Er hätte gern mit Frieda vertraulich
gesprochen, aber die Gehilfen, mit denen übrigens Frieda hie und da auch scherzte und
lachte, hinderten ihn daran durch ihre bloße, aufdringliche Gegenwart. Anspruchsvoll
waren sie allerdings nicht, sie hatten sich in einer Ecke auf dem Boden auf zwei alten
Frauenröcken eingerichtet. Es war, wie sie mit Frieda besprachen, ihr Ehrgeiz, den Herrn
Landvermesser nicht zu stören und möglichst wenig Raum zu brauchen, sie machten in
dieser Hinsicht, immer freilich unter Lispeln und Kichern, verschiedene Versuche,
verschränkten Arme und Beine, kauerten sich gemeinsam zusammen, in der Dämmerung sah man
in ihrer Ecke nur ein großes Knäuel. Trotzdem aber wusste man leider aus den Erfahrungen
bei Tageslicht, dass es sehr aufmerksame Beobachter waren, immer zu K. herüberstarrten,
sei es auch, dass sie in scheinbar kindlichem Spiel etwa ihre Hände als Fernrohre
verwendeten und ähnlichen Unsinn trieben oder auch nur herüberblinzelten und
hauptsächlich mit der Pflege ihrer Bärte beschäftigt schienen, an denen ihnen sehr viel
gelegen war und die sie unzählige Mal der Länge und Fülle nach miteinander verglichen
und von Frieda beurteilen ließen.
Oft sah K. von seinem Bett aus dem Treiben der drei in völliger Gleichgültigkeit zu.
Als er sich nun kräftig genug fühlte, das Bett zu verlassen, eilten alle herbei, ihn
zu bedienen. So kräftig, sich gegen ihre Dienste wehren zu können, war er noch nicht, er
merkte, dass er dadurch in eine gewisse Abhängigkeit von ihnen geriet, die schlechte
Folgen haben konnte, aber er musste es geschehen lassen. Es war auch gar nicht sehr
unangenehm, bei Tisch den guten Kaffee zu trinken, den Frieda geholt hatte, sich am Ofen
zu wärmen, den Frieda geheizt hatte, die Gehilfen in ihrem Eifer und Ungeschick die
Treppen hinab- und herauflaufen zu lassen, um Waschwasser, Seife, Kamm und Spiegel zu
bringen und schließlich, weil K. einen leisen, dahin deutbaren Wunsch ausgesprochen
hatte, auch ein Gläschen Rum.
Inmitten dieses Befehlens und Bedientwerdens sagte K., mehr aus behaglicher Laune als
in der Hoffnung auf einen Erfolg: »Geht nun weg, ihr zwei, ich brauche vorläufig nichts
mehr und will allein mit Fräulein Frieda sprechen.« Und als er nicht gerade Widerstand
auf ihren Gesichtern sah, sagte er noch, um sie zu entschädigen: »Wir drei gehen dann
zum Gemeindevorsteher, wartet unten in der Stube auf mich.« Merkwürdigerweise folgten
sie, nur dass sie vor dem Weggehen noch sagten: »Wirkönnten auch hier warten.« Und K.
antwortete: »Ich weiß es, aber ich will es nicht.«
Ärgerlich aber und in gewissem Sinne doch auch willkommen war es K., als Frieda, die
sich gleich nach dem Weggehen der Gehilfen auf seinen Schoß setzte, sagte: »Was hast du,
Liebling, gegen die Gehilfen? Vor ihnen müssen wir keine Geheimnisse haben. Sie sind
treu.« »Ach, treu«, sagte K., »sie lauern mir fortwährend auf, es ist sinnlos,
aber abscheulich.« »Ich glaube dich zu verstehen«, sagte sie und hing sich an
seinen Hals und wollte noch etwas sagen, konnte aber nicht weitersprechen; und weil der
Sessel gleich neben dem Bette stand, schwankten sie hinüber und fielen hin. Dort lagen
sie, aber nicht so hingegeben wie damals in der Nacht. Sie suchte etwas, und er suchte
etwas, wütend, Grimassen schneidend, sich mit dem Kopf einbohrend in der Brust des
anderen, suchten sie, und ihre Umarmungen und ihre sich aufwerfenden Körper machten sie
nicht vergessen, sondern erinnerten sie an die Pflicht, zu suchen; wie Hunde verzweifelt
im Boden scharren, so scharrten sie an ihren Körpern; und hilflos, enttäuscht, um noch
letztes Glück zu holen, fuhren manchmal ihre Zungen breit über des anderen Gesicht. Erst
die Müdigkeit ließ sie still und einander dankbar werden. Die Mägde kamen dann auch
herauf. »Sieh, wie die hier liegen«, sagte eine und warf aus Mitleid ein Tuch über sie.
Als sich später K. aus dem Tuch frei machte und umhersah, waren das wunderte
ihn nicht die Gehilfen wieder in ihrer Ecke, ermahnten, mit dem Finger auf K.
zeigend, einer den anderen zum Ernst und salutierten; aber außerdem saß dicht beim Bett
die Wirtin und strickte an einem Strumpf, eine kleine Arbeit, welche wenig passte zu ihrer
riesigen, das Zimmer fast verdunkelnden Gestalt. »Ich warte schon lange«, sagte sie und
hob ihr breites, von vielen Altersfalten durchzogenes, aber in seiner großen Masse doch
noch glattes, vielleicht einmal schönes Gesicht. Die Worte klangen wie ein Vorwurf, ein
unpassender, denn K. hatte ja nicht verlangt, dass sie komme. Er bestätigte daher nur
durch Kopfnicken ihre Worte und setzte sich aufrecht. Auch Frieda stand auf, verließ aber
K. und lehnte sich an den Sessel der Wirtin. »Könnte nicht, Frau Wirtin«, sagte K.
zerstreut, »das, was Sie mir sagen wollen, aufgeschoben werden, bis ich vom
Gemeindevorsteher zurückkomme. Ich habe eine wichtige Besprechung dort.« »Diese
ist wichtiger, glauben Sie mir, Herr Landvermesser«, sagte die Wirtin, »dort handelt es
sich wahrscheinlich nur um eine Arbeit, hier aber handelt es sich um einen Menschen, um
Frieda, meine liebe Magd.« »Ach so«, sagte K., »dann freilich; nur weiß ich
nicht, warum man diese Angelegenheit nicht uns beiden überlässt.« »Aus Liebe,
aus Sorge«, sagte die Wirtin und zog Friedas Kopf, die stehend nur bis zur Schulter der
sitzenden Wirtin reichte, an sich. »Da Frieda zu Ihnen ein solches Vertrauen hat«, sagte
K., »kann auch ich nicht anders. Und da Frieda erst vor kurzem meine Gehilfen treu
genannt hat, so sind wir ja Freunde unter uns. Dann kann ich Ihnen also, Frau Wirtin,
sagen, dass ich es für das Beste halten würde, wenn Frieda und ich heiraten, und zwar
sehr bald. Leider, leider werde ich Frieda dadurch nicht ersetzen können, was sie durch
mich verloren hat, die Stellung im Herrenhof und die Freundschaft Klamms.« Frieda hob ihr
Gesicht, ihre Augen waren voll Tränen, nichts von Sieghaftigkeit war in ihnen. »Warum
ich? Warum bin ich gerade dazu ausersehen?« »Wie?« fragten K. und die Wirtin
gleichzeitig. »Sie ist verwirrt, das arme Kind«, sagte die Wirtin, »verwirrt vom
Zusammentreffen zu vielen Glücks und Unglücks.« Und wie zur Bestätigung dieser Worte
stürzte sich Frieda jetzt auf K., küsste ihn wild, als sei niemand sonst im Zimmer, und
fiel dann weinend, immer noch ihn umarmend, vor ihm in die Knie. Während K. mit beiden
Händen Friedas Haar streichelte, fragte er die Wirtin: »Sie scheinen mir Recht zu
geben?« »Sie sind ein Ehrenmann«, sagte die Wirtin, auch sie hatte Tränen in
der Stimme, sah ein wenig verfallen aus und atmete schwer; trotzdem fand sie noch die
Kraft, zu sagen: »Es werden jetzt nur gewisse Sicherungen zu bedenken sein, die Sie
Frieda geben müssen, denn wie groß auch nun meine Achtung vor Ihnen ist, so sind Sie
doch ein Fremder, können sich auf niemanden berufen, Ihre häuslichen Verhältnisse sind
hier unbekannt. Sicherungen sind also nötig, das werden Sie einsehen, lieber Herr
Landvermesser, haben Sie doch selbst hervorgehoben, wie viel Frieda durch die Verbindung
mit Ihnen immerhin auch verliert.« »Gewiss, Sicherungen, natürlich«, sagte K.,
»die werden am besten wohl vor dem Notar gegeben werden, aber auch andere gräfliche
Behörden werden sich ja vielleicht noch einmischen. Übrigens habe auch ich noch vor der
Hochzeit unbedingt etwas zu erledigen. Ich muss mit Klamm sprechen.« »Das ist
unmöglich«, sagte Frieda, erhob sich ein wenig und drückte sich an K., »was für ein
Gedanke!« »Es muss sein«, sagte K. »Wenn es mir unmöglich ist, es zu erwirken,
musst du es tun.« »Ich kann nicht, K., ich kann nicht«, sagte Frieda, »niemals
wird Klamm mit dir reden. Wie kannst du nur glauben, dass Klamm mit dir reden wird!«
»Und mit dir würde er reden?« fragte K. »Auch nicht«, sagte Frieda, »nicht
mit dir, nicht mit mir, es sind bare Unmöglichkeiten.« Sie wandte sich an die Wirtin mit
ausgebreiteten Armen: »Sehen Sie nur, Frau Wirtin, was er verlangt.« »Sie sind
eigentümlich, Herr Landvermesser«, sagte die Wirtin und war erschreckend, wie sie jetzt
aufrechter dasaß, die Beine auseinandergestellt, die mächtigen Knie vorgetrieben durch
den dünnen Rock. »Sie verlangen Unmögliches.« »Warum ist es unmöglich?«
fragte K. »Das werde ich Ihnen erklären«, sagte die Wirtin in einem Ton, als sei diese
Erklärung nicht etwa eine letzte Gefälligkeit, sondern schon die erste Strafe, die sie
austeilte, »das werde ich Ihnen gern erklären. Ich gehöre zwar nicht zum Schloss und
bin nur eine Frau und bin nur eine Wirtin, hier in einem Wirtshaus letzten Ranges
es ist nicht letzten Ranges, aber nicht weit davon , und so könnte es sein, dass
Sie meiner Erklärung nicht viel Bedeutung beilegen, aber ich habe in meinem Leben die
Augen offen gehabt und bin mit vielen Leuten zusammengekommen und habe die ganze Last der
Wirtschaft allein getragen, denn mein Mann ist zwar ein guter Junge, aber ein Gastwirt ist
er nicht, und was Verantwortlichkeit ist, wird er nie begreifen. Sie zum Beispiel
verdanken es doch nur seiner Nachlässigkeit ich war an dem Abend schon müde zum
Zusammenbrechen , dass Sie hier im Dorf sind, dass Sie hier auf dem Bett in Frieden
und Behagen sitzen.« »Wie?« fragte K., aus einer gewissen Zerstreutheit
aufwachend, aufgeregt mehr von der Neugierde als von Ärger. »Nur seiner Nachlässigkeit
verdanken Sie es!« rief die Wirtin nochmals, mit gegen K. ausgestrecktem Zeigefinger.
Frieda suchte sie zu beschwichtigen. »Was willst du«, sagte die Wirtin mit rascher
Wendung des ganzen Leibes. »Der Herr Landvermesser hat mich gefragt, und ich muss ihm
antworten. Wie soll er es denn sonst verstehen, was uns selbstverständlich ist, dass Herr
Klamm niemals mit ihm sprechen wird, was sage ich wird, niemals mit ihm
sprechen kann. Hören Sie, Herr Landvermesser! Herr Klamm ist ein Herr aus dem Schloss,
das bedeutet schon an und für sich, ganz abgesehen von Klamms sonstiger Stellung, einen
sehr hohen Rang. Was sind nun aber Sie, um dessen Heiratseinwilligung wir uns hier so
demütig bewerben! Sie sind nicht aus dem Schloss, Sie sind nicht aus dem Dorfe, Sie sind
nichts. Leider aber sind Sie doch etwas, ein Fremder, einer, der überzählig und überall
im Weg ist, einer, wegen dessen man immerfort Scherereien hat, wegen dessen man die Mägde
ausquartieren muss, einer, dessen Absichten unbekannt sind, einer, der unsere liebste
kleine Frieda verführt hat und dem man sie leider zur Frau geben muss. Wegen alles dessen
mache ich Ihnen ja im Grunde keine Vorwürfe. Sie sind, was Sie sind; ich habe in meinem
Leben schon zu viel gesehen, als dass ich nicht noch diesen Anblick ertragen sollte. Nun
aber stellen Sie sich vor, was Sie eigentlich verlangen. Ein Mann wie Klamm soll mit Ihnen
sprechen! Mit Schmerz habe ich gehört, dass Frieda Sie hat durchs Guckloch schauen
lassen, schon als sie das tat, war sie von Ihnen verführt. Sagen Sie doch, wie haben Sie
überhaupt Klamms Anblick ertragen? Sie müssen nicht antworten, ich weiß es, Sie haben
ihn sehr gut ertragen. Sie sind ja gar nicht im Stande, Klamm wirklich zu sehen, das ist
nicht Überhebung meinerseits, denn ich selbst bin es auch nicht im Stande. Klamm soll mit
Ihnen sprechen, aber er spricht doch nicht einmal mit Leuten aus dem Dorf, noch niemals
hat er selbst mit jemandem aus dem Dorf gesprochen. Es war ja die große Auszeichnung
Friedas, eine Auszeichnung, die mein Stolz sein wird bis an mein Ende, dass er wenigstens
Friedas Namen zu rufen pflegte und dass sie zu ihm sprechen konnte nach Belieben und die
Erlaubnis des Gucklochs bekam, gesprochen aber hat er auch mit ihr nicht. Und dass er
Frieda manchmal rief, muss gar nicht die Bedeutung haben, die man dem gerne zusprechen
möchte, er rief einfach den Namen Frieda wer kennt seine Absichten?
, dass Frieda natürlich eilends kam, war ihre Sache, und dass sie ohne Widerspruch
zu ihm gelassen wurde, war Klamms Güte, aber dass er sie geradezu gerufen hätte, kann
man nicht behaupten. Freilich, nun ist auch das, was war, für immer dahin. Vielleicht
wird Klamm noch den Namen Frieda rufen, das ist möglich, aber zugelassen wird
sie zu ihm gewiss nicht mehr, ein Mädchen, das sich mit Ihnen abgegeben hat. Und nur
eines, nur eines kann ich nicht verstehen mit meinem armen Kopf, dass ein Mädchen, von
dem man sagte, es sei Klamms Geliebte ich halte das übrigens für eine sehr
übertriebene Bezeichnung , sich von Ihnen auch nur berühren ließ.«
»Gewiss, das ist merkwürdig«, sagte K., und nahm Frieda, die sich, wenn auch mit
gesenktem Kopf, gleich fügte, zu sich auf den Schoß, »es beweist aber, glaube ich, dass
sich auch sonst nicht alles genauso verhält, wie Sie glauben. So haben Sie zum Beispiel
gewiss recht, wenn Sie sagen, dass ich vor Klamm ein Nichts bin; und wenn ich jetzt auch
verlange, mit Klamm zu sprechen, und nicht einmal durch Ihre Erklärungen davon abgebracht
bin, so ist damit noch nicht gesagt, dass ich im Stande bin, den Anblick Klamms ohne
dazwischenstehende Tür auch nur zu ertragen, und ob ich nicht schon bei seinem Erscheinen
aus dem Zimmer renne. Aber eine solche, wenn auch berechtigte Befürchtung ist für mich
noch kein Grund, die Sache nicht doch zu wagen. Gelingt es mir aber, ihm standzuhalten,
dann ist es gar nicht nötig, dass er mit mir spricht, es genügt mir, wenn ich den
Eindruck sehe, den meine Worte auf ihn machen, und machen sie keinen oder hört er sie gar
nicht, habe ich doch den Gewinn, frei vor einem Mächtigen gesprochen zu haben. Sie aber,
Frau Wirtin, mit Ihrer großen Lebens- und Menschenkenntnis, und Frieda, die noch gestern
Klamms Geliebte war ich sehe keinen Grund, von diesem Wort abzugehen ,
können mir gewiss leicht die Gelegenheit verschaffen, mit Klamm zu sprechen; ist es auf
keine andere Weise möglich, dann eben im Herrenhof, vielleicht ist er auch heute noch
dort.«
»Es ist unmöglich«, sagte die Wirtin, »und ich sehe, dass Ihnen die Fähigkeit
fehlt, es zu begreifen. Aber sagen Sie doch, worüber wollen Sie denn mit Klamm
sprechen?« »Über Frieda natürlich«, sagte K.
»Über Frieda?« fragte die Wirtin verständnislos und wandte sich an Frieda. »Hörst
du, Frieda, über dich will er, er, mit Klamm, mit Klamm sprechen.«
»Ach«, sagte K., »Sie sind, Frau Wirtin, eine so kluge, achtungeinflößende Frau,
und doch erschreckt Sie jede Kleinigkeit. Nun also, ich will über Frieda mit ihm
sprechen, das ist doch nicht so sehr ungeheuerlich als vielmehr selbstverständlich. Denn
Sie irren gewiss auch, wenn Sie glauben, dass Frieda von dem Augenblick an, wo ich
auftrat, für Klamm bedeutungslos geworden ist. Sie unterschätzen ihn, wenn Sie das
glauben. Ich fühle gut, dass es anmaßend von mir ist, Sie in dieser Hinsicht belehren zu
wollen, aber ich muss es doch tun. Durch mich kann in Klamms Beziehung zu Frieda nichts
geändert worden sein. Entweder bestand keine wesentliche Beziehung das sagen
eigentlich diejenigen, welche Frieda den Ehrennamen Geliebte nehmen , nun, dann
besteht sie auch heute nicht; oder aber sie bestand, wie könnte sie dann durch mich, wie
Sie richtig sagten, ein Nichts in Klamms Augen, wie könnte sie dann durch mich gestört
sein. Solche Dinge glaubt man im ersten Augenblick des Schreckens, aber schon die kleinste
Überlegung muss das richtig stellen. Lassen wir übrigens doch Frieda ihre Meinung hierzu
sagen.«
Mit in die Ferne schweifendem Blick, die Wange an K.s Brust, sagte Frieda: »Es ist
gewiss so, wie Mütterchen sagt: Klamm will nichts mehr von mir wissen. Aber freilich
nicht deshalb, weil du, Liebling, kamst, nichts Derartiges hätte ihn erschüttern
können. Wohl aber, glaube ich, ist es sein Werk, dass wir uns dort unter dem Pult
zusammengefunden haben; gesegnet, nicht verflucht sei die Stunde.« »Wenn es so
ist«, sagte K. langsam, denn süß waren Friedas Worte, er schloss ein paar Sekunden lang
die Augen, um sich von den Worten durchdringen zu lassen, »wenn es so ist, ist noch
weniger Grund, sich vor einer Aussprache mit Klamm zu fürchten.«
»Wahrhaftig«, sagte die Wirtin und sah K. von hoch herab an, »Sie erinnern mich
manchmal an meinen Mann, so trotzig und kindlich wie er sind Sie auch. Sie sind ein paar
Tage im Ort, und schon wollen Sie alles besser kennen als die Eingeborenen, besser als ich
alte Frau und als Frieda, die im Herrenhof so viel gesehen und gehört hat. Ich leugne
nicht, dass es möglich ist, einmal auch etwas ganz gegen die Vorschriften und gegen das
Althergebrachte zu erreichen; ich habe etwas Derartiges nicht erlebt, aber es gibt
angeblich Beispiele dafür, mag sein; aber dann geschieht es gewiss nicht auf die Weise,
wie Sie es tun, indem man immerfort Nein, nein sagt und nur auf seinen Kopf
schwört und die wohlmeinendsten Ratschläge überhört. Glauben Sie denn, meine Sorge
gilt Ihnen? Habe ich mich um Sie gekümmert, solange Sie allein waren? Obwohl es gut
gewesen wäre und manches sich hätte vermeiden lassen. Das einzige, was ich damals meinem
Mann über Sie sagte, war: Halte dich von ihm fern. Das hätte auch heute noch
für mich gegolten, wenn nicht Frieda jetzt in Ihr Schicksal mit hineingezogen worden
wäre. Ihr verdanken Sie ob es Ihnen gefällt oder nicht meine Sorgfalt, ja
sogar meine Beachtung. Und Sie dürfen mich nicht einfach abweisen, weil Sie mir, der
einzigen, die über der kleinen Frieda mit mütterlicher Sorge wacht, streng
verantwortlich sind. Möglich, dass Frieda recht hat und alles, was geschehen ist, der
Wille Klamms ist; aber von Klamm weiß ich jetzt nichts; ich werde niemals mit ihm
sprechen, er ist mir gänzlich unerreichbar; Sie aber sitzen hier, halten meine Frieda und
werden warum soll ich es verschweigen? von mir gehalten. Ja, von mir
gehalten, denn versuchen Sie es, junger Mann, wenn ich Sie auch aus dem Hause weise,
irgendwo im Dorf ein Unterkommen zu finden, und sei es in einer Hundehütte.«
»Danke«, sagte K., »das sind offene Worte, und ich glaube Ihnen vollkommen. So
unsicher ist also meine Stellung und damit zusammenhängend auch die Stellung Friedas.«
»Nein!« rief die Wirtin wütend dazwischen. »Friedas Stellung hat in dieser Hinsicht
gar nichts mit Ihrer zu tun. Frieda gehört zu meinem Haus, und niemand hat das Recht,
ihre Stellung hier eine unsichere zu nennen.«
»Gut, gut«, sagte K., »ich gebe Ihnen auch darin Recht, besonders da Frieda aus mir
unbekannten Gründen zu viel Angst vor Ihnen zu haben scheint, um sich einzumischen.
Bleiben wir also vorläufig nur bei mir. Meine Stellung ist höchst unsicher, das leugnen
Sie nicht, sondern strengen sich vielmehr an, es zu beweisen. Wie bei allem, was Sie
sagen, ist auch dieses nur zum größten Teil richtig, aber nicht ganz. So weiß ich zum
Beispiel von einem recht guten Nachtlager, das mir freisteht.«
»Wo denn? Wo denn?« riefen Frieda und die Wirtin, so gleichzeitig und so begierig,
als hätten sie die gleichen Beweggründe für ihre Frage. »Bei Barnabas«, sagte
K.
»Die Lumpen!« rief die Wirtin. »Die abgefeimten Lumpen! Bei Barnabas! Hört ihr
« und sie wandte sich nach der Ecke, die Gehilfen aber waren schon längst
hervorgekommen und standen Arm in Arm hinter der Wirtin, die jetzt, als brauche sie einen
Halt, die Hand des einen ergriff, »hört ihr, wo sich der Herr herumtreibt, in der
Familie des Barnabas! Freilich, dort bekommt er ein Nachtlager, ach, hätte er es doch
lieber dort gehabt als im Herrenhof. Aber wo wart denn ihr?«
»Frau Wirtin«, sagte K., noch ehe die Gehilfen antworteten, »es sind meine Gehilfen,
Sie aber behandeln sie so, wie wenn es Ihre Gehilfen, aber meine Wächter wären. In allem
anderen bin ich bereit, höflichst über Ihre Meinungen zumindest zu diskutieren,
hinsichtlich meiner Gehilfen aber nicht, denn hier liegt die Sache doch zu klar! Ich bitte
Sie daher, mit meinen Gehilfen nicht zu sprechen, und wenn meine Bitte nicht genügen
sollte, verbiete ich meinen Gehilfen, Ihnen zu antworten.«
»Ich darf also nicht mit euch sprechen«, sagte die Wirtin, und alle drei lachten, die
Wirtin spöttisch, aber viel sanfter, als K. es erwartet hatte, die Gehilfen in ihrer
gewöhnlichen, viel und nichts bedeutenden, jede Verantwortung ablehnenden Art.
»Werde nur nicht böse«, sagte Frieda, »du musst unsere Aufregung richtig verstehen.
Wenn man will, verdanken wir es nur Barnabas, dass wir jetzt einander gehören. Als ich
dich zum ersten Mal im Ausschank sah du kamst herein, eingehängt in Olga ,
wusste ich zwar schon einiges über dich, aber im Ganzen warst du mir doch völlig
gleichgültig. Nun, nicht nur du warst mir gleichgültig, fast alles, fast alles war mir
gleichgültig. Ich war ja auch damals mit vielem unzufrieden, und manches ärgerte mich,
aber was war das für eine Unzufriedenheit und was für ein Ärger! Es beleidigte mich zum
Beispiel einer der Gäste im Ausschank, sie waren ja immer hinter mir her du hast
die Burschen dort gesehen, es kamen aber noch viel ärgere, Klamms Dienerschaft war nicht
die ärgste , also einer beleidigte mich, was bedeutete mir das? Es war mir, als sei
es vor vielen Jahren geschehen oder als sei es gar nicht mir geschehen oder als hätte ich
es nur erzählen hören oder als hätte ich selbst es schon vergessen. Aber ich kann es
nicht beschreiben, ich kann es mir nicht einmal mehr vorstellen, so hat sich alles
geändert, seitdem Klamm mich verlassen hat.«
Und Frieda brach ihre Erzählung ab, traurig senkte sie den Kopf, die Hände hielt sie
gefaltet im Schoß.
»Sehen Sie«, rief die Wirtin, und sie tat es so, als spreche sie nicht selbst,
sondern leihe nur Frieda ihre Stimme, sie rückte auch näher und saß nun knapp neben
Frieda, »sehen Sie nun, Herr Landvermesser, die Folgen ihrer Taten, und auch Ihre
Gehilfen, mit denen ich ja nicht sprechen darf, mögen zu ihrer Belehrung zusehen! Sie
haben Frieda aus dem glücklichsten Zustand gerissen, der ihr je beschieden war, und es
ist Ihnen vor allem deshalb gelungen, weil Frieda mit ihrem kindlich übertriebenen
Mitleid es nicht ertragen konnte, dass Sie an Olgas Arm hingen und so der Barnabasschen
Familie ausgeliefert schienen. Sie hat Sie gerettet und sich dabei geopfert. Und nun, da
es geschehen ist und Frieda alles, was sie hatte, eingetauscht hat für das Glück, auf
Ihrem Knie zu sitzen, nun kommen Sie und spielen es als Ihren großen Trumpf aus, dass Sie
einmal die Möglichkeit hatten, bei Barnabas übernachten zu dürfen. Damit wollen Sie
wohl beweisen, dass Sie von mir unabhängig sind. Gewiss, wenn Sie wirklich bei Barnabas
übernachtet hätten, wären Sie so unabhängig von mir, dass Sie im Nu, aber
allerschleunigst, mein Haus verlassen müssten.«
»Ich kenne die Sünden der Barnabasschen Familie nicht«, sagte K., während er
Frieda, die wie leblos war, vorsichtig aufhob, langsam auf das Bett setzte und selbst
aufstand, »vielleicht haben Sie darin recht, aber ganz gewiss hatte ich recht, als ich
Sie ersucht habe, unsere Angelegenheiten, Friedas und meine, uns beiden allein zu
überlassen. Sie erwähnten damals etwas von Liebe und Sorge, davon habe ich dann aber
weiter nicht viel gemerkt, desto mehr aber von Hass und Hohn und Hausverweisung. Sollten
Sié es darauf angelegt haben, Frieda von mir oder mich von Frieda abzubringen, so war es
ja recht geschickt gemacht; aber es wird Ihnen doch, glaube ich, nicht gelingen, und wenn
es Ihnen gelingen sollte, so werden Sie es erlauben Sie auch mir einmal eine dunkle
Drohung bitter bereuen. Was die Wohnung betrifft, die Sie mir gewähren Sie
können damit nur dieses abscheuliche Loch meinen , so ist es durchaus nicht gewiss,
dass Sie es aus eigenem Willen tun, vielmehr scheint darüber eine Weisung der gräflichen
Behörde vorzuliegen. Ich werde nun dort melden, dass mir hier gekündigt worden ist, und
wenn man mir dann eine andere Wohnung zuweist, werden Sie wohl befreit aufatmen, ich aber
noch tiefer. Und nun gehe ich in dieser und in anderen Angelegenheiten zum
Gemeindevorstand; bitte, nehmen Sie sich wenigstens Friedas an, die Sie mit Ihren
sozusagen mütterlichen Reden übel genug zugerichtet haben.«
Dann wandte er sich an die Gehilfen. »Kommt!« sagte er, nahm den Klammschen Brief vom
Haken und wollte gehen. Die Wirtin hatte ihm schweigend zugesehen, erst als er die Hand
schon auf der Türklinke hatte, sagte sie: »Herr Landvermesser, noch etwas gebe ich Ihnen
mit auf den Weg, denn welche Reden Sie auch führen mögen und wie Sie mich auch
beleidigen wollen, mich alte Frau, so sind Sie doch Friedas künftiger Mann. Nur deshalb
sage ich es Ihnen, dass Sie hinsichtlich der hiesigen Verhältnisse entsetzlich unwissend
sind, der Kopf schwirrt einem, wenn man Ihnen zuhört, und wenn man das, was Sie sagen und
meinen, in Gedanken mit der wirklichen Lage vergleicht. Zu verbessern ist diese
Unwissenheit nicht mit einem Male und vielleicht gar nicht; aber vieles kann besser
werden, wenn Sie mir nur ein wenig glauben und sich diese Unwissenheit immer vor Augen
halten. Sie werden dann zum Beispiel sofort gerechter gegen mich werden und zu ahnen
beginnen, was für einen Schrecken ich durchgemacht habe und die Folgen des
Schreckens halten noch an , als ich erkannt habe, dass meine liebste Kleine
gewissermaßen den Adler verlassen hat, um sich der Blindschleiche zu verbinden, aber das
wirkliche Verhältnis ist ja noch viel schlimmer, und ich muss es immerfort zu vergessen
suchen, sonst könnte ich kein ruhiges Wort mit Ihnen sprechen. Ach, nun sind Sie wieder
böse. Nein, gehen Sie noch nicht, nur diese Bitte hören Sie noch an: Wohin Sie auch
kommen, bleiben Sie sich dessen bewusst, dass Sie hier der Unwissendste sind, und seien
Sie vorsichtig; hier bei uns, wo Friedas Gegenwart Sie vor Schaden schützt, mögen Sie
sich dann das Herz freischwätzen, hier können Sie uns dann zum Beispiel zeigen, wie Sie
mit Klamm zu sprechen beabsichtigen; nur in Wirklichkeit, nur in Wirklichkeit, bitte,
bitte, tun Sie's nicht!«
Sie stand auf, ein wenig schwankend vor Aufregung, ging zu K., fasste seine Hand und
sah ihn bittend an. »Frau Wirtin«, sagte K., »ich verstehe nicht, warum Sie wegen einer
solchen Sache sich dazu erniedrigen, mich zu bitten. Wenn es, wie Sie sagen, für mich
unmöglich ist, mit Klamm zu sprechen, so werde ich es eben nicht erreichen, ob man mich
bittet oder nicht. Wenn es aber doch möglich sein sollte, warum soll ich es dann nicht
tun, besonders da dann mit dem Wegfall Ihres Haupteinwandes auch Ihre weiteren
Befürchtungen sehr fraglich werden. Freilich, unwissend bin ich, die Wahrheit bleibt
jedenfalls bestehen, und das ist sehr traurig für mich; aber es hat doch auch den
Vorteil, dass der Unwissende mehr wagt, und deshalb will ich die Unwissenheit und ihre
gewiss schlimmen Folgen gerne noch ein Weilchen tragen, solange die Kräfte reichen. Diese
Folgen aber treffen doch im Wesentlichen nur mich, und deshalb vor allem verstehe ich
nicht, warum Sie bitten. Für Frieda werden Sie doch gewiss immer sorgen, und verschwinde
ich gänzlich aus Friedas Gesichtskreis, kann es doch in Ihrem Sinn nur ein Glück
bedeuten. Was fürchten Sie also? Sie fürchten doch nicht etwa dem Unwissenden
scheint alles möglich«, hier öffnete K. schon die Tür , »Sie fürchten doch
nicht etwa für Klamm?« Die Wirtin sah ihm schweigend nach, wie er die Treppe hinabeilte
und die Gehilfen ihm folgten.
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