Kapitel 7

Um halb neun Uhr abends betrat Sarah ihre Wohnung. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden. Erschöpft ließ sie ihre Aktentasche an der Eingangstür fallen und zog ihre Schuhe aus. Auf dem Weg durch den Flur, das Wohnzimmer und in ihr Schlafzimmer entledigte sie sich ihrer Kleider. Im Bad drehte Sie den Wasserhahn der Badewanne auf und ging nochmal zurück um Musik aufzulegen. Als sie die Stereoanlage anschaltete fiel ihr Blick auf den Computer. Der dunkle Monitor schien sie anzustarren und ihr zuzurufen „schalte mich ein.“ „Nein,“ sagte sie entschlossen. „Erst ein schönes, heißes Bad und dann werde ich mich um Dich kümmern,“ und mit diesen Worten ging sie zurück in`s Bad und legte sich in das wohlduftende, heiße Wasser. Laut sang sie zusammen mit Alicia Keys „Fallin`“ und langsam viel der Stress des vergangen Tages von ihr ab. Auf der Heimfahrt hatte sie eine gute Stunde im Stau gestanden und dabei war ihr ein genialer Einfall für den Projektwettbewerb gekommen. Sie wollte sich nachher gleich an die Arbeit machen. Nach einer viertel Stunde hielt sie es nicht mehr in der Wanne aus. In ihren flauschigen Bademantel gehüllt und mit dem unvermeidlichen Glas Wein und einer Zigarette in der Hand setzte sie sich dann endlich vor den Computer und schaltete ihn ein. Sie stellte die Internetverbindung her und tippte danach ihr Passwort ein. „Sie haben Post,“ verkündete die Frauenstimme und aufgeregt klickte Sarah auf das Briefkastensymbol. Eine einzige Mail war seit gestern eingegangen. Bone69 stand da in kleinen Lettern und als Betreff Thank you. Sarah öffnete die Mail und lehnte sich dann gespannt in ihrem Stuhl vor um sie zu lesen.

Hi Sarah, vielen Dank für Deine Mail. War mir nicht ganz sicher, ob Du mir wirklich schreibst. Trotzdem hat mich der Gedanke daran heute morgen (mittag) tatsächlich aus dem Bett geholt. Ich benutze ein kleines Notebook wenn wir unterwegs sind. Zusammen mit meinem Handy eine der wichtigsten Verbindungen nach „draußen“. Es ist schwer, Freundschaften außerhalb meines Jobs zu pflegen. Die meiste Zeit bin ich beschäftigt. Besprechungen, Pressetermine und natürlich unsere Shows. Dazwischen sind wir immer unterwegs. Mit dem Auto, Bus, Helikopter oder Flugzeug. Ich komme selten zur Ruhe, was ich aber grundsätzlich als garnicht so schlimm empfinde. Ich denke, ich brauche das auch irgendwie, die Anspannung und den Stress, um auf der Bühne immer hundert Prozent zu geben. Den ganzen Tag arbeitet man darauf hin und wenn wir dann tatsächlich vor dieser Menge von kreischenden Fans stehen, ist das der größte Lohn für die ganzen, manchmal auch ziemlich unangenehmen Dinge . Nach der Show sind wir meistens noch ganz schön aufgedreht. Dann treffen wir uns entweder im Hotel und trinken noch was zusammen, gehen in einen Club oder auf eine Party, die sich immer irgendwo findet. Wenn wir so lange unterwegs sind wie im Moment, merke ich natürlich schon, das irgendwann meine Kraftreserven zu Ende gehen. Ab und zu haben wir auch mal einen Tag zwischendurch frei (wobei frei bedeutet, daß wir keinen Auftritt haben und meistens doch ein Fotoshooting oder Interview dazwischen kommt). An solchen Tagen versuchen wir alle ein wenig zu relaxen. Das bedeutet in meinem Fall Fitnesstudio, vielleicht ein kleines Baskettballmatch mit Nick und einfach einen Abend auf dem Sofa mit einem guten Video zu verbringen. Die Leute mit denen ich hier so unterwegs bin, sind soetwas wie meine zweite Familie. Zum einen sind da natürlich meine Kumpels, die jeden Abend mit mir auf der Bühne stehen. Nick ist der chaotische. Er hat immer irgendwelchen Unsinn im Kopf und hält uns damit auch ziemlich auf Trab. Wenn ich es beurteilen müsste würde ich sagen, daß er mir wohl am nächsten steht. Kevin ist der älteste und somit wohl auch ein bisschen in der Vernunft-Rolle. Er lässt sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen und hat immer ein offenes Ohr für sämtliche Probleme. Howie wird immer als der Romantiker charakterisiert, die Mädels stehen zumindest auf sowas :-). Brian ist der Geschäftsmann. Er hat gerne alles unter Kontrolle. Dem kann man so schnell nichts vor machen. Was wir alle gemeinsam haben ist wohl unser Sinn für Humor und die Liebe zur Musik. Die Textzeile die Du in Deinem Mail zitiert hast, ist übrigens von Brian. Er hat sich sehr darüber gefreut, daß Du Dir über seine Worte Gedanken gemacht hast :-). Dann ist da natürlich noch unsere Crew, die Betreuer, Security und was sonst noch so alles dazu gehört. Wir haben zu allen ein sehr offenes und enges Verhältnis. Ich denke das bleibt auch nicht aus, wenn Du so lange zusammen unterwegs bist. Meine Mum hat die Tourplanung übernommen. Sie ist ein unheimlich wichtiger Mensch in meinem Leben. Sie ist wie eine Freundin für mich und ich kann mit ihr über alles reden. Geschwister habe ich keine, aber meine Cousine Kathy kommt dem schon sehr nahe. Dann ist da noch mein Grandpa. Ich bin mit meiner Mum und meinen Großeltern in einem Haus aufgewachsen, sie waren sowas wie Zweiteltern für mich. Meine Großmutter ist leider vor drei Monaten gestorben. Das war eine wirklich schlimme Zeit für mich, mittlerweile komme ich einigermaßen damit klar. Ich kann also durchaus nachvollziehen, wie es für Dich gewesen sein muss, Deine Eltern zu verlieren. Wie ist das denn eigentlich passiert? Schreib mir auf jeden Fall mehr über Deine Arbeit, klingt sehr interessant, wobei ich mir unter Projektmanagement nicht so direkt was vorstellen kann. Ich weiß auch immernoch nicht wie Du aussiehst. Hast Du das nur vergessen, oder war das Absicht? Also, ich warte auf Deine Antwort. Bis bald. God bless you. Peace. A.J. x

Und da war es wieder, das kleine x hinter seinem Namen. Sarah lächelte. Er hatte Brian von ihrem Mail erzählt, irgendwie freute sie sich darüber. Sie war auch einwenig überrascht, daß das Mail gegen Ende doch noch so persönlich geworden war. So sehr sie sich auch für seine Arbeit interessierte, wollte sie auch wissen, was hinter dem A.J., den alle Welt kannte, stand. Sie sah auf die Uhr, halb zehn. Das bedeutete entweder sie antwortete ihm, oder sie begann mit der Arbeit an ihrem Projektantrag. Beides war äußerst reizvoll und so entschied Sie sich für einen Kompromiss. Sie klickte auf antworten und schrieb.

Hi A.J., heute nur ein paar Zeilen, da ich noch etwas für die Arbeit tun muss (wenn ich gut bin, kann ich dafür nach Spanien reisen ;-)). Richte Brian liebe Grüße aus, war schön ihm eine Freude gemacht zu haben. Das mit Deiner Grandma tut mir leid. Aber ich kann Dir versichern, der Schmerz wird irgendwann erträglich. Ich habe ein Jahr gebraucht um wieder einigermaßen zu funktionieren. Meine Eltern sind beide bei einem Autounfall ums Leben gekommen, sozusagen direkt vor unserer Haustür. Es war furchtbar. Das mit meinem Aussehen war tatsächlich Absicht. Da wir uns höchstwahrscheinlich sowieso nie begegnen werden, ist das doch nicht so wichtig, oder? Stell Dir einfach Deine Traumfrau vor. So, wie angekündigt muss ich mich jetzt meiner Arbeit widmen. Also, machs gut und ich verspreche hoch und heilig, mein nächstes Mail wird etwas ausführlicher. Liebe Grüße Sarah sie überlegte kurz und fügte dann noch ein kleines x hinzu.

Sie klickte auf senden und beendete dann die Internetverbindung. Dann öffnete sie ihr Schreibprogramm und begann eine grobe Formulierung ihres Projekts. Eine Stunde arbeitete sie konzentriert. Langsam nahmen ihre Gedanken auf dem Monitor Gestalt an. Die Idee war relativ simpel. Warum nur einmal im Jahr einen solchen Projektwettbewerb ausschreiben? Ihr schwebte ein Vorschlagswesen vor, bei dem jeder Mitarbeiter seine Ideen zu jeder Zeit einbringen konnte. Computerunterstützt und mit der richtigen Motivation in Form von kleineren Sachpreisen bei Annahme des Vorschlags könnte dieses Instrument der Bank nur nützlich sein. Natürlich musste sie zu dem Ganzen noch eine Kosten-Nutzen-Rechnung erstellen, das würde nicht einfach werden. Wie sollte man die Kostenersparnis für Vorschläge errechnen, die noch garnicht gemacht waren? Sie beschloss dieses Problem auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Sie speicherte das gerade Geschriebene ab und kopierte es auf eine Diskette, die sie morgen mit in die Arbeit nehmen wollte. Sie schaltete den Computer aus und streckte sich. „Genug gearbeitet für heute,“ murmelte sie und stand auf. Als sie wenig später im Bett lag, dachte sie nochmal an A.J. und sein Mail. Sie stellte sich vor, wie sein Tag so aussah. Immer unterwegs, immer viel zu tun. Das sie sich wohl nie begegnen würden hatte sie ernst gemeint. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß er zwischen seinen ganzen Terminen noch Zeit hatte, sich mit irgendeinem Mädchen aus Deutschland zu treffen. Abgesehen davon konnte sie sich auch nicht vorstellen einfach in sein Hotel zu spazieren und zu sagen „Hallo hier bin ich.“ Während sie sich mit einem Lächeln sein Gesicht dabei vorstellte, schlief sie ein.

Kapitel 8