Referat zum Thema:
Wie gestaltet sich das Geschlechterverhältnis im Kapitalismus
und wie wird es sich im Kommunismus verändern?
In der vorangegangenen Veranstaltung des Zirkels zum Thema des Übergangs vom Mutterrecht zum Vaterrecht haben wir festgestellt und hervorgehoben, dass grundlegende Veränderungen der Verhältnisse in der gesellschaftlichen Entwicklung, nämlich die Einführung des Privateigentums, die Arbeitsteilung und die Bildung von Klassen als wesentliche Ursachen für die Entstehung des Patriarchats und damit der Unterdrückung der Frau anzunehmen sind. Mit der Einführung der Warenproduktion wurden die Klassen (Menschen) zu Konkurrenten. In ihrer vollendeten Form hat sie bis in die heutige geschichtliche Phase des niedergehenden Kapitalismus ihre Funktion behalten.
Die Analyse der Entwicklung zeigt uns, dass gerade die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse kein biologisches sondern ein historisches Produkt der Spezies Mensch ist. Der Mensch ist unter allen Lebewesen das höchst entwickelte und unterscheidet sich von allen anderen vor allem durch sein weit entwickeltes Gehirn, die Sprache, das Denkvermögen, die Fähigkeit zur bewussten Arbeit - durch sein Bewusstsein schlechthin. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das die Natur bewusst verändert und zur Befriedigung seiner Bedürfnisse materielle und geistige Güter produziert.
Die Evolution hat die Menschen mit verschiedenen Naturtrieben ausgestattet. Neben dem Nahrungstrieb ist der Geschlechts- bzw. Sexualtrieb am stärksten ausgeprägt mit der Aufgabe und dem Ziel ihre Gattung fortzupflanzen und zu erhalten, wobei beide Geschlechter gleichwertig am Reproduktionsprozeß beteiligt sind. (Schopenhauer: "Der Geschlechtstrieb ist die vollkommenste äußerung des Willens zum Leben, mithin Konzentration des Wollens.") Das Verhältnis des Mannes zur Frau ist also das natürlichste Verhältnis des Menschen zum Menschen. Beide Geschlechter bilden eine Einheit. (Kant: "Mann und Frau bilden erst zusammen den vollen und ganzen Menschen, ein Geschlecht ergänzt das andere.") Der Geschlechtstrieb ist aus der Entwicklung heraus jedem Menschen tief eingepflanzt, seine Befriedigung ist eine wesentliche Bedingung für eine gesunde physische und geistige menschliche Entwicklung.
Die menschliche Gesellschaft hat in Jahrhunderten durch die Entstehung der Klassen Inhalt und Bedeutung dieser naturgeschichtlichen Voraussetzungen für das Fortbestehen des menschlichen Lebens zurückgedrängt. Sie hat die Einheit der Geschlechter gespalten, hat sie zu Konkurrenten gemacht, wobei in den jeweiligen Epochen jedem Geschlecht seine individuelle Rolle zugeschrieben wurde. Die Bedürfnisse des einzelnen Individuums wurden hier immer mehr vernachlässigt zugunsten des Vorteils für das jeweils herrschende gesellschaftliche System. Die Rolle der Geschlechter in der Gesellschaft und ihre Rechte waren und sind in allen Epochen der gesellschaftlichen Entwicklung abhängig von deren Stellung in der Produktion. Die Entwicklung der Frauenunterdrückung liegt in der Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsbeziehungen, die Minderwertigkeit der Frau und ihre Unterordnung unter die Männer als "Teil der natürlichen Ordnung" sind ein Produkt der herrschenden Ideologie, gestützt durch ausgeklügelte Systeme von Glaubensvorstellungen, Religionen, Gesetze, herrschende Moralvorstellungen usw.
I. Wie sieht nun in der kapitalistischen Gesellschaft das ungleiche Verhältnis zwischen Mann und Frau aus?
Der Kapitalismus als revolutionärste Form der bisherigen Klassengesellschaften legt seiner Entwicklung eine entscheidende Kraft zugrunde. Mit dem vorrangigen Ziel der Kapitalakkumulation muß er die Arbeiter ausbeuten, wo er nur kann. Er benutzt dafür seine Institutionen und Unterdrückungsinstrumente. So dienen der Staat, Familie, Religionen, kapitalistische Moral, Rechtswesen und Gesetzlichkeit u.a. als Mittel zum Zweck. Da sich die Welt ständig verändert und sich die Produktivkräfte permanent weiterentwickeln, müssen auch die Institutionen eine, den Interessen und Bedürfnissen der herrschenden Klasse entsprechende Veränderung erfahren und auf ihren Nutzen hin überprüft werden. Es gibt hier für sie nur eine Alternative: Entweder Umwandlung im Interesse der Kapitalakkumulation oder Zerschlagung.
Marx und Engels stellten hierzu im "Kommunistischen Manifest" treffend fest:
"Die Bourgeoisie kann nicht existieren ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisses, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren…Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bougeoisepoche vor allen anderen aus…"
Betroffen sind also alle Institutionen, auch die Familie. Das Wesen des Kapitalismus muß deshalb zwangsläufig auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander beeinflussen, denn als Teil der Gesellschaft können sie sich den jeweiligen Erfordernissen und Strukturen nicht entziehen. Am Beispiel der Familie wird besonders deutlich, wie gesellschaftliche Zwänge die gesellschaftliche Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau hervorbringen, wie sie die Einstellung zueinander prägen und charakterisieren. Ich möchte deshalb an dieser Stelle Entwicklung und Rolle der Familie im Kapitalismus kurz darstellen:
Im Frühkapitalismus gab es eine Tendenz zur Zerstörung der Familienbande in der neuen Arbeiterklasse. Marx und Engels beschrieben es im "Kommunistischen Manifest" als "praktische Abwesenheit der Familie unter den Proletariern". Dies entzog dem Kapitalismus aber die Basis weiterer Akkumulation. Deshalb schuf er aus der alten patriarchalen Familie die neue Arbeiterklassefamilie als neue Familienstruktur, um die Reproduktion der Arbeiterklasse zur Sicherung der Zufuhr von Arbeitskraft zu gewährleisten. Als Kernfamilie setzte sie sich zusammen aus Mann, Frau und Kindern. Der Mann musste ganztägig arbeiten und so viel Geld verdienen, dass er das überleben seiner Familie sichern konnte. Demgegenüber stand die Frau, die dafür zuständig war, die Kinder zu gebären und aufzuziehen, den Haushalt zu führen und die Arbeitskraft des Mannes wiederherzustellen. Die Familie wurde als Ideal erhoben. Sie sollte die momentanen materiellen Bedürfnisse der Arbeiter befriedigen, sollte den Arbeiter fit halten für die Lohnarbeit und die Verantwortung für die Aufzucht neuer Generationen übernehmen.
Im Gegensatz zum Mann, der mit seiner Arbeit mitten in der Gesellschaft stand und die Möglichkeiten hatte sich weiterzuentwickeln, wurde die Frau durch ihren Haushalt isoliert, sie bekam wenig von der sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung mit. Daraus resultierte ihre im Wesentlichen konservative Haltung zur Gesellschaft, die von der Kirche noch unterstützt wurde. Die Frau war vom Mann abhängig und von der Außenwelt abgeschnitten und damit als Wesen klein gehalten. Darin liegt die Unterdrückung der Frau im Kapitalismus. Im Kampf gegen die Unterdrückung der Frau argumentieren Marx/Engels: "Die Befreiung der Frau liegt in ihrer Einbeziehung in die gesellschaftliche Produktion, handele es sich dabei auch um kapitalistische Produktion unter Bedingungen extremster Ausbeutung…"Meint, daß die Einbeziehung in die gesellschaftliche Produktion der Frau die gleiche Chance bietet, ihr Bewusstsein in und mit der Gesellschaft weiterzuentwickeln, um damit Wege aus ihrer Misere suchen und finden zu können.
Das Ideal der Familie konnte nur selten realisiert werden. Denn, da die meist kleinen Löhne der Männer auf die Dauer für den Lebensunterhalt nicht ausreichten, waren die Frauen gezwungen, neben der erwähnten gewaltigen Aufgaben im Haushalt, jeden sich bietenden Job anzunehmen. Die Frau war so doch wieder am Produktionsprozeß beteiligt und näherte sich somit dem männlichen Geschlecht. Bis heute ist es aber so, dass sie in der Regel, selbst bei gleicher Arbeit, schlechter bezahlt wird und im Rahmen der kapitalistischen, patriarchalischen Logik die schlechteren Aufstiegschancen hat. So objektiv positiv die Eingliederung der Frauen in den Produktionsprozeß war, die Forderung nach gleicher Arbeit bedeutet doch auch objektiv gleiche Ausbeutung, wobei die Frauen noch mehr ausgebeutet werden. Die objektive Annäherung der Geschlechter konnte keine Gleichstellung bedeuten, denn die Arbeit in der Fabrik nahm ihnen nicht die Last der häuslichen Verantwortung, sondern bedeutete doppelte Belastung, die ihnen mehr und mehr die Zeit und den Sinn für die wahren Bedürfnisse des Lebens nahmen.
Die Stellung der Frau im Produktionsprozeß hat sich in der Zeit des letzten Jahrhunderts mit der rasanten Entwicklung der Produktivkräfte und den damit entstandenen neuen materiellen Bedingungen weiter verändert. Geburtenkontrolle, fortschrittlichere Gesundheitsvorsorge, neue Technologien auch für die Entlastung im Haushalt usw. führten dazu, dass die Frauen mehr Zeit für sich hatten. Dies bedeutete für den Kapitalismus vergeudete Arbeitskraft und damit vergeudeten Mehrwert. Also musste die Frau noch verstärkter und bewußt in die Produktion einbezogen werden, um auch aus ihr Mehrwert zu schöpfen. Aus dieser Notwendigkeit heraus stieg tendenziell die Zahl der Lohnarbeiterinnen. Gleichzeitig konnten sie auch als Lohndrückerin eingesetzt werden, um die Spaltung und die Konkurrenz noch zu vertiefen.
Die zunehmende Teilnahme am Produktionsprozeß führte dazu, daß die Frauen auch zunehmend ihre gesellschaftliche Position und Abhängigkeit erkannten und diese infrage stellten, weil sich trotz des Drucks der herrschenden Moral persönliche Bedürfnisse ihren Weg suchten. So erheben sie bis heute immer stärkere Forderungen nach Verbesserung der sozialen Bedingungen für die Möglichkeit zur Arbeit mit dem Ziel ihrer eigenen Unabhängigkeit, Gleichberechtigung, allgemeinen Emanzipation, z.B. gleich bezahlte Arbeit, das Recht auf Scheidung, bessere Verhütungsmethoden, legale Abtreibung, Recht auf Kinderbetreuung etc. Das System gerät hier mit seinen kapitalen Zielen unter Druck. Um es aufrecht erhalten zu können, werden für das System also ständig soziale Veränderungen und Anpassungen notwendig, z.B. im Rechts- und Sozialsystem. Diese wiederum schaffen neue Bedingungen, die die alten sozialen Beziehungen in den Familien, vor allem der Arbeiterklasse, ins Wanken bringen, weil sie so nicht mehr funktionieren können. Die Institution der kapitalistischen Familie wird hier also zur Durchsetzung ihrer Ziele von der herrschenden Klasse selbst untergraben.
Heißt das, daß sie innerhalb des kapitalistischen Systems überflüssig und deshalb aufgelöst werden könnte? Nein, sie kann innerhalb des kapitalistischen Systems nicht zerschlagen, sondern muß von der herrschenden Klasse zur Aufrechterhaltung des Systems notwendig ideologisch als "Ideal" verteidigt und aufrecht erhalten werden, denn:
Eine notwendige volle Vergesellschaftung der Kinderbetreuung und Erziehung sowie der Hausarbeit zur Aufhebung der privaten Reproduktion ist für das System viel zu teuer. Dafür wäre eine ununterbrochene Expansion der Produktivkräfte notwendig. Dies ist nicht möglich, weil
die ökonomische Krise des dekadenten Kapitalismus, die Grenzen des Marktes, ununterbrochene Expansion verhindern, und deshalb
tendenziell die Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt immer mehr sinkt und nicht nur Frauen wieder aus der Produktion und damit zurück in die Familie gedrängt werden.
Dies zeigt, dass innerhalb des kapitalistischen Systems die Frauenfrage, die Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter nicht gelöst werden kann. Die kapitalistische Familienstruktur behält ihren Gegensatz zwischen Mann und Frau zum Nutzen des kapitalistischen Systems, der sie nicht nur ökonomisch sondern vor allem auch menschlich spaltet. Trotzdem bleibt sie bis heute ideologisch ein anzustrebendes Ideal, weil sich die Rollenverteilung der Geschlechter tief in den Köpfen der Menschen eingeprägt hat. Der enorme Druck, der auf ihnen, v.a. auf den Arbeitern lastet, sowie eine nicht aufgearbeitete Vergangenheit und die fehlende Alternative in ihrem Bewusstsein lässt diese die Welt noch so akzeptieren, wie ihre Ausbeuter sie definieren. Sie idealisieren so ihre wahre Situation und erfüllen damit eine sehr reale Funktion für den Kapitalismus. Die Familie erscheint in der sich ständig verändernden Welt einzig als relativ stabil (siehe die hohen Scheidungsziffern) und wird damit notwendig und "unvermeidbar". Außerdem verspricht ihnen die herrschende Ideologie mit der Familie einen Ort der menschlichen Zuneigung, Liebe und Freundschaft, eine Oase der Zwischenmenschlichkeit, die ihnen hilft gegen die raue Welt der Einsamkeit, Isolation und psychologischer Entfremdung. Was aber zeigt die Realität? Kann der Kapitalismus wirklich einen Ort echter Zwischenmenschlichkeit bieten?
Der
Beantwortung dieser Fragen möchte ich mich im nächsten
Abschnitt nähern. Es geht um:
II.Die Realität der zwischenmenschlichen Beziehungen im modernen Kapitalismus
Ich möchte hier den Menschen allgemein als Individuum in seinen gesellschaftlichen Zusammenhängen betrachten und die zwischenmenschlichen Beziehungen im Kapitalismus beleuchten und charakterisieren, denn die familiären, geschlechtlichen Beziehungen besitzen keinen besonderen eigenen Charakter. Die Ideologie und die Gesetze der herrschenden Klasse bestimmt nicht nur das Verhalten der Geschlechter zueinander in starkem Maße, sie unterdrückt die zwischenmenschlichen Beziehungen schlechthin. Daß die kapitalistischen Verhältnisse die Menschen und ihre Beziehungen beeinflussen und formen, möchte ich an einigen Faktoren deutlich machen.
1.
In der kapitalistischen Gesellschaft besitzen die
zwischenmenschlichen Beziehungen den Charakter von
Warenbeziehungen (s. D. Duhm: Warenstruktur und
zerstörte Zwischenmenschlichkeit, Kap. III, S. 82 ff.)
Im
Kapitalismus werden selbst Menschen zur Ware. Der Großteil der
Menschen muß als Lohnarbeiter seine Arbeitskraft und die dafür
nötigen persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten
verkaufen, damit er seine Existenz sichern und die grundlegendsten
menschlichen Bedürfnisse befriedigen kann. Für den
jeweiligen Arbeitsprozeß werden aber immer nur bestimmte
Eigenschaften benötigt, nur sie sind für den Kapitalisten
interessant und werden von diesem benutzt. Der Mensch als
Persönlichkeit spielt dabei keine Rolle. Die ökonomie des
Kapitalismus trennt hier die Eigenschaft vom Menschen und stellt sie
anderen zur Verfügung. Es entsteht somit eine menschliche
Warenbeziehung. Die meisten Menschen sind von ihr abhängig, sie
bildet deshalb die allgemeine Grundlage der zwischenmenschlichen
Beziehungen im Kapitalismus.
Die sich ständig verschärfenden gesellschaftlichen Verhältnisse, der permanente überlebenskampf verbunden mit den Bedürfnissen nach gesellschaftlicher Anerkennung und Zugehörigkeit zwingen die Menschen sich zu verbiegen und anzupassen. Um den gesellschaftlichen Erfordernissen zu entsprechen, eignen sie sich bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen als Oberflächenmerkmale an, heben "positive" besonders hervor und verdrängen die für die Gesellschaft unerwünschten "negativen". Sie konstruieren sich "ihre" Persönlichkeit, indem sie sich eine individuelle Charaktermaske aufsetzen und sich damit identifizieren. Die wahre Persönlichkeit geht verloren. Dies muß unweigerlich zu einem großen innermenschlichen Konflikt führen, denn der Mensch kann sich nicht mehr selbst leben und verwirklichen, kann nicht echt sein, isoliert sein wahres Wesen. Gleichzeitig werden auch seine Bedürfnisse entfremdet. So werden z.B. aus dem Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit, weil infolge der zunehmenden allgemeinen Isolation nicht befriedigt, Bedürfnisse nach gesellschaftlichem Ansehen, überlegenheit, Stärke, Sicherheit und Schönheit. Dies macht sich der Kapitalist wiederum zum Nutzen und verwertet, um möglichst viel Profit zu erzielen, selbst die Bedürfnisse der Menschen. Er verschafft ihnen Ersatzbefriedigung über seine Waren im Konsumbereich, er verkauft "Persönlichkeit", schafft sie über äußerlichkeiten (Kleidung, Kosmetik, Schönheitschirurgie, Potenzmittel, Computertechnik, "Markenware" usw.) Sowohl die Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen als auch seine Bedürfnisse werden also zur Ware und sind austauschbar gegen den gewünschten Gegenwert. Man kann demnach sagen, dass menschliche Beziehungen im Kapitalismus allgemein durch Waren vermittelt werden, wobei sowohl der ökonomische als auch außerökonomische, psychologische Bereich dem gleichen Strukturprinzip unterliegt. Marx drückte dies schon sehr früh so aus:
"Kam endlich eine Zeit, wo alles, was die Menschen bisher als unveräußerlich betrachtet hatten, Gegenstand des Austauschs, des Schachers, veräußert wurde. Es ist dies die Zeit, wo selbst Dinge, die bis dahin mitgeteilt wurden, aber nie ausgetauscht, gegeben,, aber nie verkauft, erworben, aber nie gekauft: Tugend, Liebe, überzeugung, Wissen, Gewissen etc., wo mit einem Wort alles Sache des Handels wurde. Es ist die Zeit der allgemeinen Korruption, universellen Käuflichkeit oder, um die ökonomische Ausdrucksweise zu gebrauchen, die Zeit, in der jeder Gegenstand, ob physisch oder moralisch, als Handelswert auf den Markt gebracht wird, um auf seinen richtigsten Wert abgeschätzt zu werden." (Marx 3, 35).
Er beschreibt damit die generelle Prostitution der zwischenmenschlichen Beziehungen im Kapitalismus.
2.
Ein weiteres Charaktermerkmal zwischenmenschlicher Beziehungen im
Kapitalismus ist die Konkurrenz.
Den Ausführungen
in 1. entsprechend ist jeder Mensch nicht nur im ökonomischen
sondern auch im außerökonomischen Bereich Warenbesitzer.
Die gesellschaftlichen Zusammenhänge zwingen ihn, diese Waren,
also auch seine persönlichen Eigenschaften optimal zu verwerten.
Dies erzeugt eine permanente Konkurrenzsituation unter den Menschen.
Die Konkurrenz bestimmt das individuelle und gesellschaftliche Sein.
Nur wer große Leistung bringt, hat Chancen weiterzukommen. Wer
nicht mithalten kann wird ausgegrenzt. Das Leistungsprinzip greift
hier in die menschlichen Beziehungen ein. Die Menschen werden
selektiert in "Können" und "Nichtkönnen"
und nach diesem Bewertungsschema in allen Lebensbereichen be- bzw.
verurteilt. Um hier gut abzuschneiden, geraten sie unter den Druck,
sich in ihrem Leben immer wieder neu bewähren zu müssen.
Dies führt unweigerlich zu einem weiteren wesentlichen Merkmal,
welches die kapitalistischen zwischenmenschlichen Beziehungen in
starkem Maße beeinflusst. Es handelt sich hier um
3. die allgemeine Existenzangst, der die Menschen ausgeliefert werden und die mehr und mehr zum Grundbestandteil des ganzen Lebens wird. Sie drückt sich in verschiedener Intensität als Versagens-, Realisierungs- oder Verlustangst aus. Es ist die tiefe Angst, dass die optimale Selbstverwertung nicht gelingt, es keine Anerkennung von der Gesellschaft gibt, die Angst vor gesellschaftlichem Liebes- und Existenzverlust. Es ist die Bedrohung durch eine mögliche existenzielle Vernichtung allgemein, die die menschliche Kommunikation stark beschränkt und sie auf das gesellschaftlich Notwendige ausrichtet.
Alle drei Faktoren prägen im Kapitalismus das Bewusstsein des Einzelnen und sein Verhalten in allen Beziehungen des gesellschaftlichen Lebens. Sie schüren unter den Menschen Egoismus, Gleichgültigkeit, Rücksichtslosigkeit, Neid, Misstrauen, Aggressivität usw. Und weil die Menschen sich wegen ihrer Charaktermasken nicht wirklich kennen, erscheinen sie anonym. In der Gesamtheit werden sie für den Einzelnen zur anonymen Masse, die als Macht erlebt wird, weil von ihr abhängt, ob er in der Gesellschaft anerkannt wird oder nicht. Bei allem Verhalten steht im Hintergrund die Sorge, was wohl der andere von ihm denkt, ob er bei ihm ankommt, wie er ihn bewertet. Jeder erhält damit seine eigene Macht über den anderen. So zerreißt menschliche Solidarität. Eine mitmenschliche Gemeinschaft wird damit unmöglich.
All diesen Bedingungen unterliegen logischerweise auch die engsten zwischenmenschlichen Beziehungen, die Geschlechterbeziehungen, denn jeder einzelne Mensch ist geprägt von seiner Umwelt und vom Verhalten der Gesellschaft, und das von Geburt an. Die gesellschaftlichen Verhältnisse bilden die Basis für den Umgang miteinander. Das alte Denken sitzt tief in den Köpfen, kann nicht mal eben so in der Partnerschaft ausgeblendet oder ausgetauscht werden. Das bedeutet für die entfremdeten Persönlichkeiten in ihren Geschlechterbeziehungen in überwiegendem Maße persönliche Einengung und Abhängigkeit, Ehe und Partnerschaft als ökonomische oder soziale Absicherung gefüllt durch Sprachlosigkeit, Zwang, moralische Heuchelei, Besitzdenken, Eifersucht und sexuelle Erniedrigung. So haben echte Liebe, Zuneigung, Leidenschaft, Vertrauen, Offenheit, Entfaltung der Persönlichkeit und bewusstes Wahrnehmen und Ausleben von Gefühl und Sexualität keine Zukunft, können nicht gelebt werden. Der vom Kapitalismus geschürte Gegensatz zwischen Mann und Frau wird so noch verschärft, der Sinn und Wert des individuellen Lebens infrage gestellt, wenn die gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht erkannt und bewusst durchbrochen werden…
Ich denke, wir sollten in der Diskussion die Geschlechterbeziehungen der heutigen Zeit noch intensiver beleuchten, um uns ihre inneren Widersprüche und menschlichen Unzulänglichkeiten bewusster zu machen, um herauszufinden, was die wahren menschlichen Bedürfnisse sind und wie der Weg der Beziehung als bewusster Prozeß in eine tiefe Menschlichkeit aussehen kann. Für sehr hilfreich und anregend halte ich hierzu den Beitrag eines Genossen zum heutigen Diskussionsthema auf der Homepage des Zirkels.
III. Was bedeutet das bisher Gesagte für den Weg in eine neue, kommunistische Gesellschaft? Welche Ziele verfolgen wir mit der proletarischen Revolution bezüglich des Geschlechterverhältnisses? Wie sind diese Ziele zu erreichen?
Die Beantwortung dieser Fragen möchte ich aus Zeitgründen nur kurz thesenhaft anreißen und auf die Diskussion verweisen, wo unser kollektives proletarisches Bewusstsein gefragt sein wird, um Vorstellungen und Ideen zusammenzutragen, wie die Zukunft einer kommunistischen Gesellschaft aussehen könnte.
- Die überwindung des herrschenden kapitalistischen Systems und damit der herrschenden ökonomischen Verhältnissen durch eine erfolgreiche proletarische Revolution und die Schaffung eines neuen ökonomischen, höchst menschlichen Systems soll die Widersprüche zwischen den Geschlechtern lösen, die Ungleichheiten beider aufheben. Dafür sind notwendig:
- Auflösung der Klassen
- Abschaffung des Privateigentums und der Warenbeziehungen
- Abschaffung der generellen Prostitution
- Aufhebung der Konkurrenz
- überwindung der Grundlagen für die Unterdrückung der Frau durch:
- Vergesellschaftung von Kindererziehung und Hauswirtschaft
- Volle soziale, geistige und politische Emanzipation der Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen (Integration in den Produktionsprozeß, Organisierung innerhalb der Organisationen der Arbeiterklasse, soziale und ökonomische Unabhängigkeit, Niederschlagung der patriarchalen Herrschaft über die Frau durch Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise)
Wird es aber ausreichen, nur die ökonomischen Bedingungen zu verändern? Verhalten sich die Menschen dann einfach so menschlicher? Ich denke nein, denn die gesellschaftlichen Zusammenhänge und Notwendigkeiten müssen erkannt und das Bewusstsein dafür geschärft sein. Das eigene Denken und Verhalten muß ständig beobachtet, überprüft und bewusst verändert werden. Nur mit klarem Bewusstsein, Herz und Verstand wird die Arbeiterklasse in der Lage sein, die gesellschaftlichen Veränderungen vorzunehmen und umzusetzen. Es wird ein langer Prozeß über Generationen notwendig sein, um die alte marode kapitalistische Ideologie aus den Köpfen der Menschen zu verbannen und die neue kommunistische Denkweise zu festigen. Das beinhaltet neben der bewussten Entwicklung kollektiver Lebens-, Arbeits- und Kampfformen auch das Finden eines natürlichen Verhältnisses der Geschlechter zu sich selbst und dem/der anderen.
Es ist ein Prozeß, der schon jetzt beginnen muß als bewusste Arbeit, um die Entwicklung der entsprechenden Bedürfnisse und Beziehungen voranzutreiben. Ein Prozeß, der uns jetzt schon helfen kann, der kapitalistischen Entfremdung zunehmend solidarische, ehrliche, echte und tief menschliche Beziehungen entgegenzusetzen.
Literatur:
-
August Bebel: "Die Frau und der Sozialismus"
Alexandra Kollontai: "Die Situation der Frau in der gesellschaftlichen
Entwicklung"
D.Duhm: "Warenstruktur und zerstörte Zwischenmenschlichkeit"
Marx/Engels:"Kommunistisches Manifest"
Friedrich Engels, "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des
Staates," MEW 21
Die
marxistische Theorie der Frauenunterdrückung", Verfasser
unbekannt, LLL-Verlag
Beitrag eines Genossen zum Thema auf der Homepage des Zirkels