Kapitel 9
Der Termin für die jährliche Großveranstaltung der Bank und damit auch die Bekanntgabe der Gewinner des diesjährigen Projektwettbewerbs rückte immer näher. Es waren nur noch wenige Tage bis dahin und Sarah hatte sich mit Katrin zum Einkaufen verabredet. Ich will doch gut aussehen, wenn mich der Vorstand auf die Bühne holt und mir den ersten Preis verleiht, hatte Sarah scherzhaft gemeint. Sei Dir nicht zu sicher, am Ende bist Du tierisch enttäuscht, wenn es nicht klappt. Keine Sorge, ich bin Realist. Es wird bestimmt eine Menge toller Vorschläge geben. Trotzdem will ich auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Und so standen sie nun in einer kleinen Boutique und Sarah probierte ein Kleid nach dem anderen an. Eines hatte bisher Katrins kritischem Blick stand gehalten, doch Sarah war damit noch nicht so recht zufrieden gewesen. Mit einem breiten Lächeln trat sie nun aus der Umkleidekabine. Das ist es, verkündete sie. Katrin hielt den Atem an. Das Kleid war wirklich perfekt. Es war von einem dunklen blau, daß Sarahs Augen wunderschön betonte und sie regelrecht zum leuchten brachte. Es schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren schlanken Körper und reichte ihr bis knapp übers Knie. Der runde, tiefe Ausschnitt war mit kleinen silbernen Straßsteinen besetzt, zwei Bänder die im Nacken zusammengeknotet waren, hielten das Kleid an seinem Platz. Es ist fantastisch, hauchte Katrin dreh Dich mal um. Sarah gehorchte. Der Rücken war komplett frei, nur die beiden Bänder fielen schmal über ihren Rücken. Da wo der Stoff wieder anfing, war auch eine Reihe kleiner Straßsteine aufgesetzt worden. Sarah besaß ein Tatoo am Ansatz ihres Pos und es wirkte nun wie in einem wunderschönen, blauen Bilderrahmen eingefasst. Die verschlungenen, schwarzen Ornamente, auch Tribel genannt, schienen mit den Straßsteinen um die Wette zu schimmern. Es ist wunderschön, ehrlich. Ich gebe nur zu bedenken, daß bestimmt lauter prüde Schlipsträger anwesend sein werden. Findest Du da dieses Kleid nicht ein bisschen zu gewagt? fragte Katrin. Ich habe letztes Jahr Kleider mit wesentlich weniger Stoff gesehen, dagegen kam ich mir vor wie in einen Kartoffelsack gehüllt. Dieses Jahr passiert mir das nicht mehr, entgegnete Sarah entschlossen. Mit diesem Kleid ganz sicher nicht, sagte Katrin und beide grinsten sich an. Nachdem Sarah bezahlt hatte, machten sie sich auf, um passende Schuhe zu finden. Nach zwei Stunden ließen sie sich erschöpft aber glücklich auf zwei Stühle in einem kleinen Bistro fallen. Puh, wenn Geld ausgeben nur nicht so anstrengend wäre, stöhnte Sarah und winkte dem Kellner um zwei Cappuccino zu bestellen. Nachdem er zwei riesige dampfende Tassen vor sie hingestellt hatte sagte Katrin ich kann immernoch nicht glauben, daß Du A.J.s Angebot abgelehnt hast. So eine Chance bekommt man doch nur einmal im Leben. Das mag schon sein, aber ich fliege doch nicht um den halben Erdball um dann festzustellen, daß er eigentlich ein Kotzbrocken ist. Glaub mir, es ist gut so, wie es im Moment ist. Katrin musterte ihre Freundin kritisch von der Seite Du kannst sagen was Du willst, aber ich glaube nicht, daß das der wahre Grund ist. Du müsstest Dich mal hören. A.J. dies, A.J. das. Du hast den Typ nochnichtmal persönlich kennengelernt und schwärmst in den höchsten Tönen von ihm. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Du ihn ernsthaft für einen Kotzbrocken hältst. Sarah nippte an ihrem Cappuccino um Zeit zu gewinnen. Wie sollte sie Katrin nur begreifbar machen, daß sie einfach Angst hatte? Weißt Du, versuchte sie es zu erklären ich habe einfach Angst enttäuscht zu werden. Er wirkt so perfekt. Er ist sensibel, witzig, hört mir wirklich zu und obwohl er weder weiß wie ich aussehe, noch mit mir gesprochen hat, respektiert er mich und weiß meistens gleich was in mir vorgeht. Ich will das einfach nicht aufgeben. Wer sagt denn, daß Du das aufgeben musst? Im Gegenteil, wenn das bei Euch schon so gut via Mail klappt, dann muss es doch doppelt so schön sein, wenn ihr Euch endlich Auge in Auge gegenüber steht. Und wenn es nicht so ist? Stell Dir mal vor, ich fliege tatsächlich nach Florida oder sonst wohin um ihn zu treffen und ich stelle fest, daß ich ihn eigentlich nicht leiden kann? Feigling, entgegnete Katrin mit einem Lächeln. Vielleicht, aber besser feige als todunglücklich. Deine Meinung. Ja eben, meine Sache. Katrin runzelte die Stirn. So kannte sie ihre Freundin garnicht. Zögerlichkeit und Zurückhaltung brachte sie eigentlich nicht mir ihr in Verbindung. Katrin war verwirrt. Erzähl mir lieber von Deinem geplanten Urlaub mit Super-Martin. Ich kann garnicht glauben, daß Du in einer Woche auf Mallorca in der Sonne schmoren wirst, wechselte Sarah schnell das Thema. Naja, schmoren ist vielleicht zu viel gesagt. Die Frage ist ja auch, ob wir überhaupt aus dem Hotelzimmer rauskommen werden, wenn Du verstehst was ich meine, entgegnete Katrin im vertraulichen Ton. Sie hatte beschlossen, Sarah nicht weiter zu bedrängen. Sarah lachte und während sie genüsslich ihren Cappuccino schlürften, plauderten sie über Sonnencremes und nächtliche Strandspaziergänge. Als sich das Bistro langsam füllte, bezahlten sie und machten sich auf, um sich von ihrem Lieblingsitaliener mit Pasta und Pizza verwöhnen zu lassen. Als sie sich spät am Abend vor der Tür des Restaurants voneinander verabschiedeten sagte Katrin weißt Du, ich würde mir wünschen, daß Du mir gegenüber ein bisschen offener währst. Ich weiß, daß Du einiges durchgemacht hast, Du brauchst das garnicht leugnen, fügte sie schnell hinzu als sie merkte, daß ihr Sarah widersprechen wollte Du redest nicht darüber, o.k., aber was auch immer es ist, es bringt Dich dazu, Dinge zu tun, die Du vielleicht eines Tages bereuen wirst. Du bist verknallt, auch wenn du das niemals zugeben würdest und das in eine zufällige E-Mail-Bekanntschaft. Es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu tun, denn ich bin mir sicher, daß Du ihn sonst irgendwann verlieren wirst. Er hat Interesse an Dir, egal, wie dieses Interesse momentan auch aussehen mag. Ich bin sogar fast sicher, daß er ähnlich für Dich empfindet. Doch ewig wird er nicht an einer Fantomfrau aus dem Netz festhalten. Kämpfe, normalerweise kannst Du das doch auch. Sarah schluckte die aufkommenden Tränen herunter. Tief im Inneren ihres Herzens wußte sie, daß Katrin recht hatte, doch sie war noch nicht bereit, dies hier und jetzt zuzugeben. Stattdessen umarmte sie ihre Freundin und drückte sie ganz fest. Es tut mir leid, wenn ich manchmal so verschlossen bin, sagte sie glaub mir, ich möchte Dir nicht weh tun. Ich kann verstehen, daß meine Gedankengänge manchmal schwer nachzuvollziehen sind. Vertrau mir einfach, o.k.? Ich weiß was ich tue. Katrin seufzte Weißt Du Schnucki, ich glaube gerade das weißt Du manchmal nicht. Aber ich werde Dir vertrauen und abwarten was passiert. Ich bin auf jeden Fall immer für Dich da. Danke, das bedeutet mir wirklich viel, und mit diesen Worten lösten sie sich voneinander. Als sie sich ansahen, bemerkten sie beide die Tränen in den Augen der Anderen und sie fingen beide an zu lachen. Ich denke wir haben den ersten Preis für das Rührstück des Monats verdient, meinte Katrin noch immer kichernd. Mit Sicherheit, entgegnete Sarah und beide prusteten von Neuem los. |