Referat zum Treffen im Februar 2004
Die Ereignisse von Kronstadt 1921
1. Macht es Sinn über historische Ereignisse zu diskutieren?
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Russische Revolution: einziges historisches Beispiel einer erfolgreichen proletarischen Machtergreifung
Lehren für die künftige Weltrevolution ziehen
Kronstadt – eine Kernfrage bei der Einschätzung der Entwicklung der Russischen Revolution
Kurze historische Einordnung – damalige innere Situation Russlands sowie die internationale Lage: 1920/ 21
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Bürgerkrieg vorbei – Land aber fast vollständig zerrüttet
Die Arbeiter- und Soldatenräte waren vollständig entmachtet
Industrie dem Zusammenbruch nahe
Im ganzen Land Hungersnöte – Plünderungen im ganzen Land
Deutsche Revolution gescheitert
Gesamte internationale revolutionäre Welle auf dem Rückfluss
Isolation Russlands wird immer deutlicher
Der Kronstädter Aufstand war eine solidarische Antwort auf die Arbeiterstreiks in Petrograd und Moskau angesichts der bitteren Not und des Hungers nach Ende des Bürgerkriegs
2. Wichtige Fragen zu Kronstadt
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Von welcher politischen Natur war der Aufstand? Eine Revolution? Konterrevolutionär?
Verhältnis Partei – Arbeiterklasse.
Wie ist das militärische Vorgehen der Bolschewiki und ihre Rechtfertigung gegen die Kronstädter Matrosen zu beurteilen?
Ist jedes Mittel zur Erreichung des Ziels Recht?
Wie kann man nun den Kronstädter Aufstand richtig begreifen und so die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen?
Welche Forderungen und Lösungsvorschläge stellte der Kronstädter Sowjet auf?
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Neuwahl der Sowjets in geheimer Abstimmung
Rede- und Pressefreiheit für alle revolutionären Parteien u. Gruppen
Gewerkschaftsfreiheit
Freilassung revolutionärer politischer Gefangener
Abschaffung der offiziellen Propaganda
Einstellung der Requisition auf dem Lande
Freiheit des Handwerks
Zitat aus der Kronstädter Prawda:
"Lasst die Arbeiter der gesamten Welt wissen, dass wir, die Verteidiger der Sowjetmacht, die Errungenschaften der sozialen Revolution schützen. Wir werden gewinnen oder auf den Ruinen von Kronstadt zugrunde gehen, indem wir für die eigentliche Sache der proletarischen Massen kämpfen."
3. Die Bolschewiki: Einschätzung und Politik zu Kronstadt (Lenin und Trotzki)
Lenin war überzeugt, dass
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Weiße Generäle dabei, durch das kap. Ausland unterstützt
Aufstand wurde bereits zwei Wochen vorher in Pariser Presse angekündigt und begrüßt
Schon diese "kleine Machtverschiebung" sei ein Sprungbrett für
die Konterrevolution gewesen
Es gäbe eben nur zwei Alternativen: die proletarische Diktatur oder den Kapitalismus,
deshalb konnte Kronstadt für ihn letztlich nur zum Kapitalismus führen, egal welche Ziele dort
verfolgt würden
"Die Ausnutzung jeder Art der Abweichung von der streng konsequenten kommunistischen
Linie durch die Feinde des Proletariats hat sich mit größter Anschaulichkeit an dem Beispiel
der Kronstädter Meuterei gezeigt, als die bürgerliche Konterrevolution und die Weißgardisten
ihre Bereitschaft bekundeten, sogar die Losungen einer Sowjetordnung aufzugreifen, um nur ja
die Diktatur des Proletariats in Russland zu Fall zu bringen."(Lenin: über die Einheit
der Partei. 1921)
Trotzkis Einschätzung:
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Sein Hauptargument: Die revolutionären Matrosen von 1917 waren schon anderweitig
eingesetzt worden. Die neuen Matrosen: "zufällige Elemente", mehrheitlich dem rev.
Kampf gleichgültig
"anti-proletarischer Charakter des Aufstands" Kleinbürgerlich
"Der Sieg dieses Aufstandes konnte nichts anderes mit sich bringen, als den Sieg der
Konterrevolution, vollkommen unabhängig von den Ideen, die die Matrosen in ihren Köpfen
hatten. Aber sogar die Ideen selbst waren zutiefst reaktionär."(Trotzki: Die Fragen von
Wendelin Thomas. 1937.)
4. Einschätzungen zu Kronstadt durch verschiedene politischer Gruppierungen
Anarchisten
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Kronstadt beweise die autoritäre, konterrevolutionäre Natur des Marxismus und dessen
Parteien
Kronstadt sei der erste Schritt zur 3., zur Sozialen Revolution gewesen,
weil "ohne politische Führer".
"Dabei ist es unwichtig, dass die Aufständischen – unter den spezifischen
Bedingungen – noch von einer Macht (der Sowjets) sprachen, anstatt den Begriff und
die Vorstellung einer Macht für immer zu verbannen."(Violine: Die unbekannte Revolution)
Kronstadt sei nicht nur eine Revolte, sondern ein Zukunftsmodell
im Gegensatz zur Oktoberrevolution 1917.
Eine wirklich soziale Revolution müsse sich um wirtschaftliche und soziale Aufgaben
kümmern, nicht um politische.
Rätekommunisten: Soziale Befreiung
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Kronstadt sei der Grundstein der 3. Revolution, "die nach der Februar- und
Oktoberrevolution nun endlich den Sozialismus verwirklichen wollte."
Zwischen Kommunismus und Leninismus bestehe eine unüberwindbare Trennungslinie,
denn die Bolschewiki seien "Lügner" und machten "miese Machtspiele"
Kronstadt sei für die Aufhebung der Parteidiktatur und daher wahre "Rätedemokratie
und Kommunismus"
Bordigisten
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Rechtfertigung Lenins & Trotzkis für die Unterdrückung Kronstadts
Mit den Worten Trotzkis: "eine tragische Notwendigkeit"
Es gäbe keine festen Prinzipien: Im Notfall dürfe der proletarische Staat
für die Erhaltung der proletarische Revolution auch auf Arbeiter schießen
Faktisch heißt das: Vor der Revolution: "Alle Macht den Räten",
danach: "Alle Macht der Partei"
Linkskommunisten: Internationale Kommunistische Strömung
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Russland in schwieriger Lage, Spartakusaufstand scheiterte, Weltwirtschaft stabilisierte
sich
Kronstadt: "katastrophaler Irrtum". Eine völlig neue Erfahrung: "Es war ein Aufstand,
von der Arbeiterklasse, (..) die die Avantgarde der Oktoberrevolution gewesen war und
nun Klassenforderungen aufstellte, um etliche inakzeptable Deformationen und Verirrungen
der neuen Machthaber zu korrigieren."
Bolschewiki konnten damals nicht die nachträgliche Einsicht in Ereignisse haben. Viele
Probleme entstanden erstmals.
Damals wähnte man, die Hauptgefahr der Revolution komme von außerhalb des neuen
Staatsapparates
Es wäre besser gewesen, Kronstadt zu verlieren.
Kronstädter Sowjet: keine kohärente, alternative Perspektive, nur im lokalen Kontext
gebunden. Aber die Kronstädter Arbeiter sahen sich als Kontinuität der Oktoberrevolution.
Hauptproblem: "Die bolschewistische Partei hat, indem sie staatliche Gewalt gegen
die Arbeiterklasse anwendete, sich selbst an die Spitze der Konterrevolution gesetzt."(IKS: Internationale Revue, 28)
Lehre aus Kronstadt sei : Arbeiterräte = Organe der prol. Diktatur.
Partei sei Avantgarde, dürfe aber nicht die Macht des restlichen Proletariats ersetzen
Literaturvorschläge:
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IKS: Russland 1921: Kronstadt verstehen. In: Internationale Revue, 28.
Kronstadt. Texte von I. Lenin, L. Trotzki und V. Serge.
Soziale Befreiung: Leo Trotzki und der sowjetische Staatskapitalismus.
Eine rätekommunistische Kritik am Trotzkismus. Nr. 2.
Themen während der anschließenden Diskussion:
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Kronstadt: Schwierigkeit der Einschätzung. Gibt es einen eindeutigen Schuldigen
(Konterrevolutionär) und ein Opfer (Revolutionär)? Oder liegt die Tragik Kronstadts darin,
dass der Konflikt zwischen zwei Teilen der Arbeiterklasse stattfand (d.h., beide waren
revolutionär), nämlich der Bolschewiki and den Kronstädter Arbeitern und Matrosen?
Kronstadt auch eine ethische Frage: Keine Gewalt innerhalb der Arbeiterklasse.
Darf das Proletariat die restlichen nichtausgebeuteten Klassen zum Kommunismus zwingen?
Notfalls auch mit Gewalt?
Degeneration der Russischen Revolution und die Gründe: Isolation der Revolution,
Identifizierung der Bolschewiki mit dem Staat, auch politische Gruppen wie die KAPD dafür
(auch Herman Gorter)
Verhältnis des Proletariats zur Bauernschaft
Proletarische Diktatur oder Demokratie?
Welchen Platz und Kompetenzen hat die proletarische Partei in der Arbeiterklasse?