatte. Was sollte sie nun darauf antworten? Sie fühlte sich auf einmal sehr befangen. Dieser Mann hatte schon die ganze Welt und ein Stück darüber hinaus gesehen, er kannte sicherlich viele berühmte und interessante Leute. Was wollte er dann mit einer langweiligen Büroangestellten in Mannheim die nichts zu erzählen hatte? Während sie noch so da saß und wie gebannt auf A.Js. letzte Worte starrte, kam ein weiteres Telegramm von ihm. Bone69 Hallo, noch da? Oder bist Du vor Schreck tot umgefallen? Glaub mir, was ich Dir geschrieben habe ist die Wahrheit. Du hast gefragt und ich habe nur geantwortet :-). Softcake100 Bin noch da und lebe auch noch. Bin nur ein bisschen geschockt. Kommt ja nicht alle Tage vor, daß man mit jemandem chattet, den jedes Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren anhimmelt und der mehr als 10 Dollar auf dem Konto hat. Bone69 Ich bin 23, es ist in meinem Alter nicht wirklich interessant und noch dazu ganz schön gefährlich, sich mit minderjährigen einzulassen. Außerdem, woher kennst Du meinen Kontostand? Softcake100 War nur so eine Vermutung. Hallo Mr. McLean. Freut mich sie kennenzulernen :-). Bone69 Es freut mich auch dich kennenzulernen. Deine Mail hat mir gefallen. Ich werde Deinen Tip gleich morgen früh mal ausprobieren. Es würde mir bestimmt helfen, wenn ich mich auf eine Mail von Dir freuen könnte. Was meinst Du? Was ich meine, murmelte sie ist das nicht völlig egal? Hilfe! Sofcake100 Was willst Du denn wissen? Bone69 Z.B. wie Du aussiehst, was Du so machst, was Du gerne magst, was Du nicht leiden kannst. Lauter solche Dinge eben. Softcake100 Neugierig bist Du garnicht oder? :-) Bone69 Ich halte mich im Moment noch zurück! ;-) Softcake100 Na dann, ich denke ich werde mein Bestes geben. Nachdem sie diese Nachricht abgeschickt hatte wartete sie eine kleine Ewigkeit auf seine Antwort. Sie dachte schon seine Internetverbindung hätte sich verabschiedet, als seine Antwort endlich kam. Bone69 Klasse, dann komme ich morgen garantiert richtig gut aus dem Bett. Muss jetzt leider Schluss machen, Termine, wie das halt so ist. Würde mich freuen, Dich hier bald malwieder zu treffen. Softcake100 Hätte auch nichts dagegen. Also dann bis bald? Bone69 Ja bis bald Sarah. CU A.J. x und dann war er verschwunden. Ihr Computer zeigte Ihr nicht mehr an, daß er noch online war. Wie gebannt schaute sie auf seine letzten Worte und auf das kleine x, das er hinter seinen Namen gesetzt hatte. Dies war das Symbol für ein Internetküsschen. Hätte sie sich jetzt in einem Spiegel gesehen, hätte sie sicherlich das selige aber auch ziemlich dämlich wirkende Grinsen von ihrem Gesicht verbannt. Aber so saß sie noch einen Moment mit eben diesem Grinsen im Gesicht vor dem Bildschirm. *LOL=Laugh out loud, Laut heraus lachen. Anm. d. Autorin |