Referat - Gab es eine deutsche Revolution?

Politischer Diskussionszirkel Rheinland

Referat zum Thema:

Gab es eine deutsche Revolution?



Ausgangspunkt der Diskussion

Es ist kein Zufall, dass der Zirkel sich dieses Jahr dazu entschieden hat, sich mit der Frage näher auseinanderzusetzen. Als in diesem Frühjahr die StudentInnen-, SchülerInnen-, ArbeiterInnen- und Rentnerbewegung in Frankreich durch ihre Geschlossenheit, Kampfkraft und Solidarität die Völker der Welt beeindruckte, gab es auch in Deutschland unzählige Diskussionen, Veranstaltungen und auch einige Demonstrationen, um besser die Ereignisse in Frankreich zu verstehen. Einen Satz konnte man fast überall hören: Ja, die französische Bevölkerung lässt sich nicht alles gefallen und wehrt sich, in Deutschland aber ist die arbeitende Bevölkerung obrigkeits- und ordnungsliebend. Hier würde man nie eine Revolution erleben können! Und wenn man dann als historisches Beispiel die Ereignisse von 1918/ 1919 erwähnte, war häufig die Reaktion: Welche deutsche Revolution?

Gab es denn 1918/ 1919 überhaupt eine Revolution in Deutschland?


Quellen und Vorgehensweise des Referats

Dieses Referat stützt seine Darstellung primär auf die drei Bände von Richard Müller[1]. Zum einen, weil er ein wichtiger Zeitzeuge und aktiv Beteiligter an den Ereignissen war (wie Trotzki in der Russischen Revolution war Müller Vorsitzender des zentralen Arbeiter- und Soldatenrates). Zum anderen bietet er viele Originalquellen aller politischen Richtungen der Zeit (Flugblätter, Zeitungen, Tagebucheinträge, behördliche Verordnungen, Gerichtsakten etc). Dies soll helfen, ein klareres Bild davon zu erhalten, was sich am Ausgang des 1. Weltkrieges in Deutschland ereignete. Das Referat wird die Ereignisse von November 1918 bis März 1919 chronologisch darstellen. Ein Augenmerk wird auf die Fragen gerichtet: a) Wäre eine erfolgreiche proletarische Revolution möglich gewesen? b) Was waren die Gründe für das Scheitern der Revolution?


Die 1. Phase: Die erfolgreiche politische Revolution- November bis 24. Dezember 1918

Der 1.Weltkrieg tobte nun schon das vierte Jahr. Die Bevölkerung litt zunehmend an Hunger. Es kam vermehrt zu Streiks und Demonstrationen. An der Front kam es verstärkt zu Verbrüderungen von Soldaten, die Kriegsmüdigkeit wuchs. Ein Jahr zuvor war in Russland die proletarische Revolution erfolgreich gewesen und die russischen ArbeiterInnen blickten erwartungsvoll auf die Welt und speziell nach Deutschland: Würde die Weltrevolution sich weiter ausbreiten?

Und in Deutschland kam die Revolution. Sie begann am 4. November, als Tausende Kieler Matrosen in eine sinnlose Seeschlacht geschickt werden sollten, die mit Sicherheit nur eines gebracht hätte: ihren Tod. Die Matrosen verweigerten den Gehorsam, bildeten Matrosenräte. Die Revolution war da. Auch in Berlin hatte es seit Tagen viele Streiks gegeben. Deshalb beorderte die oberste Heeresleitung bereits am 8. November Truppen nach Berlin, um aufständische ArbeiterInnen niederzuschlagen. Trotz des Drucks aus der Bevölkerung verkündete der Kaiser, er werde niemals zurücktreten. Tja, manchmal kann Geschichte sehr schnell gehen. Es schien ein Tag wie jeder andere zu sein. Aber gegen 9 Uhr morgens strömten die ArbeiterInnen aus den Betrieben und liefen auf den Hauptstraßen gen Stadtzentrum. Man holte die anderen ArbeiterInnen von den umliegenden Betrieben ab. Man sammelte sich am Alexanderplatz, Unter den Linden, vor dem Reichstaggebäude und diskutierte. Tausende ArbeiterInnen gingen zu den Gefängnissen, stürmten sie und befreiten die politischen Gefangenen. Sie gingen weiter zu den Kasernen, sprachen mit den Soldaten und viele schlossen sich an, verweigerten ihren Offizieren den Gehorsam. Die Lage war für die Herrschenden kritisch geworden. Die Konsequenz: Der Kaiser „wurde abgedankt“ (von seinem Sohn, Prinz Max von Baden), um die Massen zu beruhigen und weiter die Macht zu behalten. So übertrug er die Regierungsgeschäfte dem Sozialdemokraten Ebert. Dieser versicherte, dass er Deutschland im bisherigen Sinne weiterregieren werde. An diesem Tage aber wurden zwei Republiken ausgerufen: die demokratische von Scheidemann (SPD) und die sozialistische von Karl Liebknecht (Spartakus). Hier zeigt sich schon der Hauptgegensatz der Revolution, aber auch des Kapitalismus.

Am gleichen Abend wurde der Beschluss gefasst, dass alle Betriebe und Kasernen Räte wählen sollten, so dass am 10. November der allgemeine Arbeiter- und Soldatenrat von Berlin tagen konnte.

Es gab drei Hauptparteien: SPD, USPD und die Spartakisten. Obwohl die SPD den Kriegskrediten 1914 zugestimmt und die ArbeiterInnen für den Krieg mobilisiert hatte, forderten die Arbeiter- und vor allem die Soldatendelegierten einen Zusammenschluss zwischen SPD und USPD. Unter allen Umständen wollte man einen Bruderkrieg vermeiden. Weithin glaubte man, die SPD sei noch immer eine Arbeiterpartei.

Obwohl die provisorische Regierung um Ebert - bestehend aus SPD und USPD (sie nannten sich Volksbeauftragte) - ihr Mandat vom Arbeiter- und Soldatenrat erhielten, kämpften sie von Anfang an gegen die Macht der Räte. So verlangte sie die Einberufung der Nationalversammlung. Die gleiche Versammlung wählte auch einen Vollzugsrat, der das oberste Organ der Revolution wurde. Als erste Maßnahmen, um die politische Revolution zu sichern und weiter voran zu treiben, wurden Delegierte der Räte zur Kontrolle der Ministerien und Beamten abgestellt. Der Vollzugsrat wandte sich an die ArbeiterInnen der Welt und forderte die Weltrevolution: „Es lebe der internationale revolutionäre Sozialismus!“

Mit dem 9. November 1918 war die politische Revolution in Deutschland quasi über Nacht geglückt. Ähnlich wie in Russland Frühjahr 1917 entstand eine Situation der Doppelherrschaft: die Volksbeauftragten um Ebert & Co. sowie die herrschenden Kreise Deutschlands einschließlich der obersten Heeresleitung, die für die Nationalversammlung plädierten,versus der Vollzugsrat der Räte, also die revolutionären ArbeiterInnen, Soldaten, die revolutionären Obleute der USPD und die Spartakisten, die für die Räte eintraten. Nicht Dekrete bestimmen, wer die Macht hat, sondern nur das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen. Und daher mahnten sowohl Müller als auch Rosa Luxemburg unermüdlich, dass dies erst die erste Phase der proletarischen Revolution sei. Die soziale Revolution müsse nun Schritt für Schritt erkämpft werden. Das Gebot der Stunde sei daher, ein Programm aufzustellen, das der Revolution Inhalt, Richtung und Ziel gibt. So schrieb Rosa Luxemburg am 18. November 1918 in der „Roten Fahne“: „Die Abschaffung der Kapitalherrschaft, die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung: dies und nichts Geringeres ist das geschichtliche Thema der gegenwärtigen Revolution. Ein gewaltiges Werk, das nicht im Handumdrehen durch ein paar Dekrete von oben herab vollbracht, das nur durch die eigene bewusste Aktion der Masse der Arbeitenden in Stadt und Land ins Leben gerufen (…) werden kann. (…) Aus dem Ziel der Revolution ergibt sich klar ihr Weg, aus der Aufgabe ergibt sich die Methode. Die ganze Macht in die Hände der arbeitenden Masse, in die Hände der Arbeiter- und Soldatenräte, Sicherung des Revolutionswerks vor ihren lauernden Feinden…“

Vom 16. bis zum 20. Dezember 1918 tagte der 1. Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte. Er zeigte noch immer die politische Schwäche der Revolution. Obwohl „die Arbeitermassen in scharfem Tempo nach links marschierten“, zeigte sich dies nicht beim Kongress, denn „der Kongress [ging] nicht aus unmittelbaren Wahlen hervor“, wie Paul Fröhlich in seiner Biographie über Rosa Luxemburg schreibt.[2] Die Zusammensetzung entsprach weiterhin der ersten Wahl am 10. November. Dies sieht man am veröffentlichten Beschluss vom 23. November 1918:

„An die Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands!

Der Vollzugsausschuss des Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenrates hat nach der Verständigung mit den Volksbeauftragten des Reichs und Preußens diesen die exekutive Regierungsgewalt übertragen. Er hat sich aber das weitestgehende Kontrollrecht über die Regierung vorbehalten...“

Damit hatte sich die Rätemacht in Deutschland selbst entmachtet und die Macht an die Bourgeoisie übergeben. Das Schwierige an der Situation war, dass der Kopf der Konterrevolution, die SPD, sich als Befürworter der Revolution ausgab und sich als sozialistisch bezeichnete. Die Gegenrevolution schief nicht und bereitete den ersten Frontalangriff auf die Revolution vor. Bereits am 18. Dezember hatten sich oberste Heeresleitung und SPD (übrigens hinter dem Rücken der mitregierenden USPD) eine Treueiderklärung der Freikorps für den Kampf gegen die Revolution geben lassen. Selbst obere Militärs wussten, dass diese „freiwilligen Verbände“ aus äußerst rohen, brutalen und zweifelhaften Kreaturen bestand, aber für ihren blutigen Bürgerkrieg waren sie die passenden Mittel.

Am 24. Dezember 1918 wurde der Bürgerkrieg durch den ersten Akt der Konterrevolution eröffnet. Ebert und den Militärs war es längst ein Dorn im Auge, dass die Volksmarinedivision - revolutionäre Matrosen (viele von ihnen Familienväter), die sich auf Heimaturlaub in Berlin befanden, als die Revolution ausbrach - im Marstall in der Mitte Berlins Quartier bezogen hatten und damit das Regierungsviertel beherrschten. Es wurde in den Zeitungen eine regelrechte Hetze gegen die Matrosen entfacht, denen die Heuer verweigert wurde. Eine friedliche Demonstration von ihnen wurde beschossen. Wenn das keine Provokation war! Doch die Matrosen verhandelten weiter mit der Stadtkommandantur und schließlich schien eine Einigung möglich. Die Matrosen übernachteten am 23. Dezember größtenteils daheim bei ihren Familien und Stadtkommandeur Wels hielt sich in jener Nacht bei den noch verbliebenen 28 Matrosen im Marstall auf. Am nächsten Morgen folgte um 8 Uhr plötzlich ein Ultimatum an die Matrosen:Ihnen wurden zehn Minuten Zeit zur Kapitulation gegeben, andernfalls werde das Feuer auf sie eröffnet. Später berichteten die Soldaten, dass in dem Ultimatum keine Rede von dem Beschuss war. Man war völlig ahnungslos. Der Marstall war bereits völlig umstellt und wurde nun mit schwerem Geschütz angegriffen. Die Matrosen waren auf sich allein gestellt zu schwach. Die SPD-Zeitung „Vorwärts“ berichtete:

„Um 11.30 ist der größte Teil der republikanischen Soldatenwehr aus dem Schloßviertel abgezogen. Ein großer Teil des Sicherheitsdienstes ist zu den Matrosen übergegangen. Auch hat sich ein kleiner Teil der republikanischen Soldatenwehr denselben angeschlossen. Die Matrosen haben durch bewaffnete Zivilisten Verstärkung bekommen (…) Die ganze Gegend um den Marstall einschließlich der Königstraße bis zum Rathaus ist von Anhängern der Matrosen mit Maschinengewehren besetzt.“

Selbst der „Vorwärts“ konnte es nicht mehr leugnen. Dies war ein 1. SIEG für die Revolution! Soldaten, Mütter und ArbeiterInnen kämpften mit den Matrosen – der Angriff der Bourgeoisie war gescheitert!


Die 2. Phase: der Kampf um die soziale Revolution auf Leben und Tod – Januar 1919

In Berlin kam es nun fast täglich zu großen Demonstrationen und Streiks. Nach dem Sieg im Marstall gingen viele ArbeiterInnen auf die Seite der USPD und der Spartakisten über. Langsam wuchs das Misstrauen gegen die SPD.

Die revolutionären Obleute und der Spartakusbund setzten für den 25. Dezember eine Massendemo an, die von der Siegesallee zum Stadtschloss verlief und der sich Hunderttausende anschlossen. Die Empörung der ArbeiterInnen angesichts des von Regierungstruppen angerichteten Blutbades im Marstall und der unglaublichen Hetztiraden des „Vorwärts“ waren enorm. Man debattierte untereinander. Liebknecht und Ledebour betonten in ihren Reden, dass Ebert & Co. die Hauptschuldigen seien und man sich bereithalten müsse, da die Gegenrevolution zu neuen Schlägen rüsten werde. Gegen 17 Uhr löste sich die Demonstration auf, die Massen gingen auseinander. Doch ein Trupp von etwa 500 Personen zog in die Lindenstraße und besetzte spontan den „Vorwärts“. Man begann mit dem Druck des „Roten „Vorwärts“. Die revolutionären Obleute verstanden die Empörung der ArbeiterInnen sehr wohl, hielten die Besetzung zu diesem Zeitpunkt aber für taktisch unklug, da noch nicht die Mehrzahl der ArbeiterInnen dahinter stand – das restliche Land hinkte noch immer hinterher - und die Gegenrevolution nur auf einen Anlass wartete, um den nächsten Angriff auf die junge Revolution zu starten. Die revolutionären Obleute begannen mit den schwierigen Verhandlungen und erreichten schließlich den geordneten Rückzug. Dies zeigt, dass ein geordneter Rückzug auch ein Sieg sein kann, wenn das Kräfteverhältnis noch nicht mehr erlaubte. Es zeigt darüber hinaus die Gefahr für die Revolution durch das „impulsive Vorprellen vereinzelter Gruppen“, wie Müller schreibt.

So konnte die Konterrevolution hier noch keinen echten Sieg verbuchen, wohl aber konnte die SPD in diesen Tagen einen politischen Erfolg verbuchen, als sie am 27. Dezember den Austritt der USPD aus der Regierung erreichte und nun kompromisslos die Regierungsgeschäfte gegen die ArbeiterInnen alleine führen konnte. Man zog aus der Schlappe am Marstall die Lehre, dass die Frontsoldaten nicht zuverlässig seien, wohl aber die „Freiwilligenverbände“.

Wie sollte es aber mit der Revolution weitergehen? Trotz erster Erfolge hatte die Bewegung große Schwächen. Müller und auch Rosa Luxemburg schätzten die Lage so ein, dass die Voraussetzungen für die unmittelbare Machtergreifung noch nicht gegeben waren. Ein großes Problem in der deutschen Revolution war das Fehlen einer klaren und anerkannten revolutionären organisatorischen Führung der ArbeiterInnen. Ein großer Teil der arbeitenden Bevölkerung glaubte noch immer, dass die SPD durch die Revolution wieder zu den ArbeiterInnen zurückgekehrt sei. Die USPD hatte sich während des 1.Weltkrieges von der SPD abgespalten, weil sie gegen den Krieg war. Doch war sie keine einheitliche Partei mit einem klaren Programm. Der rechte Flügel stellte anfangs sogar die Regierung mit der SPD, der linke Flügel kämpfte mit den ArbeiterInnen für die Revolution und die klassenlose Gesellschaft. Ihre Politik war dadurch aber oft geprägt von Kompromissen in Fragen, wo ein Kompromiss nicht möglich war. Die Spartakisten um Luxemburg und Liebknecht waren Teil der USPD und versuchten, die Partei mit der Radikalisierung der Massen ebenfalls weiter links zu etablieren. Die rechte Führung der UPSD um Kautsky verhinderte aber, dass sich die Partei ein klar marxistisches Programm gab - wohl wissend, dass eine allgemeine Abstimmung dies angenommen hätte, wie Müller schreibt.


Silvester 1918/19: Gründung der KPD – Die Machtergreifung noch nicht auf der Tagesordnung

So beriefen die Spartakisten für den 31. Dezember 1918 den Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ein, denn es wurde immer dringlicher, eine zentralisierte revolutionäre Partei zu schaffen. Auf dem Gründungsparteitag zeigte sich offenkundig, dass viele der Spartakisten zwar programmatisch am klarsten waren, dass die Revolution noch weitergehen müsse, dass leider aber auch viele Hitzköpfe unter ihnen waren, die falsche, nämlich putschistische Vorstellungen von der Machtergreifung hatten, wie Müller schildert. Auch Rosa Luxemburg entging dies nicht. Unendlich erschöpft, aber mit großer Willenskraft hielt sie folgende Rede: „Wir dürfen nicht die Illusion der ersten Phase der Revolution, der des 9. November, weiter pflegen und wiederholen, als sei es überhaupt für den Verlauf der sozialistischen Revolution genügend, die kapitalistische Regierung zu stürzen und durch eine andere zu ersetzen. Nur dadurch kann man den Sieg der proletarischen Revolution herbeiführen, dass man umgekehrt anfängt, die Regierung Ebert-Scheidemann zu unterminieren durch einen sozialen revolutionären Massenkampf des Proletariats auf Schritt und Tritt (…) Die Geschichte macht es uns nicht so bequem, wie es in den bürgerlichen Revolutionen war, dass es genügte, im Zentrum die offizielle Gewalt zu stürzen (…) [Wir brauchen den] Massencharakter unserer Revolution. (…) Ich glaube, es ist gesund für uns, wenn wir uns mit voller Klarheit alle Schwierigkeiten und Komplikationen dieser Revolution von Augen führen (…) wen kümmert das, wenn nur unser Leben ausreicht, es dahin zu bringen.“ (Fröhlich, 354-355)

Luxemburg warnte also vor vorschnellen Aktionen, um die Macht in Berlin zu ergreifen. Nun beginne die zweite Phase der Revolution, in der sich nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Reich gewaltige Kämpfe entwickelten. Die Machtergreifung könne daher auch erst der Schlussakt der Revolution sein. Und in der Tat begannen sich die Provinzen in ersten ökonomisch motivierten Streiks zu erheben, die bereits ihren potenziellen revolutionären Charakter erkennen ließen, wie im Rheinland, in Bremen, Hamburg, München, Thüringen und Oberschlesien u.v.m. Durch die Bewegung in den Provinzen aufgerüttelt, suchte die Gegenrevolution die Entscheidung, bevor es zu spät war und die Revolution im Lande siegte.


Januarkämpfe 1919: Wie kam es dazu?

Und dennoch gab es wenige Tage später Kämpfe in Berlin. Sie sind in die Geschichte eingegangen als der Spartakusaufstand. Wie passt dies zusammen? Die Spartakisten (nun die KPD) hatten Rosa mehrheitlich zugestimmt, dass die Machtergreifung noch nicht auf der Tagesordnung stand. Müller und Fröhlich waren sich in ihrer Antwort einig: „Die Wahrheit ist: es hat keinen Spartakusaufstand gegeben. (…) Die Wahrheit ist, dass die Januarkämpfe von der Leitung der Konterrevolution mit Umsicht und Entschlossenheit vorbereitet und mit Tücke herausgefordert worden sind.“[3] Im so genannten Münchner Dolchstoßprozess (1925) schilderte General Groener unter Eid die Verschwörung Eberts mit dem Generalstab.[4] Ein Vorwand für die Provokation war schnell gefunden. Am 3. Januar 1919 entließ die Regierung unter Zuhilfenahme von Lügen und Verleumdungen den Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD). Er war der Regierung längst ein Dorn im Auge, da er, wo er konnte, seine schützende Hand über die revolutionäre Bewegung der Massen hielt und in letzter Sekunde einen Mordanschlag auf Karl Liebknecht verhindern konnte. Er protestierte, verlangte, die Anschuldigungen entkräften zu können, und erhielt ein Ultimatum. Vor Ablauf des Ultimatums wurde er von der Regierung entlassen. Ein Aufschrei ging durch die Massen.


5. Januar 1919: erster Wendepunkt in der deutschen Revolution

Am 5. Januar kam es zu einer riesigen Demonstration in Berlin für Eichhorn. Als die Massen im Begriff waren, heimzukehren, kam der „große Moment“ des Kellners Alfred Roland.: Er verkündete, dass Ebert & Co. Bluthunde seien, daher müsse man sich jetzt rächen, und er forderte zur Besetzung des „Vorwärts“ und des ganzen Zeitungsviertels auf. Etwa 300 Leute folgten ihm. Wie sollte man dies einschätzen? War dies der spontane Ausdruck der entschlossensten ArbeiterInnen Berlins? Hatte sich also die Lage für die Revolutionäre geändert? An diesem Abend trafen sich die linke USPD, die revolutionären Obleute sowie Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck von der KPD. Es wurde wild debattiert. Es trafen Meldungen ein, wonach Truppen in Spandau sich in den Besitz eines ganzen Arsenals von Waffen gebracht und sich für die Revolution ausgesprochen hätten, und dann sei da ja noch die Besetzung des Zeitungsviertels und des „Vorwärts“. Man verlor den Kopf. Viele sprachen sich für den Aufstand aus. Entgegen des Parteibeschlusses der KPD waren auch Liebknecht und Pieck dafür. Richard Müller wandte sich ebenso entsetzt wie vehement gegen die Meinung der Mehrheit unter den Anwesenden und wandte ein, dass weder politisch noch militärisch die Voraussetzungen gegeben seien. Der Aufstand sei zu früh und könne daher tragisch ausgehen. Pieck wandte sich scharf gegen Müller und forderte die Abstimmung. Alle stimmten für den Ausruf eines Generalstreiks, die Mehrheit für den Aufstand.[5] Hier zeigt sich das fatale Problem der Ungeduld und des Verlustes ihrer Fähigkeit, die aktuelle Lage zu analysieren. Es kam zur Bildung des provisorischen „Revolutionsausschusses“. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatten eine große Auseinandersetzung deswegen. Sie sah die Gefahr für die Revolution, die Verletzung der Parteidisziplin. Was taten die ArbeiterInnen? Sie traten voller Wut am 6. Januar in den Generalstreik, riefen: „Nieder mit der Regierung!“. Der „Revolutionsausschuss“ tagte den ganzen Tag und die Massen warteten auf ein Zeichen, darauf, dass die Führung ihnen klare Anweisungen erteilte. Doch was geschah? Nichts! Schließlich gingen die Arbeitermassen ohne politische Orientierung nach Hause. Dennoch war die Lage auf der Kippe, denn der Großteil der Truppen in Berlin war nicht gewillt, der Regierung zu folgen. An diesem Tag wurde der SPD-„Arbeiter“ Gustav Noske zum Oberbefehlshaber ernannt, weil man wusste, dass die ArbeiterInnen „einem der Ihren“ eher vertrauen würden als einem adligen Heerführer. Offiziell ließ er verkünden, dass er jedes Blutvergießen vermeiden wolle, in seinem Memorieren schrieb er aber, dass er zur SPD-Führung an dem Tag sagte: „Einer muss ja der Bluthund sein.“ Er machte sich gleich an die Arbeit und suchte Freikorps aus, um die Revolution in ihrem Blut zu ertränken.


„Die Stunde der Abrechnung naht!“ (Flugblatt der SPD)

Die SPD wollte die Entscheidung. Die Verhandlungen um die Aufgabe des besetzten „Vorwärts“ wurden immer wieder unterlaufen, gleichzeitig wurden Minenwerfer vor dem „Vorwärts“-Gebäude in Stellung gebracht. Der Kampf um den „Vorwärts“ wurde verkündet als Kampf um die heilige Pressefreiheit dargestellt. Später stellte sich heraus, dass die Besetzung von einem Provokateur ausging, der im Auftrag der Konterrevolution gehandelt hatte. In einem Prozess Jahre später kam dies ans Tageslicht. Jedes Mittel war der Konterrevolution recht, um die Revolution brutal niederzuschlagen. Müller betont, dass die SPD den Bürgerkrieg suchte, auch wenn sie sich immer beeilte, ihre Friedensliebe zu beteuern. An diesem Tag folgte ein weiterer Generalstreik der ArbeiterInnen Berlins. Sie forderten den Rücktritt der Regierung, waren aber auch sauer auf die Führer, die den Aufstand hier und heute gefordert hatten. Sie wollten Massenstreiks, aber ein Ende der Straßenkämpfe. Obwohl die USPD der Regierung in den Verhandlungen am 6. und 7. Januar wegen den Zeitungsbesetzungen mehrmals die sofortige und uneingeschränkte Räumung anbot, wurde dem mit der militärischen Erstürmung des „Vorwärts“ beauftragten Major von Stephani auf Nachfrage, ob nicht eine Einigung durch Verhandlungen möglich sei, von der Regierung (Molkenbauer) mitgeteilt: „Es ist nicht möglich. Es ist nur möglich, das Gebäude mit Waffengewalt zu nehmen.“ So geschah es denn auch. Von Stephani rief mehrmals die Regierung an und fragte, was mit den Gefangenen geschehen solle. Antwort: „Erschießen!“ Die ArbeiterInnen, die als Geiseln genommen wurden, wurden schwer misshandelt, es kam zu zahlreichen Hinrichtungen. Der so genannte „Januaraufstand“ war mit geringen militärischen Kräften niedergeschlagen worden.


Menschenjagd

Es wurde in aller Öffentlichkeit eine immense Belohnung für die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht ausgesetzt. Eine unglaubliche Hetzkampagne wurde von den bürgerlichen Medien in Gang gesetzt. Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Freikorps verhaftet, misshandelt und durch Schüsse in den Kopf getötet. Rosas Leiche wurde in den Landwehrkanal geworfen und erst Monate später gefunden. Am 16. Januar wurde der Öffentlichkeit dann mitgeteilt, dass Liebknecht auf der Flucht erschossen worden sei und Rosa von einer aufgebrachten Volksmenge gelyncht worden sei. Wenige Tage später wurde aber bekannt, dass dieser amtliche Bericht eine schamlose Lüge war. Die Namen der Mörder und ihrer Auftraggeber wurden genannt. Doch die Mörder wurden nicht verurteilt. Vielmehr ermöglichte man ihnen die Flucht nach Holland. Als der Mord bekannt wurde, ging ein Aufschrei des Entsetzens durch die Arbeitermassen. Noske verhängte den Kriegszustand über Berlin, als am 25. Januar Hunderttausende den Särgen von Liebknecht und 33 anderen Opfern folgten. Aber man war wie gelähmt. Besonders die Berliner Arbeiterschaft – bis dato die Speerspitze im revolutionären Kampf – war nun traumatisiert und paralysiert. Dies war ein schwerer Schlag für die Revolution. War dies das Ende oder würden sich die revolutionären Kräfte noch einmal aufrichten können?

Der Gegenrevolution reichte dieser Schlag jedoch nicht. Man musste auf Nummer sicher gehen. Die „sozialistische“ Regierung Ebert berief sieben Generäle und Noske ins Amt, um „Berlin zu säubern“ und für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. Stadtteil für Stadtteil wurde in Berlin besetzt, Arbeiter erschossen, Frauen misshandelt. In den Zeitungen rechtfertigte man dies damit, man müsse die kämpfenden Spartakisten besiegen. General Maerker berichtete aber am 25. Januar dem Generalkommando: „Als ich am 15.1. in Berlin einrückte, tobte Nacht für Nacht das Maschinengewehrfeuer von den Hausdächern… Am 16.1. erklärte ich den Vertrauensleuten der Wehren meine Überzeugung, dass das Schießen nicht von Spartakisten, sondern von Mannschaften der Wehren herrührte; das es teils Angstschießen, teils Wichtigtuerei sei, ja, dass ich sogar den Verdacht hätte, dass die Posten nur schössen, um damit die Notwendigkeit des Bestehens der Wehren darzutun…“[6] Die Mitglieder des Vollzugsrates fanden heraus, dass es diese schießenden Spartakisten gar nicht gab. Vielmehr schossen die verrohten Regierungstruppen ziel- und planlos umher, obwohl es keinerlei Gegenwehr gab. Müller spricht von einer Errichtung der Militärdiktatur. Was der Kaiser nie gewagt hatte, die SPD tat es – in diesem Ausmaß Gewalt gegen die eigene Bevölkerung anzuwenden. Das Gleiche geschah im Februar auch in Bremen, wo vorübergehend die Rätediktatur ausgerufen worden war.


Frühjahr 1919: Industriezentren Deutschlands - Kampf um die Weiterführung der Revolution

Seit dem Krieg war die wirtschaftliche Lage immer dramatischer geworden. Die Menschen litten Hunger und Not. In den großen Industriezentren führte die wirtschaftliche Not zu großen wirtschaftlichen Kämpfen, die sich zusehends mit revolutionären Zielen verbanden. So begannen ab Februar 1919 die entscheidenden Kämpfe um die Weiterführung der Revolution in 1) Oberschlesien, 2) Rheinland und Westfalen, 3) Mitteldeutschland und 4) Großberlin.

In Oberschlesien wurden die Massenstreiks, die schon im Dezember 1918 ausgebrochen waren, durch den Nationalismus entscheidend geschwächt, weil die polnischen und die deutschen ArbeiterInnen gegeneinander ausgespielt wurden. So ging die revolutionäre Kraft verloren. Besonders großartig und heroisch aber waren die Kämpfe in Rheinland-Westfalen und in Mitteldeutschland. Im Ruhrgebiet versuchte man ebenfalls eine Spaltung der ArbeiterInnen. So bekamen allein die Eisenbahner eine Lohnerhöhung. Damit wollte man sicherstellen, dass die gegenrevolutionären Truppen quer durchs Land transportiert werden konnten. Im Ruhrgebiet waren es auf der anderen Seite vor allem die Bergarbeiter, die litten. Der Weg zur Selbsthilfe ging über den Streik. Sie kamen mit Arbeiterparteien in Kontakt und begannen mit der Sozialisierung der Bergwerke, wie der 1. Rätekongreß gefordert hatte. Es bildeten sich vielerorts Räte. Schon am 3. Januar 1919 beschloss und verkündete eine Konferenz sämtlicher Arbeiter- und Soldatenräte im rheinisch-westfälischen Industriegebiet in Essen: „Die Konferenz (…) beschloss, die sofortige Sozialisierung des Kohlebergbaus selbst in die Hand zu nehmen. In diesen kurzen Worten liegt eine Tatsache von ungeheuerer Bedeutung. Damit ist die Revolution von einer politischen zur wirtschaftlichen Revolution geworden. Sozialisierung (…) bedeutet, dass die Ausbeutung des Arbeiters durch den Unternehmer ein Ende haben soll…

Dies war die notwendige Weiterführung hin zu einer sozialen Revolution, wie Rosa Luxemburg und Richard Müller sie gefordert hatten. Am 14. Februar beschloss der Gesamtrat des Ruhrgebietes einen ersten Generalstreik und den bewaffneten Kampf gegen die brutalen „Freiwilligenkorps“. Die militärische Lage für die Aufständischen wurde von Müller als sehr günstig eingeschätzt. Als am 21. Februar das Generalkommando die totale Entwaffnung und Kapitulation der Räte forderte, kam dies einer Aufforderung zum Selbstmord gleich. Doch insgesamt war die Stimmung noch nicht für einen bewaffneten Kampf und so beschlossen die Räte, die Forderungen anzunehmen. Nun aber hatte man seine günstige Position frühzeitig und unnötig aufgegeben, obwohl der Ausbruch der Kämpfe in Mitteldeutschland unmittelbar bevorstand. Die ArbeiterInnen waren empört und am nächsten Tag traten 145.000 ArbeiterInnen in den Streik. Gleichwohl die Bedingungen akzeptiert worden waren, behaupteten die Regierungstruppen, dies sei nicht der Fall und daher müsse das ganze Ruhrgebiet militärisch besetzt bleiben. Es kam zur Okkupation ganzer Städte, zur Entwaffnung von Arbeitern, zu Verhaftungen und zu hohen Gefängnisstrafen für die kämpfenden ArbeiterInnen. Erst im März kam es wieder zur Weiterführung der Kämpfe, dann allerdings mit geballter revolutionärer Kraft.


Februar 1919: Kämpfe in Mitteldeutschland

Die Kämpfe in Mitteldeutschland waren eine Weiterentwicklung der Kämpfe im Ruhrgebiet. Es wurden zwar im Grunde die gleichen Forderungen gestellt, aber hier waren es nicht nur die BergarbeiterInnen, sondern alle IndustriearbeiterInnen, große Teile der Eisenbahner, das Verkehrspersonal, ArbeiterInnen von Chemie und Elektrizität – im Grunde also fast aller Berufsstände -, die streikten. Die Garnisonstruppen der mitteldeutschen Städte (z.B. Erfurt, Merseburg etc.) versicherten den Streikenden ihren Beistand. Der Streik hatte seine größte Ausdehnung hier erfahren. Die einzige Möglichkeit, den Streik noch wirksamer zu machen, bestand darin, dass gerade Berlin sich anschloss. Müller wertet dies als wichtigen Schritt der Revolution, denn: „Erfahrungsgemäß können Massenkämpfe nicht in einem Beharrungszustand gehalten werden. Entweder sie steigen oder sie fallen.“ (147) Auf der am 23. Februar tagenden Bezirkskonferenz der Bergleute, an der auch alle anderen Branchen und die Soldatenräte zugegen waren, wurde „unter großen Beifall der Wunsch ausgesprochen, dass Berlin sich dem Streik anschließen möge.“ (Müller, 143) Dies war ein Aufruf nicht nur zur Ausdehnung des revolutionären Kampfes, sondern auch der Aufruf an den Kopf der Revolution, der seit seinem Trauma im Januar noch nicht zur Wiederaufnahme des Kampfes in der Lage war.

Am 24. Februar kam es mit elementarer Wucht zum Generalstreik. Man forderte die Demokratisierung aller Betriebe als Vorstufe der Sozialisierung. Entscheidend war die Tatsache, dass die Eisenbahner mitstreikten, um das Militär zu lähmen. Faktisch waren der Süden und der Norden des Landes voneinander getrennt. Die Reichsregierung und die Nationalversammlung saßen in Weimar,also mitten im Streikgebiet. In Sachsen und Anhalt schlossen sich mehrere Städte dem Generalstreik an. Die Propaganda der SPD hatte bei den mitteldeutschen ArbeiterInnen keinen Einfluss mehr. Die ständige Rede vom Frieden wurde durch die blutigen Taten in Berlin, Bremen und anderswo einfach zu krass konterkariert.

Gleichzeitig schauten die ArbeiterInnen gebannt auf ihre Klassenbrüder- und schwestern in Berlin.


Februar-März 1919: Wie reagiert die Arbeiterklasse in Berlin?

Sowohl den Revolutionären als auch den revolutionären ArbeiterInnen war klar, dass man sich der Forderung aus Mitteldeutschland nach einem Generalstreik nur anschließen konnte, wenn die Vollversammlung der Arbeiterräte dies beschloss. Dies hatten die Ereignisse im Januar klar gezeigt. Obgleich die ArbeiterInnen und die USPD seit Januar weiter nach links gerückt waren, entsprach die Zusammensetzung der Vollversammlung noch den Wahlen im November, d.h. der paritätischen Besetzung durch USPD und SPD. Längst war es wieder an der Zeit, die Vollversammlung der Räte einzuberufen. Dies war seit Januar nicht mehr geschehen. Innerhalb der Vollversammlung entbrannte ein Streit über die Aufgaben der Arbeiterräte. Hier gelang es der USPD, einen Teil der sozialdemokratischen Arbeiterräte auf ihre Seite zu ziehen. Es wurde beschlossen einen Reichsrätekongress im Februar einzuberufen. Auch die Anfang Februar tagende Reichskonferenz der Soldatenräte beschloss, dass der Kongress am 20. Februar stattfinden sollte. Die Reichsregierung und die sozialdemokratische wie die bürgerliche Presse waren total dagegen. Diese Reaktion war nicht weiter verwunderlich, da im ganzen Reich entscheidende Kämpfe stattfanden und die ArbeiterInnen in den Provinzen ihre geballte Macht zeigten. Die Mehrheit der SPD-Räte stellte sich quer, um die Einberufung des Gesamtkongresses der Räte zu verhindern. Die 150 unabhängigen (USPD-)Arbeiterräte reichten schließlich einen Antrag für die Einberufung ein. Dem konnten sich die SPD-Räte nicht widersetzen. Der Kongress wurde also für den 26.Februar einberufen. Es wurden wichtige Resolutionen angenommen: Man protestierte gegen die Nationalversammlung, die Räte sollten den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen. Die Neuwahl der Räte ergab einen klaren Ruck nach links, der im April schließlich zur Mehrheit der Linken führen sollte. Die SPD-Leute versuchten, die Diskussionen permanent zu verschleppen, denn die Zeit wurde knapp. Mitteldeutschland wartete weiterhin auf eine Antwort. Schließlich machte die Belegschaft von A.E.G. Hennigsdorf den entscheidenden Schritt, als sie als gesamte Belegschaft eine Delegation am 28. Februar zum Kongress schickten und die sofortige Unterstützung der Kämpfenden in Mitteldeutschland verlangten, indem auch in Berlin der Generalstreik beschlossen werde. Aufgrund heftiger Auseinandersetzungen auf dem Kongress, wo sich die SPD größtenteils quer stellte, kam es erst am 3. März zum Beschluss des Generalstreiks in Berlin, den USPD und KPD mit vorbereitet hatten. Am nächsten Tag war der Generalstreik in Berlin da. Doch tragischerweise kam dieser Beschluss zu spät! An eben jenem Tag hatten Vertreter der Streikenden in Mitteldeutschland von der Reichsregierung Zugeständnisse durch Verhandlungen erhalten. Es kam zur Abstimmung. Sollte man annehmen oder weiterkämpfen und hoffen, dass Berlin mitziehen würde? Gegen eine starke Minderheit wurden die Verhandlungsergebnisse angenommen und die Arbeit wenige Tage später wieder aufgenommen. Der Beschluss aus Berlin kam wenige Stunden zu spät!

Zwar gingen die revolutionären Kämpfe in Deutschland bis 1923 weiter, doch ist hier rückblickend die entscheidende Niederlage der ArbeiterInnen zu finden, die sich mangels politischer Koordination nicht von dem Schlag der Konterrevolution im Januar 1919 erholte. Im Frühjahr 1919 war man ganz nah dran an der siegreichen Revolution…



Fußnote

[1] „Vom Kaiserreich zur Republik“, „Die Novemberrevolution“, „Der Bürgerkrieg in Deutschland“

[2] Paul Fröhlich: Rosa Luxemburg. Gedanke und Tat. Kapitel: Die deutsche Revolution. S.345-346.

[3] Paul Fröhlich. Ebenda. S. 357. Fröhlich führt als sicheren Beweis die Leitartikel der „„Roten Fahne““ an, die in diesen Tagen nirgends mit einem bewaffneten Aufstand in Berlin rechneten oder ihn etwa forderten.

[4] Vergleiche Paul Fröhlich. S. 357.

[5] Ausführlicher nachzulesen bei Richard Müller: Bürgerkrieg in Deutschland. S. 32-35.

[6] General Maerker zitiert bei Richard Müller. S. 96.

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