Referat - Massenstreiks im 20. Jahrhunderts

Politischer Diskussionszirkel Rheinland

Massenstreiks im 20. Jahrhunderts

Beispiel: Arbeitskämpfe bei Bosch-Siemens-Hausgeräte Berlin im Herbst 2006

In Anlehnung an unsere letzte Diskussion über das Wesen des Massenstreiks und zur Einleitung unserer heutigen Veranstaltung habe ich mir ein Beispiel eines Arbeitskampfes aus der jüngeren Zeit gewählt. Im Herbst 2006 erhoben sich die Arbeiter des Bosch-Siemens-Hausgeräte-Werkes in Berlin gegen die drohende Schließung ihres Standortes. Ich möchte die Ereignisse an dieser Stelle kurz schildern. Grundlage meiner Ausführungen sind eine Flugschrift der Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft sowie einige Interviews mit Arbeitern über diese Bewegung.

Nachdem im September 2006 zwei Wochen lang täglich Betriebsversammlungen abgehalten wurden und die Produktion stillstand, entschied sich die Gewerkschaft für den offenen Streik gegen die drohende Betriebsschließung zum Jahresende. Der angebotene Lohnverzicht in den Verhandlungen um die geplanten „Kostensenkungen“ im Umfang von 8,5 Mio Euro stieß auf wenig Echo bei den Beschäftigten, aber sie verwiesen auf die Gewerkschaft und deren Anführer, auf die man sich verlassen wollte in den geplanten Aktionen. Und so plätscherte der Streik zunächst vor sich hin, ungeachtet von der Öffentlichkeit. Es gab kleinere Aktionen, Demos durch die Siemensstadt, ein Solidaritätsfest auf dem Betriebsgelände, Solidaritätsbekundungen einiger Politiker(aber wenig Selbsttätigkeit und Leidenschaft der Arbeiter)das Ganze also nur ein kleiner bedeutungsloser Abwehrkampf? Im Verlauf erfuhr der Streik jedoch eine Wende. Während die Toreinfahrten weiter bewacht wurden, um den Abtransport der Maschinen zu verhindern, fuhren 50 Arbeiter mit einem Bus zu anderen Produktionsstandorten in ganz Deutschland zu einem sog. „Marsch der Solidarität“. Sie führten in verschiedenen Betrieben Diskussionen mit den Arbeitern über ihre Situation. Sie riefen mit Flugblätter in den Fußgängerzonen zur Solidarität und Unterstützung auf, um mit möglichst vielen ArbeiterInnen aus den verschiedensten Bereichen auf der geplanten Großkundgebung vor der Siemenszentrale in München ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Zu den weiteren Aktionen gehörte die BSH-Werksbesetzung in Nauen für einen Tag. In Kamp Lintfort gab es eine gemeinsame Demo mit den Beschäftigten der ehemaligen Siemens-Mobiltelefonsparte BenQ, an der sich auch die städtische Feuerwehr, die ortsansässigen Stahlkocher und große Teile der Bevölkerung beteiligten. Mit einem Besuch der Arbeiter bei Miele wurde ein Beitrag dazu geleistet, der Konkurrenz unter den Arbeitern entgegenzuwirken. Und bei AEG in Nürnberg unterbrach ein Großteil der Beschäftigten für die Diskussion mit den Streikenden ihre Arbeit.

Mit all diesen verschiedenen Aktionen wuchs in den teilnehmenden Arbeitern das Vertrauen in die eigene Macht und Kraft. Sie wurden immer selbstbewusster, schrieben in der Folge ihre eigenen Flugblätter mit ihren eigenen Forderungen, unabhängig von den Vorgaben der Gewerkschaft. Sie haben geschafft, dass viele ArbeiterInnen nach München kommen wollten. Dies machte ihnen so viel Mut, dass sie sogar von anderen ArbeiterInnen gemachte Erfahrungen diskutierten, die abseits der staatlichen Legalität liegen (z.B. Bahnhofs- und Autobahnbesetzungen)

Das Bedeutende an ihrem Kampf ist darin zu sehen, dass die Arbeiter ihre Isolation im eigenen Werk aufgehoben haben, was als sehr wesentlich für eine Massenbewegung der Arbeiter gegen das Kapital/System zu sehen ist. Die Suche nach dem Kontakt zu anderen Arbeitern schärft ihre Solidarität und Verbundenheit miteinander. Weitere wesentliche Faktoren sind zu erkennen in der Entwicklung ihrer Selbsttätigkeit und der Dynamik im Solidaritätsmarsch.

Das erkannten natürlich auch Unternehmensleitung und IG Metall als Dorn in ihren Augen und schürte bei den Verhandlungsführern der Gewerkschaft die Angst und Sorge vor der „Aufkündigung des sozialen Friedens “. Und dies in dem Maße, dass die Aktionen der Arbeiter jäh beendet wurden, einen Tag vor der geplanten Großkundgebung vor der Siemenszentrale in München, indem die Verhandlungsführer einen „Kompromiss“ im Sinne der Unternehmensleitung unterzeichneten. Aber die verheerenden Inhalte erfuhr die Öffentlichkeit über eine Pressemitteilung, noch bevor die eigentlich Betroffenen der BSH darüber bescheid wussten:
- 216 Entlassungen
- Verlängerung der wöchentlicheen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich
- Wegfall der Schichtzulage
- Streichung der Jahreszulage
- Kürzungen bei der UrlaubsvergÃütung und Sonderzahlungen

Die Gegenleistung bestand in der unverbindlichen Absichtserklärung, das BSH-Werk in Spandau bis 2010 zu erhalten. Mit diesem „großzügigen“ Ergebnis wurde die Kundgebung kurzerhand abgeblasen und ein wichtiges Ziel der Verhandlungsführer erreicht: Die entstandenen Unruhen und Bewegungen zu beenden und die Arbeiter in ihrer fruchtbaren Aktivität auszubremsen. Dieses Ziel ist sogar im Verhandlungsergebnis als „Knebelvertrag“ u. a. in einem Punkt schriftlich formuliert und damit bestätigt worden: Es dürfen keine Kundgebungen und Demos außerhalb Berlins mehr geben! Das war ein Schlag ins Gesicht, die Belegschaft wütend und enttäuscht. „Wir sind von der IG Metall, der wir zu hundert Prozent vertraut haben, vollkommen benutzt und verarscht worden“(so ein BSH-Arbeiter im Interview nach dem Streik). Aus der großen Unzufriedenheit heraus wurde sofort die Forderung nach Öffentlicher Abstimmung über die Fortführung des Streiks laut. Die Urabstimmung unterstrich dann auch das schlechte Verhandlungsergebnis: Zwei Drittel waren dafür, ein Drittel dagegen. Ein recht klares Zeichen, doch das ausgeklügelte Übel des deutschen Streikrechts zeigt, dass in diesem System eine Mehrheitsmeinung nichts Wert ist. So darf ein Streik erst bei 75 %iger Zustimmung begonnen werden. Um ihn abzubrechen reichen allerdings schon 25 %. IG Metall und Unternehmensleitung hatten also ihr Ziel erreicht, nach 2 Tagen war der Streik endgültig begraben.

Nachdem sich die Arbeiter kurzfristig solidarisch gegen die Gewerkschaft aufgelehnt hatten, haben sie nun geschockt, demotiviert, rat- und sprachlos aufgegeben. Ihr Vertrauen in die eigene Fähigkeit wurde erdrückt durch die Macht des Gewerkschaftsapparates und die massiven Existenzängste.

Die kämpfenden Arbeiter haben eine Niederlage erlitten. Wir können nicht von einem revolutionären Massenstreik sprechen. Aber die Arbeiter haben gezeigt, welche Kraft auch heute in ihnen steckt. Sie haben im Kampf ihr Bewusstsein geschärft und aus eigener Kraft einen Weg gesucht. Sie suchten den Zusammenschluss mit anderen ArbeiterInnen und probten den Aufstand gegen die Gewerkschaft. Im Laufe ihrer Reise durch das Land entwickelten sie durch die ihnen entgegengebrachte Solidarität ein Gefühl der eigenen Stärke. Sie resignierten jedoch aus Wut und Enttäuschung über die Verhandlungsführer. Sie haben erkennen müssen, dass die Gewerkschaft durch ihr Tun den Streik sabotiert und damit deutlich gezeigt hat, dass sie nicht daran interessiert ist, eine breite Bewegung zur grundlegenden Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu unterstützen. Der Erfolg zukünftiger Kämpfe und Auseinandersetzungen bis hin zum Massenstreik wird sich für die Arbeiter nicht zuletzt daran messen, ob sie die Rolle der Gewerkschaften als Handlanger des Kapitals erkennen, ihre Konsequenzen daraus ziehen und ihre Aufgaben und Ziele in die eigenen Hände nehmen.

zum Seitenanfang ↑