Referat zum Treffen im Juli 2003
Warum degenerierte die russische Revolution
In Oktober 1917 hat die Arbeiterklasse die politische Macht in Russland übernommen. Zum ersten Mal in der Geschichte ist der Arbeiterklasse eine bewusste und mit Massen durchgeführte Aktion, Revolution, gelungen. Warum aber konnte die Revolution sich nicht fortentwickeln hin zum Kommunismus?
Die Revolution brach mitten in einem Krieg aus, der ohnehin schon Elend, Hunger und millionenfachen Tod gebracht hatte. Der Schlachtruf der Arbeiter lautete auch: "Brot und Frieden" und "Alle Macht den Räten". Nun musste man aber mit der Gegenoffensive der Kapitalistenklasse rechnen, die sich der Ansteckungsgefahr sehr wohl bewusst war, welche von der russischen Revolution auf die Arbeiter der anderen Ländern ausging. Im Frühjahr/Sommer 1918 /seit Beginn des Jahres 1919 begangen die Kapitalisten mit 14 Armeen verschiedener demokratischer Länder (wie Deutschland, Japan, USA, England, Italien, Frankreich, Polen) mit der Einkreisung Russlands von drei Seiten aus. Für die Bevölkerung hatte dies katastrophale Folgen. Die Hungersnot war so groß, dass es sogar Kannibalismus gegeben haben soll. Die Bauern, die zuerst an Seite der Arbeiter für die Revolution gekämpft hatten, leisteten Widerstand, und hielten Lebensmittel und Getreide zurück. Es gab Sabotage im Innern und Widerstand der Kleinbürger. Mit diesen Problemen hatte der junge "Arbeiterstaat" zu kämpfen.
Eine entscheidende Rolle bei der Revolution spielte die Bolschewistische Partei, die sich auch international zur Vorhut der Arbeiterklasse entwickelt hatte. Schon bei Beginn des ersten Weltkrieges hatte die Bolschewistische Partei die klare Sicht, dass es zum Weltkrieg nur eine Alternative gibt, die Weltrevolution. Die Russische Revolution war auch ein Ergebnis des Kampfes der Arbeiterklasse gegen die Organisationen der Bourgeoisie (Menschewiki, Sozialrevolutionäre), welche die Arbeiterklasse im ersten Weltkrieg für die Interessen der Russischen Imperialismus einspannen wollten. Gerade für diese Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse spielten die Bolschewiki eine Vorreiterrolle. Die weitere Entwicklung der Revolution in Russland war vollkommen abhängig von der internationalen Bewegung der Arbeiterklasse, insbesondere von der in den europäischen Ländern, allen voran in Deutschland. Die Bolschewiki waren sich vollkommen bewusst, dass die Revolution in Russland nur der erste Schritt war. Man wartete auch nicht einfach auf die Ausdehnung der Weltrevolution, sondern der internationale Kampf der Arbeiter wurde aktiv unterstützt. Auch die neu begründete Kommunistische Internationale, deren 1. Kongress im März 1919 in Moskau stattfand, war ein Teil dieser Unterstützung.
Warum aber degenerierte die Revolution? War es so, wie die Bourgeoisie uns weiß machen will, dass die Revolution von innen her verfaulte, die Bolschewiki die russischen Arbeiter nur ausnutzten, um an die Macht zu kommen, dass die Revolution von Anfang an dazu verurteilt war, zu degenerieren? Wenn es so wäre, warum haben dann die Bourgeoisien verschiedener Länder nicht einfach abgewartet, statt Ihre Streitigkeiten beizulegen, und geschlossen eine militärische Offensive gegen die Sowjetunion zu starten. Diese Ansicht spiegelt nur die eigene Vorstellung der Bourgeoisie von der Politik wieder, nämlich eine Politik der Lügen und Manipulation. Der Grund, warum die Revolution scheiterte, ist aber das Ausbleiben der weltweiten Ausdehnung, das Resultat der Niederlage der Arbeiterklasse nach langem Kampf gegen die grausame Reaktion des Weltkapitals. Ganz besonders das Versagen der deutschen Arbeiterklasse, die es mit einer erfahrenen und stärkeren Bourgeoisie zu tun hatte, als die russische Arbeiterklasse. Wie Rosa Luxemburg sagte, in Russland konnte die Frage gestellt werden, das Problem aber nur international gelöst werden. Schon Anfang der 20er Jahre ging die revolutionäre Welle zurück, und es konnte immer weniger damit gerechnet werden, dass es zu einer Weltrevolution kommen könnte.
Oder war die Revolution von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil sie eine bürgerliche Revolution war, wie z.B. von Rätekommunisten behauptet wird, weil die Maßnahmen, die von den Bolschewiki nach der Revolution getroffen wurden, noch nicht sofort zum Kommunismus führten? Oder war die Revolution von Anfang an bürgerlich, weil die Partei im Namen der Arbeiterklasse die Macht übernommen hatte?
Ob eine Revolution bürgerlich ist, kann man nicht nach den Maßnahmen beurteilen, die der junge "Arbeiterstaat" durchführt, oder in der Übergansphase noch gezwungen ist, durchzuführen. Was war der politische Charakter der Oktober-Revolution? Das war die Zerstörung des bürgerlichen Staates, das war die Machtübernahme durch die Arbeiterklasse, die in den Arbeiterräten organisiert war, das waren die Aufrufe zur Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg, das war das Vorantreiben des internationalen Kampfes der Arbeiterklasse. Bei der proletarischen Revolution übernimmt die Arbeiterklasse die politische Macht, die Revolution kann sich aber erst dann hin zum Kommunismus entwickeln, wenn die militärische und ökonomische Macht der Kapitalisten weltweit zerstört worden ist.
In Russland haben die Bolschewiki im Namen der Arbeiterklasse die politische Macht übernommen, es war auch damals die gängige Auffassung unter den Revolutionären, dass die kommunistische Partei zentrale Funktionen im Staat im Namen der Arbeiterklasse übernimmt. Darüber hinaus waren die Arbeiter in Arbeiterräten organisiert, um so Macht und Kontrolle im Staat auszuüben.
Die Partei fing an, sich mit dem Staat zu identifizieren. Durch den Bürgerkrieg war sie a uch gezwungen, Aufgaben des Staates zu übernehmen. Der junge Staat musste sich im Bürgerkrieg gegen den Feind von außen verteidigen, dies beschleunigte die Entwicklung der Bolschewiki weg von der Arbeiterklasse, hin zum Staat gegen die Arbeiterklasse. Die Bolschewistische Partei integrierte sich immer mehr in den Staatsapparat, die Arbeiterräte konnten keine Macht oder Kontrolle mehr ausüben. Der Staat, die Gesellschaft und die Partei militarisierten sich, durch Eingliederung der Partei in den Staatsapparat wurde die Partei bürokratisiert. Die Parteiführung ordnete nun alles per Dekret von oben an. Hier wurden die Weichen für Staatskapitalismus und spätere Machtübernahme durch Stalin gestellt.
Wäre die internationale Arbeiterklasse fähig gewesen die Revolution weltweit beziehungsweise in den wichtigsten Zentren, wie West-Europa, auszuweiten, wäre es auch möglich gewesen, später die von den Bolschewiki begangenen Fehler zu korrigieren. Die Arbeiterklasse in Russland hätte weiter für ihre Macht in den Arbeiterräten und für den Kommunismus kämpfen können. Ganz klar degenerierte die Revolution, weil sie isoliert blieb. Es war damals auch keinem unklar, dass die Oktober-Revolution nur den ersten Schritt bedeutete. Ein Zitat von Trotzki vom Frühjahr 1919: "Wenn sich die Völker Europas nicht erheben und den Imperialismus zerschmettern, werden wir zerschmettert werden - das steht außer Zweifel. Entweder die russische Revolution entfesselt den Wirbelsturm des Kampfes im Westen – oder die Kapitalisten aller Länder ersticken unseren Kampf."
Die Kapitalistenklasse hat sehr klar verstanden, auf die Revolution in Russland zu reagieren, die Sowjetunion massiv militärisch anzugreifen und wirtschaftliche Blockaden vorzunehmen, die Arbeitermacht ausbluten zu lassen. Wozu sie auch sehr schnell und international in der Lage waren durch Beendigung des Weltkrieges.
So muss auch die Arbeiterklasse klar und konsequent die Lehren aus der russischen Revolution zu ziehen. Zuerst, dass es möglich ist, den kapitalistischen Staat zu zerstören. Aber die Revolution muss sich weiter über den ganzen Planet verbreiten, und zwar schnell. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass die Kapitalistenklasse sehr wohl fähig ist, darauf zu reagieren. Die Geschichte hat uns weiter gezeigt, dass Kommunismus in einem Land nicht möglich ist, und dazu verurteilt ist zu degenerieren, und Tür und Tor für die Konterrevolution öffnet. Die Geschichte hat uns auch gezeigt, dass die Rolle der Partei nicht ist, im Namen der Arbeiterklasse die politische Macht zu übernehmen, sondern dass die Partei für die politische Bewusstseinsbildung der Klasse zuständig ist, und die Arbeiterklasse ihre Macht und Kontrolle über den Staat in den Arbeiterräten ausübt. Eine wichtige Lehre ist auch, dass sich die Arbeiterklasse vom Staat abgrenzen muss. Sie muss in der Lage sein, notfalls auch gegen den Staat ihre Vorstellungen durchzusetzen. Der Staat ist ein notwendiges Übel in der Übergangsphase. Die Arbeiterklasse kämpft für eine klassenlose Gesellschaft, in der kein Staat mehr notwendig ist.
Die Revolution ist unser Ziel, aber dieses Ziel ist gleichzeitig erst der Anfang eines langen Kampfes hin zum Kommunismus, eines Kampfes, der nur von der Arbeiterklasse gekämpft werden kann.