Kapitel 30

Ihre Genesung schritt schnell voran. Jeden Tag kam A.J. zu Besuch, im Schlepptau immerwieder andere Gäste, die unbedingt mit eigenen Augen sehen wollten, daß es ihr gut ging. Nick, Brian und Howie kamen gleich am nächsten Morgen, ebenfalls mit einem Berg Blumen und einem riesigen Plüschteddybären bewaffnet. „Damit Du nachts nicht so alleine bist,“ meinte Brian grinsend und setzte den Bären in einen Stuhl gegenüber ihrem Bett. Im Laufe der Nacht würde Sarah ihn in den Schrank sperren, da er ihr in der Dunkelheit mehr Angst machte, als das er sie beruhigte. Am Nachmittag schauten Leighanne und Kristin vorbei. Sie schienen sich erst etwas unwohl zu fühlen, sie hatten wohl keine genaue Vorstellung davon, in welcher seelischen Verfassung Sarah war. Doch nach einer guten Viertelstunde hatten sie wohl festgestellt, das Sarah keineswegs als Häufchen Elend in der Ecke saß und so lachten und scherzten sie, als wenn nichts gewesen währe. Kaum waren die Beiden gegangen, schaute A.J. mit Kathy und seiner Mum vorbei. Als dann auch noch Jona und Katrin auftauchten, war Sarah ein wenig überfordert. A.J. merkte schnell, daß Sarah immer ruhiger wurde und mit glasigen Augen in die Runde blickte. So warf er die anderen kurzerhand aus dem Zimmer und legte sich dann zu ihr ins Bett, schlang die Arme um sie und drückte sie fest an sich. „Ich glaube, ich werde den Anderen Besuchsverbot erteilen,“ meinte er und strich ihr sanft über das Haar. „Es ist doch lieb, daß sie alle so besorgt um mich sind,“ erwiderte Sarah „Sicher, aber Du bist noch nicht wieder richtig fit und solltest Dich im Moment nicht so anstrengen. Sie können uns gerne wieder zu Hause besuchen. Bis dahin müssen sie eben ein bisschen Geduld haben.“ Sarah murmelte etwas unverständliches und war schon fast wieder eingeschlafen, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoß. „Welcher Tag ist heute?“ fragte sie „Samstag, wieso?“ „Samstag,“ wiederholte Sarah gedankenverloren. „Ja, der Tag nach Freitag, und?“ „Erstens,“ sagte Sarah „ist heute Euer Konzert und ich kann es mir nicht ansehen und zweitens geht morgen früh mein Flug zurück nach Hause, den ich wohl nicht nehmen kann.“ A.J. schwieg für einen Moment. „Willst Du denn unbedingt nach Hause zurück?“ fragte A.J. leise. „Von wollen kann keine Rede sein. Es ist nur so, daß ich so ganz nebenbei auch noch einen Job habe und da sollte ich eigentlich am Montag wieder auf der Matte stehen. Ich habe da noch so eine Geschichte offen, Du erinnerst Dich?“ „Ja, ich erinnere mich,“ entgegnete A.J. tonlos „auch wenn es mir so vorkommt, als sei das hundert Jahre her. Ich ... mir gefällt der Gedanke nicht, Dich gehen zu lassen. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, wieder ohne Dich zu sein.“ Sarah seufzte schwer „mir geht es doch genau so. Aber ich muss zurück.“ darauf erwiderte A.J. nichts, sondern umfasste sie noch fester und drückte sein Gesicht in ihr Haar.

Am Abend lief auf ihrer Station nur ein Programm. VH1 übertrug das Konzert der Backstreet Boys live aus der Orlando Arena und Sarah saß gespannt, von zwei Schwestern flankiert in ihrem Bett. Zuerst war nur eine dunkle Bühne zu sehen, dann schwebte eine riesige, strahlend helle Weltkugel herab und mit einem Knall brach sie auseinander. Die Backstreet Boys traten unter ohrenbetäubendem Jubel auf die Bühne. Die ersten Klänge von „Everyone“, eine Hommage an ihre treuen Fans, ertönten und die atemberaubende Show begann. Nach zwei Songs tobte die Halle und für einige Minuten genossen die fünf einfach den Applaus. Dann ergriff Brian das Wort und begrüßte die Fans „Hallo alle zusammen. Es ist großartig, soviele Gesichter hier in dieser Halle und noch dazu in unserer Heimatstadt zu sehen,“ erneut brandete Jubel auf. „Wir möchten uns dafür bedanken, daß ihr so zahlreich erschienen seid und somit auch die Stiftung für krebskranke Kinder so tatkräftig unterstützt.“ „Außerdem möchten wir an dieser Stelle,“ schaltete sich dann Nick ein „eine liebe Freundin von uns grüßen, die leider heute Abend nicht hier sein kann,“ die Schwestern warfen Sarah neidische Blicke zu „sie sitzt jetzt sicherlich im Krankenhaus vor dem Fernsehschirm und wir möchten Euch bitten, ihr einen lautstarken Gruß rüber zu schicken.“ Gerührt sah Sarah auf den Bildschirm, auf dem die Menge tobte und jubelte und in die Kamera winkte. „Und jetzt kommt,“ A.J.s Gesicht wurde bildschirmfüllend eingeblendet „ „All I have to give“, nur für Dich Baby,“ und mit diesen Worten küsste er die Kamera, während Nick die ersten Worte sang. Theatralisch seufzte Schwester Melissa neben ihr und griff sich ans Herz „wie romantisch. Schätzchen, den sollten sie nicht wieder loslassen,“ sagte sie mit einem spitzbübischen Grinsen im Gesicht und wandte sich dann wieder dem Bildschirm zu. Sarah war glücklich. Das erste Mal fühlte sie sich hier wirklich zu Hause, in ihrer Welt. Sie fasste einen Entschluss. Sie würde Melissas Rat befolgen und dafür sorgen, daß sie A.J. nie wieder loslassen musste. Doch dazu musste sie erstmal gesund werden und noch ein letztes Mal zurück nach Deutschland.

Am nächsten Tag rief sie als erstes Christian an. Sie hatte allerdings vergessen, daß es in Deutschland jetzt drei Uhr morgens war und dementsprechend verschlafen klang er, als er den Hörer abnahm „wer stört,“ fragte er nicht sehr freundlich „Hi Christian, ich bin's, Sarah. Tut mir leid, ich habe die Zeitverschiebung total vergessen.“ „Sarah,“ sofort war Christian am anderen Ende der Leitung hellwach. „Mensch, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Kein Anruf, nichtmal eine Postkarte. Geht es Dir gut?“ „Naja, wie man es nimmt,“ entgegnete Sarah und blickte dabei hinunter auf ihre bandagierten Handgelenke. „Was bedeutet „wie man es nimmt“?“ „Sagen wir mal, ich hatte einen kleinen Unfall. Keine Sorge, an mir ist noch alles dran,“ fügte sie schnell hinzu, als sie merkte wie Christian entsetzt Luft holte. „Ich wollte nur bescheid geben, daß ich wohl am Montag noch nicht zur Arbeit erscheinen werde.“ „Was ist denn passiert?“ fragte Christian immernoch besorgt. „Das ist eine lange Geschichte,“ entgegnete Sarah ausweichend. „Die gute Nachricht, ich habe mich unsterblich verliebt.“ „Ist nicht wahr?“ fragte Christian ungläubig und im Hintergrund hörte sie Maria verschlafen etwas murmeln. Es klang nicht sehr freundlich. „Das ist Sarah, sie sagt sie hat sich unsterblich verliebt,“ sagte Christian an seine Frau gewandt, als würde das ihren nächtlichen Anruf erklären und gleich darauf zu Sarah „ich gratuliere. Allerdings weiß ich nicht, was daran gut sein soll, immerhin werden wir Dich dann wohl an irgendeinen Typen in Florida verlieren. Die Vorstellung, die nächsten Jahre alleine mit Alex im Büro zu verbringen, macht mir schon etwas Angst.“ Sarah musste lachen. „Tut mir leid für Dich, aber vielleicht bekommt ihr ja eine neue Kollegin. Immerhin bist Du dann der Dienstälteste und kannst sie dann ein bisschen herumschicken. Niewieder Kaffee kochen, ist das nicht eine tolle Aussicht?“ Christian musste ebenfalls lachen „ich muss gestehen, daß diese Vorstellung garnicht so unangenehm ist.“ „Kannst Du bitte Renner ausrichten,“ Sarah wurde wieder ernst „daß es bei mir noch etwa eine Woche dauernd wird? Ich werde ihm auch eine Krankmeldung zukommen lassen.“ „Kein Problem. Ich glaube er ist immernoch etwas nervös wegen der Geschichte mit dem Projektwettbewerb. Hast Du schon entschieden, was Du tun wirst?“ „Ehrlich gesagt, hatte ich wenig Zeit mir darüber Gedanken zu machen. Aber ungeschoren kommt er nicht davon, soviel kann ich Dir schonmal versprechen.“ „Gut, das hat er auch verdient. Seit Du weg bist ist er unausstehlich. Wird Zeit, daß ihn mal jemand in den Allerwertesten tritt. Wenn Du willst helfe ich Dir gerne dabei.“ Sarah lächelte „keine Sorge, das schaffe ich schon alleine. Aber jetzt leg Dich wieder hin und entschuldige nochmals die späte oder besser gesagt frühe Störung.“ „Kein Problem. Melde Dich doch nächste Woche mal. Vielleicht zu einer christlicheren Uhrzeit. Ich bin sehr gespannt, wer der geheimnisvolle Mann ist, der es endlich geschafft hat, Dein Herz zu erweichen.“ „Das würdest Du mir sowieso nicht glauben,“ entgegnete Sarah geheimnisvoll, doch bevor Christian nachhaken konnte, hatte sie sich schon verabschiedet und hatte den Hörer aufgelegt. Sarah lehnte sich zurück und überlegte, wie sie mit Renner verfahren sollte. Wenn sie ihn zur Rede stellte, würde er nur versuchen, sie durch irgendwelche Versprechungen zu beruhigen. Das wollte sie ihm auf keinen Fall durchgehen lassen. Sie beschloss, im Laufe des Tages direkt bei der Sekretärin des Vorstandes anzurufen und einen Termin zu vereinbaren. Es musste endlich Schluss sein mit Renners Betrügereien.

Kapitel 31