Oben traf K. den Lehrer. Das Zimmer war
erfreulicherweise kaum wiederzuerk ennen, so fleißig war Frieda gewesen. Es war gut
gelüftet worden, der Ofen reichlich geheizt, der Fußboden gewaschen, das Bett geordnet,
die Sachen der Mägde, dieser hassenswerte Unrat, einschließlich ihrer Bilder, waren
verschwunden, der Tisch, der einem früher, wohin man sich auch wendete, mit seiner
schmutzüberkrusteten Platte förmlich nachgestarrt hatte, war mit einer weißen,
gestrickten Decke überzogen. Nun konnte man schon Gäste empfangen; dass K.s kleiner
Wäschevorrat, den Frieda offenbar früh gewaschen hatte, beim Ofen zum Trocknen
ausgehängt war, störte wenig. Der Lehrer und Frieda waren bei Tisch gesessen, sie
erhoben sich bei K.s Eintritt. Frieda begrüßte K. mit einem Kuss, der Lehrer verbeugte
sich ein wenig. K., zerstreut und noch in der Unruhe des Gesprächs mit der Wirtin,
begann, sich zu entschuldigen, dass er den Lehrer bisher noch nicht hatte besuchen
können; es war so, als nehme er an, der Lehrer hätte, ungeduldig wegen K.s Ausbleiben,
nun selbst den Besuch gemacht. Der Lehrer aber, in seiner gemessenen Art, schien sich nun
erst selbst langsam zu erinnern, dass einmal zwischen ihm und K. eine Art Besuch
verabredet worden war. »Sie sind ja, Herr Landvermesser«, sagte er langsam, »der
Fremde, mit dem ich vor ein paar Tagen auf dem Kirchplatz gesprochen habe.«
»Ja«, sagte K. kurz; was er damals in seiner Verlassenheit geduldet hatte, musste er
hier, in seinem Zimmer, sich nicht gefallen lassen. Er wandte sich an Frieda und beriet
sich mit ihr wegen eines wichtigen Besuches, den er sofort zu machen habe und bei dem er
möglichst gut angezogen sein müsse. Frieda rief sofort, ohne K. weiter auszufragen, die
Gehilfen, die gerade mit der Untersuchung der neuen Tischdecke beschäftigt waren, und
befahl ihnen, K.s Kleider und Stiefel, die er gleich auszuziehen begann, unten im Hof
sorgfältig zu putzen. Sie selbst nahm ein Hemd von der Schnur und lief in die Küche
hinunter, um es zu bügeln.
Jetzt war K. mit dem Lehrer, der wieder still beim Tisch saß, allein; er ließ ihn
noch ein wenig warten, zog sich das Hemd aus und begann, sich beim Waschbecken zu waschen.
Erst jetzt, den Rücken dem Lehrer zugekehrt, fragte er ihn nach dem Grund seines Kommens.
»Ich komme im Auftrag des Herrn Gemeindevorstehers«, sagte er. K. war bereit, den
Auftrag zu hören. Da aber K.s Worte in dem Wasserschwall schwer verständlich waren,
musste der Lehrer näher kommen und lehnte sich neben K. an die Wand. K. entschuldigte
sein Waschen und seine Unruhe mit der Dringlichkeit des beabsichtigten Besuches. Der
Lehrer ging darüber hinweg und sagte: »Sie waren unhöflich gegenüber dem Herrn
Gemeindevorsteher, diesem alten, verdienten, vielerfahrenen, ehrwürdigen Mann.«
»Dass ich unhöflich gewesen wäre, weiß ich nicht«, sagte K., während er sich
abtrocknete, »dass ich aber an anderes zu denken hatte als an ein feines Benehmen, ist
richtig, denn es handelte sich um meine Existenz, die bedroht ist durch eine schmachvolle
amtliche Wirtschaft, deren Einzelheiten ich Ihnen nicht darlegen muss, da Sie selbst ein
tätiges Glied dieser Behörde sind. Hat sich der Gemeindevorsteher über mich beklagt?«
»Wem gegenüber hätte er sich beklagen sollen?« sagte der Lehrer. »Und selbst,
wenn er jemanden hätte, würde er sich denn jemals beklagen? Ich habe nur ein kleines
Protokoll nach seinem Diktat über Ihre Besprechung aufgesetzt und daraus über die Güte
des Herrn Vorstehers und über die Art Ihrer Antworten genug erfahren.«
Während K. seinen Kamm suchte, den Frieda irgendwo eingeordnet haben musste, sagte er:
»Wie? Ein Protokoll? In meiner Abwesenheit nachträglich aufgesetzt von jemandem, der gar
nicht bei der Besprechung war? Das ist nicht übel. Und warum denn ein Protokoll? War es
denn eine amtliche Handlung?« »Nein«, sagte der Lehrer, »eine halbamtliche,
auch das Protokoll ist nur halbamtlich; es wurde nur gemacht, weil bei uns in allem
strenge Ordnung sein muss. Jedenfalls liegt es nun vor und dient nicht zu Ihrer Ehre.«
K., der den Kamm, der ins Bett geglitten war, endlich gefunden hatte, sagte ruhiger: »Mag
es vorliegen. Sind Sie gekommen, mir das zu melden?« »Nein«, sagte der Lehrer,
»aber ich bin kein Automat und musste Ihnen meine Meinung sagen. Mein Auftrag dagegen ist
ein weiterer Beweis der Güte des Herrn Vorstehers; ich betone, dass mir diese Güte
unbegreiflich ist und dass ich nur unter dem Zwang meiner Stellung und in Verehrung des
Herrn Vorstehers den Auftrag ausführe.« K., gewaschen und gekämmt, saß nun in
Erwartung des Hemdes und der Kleider bei Tisch; er war wenig neugierig auf das, was der
Lehrer ihm brachte; auch war er beeinflusst von der geringen Meinung, welche die Wirtin
vom Vorsteher hatte. »Es ist wohl schon Mittag vorüber?« fragte er in Gedanken an den
Weg, den er vorhatte, dann verbesserte er sich und sagte: »Sie wollten mir etwas vom
Vorsteher ausrichten.« »Nun ja«, sagte der Lehrer mit einem Achselzucken, als
schüttle er jede eigene Verantwortung von sich ab. »Der Herr Vorsteher befürchtet, dass
Sie, wenn die Entscheidung Ihrer Angelegenheit zu lange ausbleibt, etwas Unbedachtes auf
eigene Faust tun werden. Ich für meinen Teil weiß nicht, warum er das befürchtet; meine
Ansicht ist, dass Sie doch am besten tun mögen, was Sie wollen. Wir sind nicht Ihre
Schutzengel und haben keine Verpflichtung, Ihnen auf allen Ihren Wegen nachzulaufen. Nun
gut. Der Herr Vorsteher ist anderer Meinung. Die Entscheidung selbst, welche Sache der
gräflichen Behörden ist, kann er freilich nicht beschleunigen. Wohl aber will er in
seinem Wirkungskreis eine vorläufige, wahrhaftig generöse Entscheidung treffen, es liegt
nur an Ihnen, sie anzunehmen: Er bietet Ihnen vorläufig die Stelle eines Schuldieners
an.« Darauf, was ihm angeboten wurde, achtete K. zunächst kaum, aber die Tatsache, dass
ihm etwas angeboten wurde, schien ihm nicht bedeutungslos. Es deutete daraufhin, dass er
nach Ansicht des Vorstehers im Stande war, um sich zu wehren, Dinge auszuführen, vor
denen sich zu schützen für die Gemeinde selbst gewisse Aufwendungen rechtfertigte. Und
wie wichtig man die Sache nahm! Der Lehrer, der hier schon eine Zeit lang gewartet und
vorher noch das Protokoll aufgesetzt hatte, musste ja vom Vorsteher geradezu hergejagt
worden sein. Als der Lehrer sah, dass er nun doch K. nachdenklich gemacht hatte, fuhr er
fort: »Ich machte meine Einwendungen. Ich wies darauf hin, dass bisher kein Schuldiener
nötig gewesen sei; die Frau des Kirchendieners räumt von Zeit zu Zeit auf, und Fräulein
Gisa, die Lehrerin, beaufsichtigt es. Ich habe Plage genug mit den Kindern, ich will mich
nicht auch noch mit einem Schuldiener ärgern. Der Herr Vorsteher entgegnete, dass es aber
doch sehr schmutzig in der Schule sei. Ich erwiderte, der Wahrheit gemäß, dass es nicht
sehr arg sei. Und, fügte ich hinzu, wird es dann besser werden, wenn wir den Mann als
Schuldiener nehmen? Ganz gewiss nicht. Abgesehen davon, dass er von solchen Arbeiten
nichts versteht, hat doch das Schulhaus nur zwei große Lehrzimmer ohne Nebenräume, der
Schuldiener muss also mit seiner Familie in einem der Lehrzimmer wohnen, schlafen,
vielleicht gar kochen, das kann natürlich die Reinlichkeit nicht vergrößern. Aber der
Herr Vorsteher verwies darauf, dass diese Stelle für Sie eine Rettung in der Not sei und
dass Sie daher sich mit allen Kräften bemühen werden, sie gut auszufüllen; ferner
meinte der Herr Vorsteher, gewinnen wir mit Ihnen auch noch die Kräfte Ihrer Frau und
Ihrer Gehilfen, sodass nicht nur die Schule, sondern auch der Schulgarten in musterhafter
Ordnung wird gehalten werden können. Das alles widerlegte ich mit Leichtigkeit.
Schließlich konnte der Herr Vorsteher gar nichts mehr zu Ihren Gunsten vorbringen, lachte
und sagte nur, Sie seien doch Landvermesser und würden daher die Beete im Schulgarten
besonders schön gerade ziehen können. Nun, gegen Späße gibt es keine Einwände, und so
ging ich mit dem Auftrag zu Ihnen.« »Sie machen sich unnütze Sorgen, Herr Lehrer«,
sagte K. »Es fällt mir nicht ein, die Stelle anzunehmen.« »Vorzüglich«, sagte
der Lehrer, »vorzüglich, ganz ohne Vorbehalt lehnen Sie ab«, und er nahm den Hut,
verbeugte sich und ging.
Gleich darauf kam Frieda mit verstörtem Gesicht herauf, das Hemd brachte sie
ungebügelt, Fragen beantwortete sie nicht; um sie zu zerstreuen, erzählte ihr K. von dem
Lehrer und dem Angebot; kaum hörte sie es, warf sie das Hemd auf das Bett und lief wieder
fort. Sie kam bald zurück, aber mit dem Lehrer, der verdrießlich aussah und gar nicht
grüßte. Frieda bat ihn um ein wenig Geduld offenbar hatte sie das auf dem Weg
hierher schon einige Male getan , zog dann K. durch eine Seitentür, von der er gar
nicht gewusst hatte, auf den benachbarten Dachboden und erzählte dort schließlich
aufgeregt außer Atem, was ihr geschehen war. Die Wirtin, empört darüber, dass sie sich
vor K. zu Geständnissen und, was noch ärger war, zur Nachgiebigkeit hinsichtlich einer
Unterredung Klamms mit K. erniedrigt und nichts damit erreicht hatte als, wie sie sagte,
kalte und überdies unaufrichtige Abweisung, sei entschlossen, K. nicht mehr in ihrem
Hause zu dulden; habe er Verbindungen mit dem Schloss, so möge er sie nur schnell
ausnützen, denn noch heute, noch jetzt müsse er das Haus verlassen, und nur auf direkten
behördlichen Befehl und Zwang werde sie ihn wieder aufnehmen; doch hoffe sie, dass es
nicht dazu kommen werde, denn auch sie habe Verbindungen mit dem Schloss und werde sie
geltend zu machen verstehen. Übrigens sei er ja in das Wirtshaus nur infolge der
Nachlässigkeit des Wirtes gekommen und sei auch sonst gar nicht in Not, denn noch heute
Morgen habe er sich eines für ihn bereitstehenden Nachtlagers gerühmt. Frieda natürlich
solle bleiben; wenn Frieda mit K. ausziehen sollte, werde sie, die Wirtin, tief
unglücklich sein, schon unten in der Küche sei sie bei dem bloßen Gedanken weinend
neben dem Herd zusammengesunken, die arme, herzleidende Frau! Aber wie könnte sie anders
handeln, jetzt, da es sich, in ihrer Vorstellung wenigstens geradezu um die Ehre von
Klamms Andenken handle! So stehe es also mit der Wirtin. Frieda freilich werde ihm, K.,
folgen, wohin er wolle, in Schnee und Eis, darüber sei natürlich kein weiteres Wort zu
verlieren, aber sehr schlimm sei doch ihrer beider Lage jedenfalls, darum habe sie das
Angebot des Vorstehers mit großer Freude begrüßt, sei es auch eine für K. nicht
passende Stelle, so sei sie doch, das werde ausdrücklich betont, eine nur vorläufige,
man gewinne Zeit und werde leicht andere Möglichkeiten finden, selbst wenn die
endgültige Entscheidung ungünstig ausfallen sollte. »Im Notfall«, rief schließlich
Frieda, schon an K.s Hals, »wandern wir aus, was hält uns hier im Dorf? Vorläufig aber,
nicht wahr, Liebster, nehmen wir das Angebot an. Ich habe den Lehrer zurückgebracht, du
sagst ihm Angenommen, nichts weiter, und wir übersiedeln in die Schule.«
»Das ist schlimm«, sagte K., ohne es aber ganz ernsthaft zu meinen, denn die Wohnung
kümmerte ihn wenig, auch fror er sehr in seiner Unterwäsche hier auf dem Dachboden, der,
auf zwei Seiten ohne Wand und Fenster, scharf von kalter Luft durchzogen wurde, »jetzt
hast du das Zimmer so schön hergerichtet, und nun sollen wir ausziehen! Ungern, ungern
würde ich die Stelle annehmen, schon die augenblickliche Demütigung vor diesem kleinen
Lehrer ist mir peinlich, und nun soll er gar mein Vorgesetzter werden. Wenn man nur noch
ein Weilchen hier bleiben könnte, vielleicht ändert sich meine Lage noch heute
Nachmittag. Wenn wenigstens du hier bliebest, könnte man es abwarten und dem Lehrer nur
eine unbestimmte Antwort geben. Für mich finde ich immer ein Nachtlager, wenn es sein
muss, wirklich bei Bar ...« Frieda verschloss ihm mit der Hand den Mund. »Das nicht«,
sagte sie ängstlich, »bitte, sage das nicht wieder. Sonst aber folge ich dir in allem.
Wenn du willst, bleibe ich allein hier, so traurig es für mich wäre. Wenn du willst,
lehnen wir den Antrag ab, so unrichtig das meiner Meinung nach wäre. Denn sieh, wenn du
eine andere Möglichkeit findest, gar noch heute Nachmittag, nun, so ist es
selbstverständlich, dass wir die Stelle in der Schule sofort aufgeben, niemand wird uns
daran hindern. Und was die Demütigung vor dem Lehrer betrifft, so lass mich dafür
sorgen, dass es keine wird, ich selbst werde mit ihm sprechen, du wirst nur stumm
dabeistehen, und auch später wird es nicht anders sein, niemals wirst du, wenn du nicht
willst, selbst mit ihm sprechen müssen, ich allein werde in Wirklichkeit seine
Untergebene sein, und nicht einmal ich werde es sein, denn ich kenne seine Schwächen. So
ist also nichts verloren, wenn wir die Stelle annehmen, vieles aber, wenn wir sie
ablehnen; vor allem würdest du wirklich auch nur für dich allein, wenn du nicht noch
heute etwas vom Schloss erreichst, nirgends im Dorf ein Nachtlager finden, ein Nachtlager
nämlich, für das ich mich als deine künftige Frau nicht schämen müsste. Und wenn du
kein Nachtlager bekommst, willst du dann etwa von mir verlangen, dass ich hier im warmen
Zimmer schlafe, während ich weiß, dass du draußen in Nacht und Kälte umherirrst?« K.,
der die ganze Zeit über, die Arme über der Brust gekreuzt, mit den Händen seinen
Rücken schlug, um sich ein wenig zu erwärmen, sagte: »Dann bleibt nichts übrig, als
anzunehmen. Komm!«
Im Zimmer eilte er gleich zum Ofen; um den Lehrer kümmerte er sich nicht; dieser saß
beim Tisch, zog die Uhr hervor und sagte: »Es ist spät geworden.« »Dafür sind
wir aber jetzt auch völlig einig, Herr Lehrer«, sagte Frieda. »Wir nehmen die Stelle
an.« »Gut«, sagte der Lehrer, »aber die Stelle ist dem Herrn Landvermesser
angeboten. Er selbst muss sich äußern.« Frieda kam K. zu Hilfe. »Freilich«, sagte
sie, »er nimmt die Stelle an, nicht wahr, K.?« So konnte K. seine Erklärung auf ein
einfaches »Ja« beschränken, das nicht einmal an den Lehrer, sondern an Frieda gerichtet
war. »Dann«, sagte der Lehrer, »bleibt mir nur noch übrig, Ihnen Ihre Dienstpflichten
vorzuhalten, damit wir in dieser Hinsicht ein für allemal einig sind; Sie haben, Herr
Landvermesser, täglich beide Schulzimmer zu reinigen und zu heizen, kleinere Reparaturen
im Haus, ferner an den Schul- und Turngeräten selbst vorzunehmen, den Weg durch den
Garten schneefrei zu halten, Botengänge für mich und das Fräulein Lehrerin zu machen
und in der wärmeren Jahreszeit alle Gartenarbeit zu besorgen. Dafür haben Sie das Recht,
nach Ihrer Wahl in einem der Schulzimmer zu wohnen; doch müssen Sie, wenn nicht
gleichzeitig in beiden Zimmern unterrichtet wird und Sie gerade in dem Zimmer, in welchem
unterrichtet wird, wohnen, natürlich in das andere Zimmer übersiedeln. Kochen dürfen
Sie in der Schule nicht, dafür werden Sie und die Ihren auf Kosten der Gemeinde hier im
Wirtshaus verpflegt. Dass Sie sich der Würde der Schule gemäß verhalten müssen und
dass insbesondere die Kinder, gar während des Unterrichts, niemals etwa Zeugen
unliebsamer Szenen in Ihrer Häuslichkeit werden dürfen, erwähne ich nur nebenbei, denn
als gebildeter Mann müssen Sie das wissen. In Zusammenhang damit bemerke ich noch, dass
wir darauf bestehen müssen, dass Sie Ihre Beziehungen zu Fräulein Frieda möglichst bald
legitimieren. Über dies alles und noch einige Kleinigkeiten wird ein Dienstvertrag
aufgesetzt, den Sie gleich, wenn Sie ins Schulhaus einziehen, unterzeichnen müssen.« K.
erschien das alles unwichtig, so, als ob es ihn nicht betreffe oder jedenfalls nicht
binde; nur die Großtuerei des Lehrers reizte ihn, und er sagte leichthin: »Nun ja, es
sind die üblichen Verpflichtungen.« Um diese Bemerkung ein wenig zu verwischen, fragte
Frieda nach dem Gehalt. »Ob Gehalt gezahlt wird«, sagte der Lehrer, »wird erst nach
einmonatigem Probedienst erwogen werden.« »Das ist aber hart für uns«, sagte
Frieda. »Wir sollen fast ohne Geld heiraten, unsere Hauswirtschaft aus nichts schaffen.
Könnten wir nicht doch, Herr Lehrer, durch eine Eingabe an die Gemeinde um ein Kleines
sofortiges Gehalt bitten? Würden Sie dazu raten?« »Nein«, sagte der Lehrer, der
seine Worte immer an K. richtete. »Einer solchen Eingabe würde nur entsprochen werden,
wenn ich es empfehle, und ich würde es nicht tun. Die Verleihung der Stelle ist ja nur
eine Gefälligkeit Ihnen gegenüber, und Gefälligkeiten muss man, wenn man sich seiner
öffentlichen Verantwortung bewusst bleibt, nicht zu weit treiben.« Nun mischte sich aber
doch K. ein, fast gegen seinen Willen. »Was die Gefälligkeit betrifft, Herr Lehrer«,
sagte er, »glaube ich, dass Sie irren. Diese Gefälligkeit ist vielleicht eher auf meiner
Seite.« »Nein«, sagte der Lehrer lächelnd, nun hatte er doch K. zum Reden
gezwungen. »Darüber bin ich genau unterrichtet. Wir brauchen den Schuldiener etwa so
dringend wie den Landvermesser. Schuldiener wie Landvermesser, es ist eine Last an unserem
Halse. Es wird mich noch viel Nachdenken kosten, wie ich die Ausgaben vor der Gemeinde
begründen soll. Am besten und wahrheitsgemäßesten wäre es, die Forderung nur auf den
Tisch zu werfen und gar nicht zu begründen.« »So meine ich es ja«, sagte K.,
»gegen Ihren Willen müssen Sie mich aufnehmen. Obwohl es Ihnen schweres Nachdenken
verursacht, müssen Sie mich aufnehmen. Wenn nun jemand genötigt ist, einen anderen
aufzunehmen, und dieser andere sich aufnehmen lässt, so ist er es doch, der gefällig
ist.« »Sonderbar«, sagte der Lehrer, »was sollte uns zwingen, Sie aufzunehmen?
Des Herrn Vorstehers gutes, übergutes Herz zwingt uns. Sie werden, Herr Landvermesser,
das sehe ich wohl, manche Fantasien aufgeben müssen, ehe Sie ein brauchbarer Schuldiener
werden. Und für die Gewährung eines eventuellen Gehaltes machen natürlich solche
Bemerkungen wenig Stimmung. Auch merke ich leider, dass mir Ihr Benehmen noch viel zu
schaffen geben wird; die ganze Zeit über verhandeln Sie ja mit mir ich sehe es
immerfort an und glaube es fast nicht in Hemd und Unterhosen.« »Ja«, rief
K. lachend und schlug in die Hände, »die entsetzlichen Gehilfen! Wo bleiben sie denn?«
Frieda eilte zur Tür; der Lehrer, der merkte, dass nun K. für ihn nicht mehr zu sprechen
war, fragte Frieda, wann sie in die Schule einziehen würden. »Heute«, sagte Frieda.
»Dann komme ich morgen früh revidieren«, sagte der Lehrer, grüßte durch Handwinken,
wollte durch die Tür, die Frieda für sich geöffnet hatte, hinausgehen, stieß aber mit
den Mägden zusammen, die schon mit ihren Sachen kamen, um sich im Zimmer wieder
einzurichten. Er musste zwischen ihnen, die vor niemandem zurückgewichen wären,
durchschlüpfen, Frieda folgte ihm. »ihr habt es aber eilig«, sagte K., der diesmal sehr
zufrieden mit ihnen war, »wir sind noch hier, und ihr müsst schon einrücken?« Sie
antworteten nicht und drehten nur verlegen ihre Bündel, aus denen K. die wohlbekannten
schmutzigen Fetzen hervorhängen sah. »ihr habt wohl euere Sachen noch niemals
gewaschen«, sagte K., es war nicht böse, sondern mit einer gewissen Zuneigung gesagt.
Sie merkten es, öffneten gleichzeitig ihren harten Mund, zeigten die schönen, starken,
tiermäßigen Zähne und lachten lautlos. »Nun kommt«, sagte K., »richtet euch ein, es
ist ja euer Zimmer.« Als sie aber noch immer zögerten ihr Zimmer schien ihnen
wohl allzu sehr verwandelt , nahm K. eine beim Arm, um sie weiterzuführen. Aber er
ließ sie gleich los, so erstaunt war beider Blick, den sie, nach einer kurzen
gegenseitigen Verständigung, nun nicht mehr von K. wandten. »Jetzt habt ihr mich aber
lange genug angesehen«, sagte K., irgendein unangenehmes Gefühl abwehrend, nahm Kleider
und Stiefel, die eben Frieda, schüchtern von den Gehilfen gefolgt, gebracht hatte, und
zog sich an. Unbegreiflich war ihm immer, und jetzt wieder, die Geduld, die Frieda mit den
Gehilfen hatte. Sie hatte sie, die doch die Kleider im Hof hätten putzen sollen, nach
längerem Suchen friedlich unten beim Mittagessen gefunden, die ungeputzten Kleider vor
sich zusammengepresst auf dem Schoß, sie hatte dann selbst alles putzen müssen; und doch
zankte sie, die gemeines Volk gut zu beherrschen wusste, gar nicht mit ihnen, erzählte
überdies in ihrer Gegenwart von ihrer großen Nachlässigkeit wie von einem kleinen
Scherz und klopfte gar noch dem einen leicht, wie schmeichelnd, auf die Wange. K. wollte
ihr nächstens darüber Vorhaltungen machen. Jetzt aber war es höchste Zeit, wegzugehen.
»Die Gehilfen bleiben hier, dir bei der Übersiedlung zu helfen«, sagte K. Sie waren
allerdings nicht damit einverstanden; satt und fröhlich, wie sie waren, hätten sie sich
gern ein wenig Bewegung gemacht. Erst als Frieda sagte: »Gewiss, ihr bleibt hier«,
fügten sie sich. »Weißt du, wohin ich gehe?« fragte K. »Ja«, sagte Frieda. »Und du
hältst mich also nicht mehr zurück?« fragte K. »du wirst so viele Hindernisse
finden«, sagte sie, »was würde da mein Wort bedeuten!« Sie küsste K. zum Abschied,
gab ihm, da er nicht zu Mittag gegessen hatte, ein Päckchen mit Brot und Wurst, das sie
von unten für ihn mitgebracht hatte, erinnerte ihn daran, dass er dann nicht mehr
hierher, sondern gleich in die Schule kommen solle, und begleitete ihn, die Hand auf
seiner Schulter, bis vor die Tür hinaus.
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