Einleitung zu Diskussion– Eine Zusammenfassung des Textes:
Religion:DIE LEBENDIGE BLUME BRECHEN –
Über Produktion und Konsum eines ideellen Rauschmittels
Der Anlass
Religion ist Opium für das Volk. (!?)
Diese populäre, aber leider falsche Zitierweise
die Religion nun Opium für das Volk ist, oder ob sie des Volkes ist.
(IKS): „Und was den Respekt des Glaubens der anderen angeht, wollen wir Marx zitieren, ‚Religion ist Opium für das Volk’. Egal welche Religion, der Glauben wie jede andere Form des Mystizismus, sind ein ideologisches Gift, dass man in die Köpfe der Arbeiter einzuspritzen versucht. Religion ist eines der Mittel, mit dem die herrschende Klasse eine Bewusstwerdung der Arbeiterklasse zu verhindern sucht.“Es zeigt sich hier nämlich unterschwellig möglicherweise eine Haltung, die davon ausgeht, dass den Lohnabhängigen jedwede bürgerliche Ideologie eigentlich wesensfremd sei. Das diese Ideologien (dieses falsche Bewusstsein) erst von Außen, durch Maßnahmen der Kapitalistenklasse, unter großen Mühen, hinterhältig und in böser Absicht der Arbeiterklasse indoktriniert werden müssen. Diese Haltung ignoriert quasi das Vorhandensein eines Bedürfnisses nach Ideologie, nach (religiöser) Verklärung im alltäglichen Überlebenskampf. Die Arbeiterklasse, in allen ihren bisherigen Erscheinungsformen, ist jedoch niemals bloß Objekt der Herrschenden gewesen.
Marx:
„Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.... Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist. Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes…. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“
Die ausgebeuteten, unterdrückten und von sich selbst entfremdeten Proletarier, welche sich täglich selbst verlieren, indem sie innerhalb und außerhalb der Produktionsstätten des Kapitals ständig aufs Neue ihre eigene Ohnmacht (und dadurch zugleich die Macht des Kapitals) produzieren, haben eine besondere Veranlassung, ein Bedürfnis nach ideologischer Identifikation zu entwickeln. Jedenfalls so lange, bis sie den Kampf für die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse bewusst aufgenommen haben. Wie? Durch den Klassenkampf mit dem Ziel der Aufhebung der Klassengesellschaft, also Selbstaufhebung des Proletariats als Klasse.
Das Verhältnis der kommunistischen Bewegung zu den „Andersgläubigen“
Der Kommunismus beschreibt - wie die Religion - eine Weltanschauung, eine bestimmte Anschauung der Welt. Im Gegensatz zur Religion jedoch bemüht er sich nicht um die Postulierung irgendwelcher Wahrheiten, sondern um die möglichst unverklärte Wahrnehmung der Wirklichkeit. Das vor allem, seitdem die Arbeiten von Marx und Engels den Kommunisten einen wissenschaftlichen Zugang zur Erkenntnis ihrer Geschichte und damit zur Umsetzung ihrer Ziele erlauben. Die Wirklichkeit ist historischer Prozess. In diesem Prozess verändert sich zugleich die Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen (mit Hilfe der Wissenschaft). Das Verhältnis zwischen Kommunismus und Religion beschreibt nicht das Verhältnis zwischen Gläubigen und Wissenden. Es beschreibt nicht mehr und nicht weniger als das Verhältnis zweier gegensätzlicher Weltanschauungen.
Während die Vertreter eines utopischen Kommunismus, insbesondere deren radikale Flügel um Blanqui oder Bakunin, Mitte des 19. Jahrhunderts noch der Meinung waren, religiöse Ideen und Bedürfnisse vehement bekämpfen zu müssen, glaubten die Vertreter des wissenschaftlichen Kommunismus, dass sich hier ein unnötiger und kräfteverschleißender Nebenkriegsschauplatz auftut.
Marx weiter:
„Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.
Engels 1871: Pariser Kommune
„Um zu beweisen, dass sie die Allerradikalsten sind, wird Gott..... durch Dekret abgeschafft: ... ,In der Kommune ist kein Platz für den Pfaffen; Man muss aber sehen: erstens (dass) man ungeheuer viel auf dem Papier befehlen kann, ohne dass es darum ausgeführt zu werden braucht, und zweitens, dass Verfolgungen das beste Mittel sind, missliebige Überzeugungen zu befördern! ...“
Atheismus ist also auch nicht die Lösung:
„Atheismus ist die Kritik des Himmels. Nötig ist die Kritik der Erde. Kritik der Religion heißt nicht Atheismus, sondern Wissenschaft. Der Atheismus ist kritische Religion, ... letzte Stufe des Theismus, ... negative Anerkennung Gottes.“ „Der Atheismus, als bloße Negation der Religion und stets sich auf Religion beziehend, (ist) ohne sie selbst nichts, und daher selbst noch eine Religion...“
Mit der Entstehung des Atheismus spaltete sich die Bewegung der Freidenker, bissen sie sich doch fest in der Auseinandersetzung mit der religiösen Ideenwelt. Man überzeugt keine Gläubigen dadurch, dass man sie und ihre Ideen bloß für falsch erklärt. Zudem ist es für Kommunisten wahrlich müßig, sich auf Spekulationen über ein Jenseits oder anderer weltabgewandter Inhalte der Religion einzulassen.
Anton Pannekoek intervenierte in die Debatte um die Rolle der Freidenker innerhalb der Arbeiterbewegung: „Darum irrt der bürgerliche Materialismus (…),,wenn er Religion durch Aufklärung zu überwinden trachtet, ohne ihren ökonomischen Wurzeln zu Leibe zu rücken“. Für die Sozialisten, so Pannekoek, existiere nur das Ziel der ökonomischen Umgestaltung der Gesellschaft. Darum „können wir uns vor Kraftvergeudung und vor dem überflüssigen und gefährlichen Verfolgen von Nebenzielen hüten. Dieses ist der Grund, warum in unserer Partei die Religion als Privatsache gilt.“
Lenin zur Religion
Während der Revolutionszeit greift Lenin in die Debatte über das Verhältnis der Bolschewiki zu den gläubigen Arbeitern ein. Er tut dies zwar grundsätzlich in Übereinstimmung und Kontinuität mit den Inhalten der kommunistischen Bewegung seit Marx. Eine genauere Betrachtung seiner Position deckt jedoch bereits ein taktisches Verhältnis zu den gläubigen Arbeitern auf, was eng zusammenhängt mit seinem Verständnis von der proletarischen Partei. So kommt er 1918 zu der Überzeugung, dass die Agitation die religiösen Gefühle der Gläubigen nicht verletzen dürfe, da das die Massen gegen die Partei einnehmen könnte. Da kann einem der Verdacht kommen, dass hinter dieser Taktik ein Menschenbild verborgen ist, das die „Massen“ nicht aufzurichten, sondern abzurichten trachtet, da es ohnehin deren Wille zu sein scheint, zu ihrem eigenen Wohl und Werden belehrt, behütet und geführt, in einem Wort, konditioniert zu werden. Auch hierhin gehört die Denkweise, dass Religion Opium für das Volk ist.
Die kommunistische Bewegung geht selbstverständlich nicht davon aus, dass die religiösen Bedürfnisse etwa natürlicher Art und von daher determiniert seien. Sie sind aber auch nicht bloß konditioniert bzw. indoktriniert. Sie sind viel mehr das Resultat sozialer Verhältnisse.
Religion bedeutet deshalb für die Individuen zugleich Verdrängung der Lebensverhältnisse und innerer Widerstand gegen ihre Lebensverhältnisse.
Religion ist eine notwendige Erscheinung in der Welt der Notwendigkeit.
Das Entrücken in die Illusion ist für so manches Individuum schlicht der Selbstschutz vor der Verrücktheit, dem geistigen und psychischen Crash. Es kann nicht darum gehen, den Sinn oder Unsinn religiöser Ideen zu diskutieren, sondern die wirkliche Entfremdung der Produzenten von ihren Produkten und ihre damit zusammenhängenden (wertförmigen) sozialen Beziehungen zu untersuchen, um eine Einsicht in die religiösen Bedürfnisse und in alle Formen der Identifizierungsbemühungen innerhalb des Kapitalismus zu bekommen.
Die Funktion der Religion für den Kapitalismus
Man muss der IKS gerecht werden.
„Diese (Mohammed)-Karikaturen sind in Wirklichkeit zu Kriegswaffen in den Händen der bürgerlichen Klasse in den islamischen Staaten geworden. Sie stellen somit eine Reaktion auf die immer aggressiver werdende imperialistische Politik der USA, Frankreichs, Deutschlands und Englands dar. Bei einer Bevölkerung, die in ein immer größeres Elend gestürzt wird und immer mehr unter dem Krieg leidet, fällt es der Bourgeoisie leicht, bei der Verfolgung ihrer imperialistischen Interessen, durch Manipulationen zynisch zu täuschen. (Eine) Politik der Aufstachelung zum Hass, der nationalistischen ideologischen Mobilisierung durch alle Bourgeoisien auf der Welt.“
Es geht hier nicht darum zu leugnen, dass Religion in der Klassengesellschaft die Funktion hat, „die Bewusstwerdung der Arbeiterklasse zu verhindern.“ Selbstverständlich hat sie das! Und sie hat das nicht nur im Kapitalismus gegenüber dem Proletariat, sondern zuvor schon in allen Klassengesellschaften gegenüber jeder unterdrückten Klasse gehabt. Einfach indem sie die Bewusstwerdung aller Menschen blockiert. Und die Herrschenden setzen die religiösen Gemeinschaften z. T. im Rahmen ihrer psychologischen Kriegsführung zielgerichtet ein. Weil sie um die Verzweiflung wissen!
Heute ist der Einfluss der Religion besonders in den sog. unterentwickelten Gebieten der Welt unter den Arbeitern extrem präsent (z.B. Lateinamerika), doch wirkt die Religion auch in den Zentren des Kapitals nach wie vor enorm auf die Emanzipationsbestrebungen des Proletariats.
Wir befinden uns in Zeiten, in denen die Zustände den Bedarf an Illusion, wie wohl kaum jemals zuvor in der Geschichte des Kapitalismus, in allen Klassen der Gesellschaft im gigantischen Ausmaß provozieren. Diese Zustände verlangen der kommunistischen Bewegung große Mühen ab, um einen kühlen Kopf zu bewahren. Es wäre geradezu fatal, wenn die Kommunisten jetzt beispielsweise damit beginnen würden, nach Ausgangspunkten für den Terror in den religiösen Ideen des Islam zu suchen. Ausnahmslos jede Religion kann ihrem Wesen nach den gleichen Zweck erfüllen, welchen jetzt der Islam innehat.
Die Ideengeschichte ist nur ein Bestandteil unter vielen in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Die Deutungsweise religiöser Ideen ist abhängig vom sozialen und historischen Zusammenhang, indem die Deutung vorgenommen wird. Religion ist für sich genommen weder schlecht noch gut. Religion ist schlicht politische Religion oder gar nichts. Entscheidend für die kommunistische Bewegung ist es, den historischen und politischen Zusammenhang zur Kenntnis zu nehmen, indem Religion ausgeübt wird. Heute: Das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat, welches sich in einer Art Patt-Situation befindet.
Wie sich aber schon jetzt abzeichnet, haben die Herrschenden kaum die vollständige Kontrolle über ihre Waffen.
Die Entwicklung der Religion im Kapitalismus
Der Fundamentalismus, welcher als Tendenz in allen alten Religionen gegenwärtig wieder deutlich zum Vorschein kommt, ist der Reflex auf den unaufhaltsamen Niedergang der postulierten Ideale dieser Religionen. Er kommt zum Ausdruck als Aufschrei gegen das, was das Volk und seine politische Kaste als ‚Verlust ihrer Werte’ beklagen.
Religion ist Ausdruck eines auf globaler Ebene implodierenden Gesellschaftssystems geworden, welches für die überwiegende Mehrheit der Menschheit schon längst keinerlei Zukunftsperspektive mehr zu bieten hat. Viele Menschen räumen darum gedanklich, verständlicherweise, der Hoffnung auf eine Zukunft im Jenseits mehr Platz ein, als der Gewissheit ihrer Perspektivlosigkeit im Diesseits.
Die gewaltige Rückkehr des Religiösen zeigt sich: a) im Wiedererstarken des Fundamentalismus der alten Religionen aber auch b) im Voranschreiten der Privatisierung und Individualisierung der Religion auf den spektakulären Märkten der Esoterik und des Okkultismus gerade im niedergehenden Kapitalismus.
Die revolutionäre Theorie hob seinerzeit die Bedeutung des Protestantismus für die Entfaltung des Kapitals hervor:„Luther: Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt.“ (Marx) „Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten (…)ist das Christentum mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw. die entsprechendste Religionsform.“ (Marx)
Die Genese der Religionen im Kapitalismus.
Die Zeit der Reformation wurde bereits begleitet von einem Aufbegehren in der Wissenschaft und der Kunst, welche eine Wiederkehr (Renaissance) antiker Welt- und Menschenbilder in Europa begünstigte. Die Aufklärung, in Deutschland vor allem die Lehre der Vernunft von Kant, schaffte die Grundlage der Weltanschauung des aufstrebenden Bürgertums und der modernen Zivilisation.
Funktion der Aufklärung: Die im Feudalismus schlummernden Produktivkräfte (unterschlagene, verbotene und verfolgte Erfindungen, Erkenntnisse und Entdeckungen) zu entfesseln, welche durch die Ständegesellschaft und die klerikalen Dogmen gehemmt wurden. In der Aufklärung kommt damit bereits ein latenter Widerspruch zwischen Religion und Wissenschaft zum Vorschein.
Die Entfesselung der Produktivkräfte und die Durchsetzung der Handelsfreiheit konnten sich keinerlei ideologische Einschränkung durch die feudale Gesellschaft mehr leisten. Folgerichtig deklarierte die Revolution die rechtliche Verbriefung der Religionsfreiheit.
Seit den 1920ern finden wir ein Phänomen vor, welches nie zuvor in der Geschichte der Menschheit gegeben hat - die Herausbildung eines religiösen Marktes, eines Marktes der Religionen.
Die religiösen Bedürfnisse sowie die Möglichkeiten für deren Auslebung haben sich auf geniale Weise den Erfordernissen des Kapitals untergeordnet und angepasst.
Heute sind ausnahmslos alle Konfessionen zu Anbietern von Glaubensartikeln geworden. Vom Katholizismus bis zum spirituellen Workshoptherapeuten. Nicht zuletzt deshalb, weil hinter allen auch ganz normale kapitalistische Wirtschaftsunternehmen stecken. Es gibt Globalplayer (Vatikan), sowie national bzw. territorial begrenzte Konzerne (alle sog. Weltreligionen).
Religion und Wissenschaft
So wie die Religion im Kapitalismus nur eine kapitalistische Religion sein kann, so ist auch die bürgerliche Wissenschaft die Wissenschaft des Kapitals. Somit ist anzuzweifeln, ob diese der Religion wirklich etwas entgegen halten kann, bevor sie selbst sich emanzipiert. So wie es aussieht, treibt diese katastrophale Entwicklung in der Anwendung der Wissenschaft die Menschen geradezu in die Arme „höherer Wesen“. Der Protest gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen vermischt sich so von Beginn an mit spirituellen und religiösen Geistesströmungen. Er wird zum falschen Protest. Und so, wie die Wissenschaft des Kapitals die Religion reproduziert, so reproduziert sich diese umgekehrt in der modernen Religion. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Psychologie im Kapitalismus soll das verdeutlichen. Die Psychologie vor Freud war ausnahmslos, von Pawlow bis zu den Behavioristen, beherrscht von einem biologistischen Weltbild. In ihrem Menschenbild war das Individuum ein vom Reiz–Reaktions-Mechanismus determiniertes, zoologisches Objekt. Sie brachten die Lehre von der generellen Konditionierbarkeit des Menschen hervor. Alles, was außerhalb der Mechanik des unmittelbaren, unreflektierten Lernens stattfand (was es ja auch gibt), wurde in den Bereich der Metaphysik verbannt. Freud nannte den Behaviorismus zu Recht die „seelenlose Psychologie“. Siegmund Freud war es, dem es als ersten gelang, eine Struktur der Psychodynamik zu beschreiben. Damit wurde es zu seinem unzweifelhaften wissenschaftlichen Verdienst, die „Seele“ aus den Klauen des Klerus zu befreien und in den Zusammenhang zu stellen wo es hingehört - in die Entwicklung des Menschen in seiner und aus seiner sozialen Umwelt. In seinem Wirken leistete der Jude Freud nebenher einen wichtigen Beitrag zur Verweltlichung des Judentums. Freud sah den Menschen als ein historisches und gesellschaftliches Wesen. Im Zusammenhang der Sozialisation des Individuums, welches bei ihm stets im Mittelpunkt stand, wurde die Persönlichkeitsentwicklung als subjektiver Prozess begriffen, in dem, durch (Selbst)Reflektion, bewusst eingegriffen werden kann. Ade Schicksalsglaube und Determinismus. Freud nutzte die dialektische Methode für seine Forschungsarbeiten. Religiöse Inhalte und Empfindungen begriff Freud, ähnlich wie Marx, als Illusion: „Es liegt nicht im Plane dieser Untersuchung, zum Wahrheitswert der religiösen Lehren Stellung zu nehmen. Es genügt uns, sie in ihrer psychologischen Natur als Illusionen erkannt zu haben.“ Die Wissenschaft kann ihren Beitrag zur Befreiung des Menschen von den Fesseln der Religion erst leisten, wenn der Mensch die Wissenschaft von den Fesseln ihrer Verwertbarkeit befreit hat.
Am Ende kommen wir vom Glauben ab
Weder die Religionsfreiheit noch die Trennung von Staat und Kirche, weder die Privatisierung der Religion noch der wissenschaftliche Fortschritt im Kapitalismus haben das Ende der Religionen einläuten können. Wir sind der Aufhebung der Illusionen kein Stück näher gekommen, weil der Kapitalismus, wie kaum eine Gesellschaftsformation vor ihm, komplexe, in allen seinen Ausdrucksformen kaum durchschaubare Zustände geschaffen hat, welche der Illusion bedürfen. Diese Zustände sind aufgehoben in dem wohl widersinnigsten Widerspruch in der bisherigen Geschichte der Menschheit: die Einsamkeit als generelles Problem in der Gemeinschaft. Die Religion des Kapitals, insbesondere seit Beginn seiner Niedergangsperiode, ist die Privatreligion - der religiöse Egozentrismus.
Das Kapital als die Irrationalität von Warenproduktion und Konsum ist längst in alle Lebensbereiche unserer Kultur eingedrungen und findet auch in der Auseinandersetzung der Ideologien und Religionen ihren Ausdruck. Jede Form von Ideologie oder Religion ist nicht nur Orientierungshilfe (wenn sie es denn ist), sondern auch Ware.
Religion überhaupt, d. h. religiöse Ideologie und religiöse Handlungen, erklärt sich nicht aus sich selbst, sondern ist immer begründet im Zeitgeist, in der Ökonomie und Politik sowie in regionale Besonderheiten. Religion wirkt ausschließlich auf diesen Bezugsrahmen zurück, welcher wiederum Bedingung ist für den Grad der Entfaltung religiöser Wirklichkeit.
Die historische Entstehung der Religion
Grob umrissen kann man davon ausgehen, dass der Animismus sich effektiv entfalten konnte in einer Stammes – bzw. Clangesellschaft. Animismus repräsentiert die Epoche der sog. Barbarei. Er widerspiegelt den kollektiven Kampf der Stämme und Clans gegen die natürliche Umwelt. Der Polytheismus tritt in seiner Blütezeit als religiöser Überbau der Antike in Erscheinung. Er ist bereits in der Lage differenzierte menschliche Charaktereigenschaften zu spiegeln und gesellschaftliche Arbeitsteilung sowie Herrschaftsverhältnisse zu begründen. Der Monotheismus spielt eine entscheidende Rolle für die Bildung und Organisation großer Staatensysteme. Er war stets eng an der Entstehung des Feudalismus gebunden. Der Monotheismus in Europa entfaltete seine Wirklichkeit, also vor allem seine gesellschaftliche Macht, nicht zufällig am effektivsten im Zeitalter des Absolutismus. Das Bild wäre jedoch allzu einfach, wenn nicht mitgedacht würde, dass ein historischer Prozess keine monokausale Gleichung ist.
Die heutige Entwicklung der Vermarktung spiritueller - und religiöser Bedürfnisse erklärt sich aus dem Welt- und Menschenbild des Kapitals, welches auch die Idee der Religionsfreiheit hervorgebracht hat. Dabei ist davon auszugehen, dass die Religion in unserer Epoche tatsächlich zur Privatsache geworden ist. Wer sich keiner Konfession zugehörig fühlt, ist demzufolge nicht zwangsläufig als Atheist zu betrachten. Das „Wort Gottes“ weicht zunehmend großzügig ausgelegter, individueller Glaubensvorstellungen.
In den hoch entwickelten Industrienationen entstand eine sog. New-Age-Bewegung, die besonders gut den erbitterten Kampf der religiösen Ideen um Marktanteile zeigen. Nahezu alle religiösen Vorstellungen aus allen Zeiten und Orten der Geschichte der Menschheit, sofern sie auch nur im Ansatz zugänglich sind, werden in Workshops und auf Messen verkauft.
Eine zunehmende Individualisierung verlangt geradezu nach Vielfalt und jede „Passung“ muss der Individualität entsprechen. Das Kapital ist in Bezug auf sowohl geistiges als auch materielles Gut gekennzeichnet durch die grenzenlose Aufwertung von Eigenart und Eigentum (Individualisierung, Privatisierung). Spiritualität und Religionen haben ihre orientierende Funktion verloren und sind zum Konsumfetisch verkommen
Die kommunistische Bewegung ist also angehalten, die Isolation der Individuen zu durchbrechen und zwischen den Menschen einen Austausch, eine sich austauschende Zwischenmenschlichkeit herzustellen. Sie ist angehalten, Kritik an den Lebensverhältnissen und am Verhalten der in diesen Verhältnissen ums Überleben Kämpfenden zu üben. Anteilnahme, Respekt und Kritik sind unsere Waffen. Diese sind aufgehoben im Wesen der Solidarität. Wir bejammern nicht den Verlust der Werte. Wir wissen um ihre Bedeutungslosigkeit für unsere Befreiung. Wir kämpfen nicht gegen Ideen, sondern gegen Ausbeutung, Entfremdung und Unterdrückung. Wir kämpfen nicht für die Ausgebeuteten, Entfremdeten und Unterdrückten, sondern als diese und mit diesen. Wir bekämpfen weder Egoismus noch Altruismus, weil wir wissen, dass beides zur Daseinsform des Menschen gehört. Wir bekämpfen den Egozentrismus. Wir bekämpfen den fanatisierten Islamisten, der sich unseren Bemühungen um Befreiung entgegenstellt, nicht als Muslim, sondern in seiner Funktion als Söldner des Kapitals.
Die Ideologien und Religionen stellen den Menschen auf dem Kopf. Wir wollen, dass der Mensch auf seinen Füßen steht, damit er seinen Kopf sinnvoll und sinnlich gebrauchen kann.
Marx:
„Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt.“