Refarat zum Treffen im Juni 2005
Die Entstehung des Kapitalismus
Einleitung:
Vor Verlesen des Referats hielt ein Teilnehmer eine kurze Einleitung,
um an die letzte Diskussion anzuknüpfen.Als wichtigstes Ziel des Diskussion wurde genannt:
Was ist das Eigentümliche an der kapitalistischen Produktionsweise?
Als Ergebnis der letzten Diskussion wurde festgehalten, dass jede Form der Ausbeutung als Basis die Mehrarbeit hat. Die erste Eigentümlichkeit des Kapitalismus im Vergleich zu allen vorherigen Produktionsweisen aber ist, dass ihr Hauptziel die Akkumulation, also die Neuinvestition des Profits ist, um konkurrenzfähig zu sein. Die zweite Eigentümlichkeit des Kapitalismus ist, dass die Krise erstmals in der Geschichte eine Überproduktionskrise ist. Denn das Grundproblem, dass die Produktion theoretisch unendlich gesteigert werden kann, der Markt aber begrenzt ist, kann der Kapitalismus nicht lösen.
Von diesem Stand der Diskussion ergibt sich für die heutige Diskussion die zentrale Frage: Wieso konnte der Kapitalismus 200 Jahre lang überleben und die Krise im 19. Jahrhundert immer wieder überwunden werden?
Um der Antwort auf diese Frage näher kommen zu können, hat eine Teilnehmerin das unten stehende Referat mit der Intention vorbereitet, aufzuzeigen, dass der Kapitalismus von Beginn an ein Weltsystem war und dass der Aspekt der Gewalt im Kapitalismus nicht nur von Anfang an da war, sondern ein permanenter Faktor des kapitalistischen System ist.
Die Entstehung des Kapitalismus
Am Ende des 15. und am Anfang des 16. Jahrhunderts landen die Europäer mit ihren Schiffen auf den Karibikinseln, in Nord-, Mittel- und Südamerika, umfahren das Kap der guten Hoffnung, und erreichen erstmals auf dem Wasserweg auch Indien. In dieser Zeit beginnt in Europa eine tiefgreifende Veränderung, weil die Grundlagen einer neuen, kapitalistischen Produktionsweise entstehen. Dies führte später zu der Industrialisierung Europas und Nordamerikas. Es vollzieht sich erstmals ursprüngliche Akkumulation, die Enteignung der Handwerker und der Bauern, was die Voraussetzung ist für die Verwandlung von Geld in Kapital.
Die Ausbeutung „nach Innen“ also die Ausbeutung der „eigenen“ Bevölkerung in Europa, ist nur einer der beiden Säulen der ursprünglichen Akkumulation. Die „Entdeckungen“ ermöglichten Ausbeutung in großem Umfang im Übersee zu verbreitern.
Was oft übersehen wird ist, dass auch ein Weltmarkt für Arbeitsmarkt zu diesem frühen Zeitpunkt bereits entsteht. Zunächst wird Spanien zum wichtigsten Kolonialimperium Europas. ‚Spanisch Amerika’ wird zu einer Zeit erobert und durchdrungen als der Feudalismus in Spanien noch in voller Blüte steht. Daraus wird oft fälschlicherweise geschlussfolgert, dass das spanische Kolonialreich mit dem Entstehen des Weltkapitalismus nichts zu tun hatte. Aber auch die Grundlagen für die Entstehung des Kapitalismus werden hier gelegt. Die Reichtümer Amerikas sind zwar in Spanien zunächst angekommen, wo die Feudalherren nur an der Vergrößerung des eigenen Konsums interessiert sind, doch ganz Westeuropa wurde von diesen Schwämmen amerikanischer Edelmetalle erreicht, z.B. die Handelshäuser Fugger und Welser in Augsburg. Und der spanische Adel bestellte Waren in Nordeuropa, und bezahlte der dort entstehenden Kapitalistenklasse in Flandern, Holland, später auch England mit Gold und Silber aus den Kolonien.
1492, mit der Ankunft von Kolumbus in der Karibik, begann ein jahrzehntelanger Plünderungs- und Mordzug in ungeheuerem Ausmaße. Die Eroberer waren überrascht davon, auf welch hoher Stufe der Kultur diese Völker standen und wie fruchtbar und dicht besiedelt diese Landstriche waren. „...es wimmelte von lebendigen Geschöpfen wie in einem Bienenstock. Es schien nicht anders, als habe Gott die ganze Masse, oder doch wenigstens den größten Teil des Menschengeschlechts, in diesen Erdstrich verpflanzt.“[i], schrieb der bekannte spanische Kritiker des spanischen Volkermordes an den Eingeborenen, Las Casas. In wenigen Jahrzehnten eroberten die Spanier schrittweise große Teile des amerikanischen Festlandes, von Florida und Kalifornien im Norden bis zu der Magalhaesstrasse fast ganz im Süden. Sie zerstörten dabei die Reiche der Maya, Azteken und Inka. Sie gingen dabei mit System vor. Sie richteten systematisch Blutbäder an, um ganze Gesellschaften einzuschüchtern, „...damit sie beim Hören des Namen „Christen“ zitterten wie vor wahrhaftigen Teufeln...“, wie es hieß. So schrieb Las Casas. „Hierdurch brachten sie es dahin, dass gegenwärtig von mehr als 3 Millionen Menschen, die ich ehedem auf der Insel Hispaniola mit eigenen Augen sah, nur noch zweihundert Eingeborene vorhanden sind.....(und), dass in obgedachten vierzig Jahren durch das erwähnte tyrannische und teuflische Verfahren der Christen mehr als 12 Millionen Männer, Weiber und Kinder auf die ruchloseste und grausamste Art zur Schlachtbank geführt wurden.“[ii] Sie setzten damit die Maßstäbe für zahlreiche spätere Kolonisierungen in Amerika, Afrika, Asien und Australien.
Nachdem diese Raubzüge zu versiegen drohen, weil es nichts mehr zum Ausrauben gegeben hätte, werden die Eingeborenen in ein System der Zwangsarbeit gedrängt. Dies leitete sich aus dem spanischen Feudalsystem ab. Nicht nur, dass die Leibeigenen „den Zehnten“ zu leisten haben, sondern bis zu ¾ der Zeit für ihre Herren arbeiten müssen. Was fast gleichbedeutend damit ist, dass sie zu Tode gearbeitet werden, da sie bei der damaligen Produktivität der Arbeit unmöglich während drei Monaten im Jahr sich selbst ernähern können. Dieses System auf dem Lande nannte sich Encomienda. Im Bergbau, der damals entscheidend wichtig ist, herrscht ein anderes System vor, die sogenannte Mita. Die Förderung von Gold und Silber bildet nämlich das Rückgrad des damaligen spanischen Reiches. Nach der Entdeckung der Silbervorkommen von Potosi durch die Spanier beginnt 1545 der Abbau. 1573 zählt Potosi 120.000 Einwohner, und ist nach London die größte Stadt der Welt. 1650 ist die Bevölkerung auf 160.00 angestiegen. Diese Entwicklung hängt ausschließlich vom Silberbergbau ab. Als die Vorkommen erschöpft sind, verschwindet auch die Stadt: 1825 leben dort nur noch 8.000 Einwohner. Zwischen 1549 und 1555 werden jährlich 250 Tonnen Silber, d.h. 68% der damaligen Weltproduktion, in Potosi gewonnen. Zwischen 1503 und 1660 werden 16.000 Millionen Kilogramm Silber im Hafen von San Lúcar de Barrameda ausgeladen – das dreifache der gesamten Reserven Europas. Die Arbeitskräfte sind Indianer. Sie werden an die Bergwerksunternehmer verkauft oder sie werden als Eigenkapital für die Beteiligung an einer Minengesellschaft dorthin gebracht. Die Mita greift auf eine alte Form der dörflichen Gemeinschaftsarbeit aus der Inkazeit zurück. 1574 führen die Spanier die sog. Mita ein. Da die Bergleute nicht ununterbrochen schuften können in 4000 Meter Höhe, und da außerdem giftiges Quecksilber eingesetzt wird, um das Silber zu gewinnen, wird bestimmt, dass jeder Mita-Indianer nach einer Woche Minenarbeit 2 Wochen aussetzen muss. Um dies auszugleichen, werden die umliegenden Provinzen verpflichtet, jeweils ein Siebtel der Männer zwischen 18 und 50 für ein Jahr zur Verfügung zu stellen. Die ganze vorhandene Gesellschaft drum herum wird somit für den Bergbau geopfert. Die Mita kommt einer Maschine zur Zermalmung von Indianern gleich. Die Anwendung des Quecksilbers zur Silbergewinnung mittels Amalgamierung hat eine noch giftigere Wirkung als die unterirdischen Gase. Diese verursachen Haar- und Zahnausfall und rufen unwiderstehliches Zittern hervor. Infolge des Rauches der Schmelzöfen gedeiht in einem Umkreis von 6 Meilen um Potosi kein Gras und kein Saat. Um unter diesen Bedingungen auch nur kurze Zeit zu überleben, konsumieren die Arbeiter ungeheure Mengen Koka. Über spanische Händler gelangen jährlich 100.000 Körbe mit 1 Million Kilo Kokablätter nach Potosi. Die Bergleute geben ihren minimalen Lohn für Koka und Branntwein statt für Nahrung aus, um die tödliche Fronarbeit aushalten zu können. Man sieht also, dass Umweltzerstörung als auch Drogensucht den Kapitalismus von Anfang an begleiten. Die Menschen von Potosi erleben die Rückkehr, die nach einem Jahr in den Minen vorgesehen ist, nur in seltenen Fällen; lediglich ein knappes Fünftel überleben überhaupt das erste Jahr im Bergwerk. 1660, als die Mita noch keine 100 Jahre besteht, haben die Provinzen auf den Altiplano 80% ihre Tributzahler verloren. Nicht ein Siebtel der arbeitspflichtigen Männer, sondern bis zu einem Drittel befinden sich zwangsweise in der Stadt. Die Mita kostet schätzungsweise 8 Millionen Menschenleben.
Die Frauen auf dem Hochland nehmen ebenso ihre Last auf dem Rücken wie die Männer, und tragen ihre Tribute dorthin, wo die Herren es befehlen. Da kann es geschehen, dass Frauen, die mit einer Last unterwegs sind, auf freiem Felde nieder kommen. Sie gehen dann etwas abseits der Strasse. Nach der Geburt nehmen sie das Neugeborene, legen es oben auf die Last und setzten ihre Wanderung fort. Sie müssen auch zehn Monate im Jahr elf bis vierzehn Stunden am Tag arbeiten. Alle Formen der Zwangsarbeit schließen auch Frauen und Kinder ein. Dazu gehört auch die sexuelle Ausbeutung. Durch Zwangsehen haben die Konquistadoren auch Land und Arbeitskräfte an sich ziehen können. Diese Strategie wird durch Kirche und Krone empfohlen.
Das Kolonialreich ‚Spanisch-Amerika’ beruht nicht ausschließlich auf der Ausbeutung und Vernichtung indianischer Arbeitskräfte. Schon bald nach dem Beginn der Eroberung der Neuen Welt werden die ersten Schwarzen von ihren Herren als Haussklaven nach ‚Spanisch-Amerika’ gebracht. Stimmen wie Las Casas, welche die Vernichtung der Eingeborenen kritisieren, befürworten hingegen den „Import“ afrikanischer Sklaven, da sie als robuster gelten. Parallel zum Rückgang der Indianerbevölkerung wächst der transatlantische Sklavenhandel. Bereits im Jahr 1570 gibt es schätzungsweise 40.000 afrikanische Sklavinnen und Sklaven dort. 80 Jahre später, 1650, etwa 857.000 und am Ende der Kolonialzeit über 2 Millionen. Zunächst wird ihr Einsatz aber dadurch eingeschränkt, dass es billiger ist, die einheimischen Arbeitskräfte sich einfach zu Tode arbeiten zu lassen, als Sklaven aus der Ferne zu holen. Außerdem erweisen sich die schwarzen Sklaven als rebellischer. Somit wird diese Form der Ausbeutung erst allgemeiner als die einheimische Bevölkerung beinahe ausgelöscht ist. Es wird geschätzt, dass ein Bevölkerungsrückgang von 25:1 eintrat, d.h. nur jeder 25te überlebte. Andere schätzen dies auf 7:1. Dies ist nicht allein auf Seuchen zurückzuführen, wie manche Autoren behaupten, sondern auf Massaker, auf den Zwang sich zu Tode arbeiten zu müssen, kollektive Selbstmorde der verzweifelten Bevölkerung, Gebärenstreiks und Aushungerungen. Im Gegensatz zu den Indios werden die afrikanischen Sklaven hauptsächlich auf Plantagen und nicht mehr im Bergbau eingesetzt. Bis dahin haben die Spanier in der Landwirtschaft Amerikas hauptsächlich für den Eigenbedarf produziert. Jetzt aber setzt sich die allgemeine Weltmarktproduktion durch. Dabei bilden die schwarzen Sklaven den wichtigsten Teil der Arbeitskraft.
„Ich weiß nicht, ob Kaffe und Zucker zum Glück Europas nötig sind, aber ich weiß, daß diese beiden Lebensmittel zwei Erdteile ins Unglück gestützt haben. Man hat Amerika menschenleer gemacht, um Land zu haben, wo man sie pflanzen kann. Man hat Afrika entvölkert, um ein Volk zu haben, das dafür arbeitet, die beiden zu besorgen.“[iii], schrieb 1773 J.H. Bernardin de Saint Pierre. Ab dem 17. Jahrhundert bildet die Versklavung von Afrikanerinnen und Afrikanern das wichtigste System mit dem die europäischen Gesellschaften in ihren Kolonien ‚äußere Arbeitskraft’ aneignen. An Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellt der transatlantische Sklavenhandel insgesamt die wahrscheinlich größte Zwangsimmigration der Weltgeschichte dar. Die Zentren der Anwendung der afrikanischen Arbeitskräfte sind die Karibik, Brasilien und die Südstaaten der USA. Seit Ende des 17. Jahrhunderts ist die typische Situation, dass auf den einzelnen Karibikinseln eine kleine Zahl Weißer wohnt, die eine um ein vielfaches größere Gruppe Sklaven kontrollieren, z.B. in Antigua, wo 1834 2.000 weiße Einwohner 29.000 Sklaven gegenüberstanden.
Auch die späteren Gründerstaaten der USA sind bekanntlich zunächst britische Kolonien. 1860 sind im Süden der USA 34% der Gesamtbevölkerung Sklavinnen, bzw. 94% aller dort lebenden Sklaven. Es handelt sich um 3.8 Millionen Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von elf Millionen. Die Sklaverei als zentrales System zur Beschaffung von Arbeitskräften setzte zunächst zwar in Brasilien ein, wird dort entwickelt und erprobt, ihre größte Dynamik und ihren größten Umfang erreicht sie aber erst wesentlich später in der Karibik und insbesondere in den USA. Ihren Höhepunkt erlebte die kapitalistische Form der Sklavenwirtschaft nicht etwa in einer Kolonie, sondern in einem neuen Land, das sich als Vorkämpfer der bürgerlichen Freiheiten verstand, in den USA zwischen 1830 und 1862.
Portugiesische Seefahrer beginnen in der erste Hälfte des 15. Jahrhunderts mit der Versklavung von Afrikanern. Sie fahren auf der Suche des Seewegs nach Indien die afrikanische Küste entlang, errichten dort Stützpunkte und betreiben Handel mit den Afrikanern, die Gold und Elfenbein liefern. Nach und nach werden die Afrikaner selbst zur begehrtesten Ware für die Portugiesen, die sie zunächst nach Europa bringen, wo sie als Haussklaven, aber auch für verschiedene Handwerksberufe verkauft werden. Nach der Entdeckung Amerikas gibt es ein völlig neues Absatzgebiet, dessen Nachfrage ständig wächst. Je größer die Nachfrage nach Arbeitskräften, desto profitabeler der transatlantischen Handel und desto größer die Konkurrenz der europäischen Staaten darum. So hat Portugal schon Mitte des 16. Jahrhunderts sein Monopol verloren. Holländer, Franzosen, Engländer und Andere sind jetzt beteiligt. Die Rangliste: England: 41, 3 %, ; Portugal 29,3 %; Frankreich 19,2 %; Holland 5,7 %; British North Amerika/USA mit 3,2%; Dänemark 1,2 %; Schweden und Brandenburg mit 0,1 %. Die europäischen Hafenstädte profitieren von den komplexen Handel, der sich zum Transport von Sklaven nach Amerika entwickelt. Dieser Dreiecks- und Ringhandel besteht darin, dass europäische Schiffe mit billigen, oft wertlosen Tauschwaren nach Afrika fahren, dort Sklaven aufnehmen, diese nach Amerika bringen, dort verkaufen, mit den Erlös wiederum Produkte der Sklavenarbeit wie Zucker, Rum, Indigo, Reis, Kaffee und Baumwolle einhandeln, und diese schließlich mit großem Gewinn in Europa absetzen. Der Dreieckshandel dauert bis zur Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels fort. Er wird von England dominiert: Liverpool, London und Bristol sind seine wichtigsten Häfen.
Die Versklavung und Verschleppung von Afrikanern durch Europäer erstreckt sich insgesamt über einen Zeitraum von mehr als 400 Jahren, von 1445 bis 1870. Die Hauptphase läßt sich auf die Zeit zwischen 1700 und 1850 eingrenzen, in der zunächst die Zuckerinseln der Karibik und dann die Baumwollplantagen im Süden der USA ihre Blütezeit erleben. 52 % der gesamten Sklaventransporte aus Afrika erfolgte im 18 Jahrhundert.
Schätzungen für die Zahl der in Amerika eingetroffenen Sklaven reichen von 10 bis 20 Millionen Menschen. Die Zahl der insgesamt betroffenen Afrikaner, also einschließlich aller, die bei Sklavenraubzügen oder während des Transportes umkommen, wird auf 40 bis 200 Millionen veranschlagt. Was für eine unvorstellbare und achtlose Vergeudung von Menschenleben! Es gab zwei konkurrierende Auffassungen darüber, wie man die Sklaven transportieren sollte: die ‚tight packers’ und die ‚loose packers’. Letztere gehen davon aus, dass den Sklaven auf den Schiffen etwas Raum bleiben soll, dass sie etwa bessere Nahrung und ein wenig mehr Bewegung haben sollen, da so eine größere Zahl die Reise überlebt und der Profit damit höher sei. Die ‚tight packers’ legen zugrunde, dass zwar mehr Sklaven während der etwa zweimonatigen Reise sterben, wenn sie auf engst möglichem Raum zusammengepresst werden, aber durch die größere Ladung bleibe der Profit letztlich höher.
Vor allem nach 1750 haben die ‚tight packers’ die Oberhand. Als der Zoll für die Sklaveneinfuhr nach Brasilien so hoch wird, dass er den Verkaufspreis von „minderwertigen“ Sklaven übersteigt, werden diese einfach ins Meer geworfen. Für den holländischen Sklavenhandel ist davon auszugehen, dass etwa ein Drittel der Sklaven während der Überfahrt starben.
Die Sklavenwirtschaft in der Karibik erlebt ihren Höhepunkt am Ende des 18. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit sind die Zuckerinseln zum Beispiel für Frankreich so wichtig, dass es zwar bereit ist, Kanada am England abzutreten, nicht aber seine Karibikinseln. Die britischen Einnahmen aus dem Handel mit den Westindischen Inseln sollen in dieser Zeit viermal so hoch gewesen wie die Einnahmen aus dem Handel mit der gesamten übrigen Welt. Diese Plantagenwirtschaft ist untrennbar mit der Versklavung von Afrikaner verknüpft. Sie ist das Arbeitssystem mit dem, unter fabrikähnlichen Bedingungen landwirtschaftlichen Großproduktion für den Export betrieben wird, und nicht für den Selbstbedarf.
Sobald der transatlantische Handel verboten wurde, wurde in der Karibik statt dessen versucht, die Sklaven sozusagen zu züchten. Bis dahin hatte man aus wirtschaftlichen Gründen kein Interesse daran, weil dies der Arbeitseinsatz der weiblichen Sklaven nur einschränken konnte. Man ging dazu über, die Einfuhr von Sklaven mit Steuern zu belegen, mit Ausnahme von weiblichen Sklaven zwischen 8 und 20 Jahren. Letzteres wurde prämiert. Kinderverwahranstalten wurden auf den Plantagen errichtet. Es wurde empfohlen, bei der Heirat einer junger Sklavin ein bequemes Haus auf Kosten des Sklavenbesitzers zu errichten, und dem Ehepaar außerdem Vieh im Wert von 16 bis 20 Dollar zu schenken. Auch Hebammen sollten prämiert werden. Müttern von mehr als sechs Kindern sollten von der Feldarbeit befreit werden. Auch die Abtreibungen wurden nicht mehr gefördert, sondern verboten. Die Frauen weigerten sich, Kinder zu gebären (Gebärenstreik). Wie ein ratloser Plantagenbesitzer Anfang des 19. Jahrhunderts feststellte: „Heute morgen hat (weder durch Verschulden noch durch Unfall) eine junge, kräftige, gesunde Frau im achten Monat eine Fehlgeburt gehabt, und dies ist das dritte Mal, daß ihr ein ähnliches Unglück widerfahren ist. Andere Anzeichen von Schwangerschaften hat es im Laufe dieses Jahres nicht gegeben, auch sind nicht mehr als acht von 150 Frauen auf der Zuchtliste. Obwohl sie alle gut gekleidet und gut ernährt und zu keiner Zeit überarbeitet sind, und sobald sie auf der Zuchtliste, von jeder Art von Arbeit freigestellt werden. Dennoch auch, daß sie mit aller möglichen Sorgfalt und Nachgiebigkeit behandelt und für das Austragen von Kinder belohnt werden, deshalb auch bestrebt sind, welche zu haben, ich weiß nicht, warum sie so schlecht damit zu recht kommen, aus welchen Gründen auch immer. Sicher ist, die Kinder kommen nicht.“[iv]
Im 18. Jahrhundert hat sich in den Südstaaten der USA mit den Anbau von Tabak, Indigo, Reis und Zucker eine Plantagenökonomie entwickelt, deren wichtigstes Produkt aber 1790 die Baumwolle ist. Sie wird zum bedeutsamsten Ausfuhrprodukt der USA überhaupt: Schon 1810 ist die Baumwolle das wichtigste Exportgut, das fortab für die Hälfte und mehr aller amerikanischen Exporte gut stehen sollte. Mit dem Übergang zum Baumwollanbau erhielt die Sklaverei in den USA letztlich sogar eine sicherere wirtschaftliche Grundlage als je zuvor. Die Baumwolle, die in den USA durch schwarze Arbeitskräfte gewonnen wird, ist der Grundstoff für die expandierende englische Textilproduktion, den wichtigsten Zweig der sich entwickelnde Industrie Englands. Die schwarzen Arbeitskräfte stellen nicht nur das bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts wichtigste Produkt der USA her, sie sind auch entscheidend an der weiteren Erschließung des Landes beteiligt, insbesondere der Kultivierung des Bodens, die häufig für die Ausweitung des Baumwollanbaus vorgenommen wird. Sie tragen so zum Aufstieg der USA zur Weltmacht bei, gelten aber auch hier nicht als Personen, sondern als Hab und Gut ihrer Eigentümer. Einen juristischen Unterschied zwischen Vieh und Sklaven kennt man nur dann, wenn Sklaven für Vergehen oder Verbrechen haftbar gemacht werden sollen.
Um zu erklären, weshalb in den USA, im Gegensatz zu den Karibikinseln, die eigene „Züchtung“ von Sklaven erfolgreicher betrieben wurde, so dass manche Südstaaten der USA dazu übergingen, selbst Sklaven auszuführen, muss man wissen, dass bei dem Baumwollanbau auch die Arbeitskraft von Kindern nützlich ist. Die schwarzen Eltern hatten keinerlei Recht auf ihre Kindern. Durch die voraussichtliche Gebärfähigkeit stieg der Wert weibliche Sklavinnen. Die Sklaverei wurde erst dann in den USA abgeschafft, als die aufkommende Industrie des Nordens die schwarzen Arbeitskräfte als Lohnarbeiter benötigte – was zum berühmten amerikanischen Bürgerkrieg führte.
Rosa Luxemburg schreibt in ihrer „Akkumulation des Kapitals“: „Die englische Baumwollindustrie als erster echt kapitalistischer Produktionszweig wäre unmöglich nicht bloß ohne die Baumwolle der Südstaaten der nordamerikanischen Union, sondern auch ohne die Millionen Afrikaneger, die nach Amerika verpflanzt wurden, um die Arbeitskräfte für die Plantagen zu liefern, und nach dem Sezessionskriege als neues Proletariat der kapitalistischen Lohnarbeiterklasse zugewachsen sind.“[v]
An andere Stelle merkt sie dazu an: „Ferner aber ist es gar nicht einzusehen, weshalb alle erforderlichen Produktionsmittel und Konsummittel nur kapitalistisch hergestellt werden müssten(...). In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam der Mehrwert in England zu einem großen Teil in Gestalt von Baumwollstoffen aus dem Produktionsprozeß hervor. Die sachlichen Elemente seiner Kapitalisierung aber stellten ihrerseits als Rohbaumwolle aus den Sklavenstaaten der amerikanischen Union oder als Getreide (Lebensmittel für die englischen Arbeiter) aus den Gefilden des leibeigenen Rußlands zwar sicher Mehrprodukt, aber durchaus nicht kapitalistischen Mehrwert dar. Wie sehr die kapitalistische Akkumulation von diesen nichtkapitalistisch produzierten Produktionsmitteln abhängig ist, beweist die Baumwollkrisis in England infolge der Unterbrechung der Plantagenkultur durch den amerikanischen Sezessionskrieg. Oder die Krisis in der europäischen Leinwandweberei infolge der Unterbrechung der Zufuhr von Flachs aus den leibeigenen Rußland durch den Orientkrieg. Man braucht sich also nur an die Rolle zu erinnern, welche die Zufuhr des bäuerlichen, also nicht kapitalistischen produzierten Getreides für die Ernährung der Masse der Industriearbeiter in Europa (d.h. als Element des variablen Kapitals) spielt, um einzusehen, wie sehr die Kapitalakkumulation in ihren sachlichen Elementen tatsächlich an nichtkapitalistischen Kreise gebunden ist.“[vi]
Das Wissen um diese weltweite Geschichte des Kapitalismus, von seiner Geburtsstunde an, soll als Mahnung an die revolutionäre Verantwortung der Arbeiterklasse der Industriestaaten dienen. Wie Rosa Luxemburg in der Juniusbroschüre schreibt: „Nur aus Europa, nur aus den ältesten kapitalistischen Länder, kann, wenn die Stunde reif ist, das Signal zur menschenbefreienden sozialen Revolution ausgehen. Nur die englischen, französischen, belgischen, deutschen, russischen, italienischen Arbeiter gemeinsam können die Armee der Ausgebeuteten und geknechteten der fünf Weltteile voranführen. Nur sie können, wenn die Zeit kommt, für die jahrhundertealten Verbrechen des Kapitalismus an allen primitiven Völkern, für sein Vernichtungswerk auf den Erdenrund, Rechenschaft fordern und Vergeltung üben.“[vii]
Fußnote
[i] Lydia Pott. Weltmarkt für Arbeitskraft.
[ii] Ebenda.
[iii] Ebenda.
[iv] Ebenda.
[v] Rosa Luxemburg. Akkumulation des Kapitals.
[vi] Ebenda.
[vii] Ebenda.