Als der sechzehnjährige Karl Rossmann, der von seinen armen Eltern nach
Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt
und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff
in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst
beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich
stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie
neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.
So
hoch! sagte er sich und wurde, wie er so gar nicht an das Weggehen
dachte, von der immer mehr anschwellenden Menge der Gepäckträger,
die an ihm vorüberzogen, allmählich bis an das Bordgeländer
geschoben.
Ein
junger Mann, mit dem er während der Fahrt flüchtig bekannt geworden
war, sagte im Vorübergehen: "Ja, haben Sie denn noch keine Lust,
auszusteigen?" "Ich bin doch fertig", sagte Karl, ihn anlachend, und hob
aus Übermut, und weil er ein starker Junge war, seinen Koffer auf
die Achsel. Aber wie er über seinen Bekannten hinsah, der ein wenig
seinen Stock schwenkend sich schon mit den andern entfernte, merkte er
bestürzt, dass er seinen eigenen Regenschirm unten im Schiff vergessen
hatte. Er bat schnell den Bekannten, der nicht sehr beglückt schien,
um die Freundlichkeit, bei seinem Koffer einen Augenblick zu warten, überblickte
noch die Situation, um sich bei der Rückkehr zurechtzufinden, und
eilte davon. Unten fand er zu seinem Bedauern einen Gang, der seinen Weg
sehr verkürzt hätte, zum ersten Mal versperrt, was wahrscheinlich
mit der Ausschiffung sämtlicher Passagiere zusammenhing, und musste
Treppen, die einander immer wieder folgten, durch fortwährend abbiegende
Korridore, durch ein leeres Zimmer mit einem verlassenen Schreibtisch
mühselig suchen, bis er sich tatsächlich, da er diesen Weg nur
ein- oder zweimal und immer in größerer Gesellschaft gegangen
war, ganz und gar verirrt hatte. In seiner Ratlosigkeit und da er keinen
Menschen traf und nur immerfort über sich das Scharren der tausend
Menschenfüße hörte und von der Ferne, wie einen Hauch,
das letzte Arbeiten der schon eingestellten Maschinen merkte, fing er,
ohne zu überlegen, an eine beliebige kleine Tür zu schlagen
an, bei der er in seinem Herumirren stockte.
"Es
ist ja offen", rief es von innen, und Karl öffnete mit ehrlichem
Aufatmen die Tür. "Warum schlagen Sie so verrückt auf die Tür?"
fragte ein riesiger Mann, kaum dass er nach Karl hinsah. Durch irgendeine
Oberlichtluke fiel ein trübes, oben im Schiff längst abgebrauchtes
Licht in die klägliche Kabine, in welcher ein Bett, ein Schrank,
ein Sessel und der Mann knapp nebeneinander, wie eingelagert, standen.
"Ich habe mich verirrt", sagte Karl, "ich habe es während der Fahrt
gar nicht so bemerkt, aber es ist ein schrecklich großes Schiff."
"Ja, da haben Sie recht", sagte der Mann mit einigem Stolz und hörte
nicht auf, an dem Schloss eines kleinen Koffers zu hantieren, den er mit
beiden Händen immer wieder zudrückte, um das Einschnappen des
Riegels zu behorchen. "Aber kommen Sie doch herein!" sagte der Mann weiter,
"Sie werden doch nicht draußen stehn!" "Störe ich nicht?" fragte
Karl. "Ach, wie werden Sie denn stören!" "Sind Sie ein Deutscher?"
suchte sich Karl noch zu versichern, da er viel von den Gefahren gehört
hatte, welche besonders von Irländern den Neuankömmlingen in
Amerika drohen. "Bin ich, bin ich", sagte der Mann. Karl zögerte
noch. Da fasste unversehens der Mann die Türklinke und schob mit
der Türe, die er rasch schloss, Karl zu sich herein. "Ich kann es
nicht leiden, wenn man mir vom Gang hereinschaut", sagte der Mann, der
wieder an seinem Koffer arbeitete, "da läuft jeder vorbei und schaut
herein, das soll der Zehnte aushalten!" "Aber der Gang ist doch ganz leer",
sagte Karl, der unbehaglich an den Bettpfosten gequetscht dastand. "Ja,
jetzt", sagte der Mann. Es handelt sich doch um jetzt, dachte
Karl, mit dem Mann ist schwer zu reden. "Legen Sie sich doch
aufs Bett, da haben Sie mehr Platz", sagte der Mann. Karl kroch, so gut
es ging, hinein und lachte dabei laut über den ersten vergeblichen
Versuch, sich hinüberzuschwingen. Kaum war er aber im Bett, rief
er: "Gotteswillen, ich habe ja ganz meinen Koffer vergessen!" "Wo ist
er denn?" "Oben auf dem Deck, ein Bekannter gibt acht auf ihn. Wie heißt
er nur?" Und er zog aus seiner Geheimtasche, die ihm seine Mutter für
die Reise im Rockfutter angelegt hatte, eine Visitkarte. "Butterbaum,
Franz Butterbaum." "Haben Sie den Koffer sehr nötig?" "Natürlich."
"Ja, warum haben Sie ihn dann einem fremden Menschen gegeben?" "Ich hatte
meinen Regenschirm unten vergessen und bin gelaufen, um ihn zu holen,
wollte aber den Koffer nicht mitschleppen. Dann habe ich mich auch hier
noch verirrt." "Sie sind allein? Ohne Begleitung?" "Ja, allein." Ich
sollte mich vielleicht an diesen Mann halten, ging es Karl durch
den Kopf, wo finde ich gleich einen besseren Freund. "Und
jetzt haben Sie auch noch den Koffer verloren. Vom Regenschirm rede ich
gar nicht." Und der Mann setzte sich auf den Sessel, als habe Karls Sache
jetzt einiges Interesse für ihn gewonnen. "Ich glaube aber, der Koffer
ist noch nicht verloren." "Glauben macht selig", sagte der Mann und kratzte
sich kräftig in seinem dunklen, kurzen, dichten Haar, "auf dem Schiff
wechseln mit den Hafenplätzen auch die Sitten. In Hamburg hätte
Ihr Butterbaum den Koffer vielleicht bewacht, hier ist höchstwahrscheinlich
von beiden keine Spur mehr." "Da muss ich aber doch gleich hinaufschaun",
sagte Karl und sah sich um, wie er hinauskommen könnte. "Bleiben
Sie nur", sagte der Mann und stieß ihn mit einer Hand gegen die
Brust, geradezu rau, ins Bett zurück. "Warum denn?" fragte Karl ärgerlich.
"Weil es keinen Sinn hat", sagte der Mann, "in einem kleinen Weilchen
gehe ich auch, dann gehen wir zusammen. Entweder ist der Koffer gestohlen,
dann ist keine Hilfe, oder der Mann hat ihn stehen gelassen, dann werden
wir ihn, bis das Schiff ganz entleert ist, desto besser finden. Ebenso
auch Ihren Regenschirm." "Kennen Sie sich auf dem Schiff aus?" fragte
Karl misstrauisch, und es schien ihm, als hätte der sonst überzeugende
Gedanke, dass auf dem leeren Schiff seine Sachen am besten zu finden sein
würden, einen verborgenen Haken. "Ich bin doch Schiffsheizer", sagte
der Mann. "Sie sind Schiffsheizer!" rief Karl freudig, als überstiege
das alle Erwartungen, und sah, den Ellbogen aufgestützt, den Mann
näher an. "Gerade vor der Kammer, wo ich mit dem Slowaken geschlafen
habe, war eine Luke angebracht, durch die man in den Maschinenraum sehen
konnte." "Ja, dort habe ich gearbeitet", sagte der Heizer. "Ich habe mich
immer so für Technik interessiert", sagte Karl, der in einem bestimmten
Gedankengang blieb, "und ich wäre sicher später Ingenieur geworden,
wenn ich nicht nach Amerika hätte fahren müssen." "Warum haben
Sie denn fahren müssen?" "Ach was!" sagte Karl und warf die ganze
Geschichte mit der Hand weg. Dabei sah er lächelnd den Heizer an,
als bitte er ihn selbst für das Nichteingestandene um seine Nachsicht.
"Es wird schon einen Grund haben", sagte der Heizer, und man wusste nicht
recht, ob er damit die Erzählung dieses Grundes fordern oder abwehren
wollte. "Jetzt könnte ich auch Heizer werden", sagte Karl, "meinen
Eltern ist es jetzt ganz gleichgültig, was ich werde." "Meine Stelle
wird frei", sagte der Heizer, gab im Vollbewusstsein dessen die Hände
in die Hosentaschen und warf die Beine, die in faltigen, lederartigen,
eisengrauen Hosen staken, aufs Bett hin, um sie zu strecken. Karl musste
mehr an die Wand rücken. "Sie verlassen das Schiff?" "Jawohl, wir
marschieren heute ab." "Warum denn? Gefällt es Ihnen nicht?" "Ja,
das sind die Verhältnisse, es entscheidet nicht immer, ob es einem
gefällt oder nicht. Übrigens haben Sie recht, es gefällt
mir auch nicht. Sie denken wahrscheinlich nicht ernstlich daran, Heizer
zu werden, aber gerade dann kann man es am leichtesten werden. Ich also
rate Ihnen entschieden ab. Wenn Sie in Europa studieren wollten, warum
wollen Sie es denn hier nicht? Die amerikanischen Universitäten sind
ja unvergleichlich besser als die europäischen." "Es ist ja möglich",
sagte Karl, "aber ich habe ja fast kein Geld zum Studieren. Ich habe zwar
von irgendjemandem gelesen, der bei Tag in einem Geschäft gearbeitet
und in der Nacht studiert hat, bis er Doktor und ich glaube Bürgermeister
wurde, aber dazu gehört doch eine große Ausdauer, nicht? Ich
fürchte, die fehlt mir. Außerdem war ich kein besonders guter
Schüler, der Abschied von der Schule ist mir wirklich nicht schwer
geworden. Und die Schulen hier sind vielleicht noch strenger. Englisch
kann ich fast gar nicht. Überhaupt ist man hier gegen Fremde so eingenommen,
glaube ich." "Haben Sie das auch schon erfahren? Na, dann ist's gut. Dann
sind Sie mein Mann. Sehen Sie, wir sind doch auf einem deutschen Schiff,
es gehört der Hamburg-Amerika-Linie, warum sind wir nicht lauter
Deutsche hier? Warum ist der Obermaschinist ein Rumäne? Er heißt
Schubal. Das ist doch nicht zu glauben. Und dieser Lumpenhund schindet
uns Deutsche auf einem deutschen Schiff! Glauben Sie nicht" ihm
ging die Luft aus, er fackelte mit der Hand , "dass ich klage, um
zu klagen. Ich weiß, dass Sie keinen Einfluss haben und selbst ein
armes Bürschchen sind. Aber es ist zu arg!" Und er schlug auf den
Tisch mehrmals mit der Faust und ließ kein Auge von ihr, während
er schlug. "Ich habe doch schon auf so vielen Schiffen gedient"
und er nannte zwanzig Namen hintereinander, als sei es ein Wort, Karl
wurde ganz wirr "und habe mich ausgezeichnet, bin belobt worden,
war ein Arbeiter nach dem Geschmack meiner Kapitäne, sogar auf dem
gleichen Handelssegler war ich einige Jahre" er erhob sich, als
sei das der Höchstpunkt seines Lebens "und hier auf diesem
Kasten, wo alles nach der Schnur eingerichtet ist, wo kein Witz gefordert
wird, hier taug ich nichts, hier stehe ich dem Schubal immer im Wege,
bin ein Faulpelz, verdiene hinausgeworfen zu werden und bekomme meinen
Lohn aus Gnade. Verstehen Sie das? Ich nicht." "Das dürfen Sie sich
nicht gefallen lassen", sagte Karl aufgeregt. Er hatte fast das Gefühl
davon verloren, dass er auf dem unsicheren Boden eines Schiffes, an der
Küste eines unbekannten Erdteils war, so heimisch war ihm hier auf
dem Bett des Heizers zu Mute. "Waren Sie schon beim Kapitän? Haben
Sie schon bei ihm Ihr Recht gesucht?" "Ach gehen Sie, gehen Sie lieber
weg. Ich will Sie nicht hier haben. Sie hören nicht zu, was ich sage,
und geben mir Ratschläge. Wie soll ich denn zum Kapitän gehen!"
Und müde setzte sich der Heizer wieder und legte das Gesicht in beide
Hände.
Einen
besseren Rat kann ich ihm nicht geben, sagte sich Karl. Und er fand
überhaupt, dass er lieber seinen Koffer hätte holen sollen,
statt hier Ratschläge zu geben, die doch nur für dumm gehalten
wurden. Als ihm der Vater den Koffer für immer übergeben hatte,
hatte er im Scherz gefragt: "Wie lange wirst du ihn haben?" und jetzt
war dieser treue Koffer vielleicht schon im Ernst verloren. Der einzige
Trost war noch, dass der Vater von seiner jetzigen Lage kaum erfahren
konnte, selbst wenn er nachforschen sollte. Nur dass er bis New York mitgekommen
war, konnte die Schiffsgesellschaft gerade noch sagen. Leid tat es aber
Karl, dass er die Sachen im Koffer noch kaum verwendet hatte, trotzdem
er es beispielsweise längst nötig gehabt hätte, das Hemd
zu wechseln. Da hatte er also am unrichtigen Ort gespart; jetzt, wo er
es gerade am Beginn seiner Laufbahn nötig haben würde, rein
gekleidet aufzutreten, würde er im schmutzigen Hemd erscheinen müssen.
Sonst wäre der Verlust des Koffers nicht gar so arg gewesen, denn
der Anzug, den er anhatte, war sogar besser als jener im Koffer, der eigentlich
nur ein Notanzug war, den die Mutter noch knapp vor der Abreise hatte
flicken müssen. Jetzt erinnerte er sich auch, dass im Koffer noch
ein Stück Veroneser Salami war, die ihm die Mutter als Extragabe
eingepackt hatte, von der er jedoch nur den kleinsten Teil hatte aufessen
können, da er während der Fahrt ganz ohne Appetit gewesen war
und die Suppe, die im Zwischendeck zur Verteilung kam, ihm reichlich genügt
hatte. Jetzt hätte er aber die Wurst gern bei der Hand gehabt, um
sie dem Heizer zu verehren. Denn solche Leute sind leicht gewonnen, wenn
man ihnen irgendeine Kleinigkeit zusteckt, das wusste Karl von seinem
Vater her, welcher durch Zigarrenverteilung alle die niedrigeren Angestellten
gewann, mit denen er geschäftlich zu tun hatte. Jetzt besaß
Karl an Verschenkbarem nur noch sein Geld, und das wollte er, wenn er
schon vielleicht den Koffer verloren haben sollte, vorläufig nicht
anrühren. Wieder kehrten seine Gedanken zum Koffer zurück, und
er konnte jetzt wirklich nicht einsehen, warum er den Koffer während
der Fahrt so aufmerksam bewacht hatte, dass ihm die Wache fast den Schlaf
gekostet hatte, wenn er jetzt diesen gleichen Koffer so leicht sich hatte
wegnehmen lassen. Er erinnerte sich an die fünf Nächte, während
derer er einen kleinen Slowaken, der zwei Schlafstellen links von ihm
gelegen war, unausgesetzt im Verdacht gehabt hatte, dass er es auf seinen
Koffer abgesehen habe. Dieser Slowake hatte nur darauf gelauert, dass
Karl endlich, von Schwäche befallen, für einen Augenblick einnickte,
damit er den Koffer mit einer langen Stange, mit der er immer während
des Tages spielte oder übte, zu sich hinüberziehen könne.
Bei Tage sah dieser Slowake unschuldig genug aus, aber kaum war die Nacht
gekommen, erhob er sich von Zeit zu Zeit von seinem Lager und sah traurig
zu Karls Koffer hinüber. Karl konnte dies ganz deutlich erkennen,
denn immer hatte hie und da jemand mit der Unruhe des Auswanderers ein
Lichtchen angezündet, trotzdem dies nach der Schiffsordnung verboten
war, und versuchte, unverständliche Prospekte der Auswanderungsagenturen
zu entziffern. War ein solches Licht in der Nähe, dann konnte Karl
ein wenig eindämmern, war es aber in der Ferne oder war dunkel, dann
musste er die Augen offen halten. Diese Anstrengung hatte ihn recht erschöpft,
und nun war sie vielleicht ganz nutzlos gewesen. Dieser Butterbaum, wenn
er ihn einmal irgendwo treffen sollte!
In
diesem Augenblick ertönten draußen in weiter Ferne in die bisherige
vollkommene Ruhe hinein kleine kurze Schläge, wie von Kinderfüßen,
sie kamen näher mit verstärktem Klang, und nun war es ein ruhiger
Marsch von Männern. Sie gingen offenbar, wie es in dem schmalen Gang
natürlich war, in einer Reihe, man hörte Klirren wie von Waffen.
Karl, der schon nahe daran gewesen war, sich im Bett zu einem von allen
Sorgen um Koffer und Slowaken befreiten Schlafe auszustrecken, schreckte
auf und stieß den Heizer an, um ihn endlich aufmerksam zu machen,
denn der Zug schien mit seiner Spitze die Tür gerade erreicht zu
haben. "Das ist die Schiffskapelle", sagte der Heizer, "die haben oben
gespielt und gehen jetzt einpacken. Jetzt ist alles fertig und wir können
gehen. Kommen Sie!" Er fasste Karl bei der Hand, nahm noch im letzten
Augenblick ein eingerahmtes Muttergottesbild von der Wand über dem
Bett, stopfte es in seine Brusttasche, ergriff seinen Koffer und verließ
mit Karl eilig die Kabine.
"Jetzt
gehe ich ins Büro und werde den Herren meine Meinung sagen. Es ist
kein Passagier mehr da, man muss keine Rücksicht nehmen." Dieses
wiederholte der Heizer verschiedenartig und wollte im Gehen mit Seitwärtsstoßen
des Fußes eine den Weg kreuzende Ratte niedertreten, stieß
sie aber bloß schneller in das Loch hinein, das sie noch rechtzeitig
erreicht hatte. Er war überhaupt langsam in seinen Bewegungen, denn
wenn er auch lange Beine hatte, so waren sie doch zu schwer.
Sie
kamen durch eine Abteilung der Küche; wo einige Mädchen in schmutzigen
Schürzen sie begossen sie absichtlich Geschirr in großen
Bottichen reinigten. Der Heizer rief eine gewisse Line zu sich, legte
den Arm um ihre Hüfte und führte sie, die sich immerzu kokett
gegen seinen Arm drückte, ein Stückchen mit. "Es gibt jetzt
Auszahlung, willst du mitkommen?" fragte er. "Warum soll ich mich bemühn,
bring mir das Geld lieber her", antwortete sie, schlüpfte unter seinem
Arm durch und lief davon. "Wo hast du denn den schönen Knaben aufgegabelt?"
rief sie noch, wollte aber keine Antwort mehr. Man hörte das Lachen
aller Mädchen, die ihre Arbeit unterbrochen hatten.
Sie
aber gingen weiter und kamen an eine Tür, die oben einen kleinen
Vorgiebel hatte, der von kleinen, vergoldeten Karyatiden getragen war.
Für eine Schiffseinrichtung sah das recht verschwenderisch aus. Karl
war, wie er merkte, niemals in diese Gegend gekommen, die wahrscheinlich
während der Fahrt den Passagieren der ersten und zweiten Klasse vorbehalten
gewesen war, während man jetzt vor der großen Schiffsreinigung
die Trennungstüren ausgehoben hatte. Sie waren auch tatsächlich
schon einigen Männern begegnet, die Besen an der Schulter trugen
und den Heizer gegrüßt hatten. Karl staunte über den großen
Betrieb, in seinem Zwischendeck hatte er davon freilich wenig erfahren.
Längs der Gänge zogen sich auch Drähte elektrischer Leitungen,
und eine kleine Glocke hörte man immerfort.
Der
Heizer klopfte respektvoll an der Türe an und forderte, als man "Herein!"
rief, Karl mit einer Handbewegung auf, ohne Furcht einzutreten. Dieser
trat auch ein, aber blieb an der Tür stehen. Vor den drei Fenstern
des Zimmers sah er die Wellen des Meeres, und bei Betrachtung ihrer fröhlichen
Bewegung schlug ihm das Herz, als hätte er nicht fünflange Tage
das Meer ununterbrochen gesehen. Große Schiffe kreuzten gegenseitig
ihre Wege und gaben dem Wellengang nur so weit nach, als es ihre Schwere
erlaubte. Wenn man die Augen klein machte, schienen diese Schiffe vor
lauter Schwere zu schwanken. Auf ihren Masten trugen sie schmale, aber
lange Flaggen, die zwar durch die Fahrt gestrafft wurden, trotzdem aber
noch hin und her zappelten. Wahrscheinlich von Kriegsschiffen her erklangen
Salutschüsse, die Kanonenrohre eines solchen nicht allzu weit vorüberfahrenden
Schiffes, strahlend mit dem Reflex ihres Stahlmantels, waren wie gehätschelt
von der sicheren, glatten und doch nicht waagrechten Fahrt. Die kleinen
Schiffchen und Boote konnte man, wenigstens von der Tür aus, nur
in der Ferne beobachten, wie sie in Mengen in die Öffnungen zwischen
den großen Schiffen einliefen. Hinter alledem aber stand New York
und sah Karl mit hunderttausend Fenstern seiner Wolkenkratzer an. Ja,
in diesem Zimmer wusste man, wo man war.
An
einem runden Tisch saßen drei Herren, der eine ein Schiffsoffizier
in blauer Schiffsuniform, die zwei anderen, Beamte der Hafenbehörde,
in schwarzen amerikanischen Uniformen. Auf dem Tisch lagen, hochaufgeschichtet,
verschiedene Dokumente, welche der Offizier zuerst mit der Feder in der
Hand überflog, um sie dann den beiden anderen zu reichen, die bald
lasen, bald exzerpierten, bald in ihre Aktentaschen einlegten, wenn nicht
gerade der eine, der fast ununterbrochen ein kleines Geräusch mit
den Zähnen vollführte, seinem Kollegen etwas in ein Protokoll
diktierte.
Am
Fenster saß an einem Schreibtisch, den Rücken der Tür
zugewendet, ein kleinerer Herr, der mit großen Folianten hantierte,
die auf einem starken Bücherbrett in Kopfhöhe vor ihm aneinander
gereiht waren. Neben ihm stand eine offene, wenigstens auf den ersten
Blick leere Kassa.
Das
zweite Fenster war leer und gab den besten Ausblick. In der Nähe
des dritten aber standen zwei Herren in halblautem Gespräch. Der
eine lehnte neben dem Fenster, trug auch die Schiffsuniform und spielte
mit dem Griff des Degens. Derjenige, mit dem er sprach, war dem Fenster
zugewendet und enthüllte hie und da durch eine Bewegung einen Teil
der Ordensreihe auf der Brust des andern. Er war in Zivil und hatte ein
dünnes Bambusstöckchen, das, da er beide Hände an den Hüften
fest hielt, auch wie ein Degen abstand.
Karl
hatte nicht viel Zeit, alles anzusehen, denn bald trat ein Diener auf
sie zu und fragte den Heizer mit einem Blick, als gehöre er nicht
hierher, was er denn wolle. Der Heizer antwortete, so leise als er gefragt
wurde, er wolle mit dem Herrn Oberkassier reden. Der Diener lehnte für
seinen Teil mit einer Handbewegung diese Bitte ab, ging aber dennoch auf
den Fußspitzen, dem runden Tisch in großem Bogen ausweichend,
zu dem Herrn mit den Folianten. Dieser Herr das sah man deutlich
erstarrte geradezu unter den Worten des Dieners, kehrte sich aber
endlich nach dem Manne um, der ihn zu sprechen wünschte, und fuchtelte
dann, streng abwehrend, gegen den Heizer und der Sicherheit halber auch
gegen den Diener hin. Der Diener kehrte darauf zum Heizer zurück
und sagte in einem Tone, als vertraue er ihm etwas an: "Scheren Sie sich
sofort aus dem Zimmer!"
Der
Heizer sah nach dieser Antwort zu Karl hinunter, als sei dieser sein Herz,
dem er stumm seinen Jammer klage. Ohne weitere Besinnung machte sich Karl
los, lief quer durchs Zimmer, dass er sogar leicht an den Sessel des Offiziers
streifte, der Diener lief gebeugt mit zum Umfangen bereiten Armen, als
jage er ein Ungeziefer, aber Karl war der Erste beim Tisch des Oberkassiers,
wo er sich festhielt, für den Fall, dass der Diener versuchen sollte,
ihn fortzuziehen.
Natürlich
wurde gleich das Zimmer lebendig. Der Schiffsoffizier am Tisch war aufgesprungen,
die Herren von der Hafenbehörde sahen ruhig, aber aufmerksam zu,
die beiden Herren am Fenster waren nebeneinandergetreten, der Diener,
welcher glaubte, er sei dort, wo schon die hohen Herren Interesse zeigten,
nicht mehr am Platze, trat zurück. Der Heizer an der Türe wartete
angespannt auf den Augenblick, bis seine Hilfe nötig würde.
Der Oberkassier endlich machte in seinem Lehnsessel eine große Rechtswendung.
Karl
kramte aus seiner Geheimtasche, die er den Blicken dieser Leute zu zeigen
keine Bedenken hatte, seinen Reisepass hervor, den er statt weiterer Vorstellung
geöffnet auf den Tisch legte. Der Oberkassier schien diesen Pass
für nebensächlich zu halten, denn er schnippte ihn mit zwei
Fingern beiseite, worauf Karl, als sei diese Formalität zur Zufriedenheit
erledigt, den Pass wieder einsteckte.
"Ich
erlaube mir zu sagen", begann er dann, "dass meiner Meinung nach dem Herrn
Heizer Unrecht geschehen ist. Es ist hier ein gewisser Schubal, der ihm
aufsitzt. Er selbst hat schon auf vielen Schiffen, die er Ihnen alle nennen
kann, zur vollständigen Zufriedenheit gedient, ist fleißig,
meint es mit seiner Arbeit gut, und es ist wirklich nicht einzusehen,
warum er gerade auf diesem Schiff, wo doch der Dienst nicht so übermäßig
schwer ist, wie zum Beispiel auf Handelsseglern, schlecht entsprechen
sollte. Es kann daher nur Verleumdung sein, die ihn in seinem Vorwärtskommen
hindert und ihn um die Anerkennung bringt, die ihm sonst ganz bestimmt
nicht fehlen würde. Ich habe nur das Allgemeine über diese Sache
gesagt, seine besonderen Beschwerden wird er Ihnen selbst vorbringen."
Karl hatte sich mit dieser Rede an alle Herren gewendet, weil ja tatsächlich
auch alle zuhörten und es viel wahrscheinlicher schien, dass sich
unter allen zusammen ein Gerechter vorfand, als dass dieser Gerechte gerade
der Oberkassier sein sollte. Aus Schlauheit hatte außerdem Karl
verschwiegen, dass er den Heizer erst so kurze Zeit kannte. Im Übrigen
hätte er noch viel besser gesprochen, wenn er nicht durch das rote
Gesicht des Herrn mit dem Bambusstöckchen beirrt worden wäre,
das er von seinem jetzigen Standort zum ersten Mal sah.
"Es
ist alles Wort für Wort richtig", sagte der Heizer, ehe ihn noch
jemand gefragt, ja ehe man noch überhaupt auf ihn hingesehen hatte.
Diese Übereiltheit des Heizers wäre ein großer Fehler
gewesen, wenn nicht der Herr mit den Orden, der, wie es jetzt Karl aufleuchtete,
jedenfalls der Kapitän war, offenbar mit sich bereits übereingekommen
wäre, den Heizer anzuhören. Er streckte nämlich die Hand
aus und rief dem Heizer zu: "Kommen Sie her!" mit einer Stimme, fest,
um mit einem Hammer darauf zu schlagen. Jetzt hing alles vom Benehmen
des Heizers ab, denn was die Gerechtigkeit seiner Sache anlangte, an der
zweifelte Karl nicht. Glücklicherweise zeigte sich bei dieser Gelegenheit,
dass der Heizer schon viel in der Welt herumgekommen war. Musterhaft ruhig
nahm er aus seinem Köfferchen mit dem ersten Griff ein Bündelchen
Papiere sowie ein Notizbuch, ging damit, als verstünde sich das von
selbst, unter vollständiger Vernachlässigung des Oberkassiers,
zum Kapitän und breitete auf dem Fensterbrett seine Beweismittel
aus. Dem Oberkassier blieb nichts übrig, als sich selbst hinzubemühn.
"Der Mann ist ein bekannter Querulant", sagte er zur Erklärung, "er
ist mehr in der Kassa als im Maschinenraum. Er hat Schubal, diesen ruhigen
Menschen, ganz zur Verzweiflung gebracht. Hören Sie einmal!" wandte
er sich an den Heizer, "Sie treiben Ihre Zudringlichkeit doch schon wirklich
zu weit. Wie oft hat man Sie schon aus den Auszahlungsräumen hinausgeworfen,
wie Sie es mit Ihren ganz, vollständig und ausnahmslos unberechtigten
Forderungen verdienen! Wie oft sind Sie von dort in die Hauptkassa gelaufen
gekommen! Wie oft hat man Ihnen im Guten gesagt, dass Schubal ihr unmittelbarer
Vorgesetzter ist, mit dem allein Sie sich als ein Untergebener abzufinden
haben! Und jetzt kommen Sie gar noch her, wenn der Herr Kapitän da
ist, schämen sich nicht, sogar ihn zu belästigen, sondern entblöden
sich nicht einmal, als eingelernten Stimmführer Ihrer abgeschmackten
Beschuldigungen diesen Kleinen mitzubringen, den ich überhaupt zum
ersten Mal auf dem Schiffe sehe!"
Karl
hielt sich mit Gewalt zurück, vorzuspringen. Aber schon war auch
der Kapitän da, welcher sagte: "Hören wir den Mann doch einmal
an. Der Schubal wird mir sowieso mit der Zeit viel zu selbstständig,
womit ich aber nichts zu Ihren Gunsten gesagt haben will." Das letztere
galt dem Heizer, es war nur natürlich, dass er sich nicht so fort
für ihn einsetzen konnte, aber alles schien auf dem richtigen Wege.
Der Heizer begann seine Erklärungen und überwand sich gleich
am Anfang, indem er Schubal mit "Herr" titulierte. Wie freute sich Karl
am verlassenen Schreibtisch des Oberkassiers, wo er eine Briefwaage immer
wieder niederdrückte vor lauter Vergnügen. Herr Schubal
ist ungerecht! Herr Schubal bevorzugt die Ausländer! Herr Schubal
verwies den Heizer aus dem Maschinenraum und ließ ihn Klosette reinigen,
was doch gewiss nicht des Heizers Sache war! Einmal wurde sogar
die Tüchtigkeit des Herrn Schubal angezweifelt, die eher scheinbar
als wirklich vorhanden sein sollte. Bei dieser Stelle starrte Karl mit
aller Kraft den Kapitän an, zutunlich, als sei er sein Kollege, nur
damit er sich durch die etwas ungeschickte Ausdrucksweise des Heizers
nicht zu dessen Ungunsten beeinflussen lasse. Immerhin erfuhr man aus
den vielen Reden nichts Eigentliches, und wenn auch der Kapitän noch
immer vor sich hinsah, in den Augen die Entschlossenheit, den Heizer diesmal
bis zu Ende anzuhören, so wurden doch die anderen Herren ungeduldig,
und die Stimme des Heizers regierte bald nicht mehr unumschränkt
in dem Raume, was manches befürchten ließ. Als Erster setzte
der Herr in Zivil sein Bambusstöckchen in Tätigkeit und klopfte,
wenn auch nur leise, auf das Parkett. Die anderen Herren sahen natürlich
hie und da hin, die Herren von der Hafenbehörde, die offenbar pressiert
waren, griffen wieder zu den Akten und begannen, wenn auch noch etwas
geistesabwesend, sie durchzusehen, der Schiffsoffizier rückte seinen
Tisch wieder näher, und der Oberkassier, der gewonnenes Spiel zu
haben glaubte, seufzte aus Ironie tief auf. Von der allgemein eintretenden
Zerstreuung schien nur der Diener bewahrt, der von den Leiden des unter
die Großen gestellten armen Mannes einen Teil mitfühlte und
Karl ernst zunickte, als wolle er damit etwas erklären.
Inzwischen
ging vor den Fenstern das Hafenleben weiter, ein flaches Lastschiff mit
einem Berg von Fässern, die wunderbar verstaut sein mussten, dass
sie nicht ins Rollen kamen, zog vorüber und erzeugte in dem Zimmer
fast Dunkelheit; kleine Motorboote, die Karl jetzt, wenn er Zeit gehabt
hätte, genau hätte ansehen können, rauschten nach den Zuckungen
der Hände eines am Steuer aufrecht stehenden Mannes schnurgerade
dahin! Eigentümliche Schwimmkörper tauchten hie und da selbstständig
aus dem ruhelosen Wasser, wurden gleich wieder überschwemmt und versanken
vor dem erstaunten Blick; Boote der Ozeandampfer wurden von heiß
arbeitenden Matrosen vorwärtsgerudert und waren voll von Passagieren,
die darin, so wie man sie hineingezwängt hatte, still und erwartungsvoll
saßen, wenn es auch manche nicht unterlassen konnten, die Köpfe
nach den wechselnden Szenerien zu drehen. Eine Bewegung ohne Ende, eine
Unruhe, übertragen von dem unruhigen Element auf die hilflosen Menschen
und ihre Werke!
Aber
alles mahnte zur Eile, zur Deutlichkeit, zu ganz genauer Darstellung;
aber was tat der Heizer? Er redete sich allerdings in Schweiß, die
Papiere auf dem Fenster konnte er längst mit seinen zitternden Händen
nicht mehr halten; aus allen Himmelsrichtungen strömten ihm Klagen
über Schubal zu, von denen seiner Meinung nach jede einzelne genügt
hätte, diesen Schubal vollständig zu begraben, aber was er dem
Kapitän vorzeigen konnte, war nur ein trauriges Durcheinanderstrudeln
aller insgesamt. Längst schon pfiff der Herr mit dem Bambusstöckchen
schwach zur Decke hinauf, die Herren von der Hafenbehörde hielten
schon den Offizier an ihrem Tisch und machten keine Miene, ihn je wieder
loszulassen, der Oberkassier wurde sichtlich nur durch die Ruhe des Kapitäns
vor dem Dreinfahren zurückgehalten, der Diener erwartete in Habachtstellung
jeden Augenblick einen auf den Heizer bezüglichen Befehl seines Kapitäns.
Da
konnte Karl nicht mehr untätig bleiben. Er ging also langsam zu der
Gruppe hin und überlegte im Gehen nur desto schneller, wie er die
Sache möglichst geschickt angreifen könnte. Es war wirklich
höchste Zeit, noch ein kleines Weilchen nur, und sie konnten ganz
gut beide aus dem Büro fliegen. Der Kapitän mochte ja ein guter
Mann sein und überdies gerade jetzt, wie es Karl schien, irgendeinen
besonderen Grund haben, sich als gerechter Vorgesetzter zu zeigen, aber
schließlich war er kein Instrument, das man in Grund und Boden spielen
konnte und gerade so behandelte ihn der Heizer, allerdings aus
seinem grenzenlos empörten Innern heraus.
Karl
sagte also zum Heizer: "Sie müssen das einfacher erzählen, klarer,
der Herr Kapitän kann es nicht würdigen, so wie Sie es ihm erzählen.
Kennt er denn alle Maschinisten und Laufburschen beim Namen oder gar beim
Taufnamen, dass er, wenn Sie nur einen solchen Namen aussprechen, gleich
wissen kann, um wen es sich handelt? Ordnen Sie doch Ihre Beschwerden,
sagen Sie die wichtigste zuerst und absteigend die anderen, vielleicht
wird es dann überhaupt nicht mehr nötig sein, die meisten auch
nur zu erwähnen. Mir haben Sie es doch immer so klar dargestellt!"
Wenn man in Amerika Koffer stehlen kann, kann man auch hie und da
lügen, dachte er zur Entschuldigung.
Wenn
es aber nur geholfen hätte! Ob es nicht auch schon zu spät war?
Der Heizer unterbrach sich zwar sofort, als er die bekannte Stimme hörte,
aber mit seinen Augen, die ganz von Tränen der beleidigten Mannesehre,
der schrecklichen Erinnerungen, der äußersten gegenwärtigen
Not verdeckt waren, konnte er Karl schon nicht einmal mehr gut erkennen.
Wie sollte er auch jetzt Karl sah das schweigend vor dem jetzt
Schweigenden wohl ein , wie sollte er auch jetzt plötzlich
seine Redeweise ändern, da es ihm doch schien, als hätte er
alles, was zu sagen war, ohne die geringste Anerkennung schon vorgebracht
und als habe er andererseits noch gar nichts gesagt und könne doch
den Herren jetzt nicht zumuten, noch alles anzuhören. Und in einem
solchen Zeitpunkt kommt noch Karl, sein einziger Anhänger, daher,
will ihm gute Lehren geben, zeigt ihm aber statt dessen, dass alles, alles
verloren ist. Wäre ich früher gekommen, statt aus dem
Fenster zu schauen! sagte sich Karl, senkte vor dem Heizer das Gesicht
und schlug die Hände an die Hosennaht, zum Zeichen des Endes jeder
Hoffnung.
Aber
der Heizer missverstand das, witterte wohl in Karl irgendwelche geheimen
Vorwürfe gegen sich, und in der guten Absicht, sie ihm auszureden,
fing er zur Krönung seiner Taten mit Karl jetzt zu streiten an. Jetzt,
wo doch die Herren am runden Tisch längst empört über den
nutzlosen Lärm waren, der ihre wichtigen Arbeiten störte, wo
der Hauptkassier allmählich die Geduld des Kapitäns unverständlich
fand und zum sofortigen Ausbruch neigte, wo der Diener, ganz wieder in
der Sphäre seiner Herren, den Heizer mit wildem Blicke maß,
und wo endlich der Herr mit dem Bambusstöckchen, zu welchem sogar
der Kapitän hie und da freundlich hinübersah, schon gänzlich
abgestumpft gegen den Heizer, ja von ihm angewidert, ein kleines Notizbuch
hervorzog und, offenbar mit ganz anderen Angelegenheiten beschäftigt,
die Augen zwischen dem Notizbuch und Karl hin und her wandern ließ.
"Ich
weiß ja", sagte Karl, der Mühe hatte, den jetzt gegen ihn gekehrten
Schwall des Heizers abzuwehren, trotzdem aber quer durch allen Streit
noch ein Freundeslächeln für ihn übrig hatte, "Sie haben
recht, recht, ich habe ja nie daran gezweifelt." Er hätte ihm gern
aus Furcht vor Schlägen die herumfahrenden Hände gehalten, noch
lieber allerdings ihn in einen Winkel gedrängt, um ihm ein paar leise,
beruhigende Worte zuzuflüstern, die niemand sonst hätte hören
müssen. Aber der Heizer war außer Rand und Band. Karl begann
jetzt schon sogar aus dem Gedanken eine Art Trost zu schöpfen, dass
der Heizer im Notfall mit der Kraft seiner Verzweiflung alle anwesenden
sieben Männer bezwingen könne. Allerdings lag auf dem Schreibtisch,
wie ein Blick dorthin lehrte, ein Aufsatz mit viel zu vielen Druckknöpfen
der elektrischen Leitung; und eine Hand, einfach auf sie niedergedrückt,
konnte das ganze Schiff mit allen seinen von feindlichen Menschen gefüllten
Gängen rebellisch machen.
Da
trat der doch so uninteressierte Herr mit dem Bambusstöckchen auf
Karl zu und fragte, nicht überlaut, aber deutlich über allem
Geschrei des Heizers: "Wie heißen Sie denn eigentlich?" In diesem
Augenblick, als hätte jemand hinter der Tür auf diese Äußerung
des Herrn gewartet, klopfte es. Der Diener sah zum Kapitän hinüber,
dieser nickte. Daher ging der Diener zur Tür und öffnete sie.
Draußen stand in einem alten Kaiserrock ein Mann von mittleren Proportionen,
seinem Ansehen nach nicht eigentlich zur Arbeit an den Maschinen geeignet,
und war doch Schubal. Wenn es Karl nicht an aller Augen erkannt
hätte, die eine gewisse Befriedigung ausdrückten, von der nicht
einmal der Kapitän frei war, er hätte es zu seinem Schrecken
am Heizer sehen müssen, der die Fäuste an den gestrafften Armen
so ballte, als sei diese Ballung das Wichtigste an ihm, dem er alles,
was er an Leben habe, zu opfern bereit sei. Da steckte jetzt alle seine
Kraft, auch die, welche ihn überhaupt aufrecht erhielt.
Und
da war also der Feind, frei und frisch im Festanzug, unter dem Arm ein
Geschäftsbuch, wahrscheinlich die Lohnlisten und Arbeitsausweise
des Heizers, und sah mit dem ungescheuten Zugeständnis, dass er die
Stimmung jedes Einzelnen vor allem feststellen wolle, in aller Augen der
Reihe nach. Die sieben waren auch schon alle seine Freunde, denn wenn
auch der Kapitän früher gewisse Einwände gegen ihn gehabt
oder vielleicht nur vorgeschützt hatte, nach dem Leid, das ihm der
Heizer angetan hatte, schien ihm wahrscheinlich an Schubal auch das Geringste
nicht mehr auszusetzen. Gegen einen Mann wie den Heizer konnte man nicht
streng genug verfahren, und wenn dem Schubal etwas vorzuwerfen war, so
war es der Umstand, dass er die Widerspenstigkeit des Heizers im Laufe
der Zeit nicht so weit hatte brechen können, dass es dieser heute
noch gewagt hatte, vor dem Kapitän zu erscheinen.
Nun
konnte man ja vielleicht noch annehmen, die Gegenüberstellung des
Heizers und Schubals werde die ihr vor einem höheren Forum zukommende
Wirkung auch vor den Menschen nicht verfehlen, denn wenn sich auch Schubal
gut verstellen konnte, er musste es doch durchaus nicht bis zum Ende aushalten
können. Ein kurzes Aufblitzen seiner Schlechtigkeit sollte genügen,
um sie den Herren sichtbar zu machen, dafür wollte Karl schon sorgen.
Er kannte doch schon beiläufig den Scharfsinn, die Schwächen,
die Launen der einzelnen Herren, und unter diesem Gesichtspunkt war die
bisher hier verbrachte Zeit nicht verloren. Wenn nur der Heizer besser
auf dem Platz gewesen wäre, aber der schien vollständig kampfunfähig.
Wenn man ihm den Schubal hingehalten hätte, hätte er wohl dessen
gehassten Schädel mit den Fäusten aufklopfen können. Aber
schon die paar Schritte zu ihm hinzugehen, war er wohl kaum im Stande.
Warum hatte denn Karl das so leicht Vorauszusehende nicht vorausgesehen,
dass Schubal endlich kommen müsse, wenn nicht aus eigenem Antrieb,
so vom Kapitän gerufen? Warum hatte er auf dem Herweg mit dem Heizer
nicht einen genauen Kriegsplan besprochen, statt, wie sie es in Wirklichkeit
getan hatten, heillos unvorbereitet einfach dort einzutreten, wo eine
Tür war? Konnte der Heizer überhaupt noch reden, ja und Nein
sagen, wie es bei dem Kreuzverhör, das allerdings nur im günstigsten
Fall bevorstand, nötig sein würde? Er stand da, die Beine auseinandergestellt,
die Knie unsicher, den Kopf etwas gehoben, und die Luft verkehrte durch
den offenen Mund, als gäbe es innen keine Lungen mehr, die sie verarbeiteten.
Karl
allerdings fühlte sich so kräftig und bei Verstand, wie er es
vielleicht zu Hause niemals gewesen war. Wenn ihn doch seine Eltern sehen
könnten, wie er in fremdem Land vor angesehenen Persönlichkeiten
das Gute verfocht und, wenn er es auch noch nicht zum Siege gebracht hatte,
so doch zur letzten Eroberung sich voll kommen bereitstellte! Würden
sie ihre Meinung über ihn revidieren? Ihn zwischen sich niedersetzen
und loben? Ihm einmal, einmal in die ihnen so ergebenen Augen sehn? Unsichere
Fragen und ungeeignetster Augenblick, sie zu stellen!
"Ich
komme, weil ich glaube, dass mich der Heizer irgendwelcher Unredlichkeiten
beschuldigt. Ein Mädchen aus der Küche sagte mir, sie hätte
ihn auf dem Wege hierher gesehen. Herr Kapitän und Sie alle meine
Herren, ich bin bereit, jede Beschuldigung an der Hand meiner Schriften,
nötigenfalls durch Aussagen unvoreingenommener und unbeeinflusster
Zeugen, die vor der Türe stehen, zu widerlegen." So sprach Schubal.
Das war allerdings die klare Rede eines Mannes, und nach der Veränderung
in den Mienen der Zuhörer hätte man glauben können, sie
hörten zum ersten Mal nach langer Zeit wieder menschliche Laute.
Sie bemerkten freilich nicht, dass selbst diese schöne Rede Löcher
hatte. Warum war das erste sachliche Wort, das ihm einfiel, "Unredlichkeiten"?
Hätte vielleicht die Beschuldigung hier einsetzen müssen, statt
bei seinen nationalen Voreingenommenheiten? Ein Mädchen aus der Küche
hatte den Heizer auf dem Weg ins Büro gesehen, und Schubal hatte
sofort begriffen? War es nicht das Schuldbewusstsein, das ihm den Verstand
schärfte? Und Zeugen hatte er gleich mitgebracht und nannte sie noch
außerdem unvoreingenommen und unbeeinflusst? Gaunerei, nichts als
Gaunerei! Und die Herren duldeten das und anerkannten es noch als richtiges
Benehmen? Warum hatte er zweifellos sehr viel Zeit zwischen der Meldung
des Küchenmädchens und seiner Ankunft hier verstreichen lassen?
Doch zu keinem anderen Zwecke, als damit der Heizer die Herren so ermüde,
dass sie allmählich ihre klare Urteilskraft verlören, welche
Schubal vor allem zu fürchten hatte. Hatte er, der sicher schon lange
hinter der Tür gestanden, nicht erst im Augenblick geklopft, als
er infolge der nebensächlichen Frage jenes Herrn hoffen durfte, der
Heizer sei erledigt?
Alles
war klar und wurde ja auch von Schubal wider Willen so dargeboten, aber
den Herren musste man es anders, noch handgreiflicher zeigen. Sie brauchten
Aufrüttelung. Also, Karl, rasch, nütze wenigstens die Zeit aus,
ehe die Zeugen auftreten und alles überschwemmen!
Eben
aber winkte der Kapitän dem Schubal ab, der daraufhin sofort
denn seine Angelegenheit schien für ein Weilchen aufgeschoben zu
sein beiseitetrat und mit dem Diener, der sich ihm gleich angeschlossen
hatte, eine leise Unterhaltung begann, bei der es an Seitenblicken nach
dem Heizer und Karl sowie an den überzeugtesten Handbewegungen nicht
fehlte. Schubal schien so seine nächste Rede einzuüben.
"Wollten
Sie nicht den jungen Menschen etwas fragen, Herr Jakob?" sagte der Kapitän
unter allgemeiner Stille zu dem Herrn mit dem Bambusstöckchen.
"Allerdings",
sagte dieser, mit einer kleinen Neigung für die Aufmerksamkeit dankend.
Und fragte dann Karl nochmals: "Wie heißen Sie eigentlich?"
Karl,
welcher glaubte, es sei im Interesse der großen Hauptsache gelegen,
wenn dieser Zwischenfall des hartnäckigen Fragers bald erledigt würde,
antwortete kurz, ohne, wie es seine Gewohnheit war, durch Vorweisung des
Passes sich vorzustellen, den er erst hätte suchen müssen: "Karl
Rossmann."
"Aber",
sagte der mit Jakob Angesprochene und trat zuerst fast ungläubig
lächelnd zurück. Auch der Kapitän, der Oberkassier, der
Schiffsoffizier, ja sogar der Diener zeigten deutlich ein übermäßiges
Erstaunen wegen Karls Namen. Nur die Herren von der Hafenbehörde
und Schubal verhielten sich gleichmütig.
"Aber",
wiederholte Herr Jakob und trat mit etwas steifen Schritten auf Karl zu,
"dann bin ich ja dein Onkel Jakob, und du bist mein lieber Neffe. Ahnte
ich es doch die ganze Zeit über!" sagte er zum Kapitän hin,
ehe er Karl umarmte und küsste, der alles stumm geschehen ließ.
"Wie
heißen Sie?" fragte Karl, nachdem er sich losgelassen fühlte,
zwar sehr höflich, aber gänzlich ungerührt, und strengte
sich an, die Folgen abzusehen, welche dieses neue Ereignis für den
Heizer haben dürfte. Vorläufig deutete nichts daraufhin, dass
Schubal aus dieser Sache Nutzen ziehen könnte.
"Begreifen
Sie doch, junger Mann, Ihr Glück", sagte der Kapitän, der durch
Karls Frage die Würde der Person des Herrn Jakob verletzt glaubte,
der sich zum Fenster gestellt hatte, offenbar, um sein aufgeregtes Gesicht,
das er überdies mit einem Taschentuch betupfte, den andern nicht
zeigen zu müssen. "Es ist der Senator Edward Jakob, der sich Ihnen
als Ihr Onkel zu erkennen gegeben hat. Es erwartet Sie nunmehr, doch wohl
ganz gegen Ihre bisherigen Erwartungen, eine glänzende Laufbahn.
Versuchen Sie das einzusehen, so gut es im ersten Augenblick geht, und
fassen Sie sich!"
"Ich
habe allerdings einen Onkel Jakob in Amerika", sagte Karl zum Kapitän
gewendet, "aber wenn ich recht verstanden habe, ist Jakob bloß der
Zuname des Herrn Senators."
"So
ist es", sagte der Kapitän würdevoll.
"Nun,
mein Onkel Jakob, welcher der Bruder meiner Mutter ist, heißt aber
mit dem Taufnamen Jakob, während sein Zuname natürlich gleich
jenem meiner Mutter lauten müsste, welche eine geborene Bendelmayer
ist."
"Meine
Herren!" rief der Senator, der von seinem Erholungsposten vom Fenster
munter zurückkehrte, mit Bezug auf Karls Erklärung aus. Alle
mit Ausnahme des Hafenbeamten brachen in Lachen aus, manche wie in Rührung,
manche undurchdringlich. So lächerlich war das, was ich gesagt
habe, doch keineswegs, dachte Karl.
"Meine
Herren", wiederholte der Senator, "Sie nehmen gegen meinen und gegen Ihren
Willen an einer kleinen Familienszene teil, und ich kann deshalb nicht
umhin, Ihnen eine Erläuterung zu geben, da, wie ich glaube, nur der
Herr Kapitän" diese Erwähnung hatte eine gegenseitige
Verbeugung zur Folge "vollständig unterrichtet ist."
Jetzt
muss ich aber wirklich auf jedes Wort Acht geben, sagte sich Karl
und freute sich, als er bei einem Seitwärtsschauen bemerkte, dass
in die Figur des Heizers das Leben zurückzukehren begann.
"Ich
lebe seit allen den langen Jahren meines amerikanischen Aufenthaltes
das Wort Aufenthalt passt hier allerdings schlecht für den amerikanischen
Bürger, der ich mit ganzer Seele bin , seit allen den langen
Jahren lebe ich also von meinen europäischen Verwandten vollständig
getrennt, aus Gründen, die erstens nicht hierher gehören und
die zweitens zu erzählen mich wirklich zu sehr hernehmen würde.
Ich fürchte mich sogar vor dem Augenblick, wo ich vielleicht gezwungen
sein werde, sie meinem lieben Neffen zu erzählen, wobei sich leider
ein offenes Wort über seine Eltern und ihren Anhang nicht vermeiden
lassen wird."
Es
ist mein Onkel, kein Zweifel, sagte sich Karl und lauschte, wahrscheinlich
hat er seinen Namen ändern lassen.
"Mein
lieber Neffe ist nun von seinen Eltern sagen wir nur das Wort,
das die Sache auch wirklich bezeichnet einfach beiseitegeschafft
worden, wie man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert.
Ich will durchaus nicht beschönigen, was mein Neffe gemacht hat,
dass er so gestraft wurde, aber sein Verschulden ist ein solches, dass
sein einfaches Nennen schon genug Entschuldigung enthält."
Das
lässt sich hören, dachte Karl, aber ich will nicht,
dass er alles erzählt. Übrigens kann er es ja auch nicht wissen.
Woher denn?
"Er
wurde nämlich", fuhr der Onkel fort und stützte sich mit kleinen
Neigungen auf das vor ihm eingestemmte Bambusstöckchen, wodurch es
ihm tatsächlich gelang, der Sache die unnötige Feierlichkeit
zu nehmen, die sie sonst unbedingt gehabt hätte, "er wurde nämlich
von einem Dienstmädchen, Johanna Brummer, einer etwa fünfunddreißigjährigen
Person, verführt. Ich will mit dem Worte verführt
meinen Neffen durchaus nicht kränken, aber es ist doch schwer, ein
anderes, gleich passendes Wort zu finden."
Karl,
der schon ziemlich nahe zum Onkel getreten war, drehte sich um, um den
Eindruck der Erzählung von den Gesichtern der Anwesenden abzulesen.
Keiner lachte, alle hörten geduldig und ernsthaft zu. Schließlich
lacht man auch nicht über den Neffen eines Senators bei der ersten
Gelegenheit, die sich darbietet. Eher hätte man schon sagen können,
dass der Heizer, wenn auch nur ganz wenig, Karl anlächelte, was aber
erstens als neues Lebenszeichen erfreulich und zweitens entschuldbar war,
da ja Karl in der Kabine aus dieser Sache, die jetzt so publik wurde,
ein besonderes Geheimnis hatte machen wollen.
"Nun
hat diese Brummer", setzte der Onkel fort, "von meinem Neffen ein Kind
bekommen, einen gesunden Jungen, welcher in der Taufe den Namen Jakob
erhielt, zweifellos in Gedanken an meine Wenigkeit, welche, selbst in
den sicher nur ganz nebensächlichen Erwähnungen meines Neffen,
auf das Mädchen einen großen Eindruck gemacht haben muss. Glücklicherweise,
sage ich. Denn da die Eltern zur Vermeidung der Alimentenzahlung oder
sonstigen bis an sie selbst heranreichenden Skandals ich kenne,
wie ich betonen muss, weder die dortigen Gesetze noch die sonstigen Verhältnisse
der Eltern , da sie also zur Vermeidung der Alimentenzahlung und
des Skandals ihren Sohn, meinen lieben Neffen, nach Amerika haben transportieren
lassen, mit unverantwortlich ungenügender Ausrüstung, wie man
sieht, so wäre der Junge, ohne die gerade noch in Amerika lebendigen
Zeichen und Wunder, auf sich allein angewiesen, wohl schon gleich in einem
Gässchen im Hafen von New York verkommen, wenn nicht jenes Dienstmädchen
in einem an mich gerichteten Brief, der nach langen Irrfahrten vorgestern
in meinen Besitz kam, mir die ganze Geschichte samt Personenbeschreibung
meines Neffen und vernünftigerweise auch Namensnennung des Schiffes
mitgeteilt hätte. Wenn ich es darauf angelegt hätte, Sie, meine
Herren, zu unterhalten, könnte ich wohl einige Stellen jenes Briefes"
er zog zwei riesige engbeschriebene Briefbogen aus der Tasche und
schwenkte sie "hier vorlesen. Er würde sicher Wirkung machen,
da er mit einer etwas einfachen, wenn auch immer gut gemeinten Schlauheit
und mit viel Liebe zu dem Vater des Kindes geschrieben ist. Aber ich will
weder Sie mehr unterhalten, als es zur Aufklärung nötig ist,
noch vielleicht gar zum Empfang möglicherweise noch bestehende Gefüihle
meines Neffen verletzen, der den Brief, wenn er mag, in der Stille seines
ihn schon erwartenden Zimmers zur Belehrung lesen kann."
Karl
hatte aber keine Gefühle für jenes Mädchen. Im Gedränge
einer immer mehr zurücktretenden Vergangenheit saß sie in ihrer
Küche neben dem Küchenschrank, auf dessen Platte sie ihren Ellbogen
stützte. Sie sah ihn an, wenn er hin und wieder in die Küche
kam, um ein Glas zum Wassertrinken für seinen Vater zu holen oder
einen Auftrag seiner Mutter auszurichten. Manchmal schrieb sie in der
vertrackten Stellung seitlich vom Küchenschrank einen Brief und holte
sich die Eingebungen von Karls Gesicht. Manchmal hielt sie die Augen mit
der Hand verdeckt, dann drang keine Anrede zu ihr. Manchmal kniete sie
in ihrem engen Zimmerchen neben der Küche und betete zu einem hölzernen
Kreuz; Karl beobachtete sie dann nur mit Scheu im Vorübergehen durch
die Spalte der ein wenig geöffneten Tür. Manchmal jagte sie
in der Küche herum und fuhr, wie eine Hexe lachend, zurück,
wenn Karl ihr in den Weg kam. Manchmal schloss sie die Küchentüre,
wenn Karl eingetreten war, und behielt die Klinke so lange in der Hand,
bis er wegzugehen verlangte. Manchmal holte sie Sachen, die er gar nicht
haben wollte, und drückte sie ihm schweigend in die Hände. Einmal
aber sagte sie "Karl" und führte ihn, der noch über die unerwartete
Ansprache staunte, unter Grimassen seufzend in ihr Zimmerchen, das sie
zusperrte. Würgend umarmte sie seinen Hals, und während sie
ihn bat, sie zu entkleiden, entkleidete sie in Wirklichkeit ihn und legte
ihn in ihr Bett, als wolle sie ihn von jetzt niemandem mehr lassen und
ihn streicheln und pflegen bis zum Ende der Welt. "Karl, o du mein Karl!"
rief sie, als sähe sie ihn und bestätigte sich seinen Besitz,
während er nicht das Geringste sah und sich unbehaglich in dem vielen
warmen Bettzeug fühlte, das sie eigens für ihn aufgehäuft
zu haben schien. Dann legte sie sich auch zu ihm und wollte irgendwelche
Geheimnisse von ihm erfahren, aber er konnte ihr keine sagen, und sie
ärgerte sich im Scherz oder Ernst, schüttelte ihn, horchte sein
Herz ab, bot ihre Brust zum gleichen Abhorchen hin, wozu sie Karl aber
nicht bringen konnte, drückte ihren nackten Bauch an seinen Leib,
suchte mit der Hand, so widerlich, dass Karl Kopf und Hals aus den Kissen
herausschüttelte, zwischen seinen Beinen, stieß dann den Bauch
einige Male gegen ihn ihm war, als sei sie ein Teil seiner selbst,
und vielleicht aus diesem Grunde hatte ihn eine entsetzliche Hilfsbedürftigkeit
ergriffen. Weinend kam er endlich nach vielen Wiedersehenswünschen
ihrerseits in sein Bett. Das war alles gewesen, und doch verstand es der
Onkel, daraus eine große Geschichte zu machen. Und die Köchin
hatte also auch an ihn gedacht und den Onkel von seiner Ankunft verständigt.
Das war schön von ihr gehandelt, und er würde es ihr wohl noch
einmal vergelten.
"Und
jetzt", rief der Senator, "will ich von dir offen hören, ob ich dein
Onkel bin oder nicht."
"Du
bist mein Onkel", sagte Karl und küsste ihm die Hand und wurde dafür
auf die Stirne geküsst. "Ich bin sehr froh, dass ich dich getroffen
habe, aber du irrst, wenn du glaubst, dass meine Eltern nur Schlechtes
von dir reden. Aber auch abgesehen davon sind in deiner Rede einige Fehler
enthalten gewesen, das heißt, ich meine, es hat sich in Wirklichkeit
nicht alles so zugetragen. du kannst aber auch wirklich von hier aus die
Dinge nicht so gut beurteilen, und ich glaube außerdem, dass es
keinen besonderen Schaden bringen wird, wenn die Herren in Einzelheiten
einer Sache, an der ihnen doch wirklich nicht viel liegen kann, ein wenig
unrichtig informiert worden sind."
"Wohl
gesprochen", sagte der Senator, führte Karl vor den sichtlich teilnehmenden
Kapitän und fragte: "Habe ich nicht einen prächtigen Neffen?"
"Ich
bin glücklich", sagte der Kapitän mit einer Verbeugung, wie
sie nur militärisch geschulte Leute zustandebringen, "Ihren Neffen,
Herr Senator, kennen gelernt zu haben. Es ist eine besondere Ehre für
mein Schiff, dass es den Ort eines solchen Zusammentreffens abgeben konnte.
Aber die Fahrt im Zwischendeck war wohl sehr arg, ja, wer kann denn wissen,
wer da mitgeführt wird. Nun, wir tun alles Mögliche, den Leuten
im Zwischendeck die Fahrt möglichst zu erleichtern, viel mehr zum
Beispiel als die amerikanischen Linien, aber eine solche Fahrt zu einem
Vergnügen zu machen, ist uns allerdings noch immer nicht gelungen."
"Es
hat mir nicht geschadet", sagte Karl.
"Es
hat ihm nicht geschadet!" wiederholte laut lachend der Senator.
"Nur
meinen Koffer fürchte ich verloren zu " und damit erinnerte
er sich an alles, was geschehen war und was noch zu tun übrig blieb,
sah sich um und erblickte alle Anwesenden stumm vor Achtung und Staunen
auf ihren früheren Plätzen, die Augen auf ihn gerichtet. Nur
den Hafenbeamten sah man, soweit ihre strengen, selbstzufriedenen Gesichter
einen Einblick gestatteten, das Bedauern an, zu so ungelegener Zeit gekommen
zu sein, und die Taschenuhr, die sie jetzt vor sich liegen hatten, war
ihnen wahrscheinlich wichtiger als alles, was im Zimmer vorging und vielleicht
noch geschehen konnte.
Der
Erste, welcher nach dem Kapitän seine Anteilnahme ausdrückte,
war merkwürdigerweise der Heizer. "Ich gratuliere Ihnen herzlich",
sagte er und schüttelte Karl die Hand, womit er auch etwas wie Anerkennung
ausdrücken wollte. Als er sich dann mit der gleichen Ansprache auch
an den Senator wenden wollte, trat dieser zurück, als überschreite
der Heizer damit seine Rechte; der Heizer ließ auch sofort ab.
Die
übrigen aber sahen jetzt ein, was zu tun war, und bildeten gleich
um Karl und den Senator einen Wirrwarr. So geschah es, dass Karl sogar
eine Gratulation Schubals erhielt, annahm und für sie dankte. Als
Letzte traten in der wieder entstandenen Ruhe die Hafenbeamten hinzu und
sagten zwei englische Worte, was einen lächerlichen Eindruck machte.
Der
Senator war ganz in der Laune, um das Vergnügen vollständig
auszukosten, nebensächlichere Momente sich und den anderen in Erinnerung
zu bringen, was natürlich von allen nicht nur geduldet, sondern mit
Interesse hingenommen wurde. So machte er darauf aufmerksam, dass er sich
die in dem Brief der Köchin erwähnten hervorstechendsten Erkennungszeichen
Karls in sein Notizbuch zu möglicherweise notwendigem augenblicklichem
Gebrauch eingetragen hatte. Nun hatte er während des unerträglichen
Geschwätzes des Heizers zu keinem anderen Zweck, als um sich abzulenken,
das Notizbuch herausgezogen und die natürlich nicht gerade detektivisch
richtigen Beobachtungen der Köchin mit Karls Aussehen zum Spiel in
Verbindung zu bringen gesucht. "Und so findet man seinen Neffen!" schloss
er in einem Ton, als wolle er noch einmal Gratulationen bekommen.
"Was
wird jetzt mit dem Heizer geschehen?" fragte Karl vorbei an der letzten
Erzählung des Onkels. Er glaubte in seiner neuen Stellung alles,
was er dachte, auch aussprechen zu können.
"Dem
Heizer wird geschehen, was er verdient", sagte der Senator, "und was der
Herr Kapitän für gut erachtet. Ich glaube, wir haben von dem
Heizer genug und übergenug, wozu mir jeder der anwesenden Herren
sicher zustimmen wird."
"Darauf
kommt es doch nicht an, bei einer Sache der Gerechtigkeit", sagte Karl.
Er stand zwischen dem Onkel und dem Kapitän und glaubte, vielleicht
durch diese Stellung beeinflusst, die Entscheidung in der Hand zu haben.
Und
trotzdem schien der Heizer nichts mehr für sich zu hoffen. Die Hände
hielt er halb in dem Hosengürtel, der durch seine aufgeregten Bewegungen
mit dem Streifen eines gemusterten Hemdes zum Vorschein gekommen war.
Das kümmerte ihn nicht im geringsten; er hatte sein ganzes Leid geklagt,
nun sollte man auch noch die paar Fetzen sehen, die er am Leibe hatte,
und dann sollte man ihn forttragen. Er dachte sich aus, der Diener und
Schubal, als die zwei hier im Range Tiefsten, sollten ihm diese letzte
Güte erweisen. Schubal würde dann Ruhe haben und nicht mehr
in Verzweiflung kommen, wie sich der Oberkassier ausgedrückt hatte.
Der Kapitän würde lauter Rumänen anstellen können,
es würde überall Rumänisch gesprochen werden, und vielleicht
würde dann wirklich alles besser gehen. Kein Heizer würde mehr
in der Hauptkassa schwätzen, nur sein letztes Geschwätz würde
man in ziemlich freundlicher Erinnerung behalten, da es, wie der Senator
ausdrücklich erklärt hatte, die mittelbare Veranlassung zur
Erkennung des Neffen gegeben hatte. Dieser Neffe hatte ihm übrigens
vorher öfters zu nützen gesucht und daher für seinen Dienst
bei der Wiedererkennung längst vorher einen mehr als genügenden
Dank abgestattet; dem Heizer fiel gar nicht ein, jetzt noch etwas von
ihm zu verlangen. Im übrigen, mochte er auch der Neffe des Senators
sein, ein Kapitän war er noch lange nicht, aber aus dem Munde des
Kapitäns würde schließlich das böse Wort fallen.
So wie es seiner Meinung entsprach, versuchte auch der Heizer,
nicht zu Karl hinzusehen, aber leider blieb in diesem Zimmer der Feinde
kein anderer Ruheort für seine Augen.
"Missverstehe
die Sachlage nicht", sagte der Senator zu Karl, "es handelt sich vielleicht
um eine Sache der Gerechtigkeit, aber gleichzeitig um eine Sache der Disziplin.
Beides und ganz besonders das letztere unterliegt hier der Beurteilung
des Herrn Kapitäns."
"So
ist es", murmelte der Heizer. Wer es merkte und verstand, lächelte
befremdet.
"Wir
aber haben überdies den Herrn Kapitän in seinen Amtsgeschäften,
die sich sicher gerade bei der Ankunft in New York unglaublich häufen,
so sehr schon behindert, dass es höchste Zeit für uns ist, das
Schiff zu verlassen, um nicht zum Überfluss auch noch durch irgendwelche
höchst unnötige Einmischung diese geringfügige Zänkerei
zweier Maschinisten zu einem Ereignis zu machen. Ich begreife deine Handlungsweise,
lieber Neffe, übrigens vollkommen, aber gerade das gibt mir das Recht,
dich eilends von hier fortzuführen."
"Ich
werde sofort ein Boot für Sie flottmachen lassen", sagte der Kapitän,
ohne zum Erstaunen Karls auch nur den kleinsten Einwand gegen die Worte
des Onkels vorzubringen, die doch zweifellos als eine Selbstdemütigung
des Onkels angesehen werden konnten. Der Oberkassier eilte überstürzt
zum Schreibtisch und telefonierte den Befehl des Kapitäns an den
Bootsmeister.
Die
Zeit drängt schon, sagte sich Karl, aber ohne alle zu
beleidigen, kann ich nichts tun. Ich kann doch jetzt den Onkel nicht verlassen,
nachdem er mich kaum wieder gefunden hat. Der Kapitän ist zwar höflich,
aber das ist auch alles. Bei der Disziplin hört seine Höflichkeit
auf, und der Onkel hat ihm sicher aus der Seele gesprochen. Mit Schubal
will ich nicht reden, es tut mir sogar Leid, dass ich ihm die Hand gereicht
habe. Und alle anderen Leute hier sind Spreu.
Und
er ging langsam in solchen Gedanken zum Heizer, zog dessen rechte Hand
aus dem Gürtel und hielt sie spielend in der seinen.
"Warum
sagst du denn nichts?" fragte er. "Warum lässt du dir alles gefallen?"
Der
Heizer legte nur die Stirn in Falten, als suche er den Ausdruck für
das, was er zu sagen habe. Im Übrigen sah er auf Karls und seine
Hand hinab.
"dir
ist ja Unrecht geschehen wie keinem auf dem Schiff, das weiß ich
genau." Und Karl zog seine Finger hin und her zwischen den Fingern des
Heizers, der mit glänzenden Augen ringsumher schaute, als widerfahre
ihm eine Wonne, die ihm aber niemand verübeln möge.
"Du
musst dich aber zur Wehr setzen, ja und Nein sagen, sonst haben doch die
Leute keine Ahnung von der Wahrheit. du musst mir versprechen, dass du
mir folgen wirst, denn ich selbst, das fürchte ich mit vielem Grund,
werde dir gar nicht mehr helfen können." Und nun weinte Karl, während
er die Hand des Heizers küsste, und nahm die rissige, fast leblose
Hand und drückte sie an seine Wangen, wie einen Schatz, auf den man
verzichten muss. Da war aber auch schon der Onkel Senator an seiner
Seite und zog ihn, wenn auch nur mit dem leichtesten Zwange, fort.
"Der
Heizer scheint dich bezaubert zu haben", sagte er und sah verständnisinnig
über Karls Kopf zum Kapitän hin.
"Du
hast dich verlassen gefühlt, da hast du den Heizer gefunden und bist
ihm jetzt dankbar, das ist ja ganz löblich. Treibe das aber, schon
mir zuliebe, nicht zu weit und lerne deine Stellung begreifen."
Vor
der Tür entstand ein Lärmen, man hörte Rufe, und es war
sogar, als werde jemand brutal gegen die Türe gestoßen. Ein
Matrose trat ein, etwas verwildert, und hatte eine Mädchenschürze
umgebunden. "Es sind Leute draußen", rief er und stieß einmal
mit dem Ellbogen herum, als sei er noch im Gedränge. Endlich fand
er seine Besinnung und wollte vor dem Kapitän salutieren, da bemerkte
er die Mädchenschürze, riss sie herunter, warf sie zu Boden
und rief: "Das ist ja ekelhaft, da haben sie mir eine Mädchenschürze
umgebunden." Dann aber klappte er die Hacken zusammen und salutierte.
Jemand versuchte zu lachen, aber der Kapitän sagte streng: "Das nenne
ich eine gute Laune. Wer ist denn draußen?"
"Es
sind meine Zeugen", sagte Schubal vortretend, "ich bitte ergebenst um
Entschuldigung für ihr unpassendes Benehmen. Wenn die Leute die Seefahrt
hinter sich haben, sind sie manchmal wie toll."
"Rufen
Sie sie sofort herein!" befahl der Kapitän, und gleich sich zum Senator
umwendend, sagte er verbindlich, aber rasch: "Haben Sie jetzt die Güte,
verehrter Herr Senator, mit Ihrem Herrn Neffen diesem Matrosen zu folgen,
der Sie ins Boot bringen wird. Ich muss wohl nicht erst sagen, welches
Vergnügen und welche Ehre mir das persönliche Bekanntwerden
mit Ihnen, Herr Senator, bereitet hat. Ich wünsche mir nur, bald
Gelegenheit zu haben, mit Ihnen, Herr Senator, unser unterbrochenes Gespräch
über die amerikanischen Flottenverhältnisse wieder einmal aufnehmen
zu können und dann vielleicht neuerdings auf so angenehme Weise,
wie heute, unterbrochen zu werden."
"Vorläufig
genügt mir dieser eine Neffe", sagte der Onkel lachend. "Und nun
nehmen Sie meinen besten Dank für Ihre Liebenswürdigkeit und
leben Sie wohl. Es wäre übrigens gar nicht so unmöglich,
dass wir" er drückte Karl herzlich an sich "bei unserer
nächsten Europareise vielleicht für längere Zeit mit Ihnen
zusammenkommen könnten."
"Es
würde mich herzlich freuen", sagte der Kapitän. Die beiden Herren
schüttelten einander die Hände, Karl konnte nur noch stumm und
flüchtig seine Hand dem Kapitän reichen, denn dieser war bereits
von den vielleicht fünfzehn Leuten in Anspruch genommen, welche unter
Führung Schubals zwar etwas betroffen, aber doch sehr laut einzogen.
Der Matrose bat den Senator, vorausgehen zu dürfen, und teilte dann
die Menge für ihn und Karl, die leicht zwischen den sich verbeugenden
Leuten durchkamen. Es schien, dass diese im Übrigen gutmütigen
Leute den Streit Schubals mit dem Heizer als einen Spaß auffassten,
dessen Lächerlichkeit nicht einmal vor dem Kapitän aufhöre.
Karl bemerkte unter ihnen auch das Küchenmädchen Line, welche,
ihm lustig zuzwinkernd, die vom Matrosen hingeworfene Schürze umband,
denn es war die ihre.
Weiter
dem Matrosen folgend, verließen sie das Büro und bogen in einen
kleinen Gang ein, der sie nach ein paar Schritten zu einem Türchen
brachte, von dem aus eine kurze Treppe in das Boot hinabführte, welches
für sie vorbereitet war. Die Matrosen im Boot, in das ihr Führer
gleich mit einem einzigen Satz hinuntersprang, erhoben sich und salutierten.
Der Senator gab Karl gerade eine Ermahnung zu vorsichtigem Hinuntersteigen,
als Karl noch auf der obersten Stufe in heftiges Weinen ausbrach. Der
Senator legte die rechte Hand unter Karls Kinn, hielt ihn fest an sich
gepresst und streichelte ihn mit der linken Hand. So gingen sie langsam
Stufe für Stufe hinab und traten engverbunden ins Boot, wo der Senator
für Karl gerade sich gegenüber einen guten Platz aussuchte.
Auf ein Zeichen des Senators stießen die Matrosen vom Schiffe ab
und waren gleich in voller Arbeit. Kaum waren sie ein paar Meter vom Schiffe
entfernt, machte Karl die unerwartete Entdeckung, dass sie sich gerade
auf jener Seite des Schiffes befanden, wohin die Fenster der Hauptkassa
gingen. Alle drei Fenster waren mit Zeugen Schubals besetzt, welche freundschaftlich
grüßten und winkten, sogar der Onkel dankte, und ein Matrose
machte das Kunststück, ohne eigentlich das gleichmäßige
Rudern zu unterbrechen, eine Kusshand hinaufzuschicken. Es war wirklich,
als gäbe es keinen Heizer mehr. Karl fasste den Onkel, mit dessen
Knien sich die seinen fast berührten, genauer ins Auge, und es kamen
ihm Zweifel, ob dieser Mann ihm jemals den Heizer werde ersetzen können.
Auch wich der Onkel seinem Blicke aus und sah auf die Wellen hin, von
denen ihr Boot umschwankt wurde.
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