Waren die Tochtergesellschaften in Deutschland auf Stromlieferungen aus der Schweiz angewiesen?

Der hohe Energiebedarf der Waldshuter Anlagen wurde ausschliesslich durch Stromlieferungen der Schweizer „Aare-Tessin AG für Elektrizität“ (ATEL) gedeckt. Zum deutschen Stromnetz bestand keine Verbindung, die Lonza-Werke waren noch 1941 „völlig von den schweizerischen Lieferungen abhängig“. Um diesen Zustand zu beseitigen, begann die Lonza 1930 mit der Planung eines eigenen Rheinkraftwerkes bei Reckingen/Kreis Waldshut. Der Baubeginn wurde allerdings immer wieder aufgeschoben, denn die schlechte Geschäftslage der Lonza-Werke im Zuge der Weltwirtschaftskrise liess das Projekt vorerst als nicht notwendig erscheinen. 

Den deutschen Behörden wie der Rüstungsinspektion V war aber sehr daran gelegen, dass die Produktion nicht in zu grossem Masse von Energieimporten aus der Schweiz abhing:

„Was die Unabhängigkeit von der Einfuhr schweizerischen Stromes anbelangt, so wäre das Badenwerk in der Lage, die bisher eingeführten Mengen – jedoch ohne den Bedarf für Lonza ( gemeint sind die Lonza-Werke ) -  zusätzlich zu erzeugen (...).“

Im März 1943 betrug der Anteil der Schweizer Importenergie nach Angaben der Lonza-Werke 60%. Das unternehmen wurde noch weitaus stärker als die Aluminium GmbH  zum Gegenstand  des Feilschens um Schweizer Strom- gegen Kohlelieferung. Für die Lonza.Werke stellte dies eine beträchtliche Belastung dar, denn „im Hinblick auf die kriegsentscheidende Erzeugung unseres Werkes Waldshut (...), welche ausschliesslich Rüstungszwecken dient, wäre die Einstellung der schweizerischen Energielieferung untragbar“. Als auf Schweizer Seite im März 1943 aufgrund unzureichender deutscher Kohlenexporte eine Drosselung des Energieexportes erwogen wurde, waren davon in erster Linie die Lonza-Werke betroffen. Die ATEL droht, ihre Lieferung „auf Grund einer behördlichen Weisung aus Bern“ auf die vertraglich festgesetzte Minimalquote von 170500 kW pro Tag herabzusetzen, was die Produktionskapazität des Waldshuter Werkes halbiert hätte. Durch die deutsch-schweizerischen Vereinbarungen vom Juni und Oktober 1943 konnten die Lonza-Werke zwar weiterhin durch die ATEL beliefert werden, doch bemühte sich die Lonza AG um eine dauerhafte Regelung des Strombezugs. Gegenüber dem Bundesrat erklärte sie, dass durch eine Einstellung der Lieferung „die Lebensfähigkeit unserer deutschen Tochtergesellschaft (...) gefährdet und unser Aktivum, die Lonza-Werke GmbH, entwertet“ würden. Diese Situation trat jedoch erst unmittelbar vor der Besetzung Südbadens durch die Franzosen ein, denn die Stromlieferung der ATEL liefen bis März, die von Reckingen bis April 1945 weiter. Um der Abhängigkeit von Schweizer Exporten langfristig  zu entgehen, verfolgten die Lonza-Werke auch während des Krieges das erstmals 1928 diskutierte Projekt eines deutsch-schweizerischen Grenzkraftwerks bei Koblenz/Kanton Aargau, das sie gemeinsam mit der „Energieversorgung Schwaben“ betreiben wollten. Die Planungen wurden auch nach Kriegsende weitergeführt, doch wurde das Projekt aus ökologischen Gründen nie verwirklicht.

Bergierbericht Band 6: s.127/144/145

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