Referat - Einleitung zum Artikel der IKP „Auschwitz oder das große Alibi“(1961)

Politischer Diskussionszirkel Rheinland

Einleitung zum Artikel der IKP „Auschwitz oder das große Alibi“(1961)

Einleitung

Selbst für viele Menschen, die grundsätzlich gegen die barbarischen Kriege imperialistischer Staaten sind, bildet der 2.Weltkrieg oft eine seltsame Ausnahme. Für alle Kriege lassen sich Gründe und Ursachen finden, mit denen sich die arbeitende Bevölkerung nicht identifizieren sollte. Wie aber soll man sich zum 2. Weltkrieg positionieren, der mit dem Nationalsozialismus, der Judenvernichtung und insgesamt ca. 50 Millionen Toten einen grauenhaften Tiefpunkt der Geschichte darstellt? War dies ein Krieg zwischen Gut und Böse, wie es die Antifaschisten sagen? Welche Einschätzung sollte man als Teil der arbeitenden Bevölkerung und als Mensch hierzu haben? Die Kriegsseite der Alliierten unterstützen gegen die Nazis? Oder Ablehnung beider Kriegsseiten und für den internationalen Klassenkampf kämpfen?

Dazu muss man versuchen zu verstehen, wie es Überhaupt zum Aufstieg der Nazis, zum 2.Weltkrieg und zum Holocaust an den Juden, aber auch an den Sinti, Roma, Homosexuellen, Behinderten und den Marxisten kommen konnte.

In dem 1961 veröffentlichten Artikel Auschwitz oder das große Alibi versuchte die bordigistische Internationale Kommunistische Partei (IKP) das scheinbar Unfassbare zu erfassen und zu erklären (1).

Hauptideen und Thesen des Artikels der IKP

Für die IKP ist die Judenermordung das zentrale Alibi für die Antifaschisten, um ihre Teilnahme am 2.Weltkrieg auf Seiten der Alliierten zu rechtfertigen. Für die Antifaschisten sind allein die Nazis Grund für den 2. Weltkrieg, 50 Mio. Toten, davon 6 Mio. ermordeter Juden.

Doch die IKP hat eine andere Erklärung: Der Ursprung des 2. Weltkrieges liegt im kapitalistischen System begründet! Sie weisen darauf hin, dass sowohl die Faschisten als auch die Antifaschisten einen gemeinsamen Ausgangspunkt haben: der Verlauf der Geschichte werde bestimmt durch schlechte Ideen und dem Willen böser Menschen (wobei letztere für die Faschisten die Juden, für die Antifaschisten die Faschisten sind). Im Gegensatz dazu erklärt der Marxismus Elend, Zerstörung und Krieg als Teil des „normalen“ Prozesses des Kapitalismus.

Gegen den häufig anzutreffenden Gedanken: „Ach, wenn es Hitler nicht gegeben hätte, dann wäre die Welt noch in Ordnung!“, versucht die IKP in ihrem Artikel zu erklären, wie das kapitalistische System selbst diese Barbarei hervorgebracht hat. Auffällig ist, wie stark das rationale Moment von der IKP betont wird. So schreibt sie:

„Gerade die Zerstörung [ist] Hauptzweck des Krieges. Die imperialistischen Rivalitäten, die den unmittelbaren Anlass zum Kriege darstellen, sind selbst nur Folgen der immer weiter ansteigenden Überproduktion. Um dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenzuwirken, wird der Kapitalismus gezwungen, immer mehr und schneller zu produzieren; aus dem Widerspruch zwischen dem Zwang, immer mehr zu produzieren, und der Unmöglichkeit, für die Produkte Absatz zu finden, entsteht die Krise. Der Krieg ist die kapitalistische Lösung der Krise.“

Der Krieg sei deshalb die Lösung der Krise, weil a) Produktionsmittel zerstört werden und b) der „periodischen Überbevölkerung“ durch „massive Menschenvernichtung“ entgegengewirkt werde.

Die Judenvernichtung müsse also als Teil der kapitalistischen Lösung der Überbevölkerung und Überproduktion gesehen werden.

Wenn dies richtig sein sollte, so muss man sich dennoch fragen, warum gerade die Juden für die Ermordung und damit vorübergehende (?) Lösung der Krise ausgewählt wurden.

Auch hier versucht die IKP eine Erklärung zu geben. Der Grund liege in der gesellschaftlichen Stellung der Juden. Die Mehrheit von ihnen sei dem Mittelstand angehörig, eine Klasse ohne Perspektive. Dies gelte in den Zwischenkriegsjahren umso mehr, da gerade Deutschland als Kriegsverlierer besonders hart an der Krise gelitten hat: 7 Mio. Arbeitslose, Elend, viele Kleinbürger rutschten ins Mittellose und wurden dann Antisemiten. So argumentiert die IKP, dass die Kleinbürger den Wunsch hegten, die von der kapitalistischen Krise ausgehende Vernichtung auf die Juden zu beschränken und sich selbst dadurch zu retten. Auch sei das Ausmaß des Antisemitismus in Deutschland nur möglich gewesen, weil das Proletariat von der Konterrevolution zuvor geschlagen worden war.

So begann die Judenausrottung mit Berufsverboten und man ging bald über zur Zwangsarbeit in Arbeits- und Konzentrationslagern. Die versuchte Immigration Millionen von Juden erklärt die IKP so:

„Während aber die Nazis die Juden (…) loswerden wollten, während ihrerseits die Juden nichts anderes wünschten, als aus Deutschland herauszukommen, wollte man sie nirgends reinlassen.“

Man wollte eben nicht Millionen Mittellose aufnehmen. Als die Juden den Nazis nicht schnell genug starben, wurde ihre systematische Abschlachtung organisiert; man begann dabei mit den Arbeitsunfähigen, die Anderen wurden zu Tode gearbeitet. Die IKP betont auch hier sehr stark das rationale Moment und argumentiert: „Der deutsche Kapitalismus hat sich allerdings nur ungern zum einfachen Mord entschlossen. Nicht etwa aus moralischen Bedenken, sondern weil er nichts einbrachte.“ Der Artikel verweist auf die Tatsache, dass im April 1944 Eichmann (Leiter der Judenabteilung der SS) Joel Brand, den Leiter der Untergrundorganisation für ungarische Juden vorlud und ein Geschäft anbot: Die Nazis wollten den Westmächten 1 Millionen Juden für 10.000 Lastwagen verkaufen. Brand suchte zahlreiche Alliierte auf und bat sie hierauf einzugehen, um diese Juden vor dem sicheren Tod zu retten. Exemplarisch sei hier ein kurzer Auszug aus dem Gespräch Brands mit dem britischen Staatsminister für den Nahen Osten, Lord Moyne, wiedergegeben (2):
Moyne: „Und wie viele sollen es insgesamt sein?“
Brand: „Eichmann sprach von einer Millionen.“
Moyne: „Wie stellen Sie sich das bloß vor, Mister Brand? Was soll ich mit dieser Millionen Juden tun? Wohin soll ich sie bringen? Wer wird die Leute nehmen?“
Brand: „Wenn der Planet keinen Platz für uns hat, dann bleibt unseren Leuten nichts anderes übrig, als ins Gas zu gehen.“

Die IKP betont hier zweierlei:

1. Sowohl Brand als auch die SS sei der „humanitären“ Propaganda der Alliierten auf den Leim gegangen, doch auch sie orientierte sich kapitalistisch daran, was Profit einbringt oder nur Kosten verursacht

2.Es sei die kapitalistische Gesellschaft, die keinen Platz mehr für die Juden hatte, nicht, weil sie Juden waren, sondern „weil sie aus dem Produktionsprozess ausgestoßen, für die Produktion unnütz waren.“

Der Artikel schließt mit zwei Ideen ab. Zum einen, dass dieses kapitalistische Grauen der Überproduktion und der Überbevölkerung weiter geht. Schließlich sei der Staat Israel auch mit Gewalt gegründet worden, diesmal seien aber nicht Juden, sondern Palästinenser aus kapitalistischer Sicht „überflüssig“ und mussten weg. Seither leben 100.000ende von Palästinensern in Flüchtlingslagern.

Zum anderen, dass die Ermordung Millionen von Juden weiter benutzt werde, um vergessen zu machen, dass der Kapitalismus das Grundproblem darstellt, denn er habe nicht nur den faschistischen Holocaust hervorgebracht, sondern auch die „demokratischen“ Atombomben, krebserregenden Produkte etc.

Fragen für die Diskussion


(1) Die deutschsprachige Fassung des Artikels „Auschwitz oder das große Alibi“ der IKP ist der Ausgabe Kommunistisches Programm , Bulletin der IKP, Nr. 20, 1978, S. 1-5 entnommen.
(2) Aus: Alex Weissberg: Die Geschichte von Joel Brand. 1956. S. 215-216.

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