Referat zum Thema:
Kunst und Revolution
Kann Kunst die Welt verändern?
Kann Kunst einen Einfluss auf gesellschaftliche Bewegungen haben?
Die gängige Definition von Kunst ist, dass die schönen Künste frei von aller Nachfrage oder der Notwendigkeit einer Realisierung sind. Die Umsetzung der Kunst bedarf der Arbeit und braucht einen künstlerischen Wert, daher ist sie eine produktive Aktivität. Diese Definition der schönen Künste betont lediglich ihre Rolle als Gegengewicht zur sog. hässlichen Kunst, nämlich einer Produktion, die nur nach Profit strebt. In der Tat kann man sagen, dass Menschen, die gänzlich von Unterdrückung, wie Lohnarbeit oder andere materielle Zwänge, befreit sind, nach Freude spendenden und kreativen Aktivitäten streben, wobei Letztere auch schöne Künste genannt werden. Diese Freiheit wird jedoch nicht von der Bourgeiosie zugelassen; als dominierende Klasse drängt sie der gesamten Gesellschaft ihre Produktionsform auf. Mit der Ausdehnung der Massenproduktion hat die Bourgeoisie die allgemein menschliche Kreativität auf eine Minderheit von Menschen beschränkt.
Diese Einleitung konzentriert sich auf eine Definition der Kunst im Kapitalismus. Die Rolle der Kunst in dieser Gesellschaft liegt in der ungerechten Arbeitsteilung begründet, die völlig anders ist als in der klassenlosen Gesellschaft. Wie Trotzki in Literatur und Revolution sagte: „Es ist grundfalsch, der bürgerlichen Kultur und der bürgerlichen Kunst die proletarische Kultur und die proletarische Kunst entgegenzustellen. Diese letztere wird es überhaupt nicht geben, da das proletarische Regime ein vorübergehendes ist. Der historische Sieg und die moralische Größe der proletarischen Revolution bestehen darin, daß sie den Grundstein zu einer klassenlosen, zum erstenmal wahrhaft menschlichen Kultur legt.“
Betrachten wir zunächst umgekehrt die Frage: Wie sieht der Einfluss der Gesellschaft auf die Kunst aus? Dieser Einfluss ist omnipräsent und wird immer bestehen, er ist eine direkte Konsequenz aus der Tatsache, dass die Umsetzung eines (Kunst)produktes unter bestimmten Produktionsverhältnissen und in einer bestimmten Produktionsform vonstatten geht. Ein Beispiel: die Pyramiden sind eine Glorifizierung der gesellschaftlichen Stellung, die die Pharaonen erobert hatten; ihre schlichte Form zeigt dagegen die Unlust der Erbauer der Pyramiden, der Sklaven. Dieser Einfluss der Gesellschaft auf Kunst ist so dominant, dass ein Verständnis der Geschichte der Kunst nur möglich ist, wenn man diese im Lichte der Sozialgeschichte betrachtet. Viele Bücher thematisieren dies.
Übt aber die Kunst einen Einfluss auf die Gesellschaft aus?
Dieser Einfluss ist indirekter und diskreter: Es liegt in der Tat auf der Hand, dass Kunstobjekte für sich genommen nicht die Gesellschaft entscheidend verändern, aber es ist viel schwieriger zu beurteilen, inwieweit Kunstobjekte den Betrachter beeinflussen. Zumindest teilweise ist diese Frage bereits beantwortet worden: In einer Gesellschaft, in der die künstlerische Produktion nicht fest verankert ist in der dominanten Produktionsform, in der die Kunst in eine kleine Rolle abgedrängt wird, kann die Kunst höchstens noch das Bewusstsein beeinflussen. Jedoch sollte man diesen Einfluss nicht unterschätzen, wie es oftmals getan wird. Die Frage an sich drückt bereits dieses Vorurteil aus. Denn die Frage lautet ja nicht, welchen Einfluss Kunst hat, sondern ob sie überhaupt einen Einfluss besitzt.
Es hat Versuche gegeben, die Teilung zwischen schöpferischer Arbeit und Lohnarbeit zu durchbrechen. Wie z.B. die Art&Craftbewegung in England (William Morris) oder die Sezzessionsbewegung in Österreich-Ungarn, wobei alle natürlich gescheitert sind. Es wäre naiv zu glauben, dass die Minderheit der Künstler fähig wäre, die ganze gesellschaftliche Struktur des Kapitalismus zu verändern. Manche Künstler haben daher beschlossen, ihre künstlerischen Tätigkeiten auf eine rein persönliche Ebene zu reduzieren. Andere wiederum haben beschlossen, jeglichen gesellschaftlichen Kontakt mit ihrer Kunst zu vermeiden (l’art pour l’Art). Schließlich gibt es auch noch Kunstschaffende, die der festen Überzeugung sind, dass sie sehr wohl einen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben können und auch in gesellschaftlichen Bewegungen aktiv werden. Auf diese Gruppe von Künstlern lege ich nun mein besonderes Augenmerk. Das gesellschaftliche Ziel eines Menschen hängt davon ab, welche gesellschaftliche Stellung diese/r einnimmt. Die Frage ist daher folgende: Welche gesellschaftliche Position nimmt ein Künstler ein? Der Künstler, der vom Verkauf seiner Werke lebt, hält eine kleinbürgerliche Position in der Gesellschaft inne, er muss mit seinen Künstlerkollegen konkurrieren, um seine Lebensverhältnisse zu verbesern. Diese asozialen Verhältnisse machen es den Künstlern unmöglich, als Gruppe ein gemeinsames Ziel zu verteidigen. Die Lebensqualität von Künstlern basiert darauf, wie gut und wieviel sie produzireren können. Daher müssen sie sich selbst ausbeuten, ob sie wollen oder nicht. Jedoch bedeutet dies nicht, dass ihre Produkte notwendigerweise einen kleinbürgerlichen Charakter haben. Dies wäre in der Tat eine Beleidigung aller Künstler, die ehrlich und leidenschaftlich gesellschaftliche Ungleichheit schildern. Auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung kann das gesellschaftliche Ziel der Künstler als Gruppe nicht im Voraus bestimmt werden, da sie eine heterogene Gruppe darstellen. Das Einzige, was sie eint, ist ihre kreative Aktivität. Jeder von ihnen drückt in seiner Kunst seine Gefühle aus, seine Erfahrungen, Umgebung und Hoffnungen – jeweils auf individuelle Art und Weise. Diese individuelle und chaotische Schaffensform ist die beste Form der künstlerischen Entfaltung. Alle anderen Formen der Produktion, jegliche Form der Kontrolle, so wie z.B. damals der Sozialrealismus in der UdSSR, amputiert den indivudiellen und freien Charakter der Kunst und verurteilt sie somit zum Tode.
Als eine Minderheit, die versucht, Klarheit zu erlangen, zeigen Künstler durchaus Ähnlichkeiten mit Revolutionären. In Phasen der sozialen Friedhofsruhe wird der künstlerische Einfluss nicht so direkt und massiv wahrgenommen, er tritt in den Hintergrund des Bewusstseins vieler vereinzelter und isolierter Menschen. In solchen Phasen gibt es kein quantitatives Wachstum künstlerischer Aktivitäten, so dass es nicht zu einem qualitativen Sprung kommt. Anders in Zeiten der sozialen Unruhe: hier kommt es zu einer engeren Verknüpfung der Kunst mit den aufkommenden Massenbewegungen Das einstmals feste gesellschaftliche Fundament wird in Zweifel gezogen und wankt, mehr Menschen interessieren sich für Kunst und nehmen an künstlerischer Aktivitäten teil, die umgekehrt noch mehr Menschen beeinflussen. Die Kunst nimmt quantivativ zu, aber auch das künstlerische Niveau hebt sich.
Dieser Prozess ist in der Tat ähnlich wie die politische Bewusstwerdung, aber es gibt einen fundamentalen Unterschied, wie Trotzki sagte: aus Kapitel: „Die mrxistische Methode gibt die Möglichkeit, die Entwicklungsbedingungen der neuen Kunst zu beurteilen, alle ihre Veränderungen zu verfolgen und durch kritische Verfolgung der Wege die fortschrittlichsten zu fördern – aber auch nicht mehr.“
Während Künstler einen individuellen Ausdruck darstellen, verteidigen Revolutionäre proletarische Klasseninteressen. Gesellschaftliche Bewegungen innerhalb des Kapitalismus haben per se eine politische Dimension, so dass beide Minderheiten sich treffen und die Idee auftaucht, Kunst und Politik zu vereinen. So wurden politische Botschaften künstlerisch dekoriert, oder es wurden politische Theorien konstruiert, um Kunst zu erschaffen, z.B. Majakowski, Proletkult, die Situationisten oder die Surrealisten. Meiner Meinung nach läuft eine solche Vermengung auf eine Verschlechterung der Stellung beider Seiten hinaus, um der gesellschaftlichen Bewegung eine positive Richtung zu geben. Dies ist so, da die marxistische Methode nicht mit der künstlerischen Methode gleichgesetzt werden kann. Sie sind nicht kompatibel. Eine Vermischung wäre gleichbedeutend mit Kompromissen auf Kosten ihrer eigenen Methode. Schon oft wurde eine herrliches Kunstwerk durch eine politische Aussage ruiniert, oder ein politischer Text verlor seine Klarheit durch erzwungene künstlerische Effekte.
Drei Beispiele: 1) Herman Gorter nutzte künstlerische Mittel in seinen politischen Texten, wodurch Letztere aber leider an Kraft und Klarheit verloren. Die Schönheit politischer Texte wie die von Marx, Luxemburg und Pannekoek wurde dadurch erreicht, dass man seiner Absicht treu blieb: die Bildung eines klaren und scharfsinnigen politischen Bewusstseins. 2) Das Gemälde „Guernica“ von Pablo Picasso versucht das Leid der spanischen Bevölkerung 1936 darzustellen. Wenn man dieses Werk mit der „blauen Periode“ Picassos vergleicht, dann muss man feststellen, dass Guernica beim Betrachter nicht die gleichen tiefen Emotionen erzeugt. Zudem erklärt es auch nicht die politische Situation. Die „blaue Periode“ dagegen kann sehr politisch sein. Es ist schwer, von seiner genialen Schilderung all des Elends nicht berührt zu werden. 3) Viele amerikanische Musikgruppen zeigen während ihrer Europatourneen zurzeit ihre Abscheu gegenüber der Bush-Administration, die politischen Argumente dafür aber werden nie dargelegt. Die Musik von Patti Smith ist sehr inspirierend und wagemutig, aber ihr Aufruf, Obama zu wählen, entkräftet die Aussagen ihrer Songtexte.
Leo Trotzki hat in seinem Buch „Literatur und Revolution“ zahlreiche Kunstströmungen der Russischen Revolution studiert. Er zeigte auf, dass jede Strömung, die die Revolution durch die Schaffung „proletarischer“ Kunst voranzubringen versuchte, letztlich an künstlerischem Wert einbüßte. Da die proletarische Revolution eine ökonomische und politische ist, kann die Kunst auf diesen beiden Ebenen der Revolution unmittelbar nicht helfen. Trotzki war der Auffassung, dass man alle Formen der Organisation in der Kunst vermeiden müsse; die Partei könne der Kunst nur insofern helfen, als sie ihr eine historische Analyse anbietet.
Für mich ist es eigenartig, dass Künstler vor politischer Einmischung gewarnt werden, dass die Kunst vor einem politischen Rahmen beschützt werden muss, weil dieser sie einengt. Aber vielleicht ist dies der Weg, auf dem die Kunst von den jahrhundertelangen Verstrickungen in den Klassengesellschaften befreit werden kann. Die Revolution findet ihre moralische Größe in den ökonomischen und politischen „Fundamenten“ und nicht in einer neuen Kunstform, und zwar in einer Art und Weise, die sicherstellt, dass die Bedingungen für eine wahrhaft menschliche Kultur geschaffen werden. Erst dann kann Kunst der intimste und engste Ausdruck aller Menschen werden.
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Diese Einleitung wurde auf einem Kontakttreffen der IKS vorgetragen. In der Diskussion wurden hauptsächlich drei Fragen diskutiert:
1) Was ist Kunst? (Suche nach einer Definition)
2) Was ist Propaganda und welches Verhältnis besteht zwischen Propaganda und Kunst?
3) Gibt es eine proletarische Kunst?
Mit solidarischen Grüßen,
Morgi
August 2008
(Genosse aus einem Diskussionszirkel in Brüssel, Belgien)