Referat - "Warum fehlte der deutschen Arbeiterklasse in der Revolution 1918/19 eine einheitliche revolutionäre Partei?"

Politischer Diskussionszirkel Rheinland

Einleitung zum Treffen des Diskussionszirkels Rheinland im Febr. 07

"Warum fehlte der deutschen Arbeiterklasse in der Revolution 1918/19 eine einheitliche revolutionäre Partei?"

Diese Frage zu beantworten, fiel mir zu schwer. Ich habe versucht, folgende Frage "Welche Lehren sind aus der deutschen Revolution für die Aufgaben einer revolutionären Organisation heute zu ziehen?" zu beantworten.

Wir müssen die Lehren aus der Geschichte ziehen für die Zukunft, wenn das Proletariat einen erneuten Anlauf nimmt, den Kapitalismus zu stürzen und eine kommunistische Gesellschaft aufzubauen.

Eine Lehre, die man ziehen kann, ist: Es ist notwendig, dass frühzeitig eine einheitliche revolutionäre Partei da ist. Diese Lehre kann man auch aus dem Vergleich der russischen Revolution mit der deutschen Revolution ziehen. In Russland gab es eine einheitliche, revolutionäre Partei, die in der Lage war, die Arbeiterklasse erfolgreich vor einer überstürzten, voreiligen Konfrontation mit dem Staat zu warnen, als im Juli 1917 die Bourgeoisie die Arbeiterklasse in die Falle eines verfrühten Kampfes locken wollte, und die in der Lage war, der Arbeiterklasse eine politische Orientierung zu geben, entschlossen auf den Aufstand hin zu arbeiten, als die Situation reif war. In Deutschland gab es keine solche einheitliche revolutionäre Partei mit dem nötigen Einfluss in der Arbeiterklasse, um die Arbeiter erfolgreich vor der verfrühten - von der Bourgeoisie provozierten - gewaltsamen Konfrontation im Januar 1919 zu warnen.

In Russland gab es schon lange vor der Oktoberrevolution eine Kraft mit Lenin als Zentrum, die sich zur Aufgabe gesetzt hatte, eine straff organisierte einheitliche Partei mit einem marxistischen Programm schaffen. Dazu war zu­nächst eine Flurbereinigung auf theoretischem Gebiet notwen­dig, so der Kampf gegen einen utopischen Sozialismus, der auf primitiven urwüchsigen Bauerngemeinden fußen sollte, und der Kampf gegen die Vorstellung, der Arbeiterkampf sollte sich auf den wirtschaftlichen Kampf beschränken und er sollte den politischen Kampf gegen den Zarismus der Bourgeoisie überlassen. Namentlich Lenin trat dafür ein, dass die revolutionäre Organisation dazu beitragen müsse, die Arbeiterklasse mit dem Bewusstsein zu erfüllen, dass sie berufen ist, über ihre unmittelbaren Interessen hinaus Vorkämpfer aller unterdrückten Schichten und des historischen Fortschritts im Ganzen zu werden. Um diesen theoretischen Kampf zu führen, war eine breite, offene, vertiefte und andauernde Debatte in der ganzen Organisation notwendig.

Lenin legte auch großen Wert auf organisatorische Fragen. Seine Richtung kämpfte gegen eine Richtung, die eine Partei mit verschwimmenden Grenzen haben wollte, wie sie sich aus dem Zustand der Bewegung ergaben, mit starker Autonomie der einzelnen Gruppen, eine Partei der Agitation, die breit und lose möglichst alles umfasste, was sich Sozialist nannte. Lenin aber kam es darauf an, die Autonomie und damit die Isolierung der lokal entstandenen Gruppen zu überwinden und so die Ge­fahr ihrer Versimpelung und Verknöcherung und wohl gar ihrer politischen Rückentwicklung zu vermeiden. Er wollte eine fest zusammengeschlossene Partei, die als Vorhut der Klasse zwar mit dieser verbunden, aber doch klar von ihr abgegrenzt sei. So kam es in Russland gab es schon früh zur Spaltung der Arbeiterpartei in Menschewiki und Bolschewiki. Mit den Bolschewiki war eine revolutionäre Minderheitenorganisation geschaffen, wie sie für die Niedergangsphase nötig ist, - während die SPD zur Zeit der Revolution eine gewaltige, vom Opportunismus zernagte Massenpartei war.

Auch in Deutschland hatte es schon früh Auseinandersetzungen in der Sozialdemokratischen Partei gegeben. Der linke Flügel um Rosa Luxemburg kämpfte entscheiden und in aller Tiefe gegen den Reformismus, für den Internationalismus und für neue Formen des Arbeiterkampfes, aber das hat nicht so wie in Russland zu einer einheitlichen geschlossenen revolutionären Organisation geführt. Die USPD hatte sich während des 1. Weltkriegs im April 1917 von der SPD abgespalten, weil sie gegen den Krieg war. Doch war sie keine einheitliche Partei mit einem klaren Programm. Der rechte Flügel der USPD stellte anfangs nach der Abdankung des Kaisers sogar mit der SPD zusammen die Regierung, während der linke Flügel, der hauptsächlich von den Spartakisten gebildet wurde, mit den Arbeitern für die Revolution und die klassenlose Gesellschaft kämpfte.

Erst sehr spät haben sich die Linken von der USPD getrennt, wenn sie auch schon vorher in der USPD eine eigene Gruppe gebildet haben. Bei dieser Trennung verfolgte Luxemburg die Taktik, die dahin gehen müsste, „nicht etwa die ganze Opposition unter einen Hut bringen, sondern umgekehrt aus diesem Brei den kleinen, festen und aktionsfähigen Kern herauszuschälen. [...] lasst euch nicht durch die alte Phrase von der Einigkeit, die die Kraft bilde, einfangen. Jawohl, Einigkeit macht stark, aber Einigkeit der festen, inneren Überzeugung, nicht äußere mechanische Zusammenkoppelung von Elementen, die innerlich auseinanderstreben.“

Erst zur Jahreswende 1918/1919 kam es zur Gründung der KPD. Rosa Luxemburg warnte auf dem Gründungsparteitag vor Illusionen, dass es für den Lauf der sozialistischen Revolution genügend wäre, die kapitalistische Regierung zu stürzen und durch eine andere zu ersetzen. "Die Geschichte macht es uns nicht so bequem, wie es in den bürgerlichen Revolutionen war, dass es genügte, im Zentrum die offizielle Gewalt zu stürzen und durch ein paar oder ein paar Dutzend neue Männer zu ersetzen. Wir müssen von unten auf arbeiten, und das entspricht gerade dem Massencharakter unserer Revolution bei den Zielen, die auf den Grund und Boden der gesellschaftlichen Verfassung gehen [...] Unten, wo der einzelne Unternehmer seinem Lohnsklaven gegenübersteht, unten, wo sämtliche ausführenden Organe der politischen Klassenherrschaft gegenüber den Objekten dieser Klassenherrschaft, den Massen, stehen, dort müssen wir Schritt um Schritt den Herr­schenden ihre Gewaltmittel entreißen und in unsere Hände bringen. […] Nicht durch Erzeugung einer revolutionären Hurrastimmung, sondern umgekehrt: nur durch Einsicht in den ganzen furchtbaren Ernst, die ganze Kompliziertheit der Aufgaben, aus politischer Reife und geistiger Selbständigkeit, aus kritischer Urteilsfähigkeit der Massen kann die geschichtliche Aktionsfähigkeit des deutschen Proletariats geboren werden."

Auf diesem Parteitag zeigten sich ziemliche Schwächen in der Organisationsfrage. Der Aufbau einer fest gefügten, schlagkräftigen Organisation, die sich über ihre Aufgaben und ihre Funktionsweise klar ist, die klare organisatorische Regeln hat und zentralistisch organisiert ist, was unerlässlich ist für die Intervention in der Klasse, wurde unterschätzt. So sagte der Delegierte Eberlein:“Wir dürfen und sollen in diesen Tagen nicht auf diese kleinen Dinge der Organisation legen. Wir wollen, so weit es möglich ist, in den nächsten Wochen und Monaten Ihnen [den Delegierten auf dem Gründungsparteitag] in den Orten das alles selbst überlassen. [...] Es wäre notwendig, dass bei dieser Organisationsform von Seiten der Gesamtorganisation die weit möglichste Freiheit gelassen wird. [...wir sind weiter der Meinung,] dass die einzelnen Betriebsorganisationen eine völlige Autonomie haben müssen.“ Es herrschte auf dem Kongress viel Ungeduld bei der Debatte.

Sowohl die Bourgeoisie als auch die Revolutionäre wussten, dass die Revolution im Begriff war, sich zu entwickeln. Die Bourgeoisie lockte deshalb im Januar 1919 in eine gewaltsame Konfrontation, um der Arbeiterklasse eine vernichtende Niederlage beizubringen, bevor es zu spät war. Die Revolutionäre um Rosa Luxemburg warnten die Arbeiterklasse vor vorschnellen Aktionen, um die Macht in Berlin zu ergreifen, denn die Situation in Deutschland war noch nicht reif genug. In anderen Gegenden war die Arbeiterklasse noch nicht so weit, wie in Berlin. Jedoch hatte die neu gegründete KPD nicht genügend Einfluss in der Klasse und konnte nicht, so wie die Bolschewiki im Juni 1917 in Russland, die Arbeiterklasse zurückhalten. Die Arbeiterklasse tappte in die Falle der Bourgeoisie hinein, die den Januaraufstand brutal niederschlug. Unter den gegebenen Umständen in der Hauptsache auf Berlin beschränkt, hätten diese günstigstenfalls zu einer Berliner Kommune geführt, wahrscheinlich obendrein in einem kleinen geschichtlichen Format. Kampfziel konnte nur sein die kraftvolle Abwehr des Streiches der Konterrevolution. Also: die Wiedereinsetzung Eichhorns in sein Amt, die Entfernung der Truppen, die das revolutionäre Berliner Proletariat blutig niederwerfen sollten, die Bewaffnung der Arbeiter und die Übertragung der militärischen Verfügungsgewalt an die revolutionäre politische Vertretung der Proletarier. Für diese Forderungen mussten gehandelt, durften nicht verhandelt werden.

Der von Rosa Luxemburg geführten jungen Kommunistischen Partei erwuchs aus dieser Lage eine schwierige, konfliktreiche Aufgabe. Sie konnte das Ziel der Massenaktion – Sturz der Regierung – nicht zu dem ihrigen machen, sie musste es ablehnen, aber sie durfte gleichzeitig sich nicht von den Massen loslösen, die den Kampf aufgenommen hatten. Trotz des Gegensätzlichen musste sie bei den Massen, unter den Massen bleiben, um sie in ihrem Ringen mit der Gegenrevolution zu stärken und den Prozess ihres revolutionären Reifens während der Aktion zu fördern, indem sie ihnen die Bedingungen ihres Vorstoßes zu Bewusstsein brachte. Zu diesem Zweck musste die Kommunistische Partei ihr eigenes Gesicht zeigen, ihre Wertung der Situation scharf umrissen herausarbeiten, ohne die proletarische, die revolutionäre Solidarität zu verletzen, die sie den Kämpfenden schuldet. Ihr Anteil an dem Kampf musste also negativ - kritisch und positiv - vorwärtstreibend zugleich sein.

Die Revolutionäre um Luxemburg bauten darauf, dass sich das naive Vertrauen in die Versprechungen und heiligen Eide der Bourgeoisie vor der Sozialdemokratie einer kritischen Prüfung der Taten weichen würde und das schon im Gang war, dass immer neue soziale Schichten in den revolutionären Strudel hineingerissen würden. Ganze Truppenteile, die durch teuflische Propaganda aufgehetzt gegen den Allerweltsfeind die 'Spartakisten' in die Großstädte heimkehrten, verwandelten sich in kurzer Zeit in Stützen der Revolution, denn die Soldaten zogen wieder die Livree des Imperialismus aus und den Arbeiterkittel an und berührten wieder den Mutterboden, in dem ihr Klassenbewusstsein wurzelt. Die beginnende Streikbewegung zeigte, dass die politische Revolution in das soziale Fundament der Gesellschaft eingeschlagen hatte. Die Revolution besinnt sich auf ihren eigenen Urgrund, sie schiebt die papierne Kulisse von Personenveränderungen und Erlassen, die an dem sozialen Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit noch nicht das allergeringste geändert haben, beiseite und betritt selbst die Bühne der Geschehnisse. Die Bourgeoisie musste Angst haben, dass sich die Zusammensetzung der Räte mit der Entwicklung der Massenbewegung zu ihren Ungunsten ändern würde. Was umso größere Bedeutung hätte, als Räte in dieser Zeit der Gärung aus ihrem revolutionären Recht heraus öffentliche Funktionen ausüben könnten. Und die Sozialdemokratie nicht mehr in der Lage wäre die Räte zu lähmen und gleichzeitig Schritt für Schritt den alten Staatsapparat des kaiserlichen Deutschlands wieder aufzubauen.

Und es stiegen die Riesenprobleme der Arbeitslosigkeit, der wirtschaftlichen Kämpfe zwischen Kapital und Arbeit, des Staatsbankrotts auf. Darum musste die Klassenscheidung klarer und schärfer werden, musste die revolutionäre Spannung wachsen. Zwei Aufgaben stellte Rosa Luxemburg der eigenen Partei und der Klasse: Aufklärung über Ziel und Wesen der Revolution, über die Machenschaften ihrer Feinde und die eigene Verteidigung, Festigung und schrittweise Erweiterung der revolutionären Positionen. Aber keine überstürzten Angriffe, keine Kämpfe um Ziele, die noch nicht von der erdrückenden Mehrheit der Arbeiterklasse anerkannt werden, keine Putsche!

Im November 1918 war die Arbeiterklasse bereit die Revolution zu machen, und die Bedingungen waren auch da. Es wäre notwendig gewesen, dass dieses revolutionäre Geschehen, was im November anfing, sich Schritt für Schritt erweitert und vertieft hätte.“Die proletarische Klasse führt ihren Kampf nicht nach einem fertigen, in einem Buch, in einer Theorie niedergelegten Schema. Der moderne Arbeiterkampf ist ein Stück Geschichte, ein Stück sozialer Entwicklung. Und mitten in der Geschichte, mitten im Kampf lernen wir, wie wir kämpfen müssen Das erste Wort der politischen Kämpfer ist, mit der Entwicklung der Zeit zu gehen und sich jederzeit Rechenschaft abzulegen über die Veränderung in der Welt wie auch über die Veränderung unserer Kampfstrategie." Wichtig ist auch für die Revolutionäre nicht das Voraussehen und Vorauskonstruieren eines fertigen Rezepts für die künftige Taktik, sondern die Lebendigerhaltung in der Partei der richtigen historischen Wertschätzung für die jedes Mal herrschenden Kampfformen, das lebendige Gefühl für die Relativität der gegebenen Phase des Kampfes und für die notwendige Steigerung der revolutionären Momente vom Standpunkt des Endziels des revolutionären Klassenkampfes. Die Revolutionäre sind „die aufgeklärteste, klassenbewussteste Vorhut des Proletariats. Sie kann und darf nicht mit verschränkten Armen fatalistisch auf den Eintritt der revolutionären Situation warten, darauf warten, dass jene spontane Volksbewegung vom Himmel fällt. Im Gegenteil, sie muss, wie immer, der Entwicklung der Dinge vorauseilen, sie zu beschleunigen suchen. Dies vermag sie aber nicht dadurch, dass sie zur rechten oder unrechten Zeit ins Blaue hinein plötzlich die Losung zu einem Massenstreik ausgibt, sondern vor allein dadurch, dass sie den breitesten proletarischen Schichten den unvermeidlichen Eintritt dieser revolutionären Periode, die dazu führenden inneren sozialen Momente und die politischen Konsequenzen klarmacht. […] Die Parole, die Richtung dem Kampfe zu geben, die Taktik des politischen Kampfes so einzurichten, dass in jedem Moment des Kampfes die ganze Summe der vorhandenen und bereits ausgelösten, betätigten Macht des Proletariats realisiert wird und in der Kampfstellung der Partei zum Ausdruck kommt, dass die Taktik der Sozialdemokratie nach ihrer Entschlossenheit und Schärfe nie unter dem Niveau des tatsächlichen Kräfteverhältnisses steht, sondern vielmehr diesem Verhältnis vorauseilt, das ist die wichtigste Aufgabe der Leitung in der Periode des Massenstreiks. Und diese Leitung schlägt von selbst gewissermaßen in technische Leitung uni. Eine konsequente, entschlossene, vorwärtsstrebende Taktik der Sozialdemokratie ruft in der Masse das Gefühl der Sicherheit, des Selbstvertrauens und der Kampflust hervor; eine schwankende, schwächliche, auf der Unterschätzung des Proletariats basierte Taktik wirkt auf die Masse lähmend und verwirrend. Im ersten Falle brechen Massenstreiks von selbst und immer rechtzeitig aus, im zweiten bleiben mitunter direkte Aufforderungen der Leitung zum Massenstreik erfolglos."

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