Um die Jahrhundertwende erfolgte die Gründung fast aller großen deutschen Hundevereine. Ernst v. Otto berichtete nicht nur engagiert darüber in seiner Zeitschrift sondern war am Aufbau von mindestens 15 Vereinen mit Geschick und Erfahrung auch selbst aktiv beteiligt*. Er war einer der bedeutendsten Wegbereiter des Hundewesens in Deutschland. Auch zu dem 1895 in München gegründeten Boxer-Klub hatte Ernst v. Otto natürlich von Anfang an enge Beziehungen: Seine Münchner Zeitschrift "Hunde-Sport und Jagd" war gemäß § 9 der BK-Satzung von 1902 das offizielle Kluborgan, bevor ab 1904 die vereinseigenen Boxer-Blätter herausgegeben wurden, und im Jahre 1908 übernahm Ernst v. Otto für einige Zeit sogar selbst die Schriftleitung dieser Boxer-Blätter.
Leider sind nur sehr wenige Exemplare von "Hunde-Sport und Jagd" aus der damaligen Zeit erhalten geblieben. Umso wertvoller für die Entwicklungsgeschichte des Boxers ist daher die Wiederauffindung einer Abbildung und eines dazugehörenden Berichtes in Heft 25/Jahrgang 1901 vom 21. Juni 1901. Eine Fotografie mit der Bildunterschrift "Ein Boxer vor 30 Jahren - Bes. Sec.-Lieutenant Burckhardt, Hannover" zeigt einen preußischen Offizier, der sich in entspannter Haltung auf seinen Säbel stützt; zu seinen Füßen liegt ein weißer Boxervorfahr mit gleichmäßigen, schwarzen Abzeichen am Kopf. Wer schon einmal in alten Boxer-Klub-Broschüren der Jahrhundertwende blätterte oder die Geschichte des Boxer-Klubs in dem BK-Buch "Unser Hund ein Boxer" (3. Aufl. 1990, S. l04) nachgelesen hat, wird sich vielleicht an diese Aufnahme, die dort durch keinen weiteren Text erläutert wird, erinnern.
Ernst v. Otto hat mit dem Abdruck dieses Bildes und des Berichtes "Ein deutscher Boxer" von Major a. D. Burckhardt aus dem Jahre 1901 einen Beitrag zur Boxergeschichte geleistet, dessen Wert erst heute zu ermessen ist. Burckhardt ist einer der wenigen Zeitzeugen für die Entstehung der Rasse aus ihren ersten Anfängen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der die Gründung des Klubs und dessen Entscheidung für die offizielle Rassebezeichnung "Boxer" sowie die Aufstellung des Standards miterlebt hat bis hin zur Anerkennung dieser deutschen Hunderasse. Ernst v. Otto hatte Burckhardt erstmals 1884 in Wien bei einer Hundeausstellung für Doggen und "Leonhardiner" (Kreuzung Bernhardiner/Leonberger) kennengelernt. Er bezeichnete ihn später einmal als "einen unserer ältesten Aussteller". Der Boxer-Klub hat ihn schon sehr früh zum Ehrenmitglied ernannt, denn der erfahrene Kynologe Burckhardt hatte als "Richter für Luxushunde" bei Boxer-Ausstellungen oft als Formwertrichter fungiert und die Zuchtfortschritte sachverständig begutachtet. Als Mitglied der Delegierten-Commission (DC) stellte Burckhardt schon im Jahre 1900 den Antrag, den Boxer dort als neue Rasse mit langer Vergangenheit anzuerkennen. Doch Verbandsintrigen führten damals zur Ablehnung; Burckhardt legte daraufhin seine Amter in der DC nieder.
,,Boxer" bereits seit
1855
In Burckhardts Elternhaus
an der Ostsee wurden, wie er in seinem nachfolgenden Bericht aus
"Hunde-Sport und Jagd"
von 1901 erzählt, bereits seit Mitte der fünfziger Jahre des
vorigen
Jahrhunderts Hunde
gehalten und gezüchtet, die man schon damals als"Boxer" bezeichnete:
Ein deutscher Boxer
Mit diesem Namen möchte ich diese Rasse belegt wissen, die nicht
zu den jüngsten zählt, denn mit ihr habe ich sozusagen meine
Kindheit verlebt, die bereits stark rückwärts liegt! -
Seit der Mitte der fünfziger Jahre wurde in meinem elterlichen
Haus ausschlieálich der Boxer gehalten und gezüchtet, und
bewährte sich nicht nur als Begleithund, sondern auch ganz
besonders als Wächter, treuer Hausgenosse und Spielkamerad.
Der Typus und die Charaktereigenschaften des Boxers von damals
waren völlig dieselben wie die des heutigen.
Es vereint diese Rasse mit enormer Kraft hochgradige Intelligenz,
grosse Treue und Wachsamkeit, Muth und Unerschrockenheit,
sowie eine ganz ausgesprochene Vorliebe zum Apportieren! -
Infolge der kurzen, knappen Behaarung ist der Boxer leicht sau-
ber zu halten, und trotz des leichten Kleides ist er keineswegs
weichlich. Für Strassenbummler dürfte er einer der ausdauernd-
sten Begleiter bei Pferd, Wagen, Rad oder zu Fuss sein. Bedauer-
lich ist es, dass dieser Rasse Bissigkeit angedichtet wird, während
sie als in hohem Masse damen- und kinderfreundlich geschätzt
werden sollte. Nur das originelle Gesicht verleiht dem Boxer
einen ernsten Ausdruck, während sein Charakter nichts weniger
als mürrisch ist.
Schon 1901: Mutige
Hunde gelten als gefährlich
Es ist alles schon
einmal dagewesen. Auch um die Jahrhundertwende diskutierte man offen-
sichtlich in der Öffentlichkeit
über die Gefährlichkeit und Bissigkeit großer, mutiger
Hunde,
denn Burckhardt fügt
seiner Boxerbeschreibung folgende - auch heute noch gültige - Feststel-
lung an:
Kein "bissiger" Hund wird geboren, der Mensch macht durch fal-
sche Behandlung seinen treuesten Freund zur Bestie; und ebenso-
wenig wie ein starker, muthiger Mensch ein Raufbold zu sein
braucht, ebensowenig wird man einen muthigen, seiner Kraft
bewussten Hund bissig nennen können.
Der Leutnant zog mit
seinem "Box" in den Krieg von 1870/71
30 Jahre nach der
Beendigung des deutsch-französischen Krieges hat Burckhardt in der
Zeit-
schrift "Hunde-Sport
und Jagd" die Geschichte des Bildes aufgezeichnet, das ihn als jungen
Leutnant mit seinem
"Box" im Jahre 1870 zeigt. Er ist inzwischen als Major aus dem preus-
sischen Militärdienst
ausgeschieden, doch die Erinnerung an seinen Hund, der ihm am 17.
Januar 1871 auf dem
Schlachtfeld das Leben rettete, ist ihm noch immer gegenwärtig.
Als Offizier hatte
er das Privileg, seinen weißen "Box" mit den schwarzen Abzeichen,
mit dem
er sich kurz zuvor
noch hatte fotografieren lassen, auf den Feldzug nach Frankreich mitzuneh-
men. Im November 1870
wurde Leutnant Burckhardt mit seinem Regiment zur Belagerung
(milit.: Zernierung)
der Festung Belfort kommandiert, die die burgundische Pforte strategisch
schützen sollte.
Etwa 12 km südwestlich von Belfort, auf dem Westufer des Flusses Lisaine,
bezogen die Deutschen
Stellung. Der französische General Bourbaki versuchte, mit einem star
ken Truppenkontingent
durch einen Vorstoß von außen die belagerte Festung zu befreien.
Der
Angriff wurde abgewiesen-
zu den Opfern dieser Schlacht zählte auch der treue "BoX"; den
ein
Granatsplitter zerfetzte.
Die Treue und die Tugenden eines Boxers schätzen zu lernen,
hatte
ich die beste Gelegenheit, und gerade der Umstand veranlasst
mich, dieser Rasse durch ein Beispiel das Wort zu reden.
In den Feldzug 1870/71 begleitete mich ein Boxer aus elterlicher
Zucht; unentwegt hatte der brave Kerl die Gefechte und Schlach-
ten bei Metz an meiner Seite mitgemacht, und als Mitbewohner
unseres Zeltes war er während der Belagerung der zuverlässige
Wächter jeglicher sich der Truppe nähernden Gefahr Das Inter-
esse und die Vorliebe für den treuen und hoch intelligenten Hund
war allgemein, und jedem Bericht meinerseits an das am fernen
Ostseestrande gelegene Elternhaus durfte eine Notiz über das
Befinden des "Box'' nicht fehlen. Ein Wiedersehen aber der Stätte,
wo dieser seine erste Jugend verlebte, sollte ihm leider nicht ver-
gönnt sein, denn mit den ernsten Tagen vor Metz war unsere
schwere Zeit noch nicht beendet. Dem Regiment wurde die Auf-
gabe, die Festung Belftort mit belagern zu helfen, saure Monate,
die auch meinem treuen Begleiter nicht erspart bleiben konnten.
Schon in den ersten Wochen der Zernierung dieser Festung auf
einem mir befohlenen Offizier-Patrouillen gange wurde mein
"Box" durch ein feindliches Infanterie-Gesch oss am Hinterlauf
nicht unerheblich verwundet, so dass ich ihn in Zukunft im Noth-
quartier der Pflege einiger kränklicher Leute überlassen musste.
Wie unbeschreiblich gross war die Freude des Thieres, wenn es
mich nach tagelanger Abwesenheit wiedersah; trotz heftiger
Schmerzen sprang es schreiend an mir herauf als wäre es ihm
bewußt, daß ich wieder einmal dem Tode entgangen. Mit dem
Augenblick meiner Rückkehr gab es keine Annäherung fremder
Personen an seinen Herrn; jedem Eintretenden ging der "Box"
knurrend, aber ohne die Absicht des Beissens zu bekunden, entge-
gen und zeigte durch seine Haltung, dass die Sicherung seines
Besitzers ihm bitterer Ernst sei. Nur ein Wort, ein Wink, ja selbst
ein Blick genügte, ihm zu bedeuten, dass keinerlei Gefahr vor-
handen.
Allein nicht allzulange sollte ich mich seiner Treue und Opferwil-
ligkeit erfreuen dürfen! - Die Kunde von der beabsichtigten Befrei-
ung BeI fort's durch General Bourbaki wurde Wirklichkeit.
Der 15. , 16. und 17. Januar brachte uns die drei mörderischen
Schlachtentage "an der Lisaine". Alles musste mit gegen den in mehr
denn zehnfach stärkeren Feind. Niemand konnte die Pflege meines
armen Patienten übernehmen.
Glücklich, wenn auch immer noch auf drei Beinen, begleitete er
uns wieder zu einem ernsten Gange, der für manchen braven
Deutschen der letzte sein sollte, ebenso aber auch für meinen
treuen Hund! - Noch furchtbarer wie die ersten beiden Tage waren
die Stunden des dritten; kämpfte doch der Feind um seine Exi-
stenz. Ein Hagel von Artillerie- und Gewehrfeuer ging auf uns
hernieder; still, wie aus Stein gemeisselt, stand mein Hund an
meiner Seite, sein ernster Blick schien auf den feindlichen Trup-
pen zu ruhen, die sich soeben zum Sturm gegen uns anschickten.
Da plötzlich ein dumpfer Schlag, - und seitwärts sah ich meinen
lieben Hund, einer blutigen Masse gleich, in den Schnee fliegen,
zerrissen von dem Sprengstück einer Granate, das zweifellos mich
getroffen, hätte das treue Thier einen anderen Platz als den inne-
gehabten gewählt! - Vom Tode gerettet, beschlich mich das Gefühl,
mein treuester Freund habe ihn statt meiner erlitten! -
Der feindliche Angriff wurde abgeschlagen; vorwärts ging's jetzt
bei bitterster Kälte durch Schnee und Eis dem fliehenden Feinde
nach, auf Nimmerwiedersehen von meinem treuesten Kriegs-
kameraden.
Die einzige sichtbare Erinnerung an diesem ist ein Bild, auf dem
er unter mir liegt, bei dessen Anblick mir im Geiste die Stunde vor-
überzieht, die ihn von meiner Seite riss! -
Hannover
Burckhardt, Major a.D.
Ein monumentales Denkmal
am Fuß der Festung erinnert heute an die Gefallenen dieser
Schlacht: "Der Löwe
von Belfort". Der französische Bildhauer Frédéric August
Bartholdi
(1843-1904) - er schuf
1886 auch die Freiheitsstatue von New York - gestaltete aus Vogesen-
Sandstein 1875-80
einen gewaltigen Löwen, 22 m lang und 11 m hoch. Wenn der Name "Box"
auch auf keiner Gedenktafel
steht, so wissen wir doch: zu den unvergessenen Opfern von Bel-
fort, an die der große
Löwe erinnert, gehört auch ein kleiner weißer Boxer, dem
seine Treue
am 17. Januar 1871
das Leben kostete.
*Werner G. Preugchat: "Ein Leben für die Kynologie" in UNSER
RASSEHUND (VDH) 12/88.1/89.2/89
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