Herr Dr. Peter Störring hat die nachstehende Historie zu dem wahrscheinlich ersten Photos eines Boxers gefunden und sie in den Boxer-Blättern, Heft 11 - November 1990 publiziert. Weitere Beiträge von ihm zur Geschichte des Deutschen Boxers wurden außer in den Boxer-Blättern u.a.  in der von Hans Räber verfaßten zweibändigen "Enzyklopädie der Rassehunde", Franck-Kosmos Verlag Stuttgart 1993, Band I, veröffentlicht.
Ich bedanke mich bei Herrn Dr. Störring für seine Zustimmung, die Geschichte des ersten bekannten Boxer-Photos hier zu veröffentlichen.

 
Ein Bild und seine Geschichte:
 
Ein Boxer 1870 - Besitzer Sec.-Lieutenant Burckhardt, Hannover
aus: "Hunde-Sport und Jagd", München, Heft 25/Jahrgang 1901, vom 21.06.1901
Aus der Entwicklungsgeschichte des Boxers:

Boxervorfahr starb 1871 in der Schlacht von Belfort

Als ältestes kynologisches Fachblatt in Deutschland gilt die Wochenzeitschrift "Hunde-Sport und Jagd" aus München. Sie wurde 1886 durch Ernst von Otto-Kreckwitz (1861-1938) gegründet und erschien die ersten sieben Jahre noch unter dem Titel "Der Hundesport". Ernst v. Otto war zugleich auch Schriftleiter dieses reich bebilderten Journals, das heute für die Geschichte der einzelnen Rassehundzuchtvereine eine unverzichtbare Quelle ist.

Um die Jahrhundertwende erfolgte die Gründung fast aller großen deutschen Hundevereine. Ernst v. Otto berichtete nicht nur engagiert darüber in seiner Zeitschrift sondern war am Aufbau von mindestens 15 Vereinen mit Geschick und Erfahrung auch selbst aktiv beteiligt*. Er war einer der bedeutendsten Wegbereiter des Hundewesens in Deutschland. Auch zu dem 1895 in München gegründeten Boxer-Klub hatte Ernst v. Otto natürlich von Anfang an enge Beziehungen: Seine Münchner Zeitschrift "Hunde-Sport und Jagd" war gemäß § 9 der BK-Satzung von 1902 das offizielle Kluborgan, bevor ab 1904 die vereinseigenen Boxer-Blätter herausgegeben wurden, und im Jahre 1908 übernahm Ernst v. Otto für einige Zeit sogar selbst die Schriftleitung dieser Boxer-Blätter.

Leider sind nur sehr wenige Exemplare von "Hunde-Sport und Jagd" aus der damaligen Zeit erhalten geblieben. Umso wertvoller für die Entwicklungsgeschichte des Boxers ist daher die Wiederauffindung einer Abbildung und eines dazugehörenden Berichtes in Heft 25/Jahrgang 1901 vom 21. Juni 1901. Eine Fotografie mit der Bildunterschrift "Ein Boxer vor 30 Jahren - Bes. Sec.-Lieutenant Burckhardt, Hannover" zeigt einen preußischen Offizier, der sich in entspannter Haltung auf seinen Säbel stützt; zu seinen Füßen liegt ein weißer Boxervorfahr mit gleichmäßigen, schwarzen Abzeichen am Kopf. Wer schon einmal in alten Boxer-Klub-Broschüren der Jahrhundertwende blätterte oder die Geschichte des Boxer-Klubs in dem BK-Buch "Unser Hund ein Boxer" (3. Aufl. 1990, S. l04) nachgelesen hat, wird sich vielleicht an diese Aufnahme, die dort durch keinen weiteren Text erläutert wird, erinnern.

Ernst v. Otto hat mit dem Abdruck dieses Bildes und des Berichtes "Ein deutscher Boxer" von Major a. D. Burckhardt aus dem Jahre 1901 einen Beitrag zur Boxergeschichte geleistet, dessen Wert erst heute zu ermessen ist. Burckhardt ist einer der wenigen Zeitzeugen für die Entstehung der Rasse aus ihren ersten Anfängen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der die Gründung des Klubs und dessen Entscheidung für die offizielle Rassebezeichnung "Boxer" sowie die Aufstellung des Standards miterlebt hat bis hin zur Anerkennung dieser deutschen Hunderasse. Ernst v. Otto hatte Burckhardt erstmals 1884 in Wien bei einer Hundeausstellung für Doggen und "Leonhardiner" (Kreuzung Bernhardiner/Leonberger) kennengelernt. Er bezeichnete ihn später einmal als "einen unserer ältesten Aussteller". Der Boxer-Klub hat ihn schon sehr früh zum Ehrenmitglied ernannt, denn der erfahrene Kynologe Burckhardt hatte als "Richter für Luxushunde" bei Boxer-Ausstellungen oft als Formwertrichter fungiert und die Zuchtfortschritte sachverständig begutachtet. Als Mitglied der Delegierten-Commission (DC) stellte Burckhardt schon im Jahre 1900 den Antrag, den Boxer dort als neue Rasse mit langer Vergangenheit anzuerkennen. Doch Verbandsintrigen führten damals zur Ablehnung; Burckhardt legte daraufhin seine Amter in der DC nieder.

         ,,Boxer" bereits seit 1855
         In Burckhardts Elternhaus an der Ostsee wurden, wie er in seinem nachfolgenden Bericht aus
         "Hunde-Sport und Jagd" von 1901 erzählt, bereits seit Mitte der fünfziger Jahre des vorigen
         Jahrhunderts Hunde gehalten und gezüchtet, die man schon damals als"Boxer" bezeichnete:
 
                    Ein deutscher Boxer
                   Mit diesem Namen möchte ich diese Rasse belegt wissen, die nicht
                   zu den jüngsten zählt, denn mit ihr habe ich sozusagen meine
                   Kindheit verlebt, die bereits stark rückwärts liegt! -
                   Seit der Mitte der fünfziger Jahre wurde in meinem elterlichen
                   Haus ausschlieálich der Boxer gehalten und gezüchtet, und
                   bewährte sich nicht nur als Begleithund, sondern auch ganz
                   besonders als Wächter, treuer Hausgenosse und Spielkamerad.
                   Der Typus und die Charaktereigenschaften des Boxers von damals
                   waren völlig dieselben wie die des heutigen.  
                   Es vereint diese Rasse mit enormer Kraft hochgradige Intelligenz,
                   grosse Treue und Wachsamkeit, Muth und Unerschrockenheit,
                   sowie eine ganz ausgesprochene Vorliebe zum Apportieren! -
                   Infolge der kurzen, knappen Behaarung ist der Boxer leicht sau-
                   ber zu halten, und trotz des leichten Kleides ist er keineswegs
                   weichlich. Für Strassenbummler dürfte er einer der ausdauernd-
                   sten Begleiter bei Pferd, Wagen, Rad oder zu Fuss sein. Bedauer-
                   lich ist es, dass dieser Rasse Bissigkeit angedichtet wird, während
                   sie als in hohem Masse damen- und kinderfreundlich geschätzt
                   werden sollte. Nur das originelle Gesicht verleiht dem Boxer
                   einen ernsten Ausdruck, während sein Charakter nichts weniger
                   als mürrisch ist.
 
         Schon 1901: Mutige Hunde gelten als gefährlich
         Es ist alles schon einmal dagewesen. Auch um die Jahrhundertwende diskutierte man offen-
         sichtlich in der Öffentlichkeit über die Gefährlichkeit und Bissigkeit großer, mutiger Hunde,
         denn Burckhardt fügt seiner Boxerbeschreibung folgende - auch heute noch gültige - Feststel-
         lung an:
 
                   Kein "bissiger" Hund wird geboren, der Mensch macht durch fal-
                   sche Behandlung seinen treuesten Freund zur Bestie; und ebenso-
                   wenig wie ein starker, muthiger Mensch ein Raufbold zu sein
                   braucht, ebensowenig wird man einen muthigen, seiner Kraft
                   bewussten Hund bissig nennen können.
 
         Der Leutnant zog mit seinem "Box" in den Krieg von 1870/71
         30 Jahre nach der Beendigung des deutsch-französischen Krieges hat Burckhardt in der Zeit-
         schrift "Hunde-Sport und Jagd" die Geschichte des Bildes aufgezeichnet, das ihn als jungen
         Leutnant mit seinem "Box" im Jahre 1870 zeigt. Er ist inzwischen als Major aus dem preus-
         sischen Militärdienst ausgeschieden, doch die Erinnerung an seinen Hund, der ihm am 17.
         Januar 1871 auf dem Schlachtfeld das Leben rettete, ist ihm noch immer gegenwärtig.
         Als Offizier hatte er das Privileg, seinen weißen "Box" mit den schwarzen Abzeichen, mit dem
         er sich kurz zuvor noch hatte fotografieren lassen, auf den Feldzug nach Frankreich mitzuneh-
         men. Im November 1870 wurde Leutnant Burckhardt mit seinem Regiment zur Belagerung
         (milit.: Zernierung) der Festung Belfort kommandiert, die die burgundische Pforte strategisch
         schützen sollte. Etwa 12 km südwestlich von Belfort, auf dem Westufer des Flusses Lisaine,
         bezogen die Deutschen Stellung. Der französische General Bourbaki versuchte, mit einem star
         ken Truppenkontingent durch einen Vorstoß von außen die belagerte Festung zu befreien. Der
         Angriff wurde abgewiesen- zu den Opfern dieser Schlacht zählte auch der treue "BoX";  den ein
         Granatsplitter zerfetzte.
 
                   Die Treue und die Tugenden eines Boxers schätzen zu lernen, hatte
                   ich die beste Gelegenheit, und gerade der Umstand veranlasst
                   mich, dieser Rasse durch ein Beispiel das Wort zu reden.  
                   In den Feldzug 1870/71 begleitete mich ein Boxer aus elterlicher
                   Zucht; unentwegt hatte der brave Kerl die Gefechte und Schlach-
                   ten bei Metz an meiner Seite mitgemacht, und als Mitbewohner
                   unseres Zeltes war er während der Belagerung der zuverlässige
                   Wächter jeglicher sich der Truppe nähernden Gefahr Das Inter-
                   esse und die Vorliebe für den treuen und hoch intelligenten Hund
                   war allgemein, und jedem Bericht meinerseits an das am fernen
                   Ostseestrande gelegene Elternhaus durfte eine Notiz über das
                   Befinden des "Box'' nicht fehlen. Ein Wiedersehen aber der Stätte,
                   wo dieser seine erste Jugend verlebte, sollte ihm leider nicht ver-
                   gönnt sein, denn mit den ernsten Tagen vor Metz war unsere
                   schwere Zeit noch nicht beendet. Dem Regiment wurde die Auf-
                   gabe, die Festung Belftort mit belagern zu helfen, saure Monate,
                   die auch meinem treuen Begleiter nicht erspart bleiben konnten.
                   Schon in den ersten Wochen der Zernierung dieser Festung auf
                   einem mir befohlenen Offizier-Patrouillen gange wurde mein
                   "Box" durch ein feindliches Infanterie-Gesch oss am Hinterlauf
                   nicht unerheblich verwundet, so dass ich ihn in Zukunft im Noth-
                   quartier der Pflege einiger kränklicher Leute überlassen musste.  
                   Wie unbeschreiblich gross war die Freude des Thieres, wenn es
                   mich nach tagelanger Abwesenheit wiedersah; trotz heftiger
                   Schmerzen sprang es schreiend an mir herauf als wäre es ihm
                   bewußt, daß ich wieder einmal dem Tode entgangen. Mit dem
                   Augenblick meiner Rückkehr gab es keine Annäherung fremder
                   Personen an seinen Herrn; jedem Eintretenden ging der  "Box"
                   knurrend, aber ohne die Absicht des Beissens zu bekunden, entge-
                   gen und zeigte durch seine Haltung, dass die Sicherung seines
                   Besitzers ihm bitterer Ernst sei. Nur ein Wort, ein Wink, ja selbst
                   ein Blick genügte, ihm zu bedeuten, dass keinerlei Gefahr vor-
                   handen.  
                   Allein nicht allzulange sollte ich mich seiner Treue und Opferwil-
                   ligkeit erfreuen dürfen! - Die Kunde von der beabsichtigten Befrei-
                   ung BeI fort's durch General Bourbaki wurde  Wirklichkeit.
                   Der 15. ,  16. und 17.  Januar brachte uns die drei mörderischen
                   Schlachtentage "an der Lisaine". Alles musste mit gegen den in mehr
                   denn zehnfach stärkeren Feind. Niemand konnte die Pflege meines
                   armen Patienten übernehmen.  
                   Glücklich, wenn auch immer noch auf drei Beinen, begleitete er
                   uns wieder zu einem ernsten Gange, der für manchen braven
                   Deutschen der letzte sein sollte, ebenso aber auch für meinen
                   treuen Hund! - Noch furchtbarer wie die ersten beiden Tage waren
                   die Stunden des dritten; kämpfte doch der Feind um seine Exi-
                   stenz. Ein Hagel von Artillerie- und Gewehrfeuer ging auf uns
                   hernieder; still, wie aus Stein gemeisselt, stand mein Hund an
                   meiner Seite, sein ernster Blick schien auf den feindlichen Trup-
                   pen zu ruhen, die sich soeben zum Sturm gegen uns anschickten.
                   Da plötzlich ein dumpfer Schlag, - und seitwärts sah ich meinen
                   lieben Hund, einer blutigen Masse gleich, in den Schnee fliegen,
                   zerrissen von dem Sprengstück einer Granate, das zweifellos mich
                   getroffen, hätte das treue Thier einen anderen Platz als den inne-
                   gehabten gewählt! - Vom Tode gerettet, beschlich mich das Gefühl,
                   mein treuester Freund habe ihn statt meiner erlitten! -  
                   Der feindliche Angriff wurde abgeschlagen; vorwärts ging's jetzt
                   bei bitterster Kälte durch Schnee und Eis dem fliehenden Feinde
                   nach, auf Nimmerwiedersehen von meinem treuesten Kriegs-
                   kameraden.  
                   Die einzige sichtbare Erinnerung an diesem ist ein Bild, auf dem
                   er unter mir liegt, bei dessen Anblick mir im Geiste die Stunde vor-
                   überzieht, die ihn von meiner Seite riss! -
                   Hannover                    Burckhardt, Major a.D. 
 
         Ein monumentales Denkmal am Fuß der Festung erinnert heute an die Gefallenen dieser
         Schlacht: "Der Löwe von Belfort". Der französische Bildhauer Frédéric August Bartholdi
         (1843-1904) - er schuf 1886 auch die Freiheitsstatue von New York - gestaltete aus Vogesen-
         Sandstein 1875-80 einen gewaltigen Löwen, 22 m lang und 11 m hoch. Wenn der Name "Box"
         auch auf keiner Gedenktafel steht, so wissen wir doch: zu den unvergessenen Opfern von Bel-
         fort, an die der große Löwe erinnert, gehört auch ein kleiner weißer Boxer, dem seine Treue
         am 17. Januar 1871 das Leben kostete.  
 
*Werner G. Preugchat: "Ein Leben für die Kynologie" in UNSER RASSEHUND (VDH) 12/88.1/89.2/89





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