Kapitel 6
Mittagspause, verkündete Sarah und stand von ihrem Schreibtischstuhl auf. Sie streckte sich und blickte zu Christian und Alexander hinüber. Sie waren beide in ihre Arbeit vertieft gewesen, jetzt standen sie auch von ihren Stühlen auf. Wird aber auch Zeit, brummte Alexander wenn ich noch länger auf diese blöde Berechnung gestarrt hätte, wäre ich bestimmt ohnmächtig vom Stuhl gekippt. Ist es eigentlich zulässig, daß sich solche gebildeten Köpfe wie wir mit der Etatplanung herumschlagen müssen? Sarah lachte was Dich nicht umbringt, macht Dich stark, also trag`s mit Fassung, sagte sie und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Zusammen gingen sie aus dem Büro und fuhren mit dem Fahrstuhl fünf Stockwerke hinunter in die Kantine. Sie war vor zwei Jahren frisch renoviert worden. Aus einem dunklen, muffigen Zimmer hatte man einen sonnendurchfluteten Raum mit Hohen Decken gemacht. Die kleinen Milchglasscheiben waren großen, hohen Fenstern gewichen. Die Wände waren in einem sonnigen gelb gestrichen, überall waren rechteckige Tische, an denen sechs Personen platz nehmen konnten, in dem großen Raum verteilt. Dazwischen sorgten jede menge Grünpflanzen für ein angenehmes Wohlfühlklima. Das Personal an der Essenausgabe schien allerdings von dieser positiven Veränderung nichts mitbekommen zu haben. Sie teilten weiterhin das immerhin ganz passable Essen mit einer gelassenen Mißmutigkeit aus. Als sich Sarah mit ihren beiden Kollegen und den vollbeladenen Tabletts an einen der Tische gesetzt hatte fragte Christian habt ihr eigentlich schon ein paar Ideen für den Projektwettbewerb? Ich muss gestehen, daß ich noch ziemlich ratlos bin. Ihr Firma schrieb jedes Jahr einen Wettbewerb für neue Projekte aus. Jeder Angestellte hatte die Gelegenheit, eigene Ideen zu Papier zu bringen und als Verbesserungsvorschlag einzureichen. Die besten fünf wurden auf einer großen Veranstaltung prämiert. Der letzte Abgabetermin sollte in zwei Monaten sein. Ich habe da schon so eine Idee, antwortete Sarah aber ich muss mir da noch ein paar Gedanken machen und einige Informationen sammeln. Streber, nuschelte Alexander mit einer gehörigen Portion Kartoffelbrei im Mund es sind noch zwei Monate und Du bist schon wieder am Informationen sammeln, das ist nicht fair. Neidisch? fragte Sarah spitz und schob sich eine Gabel Erbsen in den Mund. Ich? Niemals. Ich mach`s wie jedes Jahr. Eine Woche vorher fällt mir immer was ein. Das reicht dann auch noch. Ja, und wie jedes Jahr stehst Du auf Platz 165 der Hitliste, grinste Christian. Wer will schon nach Spanien? Viel zu heiß da, entgegnete Alexander und verputzte auch den Rest von seiner Frikadelle. Wie geht's eigentlich David? fragte Sarah an Christian gewandt und den Rest des Essens verbrachten sie damit, über die Vor- und Nachteile von Stoffwindeln und Milchpulver zu diskutieren. Ein- zweimal war sie kurz davor, den beiden von ihren Mails mit A.J. zu erzählen. Doch irgendwie brachte sie es nicht über sich. Sie hatte das irrationale Gefühl, den Zauber zu brechen, wenn sie zuviel darüber redete. Sie dachte sehnsüchtig an ihren E-Mail-Briefkasten und fragte sich, ob sie heute Abend wohl eine Mail von A.J. bekommen würde. Als sie merkte, daß sie Christians letzte Sätze nicht gehört hatte, weil sie in Gedanken weit weg war, schob sie alle weiteren Überlegungen über A.J. und die Backstreet Boys beiseite und konzentrierte sich wieder auf das hier und jetzt. Bei einer Tasse Kaffee, die sie in einem abgetrennten Bereich der Kantine zu sich nahmen, damit Sarah dabei eine Zigarette rauchen konnte, kamen sie nochmal auf den Wettbewerb zu sprechen. Ich habe gehört, unser Chef ist schon ganz verzweifelt, daß ihm noch nichts passendes eingefallen ist, sagte Christian. Kein Wunder, jeder erwartet von ihm, daß er so gut wie letztes Jahr abschneidet, entgegnete Sarah. Marius Renner hatte im vergangenen Jahr nachgewiesen, daß durch die Einführung eines relativ simplen Programms, das er zudem auch noch selbst geschrieben hatte, tausende von Mark für die Bank einzusparen waren. Damit hatte er direkt den ersten Platz belegt und war mit seiner Frau für zwei Wochen in ein erster Klasse Hotel nach Italien gereist. Mittlerweile war sein Vorschlag auch umgesetzt worden und alle Kundenbetreuer Deutschlands waren ihm auf ewig dankbar, daß sie sich jetzt das Ausfüllen eines dreiseitigen Formulars sparen konnten. Es heißt, es sei damals nicht so ganz mit rechten Dingen zu gegangen, mischte sich plötzlich eine Stimme in ihr Gespräch ein. Sie gehörte zu Martina Schulz, einer Kollegin aus ihrer Abteilung. Darf sich eine arme, einsame Raucherin zu Euch setzen? fragte sie. Na klar, antwortete Sarah und die beiden Männer nickten. Sarah rutschte ein Stück und Martina ließ sich auf den freien Platz neben ihr nieder, wobei sich ihre pinkfarbene Bluse beängstigend über ihren üppigen Busen spannte. Was heißt nicht mit rechten Dingen, hakte Christian nach. Martina beugte sich vertraulich ein Stück zu ihm hinüber Nun, es wird gemunkelt, er hätte die Idee geklaut. Angeblich hat er dem armen Kollegen hinterher 5.000,-- DM geboten, damit er den Mund hält. Das ist doch wieder typischer Büro Klatsch aus Langeweile, oder? meinte Alexander abfällig Du glaubst doch selbst nicht, das sich irgendjemand auf sowas einlassen würde. Warum nicht? Für fünftausend kannst du auch locker selbst in Urlaub fahren. Abgesehen davon, das Dir Dein Chef zukünftig aus der Hand frist. So schlimm finde ich die Vorstellung garnicht. Trotzdem, entgegnete Alexander da machst Du Dir wochenlang Arbeit und der Fatzke kommt an und klaut einfach Deine Idee und heimst dafür auch noch die Lorbeeren ein. Das könnte er bei mir vergessen. Ich glaube Deine Idee, schwarze Kulis anstatt weiße einzuführen, damit man sie auf Papier leichter finden kann, klaut sowieso niemand, entgegnete Christian grinsen. Alexander gab nur ein leises Schnauben von sich und widmete sich konzentriert seinem nächsten Schluck Kaffee. Große Kinder, meinte Martina kopfschüttelnd zu Sarah und beide kicherten |