Nachdem die Charakteristika
expressionistischer Lyrik in einer allgemeinen Form erläutert
wurden, soll der folgende Text sich mit der genaueren Betrachtung des
Bildbereichs von Georg Trakl befassen. Diese Betrachtungen können auch als eine
Vertiefung der Chiffrenthematik, bzw. der Verwendung von Metaphern und Bildern
generell angesehen werden. Es ist wichtig zu erwähnen, daß die folgenden
Interpretationsansätze lediglich eine Sichtweise darstellen, welche die
Chiffren und Bilder auf eine Art deuten. Es ist jedoch keine absolute
Übereinstimmung mit der, von Trakl selbst empfundenen Bedeutung gegeben, da nur
er allein um die emotionale Beziehung zwischen ihm und seinen “Bildern” weiss.
Dennoch stellt es den Versuch dar, diese Beziehung zu erahnen und Teile davon
zu deuten, ausgehend von einem eigenen Standpunkt.
Ruh und Schweigen
Hirten
begruben die Sonne im kahlen Wald.
Ein
Fischer zog
In
härenem Netz den Mond aus dem frierenden Weiher.
In
blauem Kristall
Wohnt
der bleiche Mensch, die Wang‘ an seine Sterne gelehnt;
Oder
er neigt das Haupt in purpurnem Schlaf.
Doch
immer rührt der schwarze Flug der Vögel
Den
Schauenden, das Heilige blauer Blumen,
Denkt
die nahe Stille Vergessenes, erloschene Engel.
Wieder
nachtet die Stirne in mondenem Gestein;
Ein
strahlender Jüngling
Erscheint
die Schwester in Herbst und schwarzer Verwesung.
Dieses Gedicht von Trakl, erschienen
in der Sammlung “Sebastian im Traum”, zeigt die komplexe und assoziationsreiche
Verwendung der Sprache, welcher Trakl sich zum Ausdruck seiner Gefühlswelt
bediente. Übergeordnete Thematik dieses Gedicht ist das Verhältnis zwischen
Mensch und Natur, welches hauptsächlich dadurch gekennzeichnet ist, daß sich
der Mensch immer mehr von seinen Ursprüngen, also der Natur entfremdet. Diese
Aussage mag auf den ersten Blick etwas weit hergeholt sein, eine genauere
Betrachtung gibt jedoch mehr Aufschluss über diese These.
Das Gedicht wird eingeleitet
durch das “begraben der Sonne im kahlen Wald”. Durch diesen Akt wird schon
gleich zu Beginn des Gedichtes eine entscheidende Störung innerhalb der Natur
verdeutlicht, was noch dadurch intensiviert wird, da der Wald mit dem negativen
Attribut kahl behaftet ist. Die Sonne als Inbegriff der Beständigkeit und des
Lebens ist dem Tod geweiht. Hirten sind es, welche die Sonne begraben, was
einerseits die Ursache für die Störung auf den Menschen richtet, ihm andererseits
aber auch eine Art des Respekts und der Fürsorge zuspricht. Letzteres wird
allein dadurch noch verstärkt, daß mit dem Begriff des Hirten gleichzeitig das
Bild des Hüters hervorgerufen wird.
Dieser scheinbare Gegensatz zwischen Hüten und
Vernichten mag dadurch zu erklären sein, da es nur noch die Hirten sind,
welche die Bindung an die Natur bewahrt haben. Im zweiten Teil der ersten
Strophe wird dieser Gegensatz allerdings erst weiter herausgearbeitet, indem
“ein Fischer in härenem Netz den Mond aus frierendem Weiher zieht.” Dieser Teil
ist als Gegenstück zum ersten Vers des Gedichtes zu sehen. Es findet sich der
Mond als Gegenstück zur Sonne und einen Fischer als Gegensatz zu den Hirten. Es
wird der Mond aus dem Weiher gezogen und die Sonne begraben. Wichtig hierbei
ist vor allem, daß in der Lyrik Trakls “der Mond für ein Himmelszeichen der
lauteren reinen Todeslandschaft steht”(“Abendland”: “Mond, als träte ein Totes
/ Aus blauer Höhle”) [1] Hinzu kommt, daß der Fischer sich an der Natur
bereichert, wohingegen der Hirte sie bewahrt. Mittel des Fischers ist sein
härenes Netz, was wahrscheinlich von dem Begriff Häresie hergeleitet wurde, und
für gotteslästerlich steht. Als letzten Hinweis für die negative Bedeutung des
zweiten Teils dient das Bild des gefrorenen Weihers. Der Weiher stellt im
Gesamtwerk von Trakl so etwas wie einen Ursprung dar, etwas wie ein in sich
gekehrter und ausgeglichener Ruhepol. (“Nullpunkt seines existentiellen
Koordinatensystems” [2]) Dieser Ruhepol ist bereits im Begriff zu gefrieren, an
Leben zu verlieren, was insgesamt auf eine, das Leben verlierende Entwicklung
hindeutet.
Die erste Strophe wird hier
als eine Art Einleitung benutzt, um Zeit und Umgebung vorweg zu nehmen. Zeit des
Gedichtes ist die Nacht, die “Todeslandschaft”[1], welche der Mond schemenhaft
beleuchtet. In der zweiten Strophe wird die Umgebung aufgegriffen und
weitergeführt, indem vom “blauen Kristall”
und vom “bleichen Mensch” die Rede, welche in bezug zueinander stehen.
Die Farbe Blau ist generell eine, im Expressionismus oft verwendete Farbe,
welche mit Weite und Unendlichkeit assoziiert wird. Bei Trakl gibt es Hinweise
darauf, daß es sich zusätzlich um etwas heiliges handelt. Er benutzt die Farbe
beispielsweise oft im Zusammenhang mit dem Bild des Wildes, das bei Trakl meist
ein, dem Tod geweihtes Opfer darstellt. (“Ein blaues Wild / Blutet leise im
Dornengebüsch” Elis, 3. Fassung, 2.Gedicht [2]) Dadurch ergeben sich die
Verbindungen zur Natur und zum Tod. Zwar lässt sich keine sichere Aussage zu
Trakls Sicht bezüglich dem Tod machen, da sich Aussagen hierzu widersprechen,
jedoch kann man die Vermutung ansetzen, dass Trakl im Tod so etwas wie Erlösung
gesehen hat. Zwar ist bekannt, dass Trakl in einem Brief seine Angst vor dem
Tod bezeugt hat, allerdings ist in Gedichten wie “Ein Winterabend” der Tod als
eine Erlösung von “der Wanderschaft” auf “dunklen Pfaden” dargestellt. Das
Verhältnis von Trakl zur Natur wird in dem Gedicht, welches hier vorliegt, wie
zu Beginn erklärt sehr deutlich, doch dazu später mehr. Es sei an dieser Stelle
nur soviel gesagt, dass die ursprüngliche Verbindung zur Natur wieder
herbeigesehnt wird. Um zum vorliegenden Gedicht zurückzukommen, so wird eine
Verbindung aus dem Bild des Todes (“der bleiche Mensch”, “Todeslandschaft”[2])
und einer heiligen Unendlichkeit (“In blauem Kristall”) zu der Nacht
geschaffen, wobei “blauer Kristall” die Nacht selbst meinen könnte. Dadurch
wäre der Tod auch in diesem Gedicht als etwas unendliches und heiliges
angedeutet. In dem nächsten Vers kommt auch noch das Bild des Schlafes hinzu,
welchen Trakl als Zustand nahe an dem, des Todes gesehen haben könnte, da er
ebenfalls zu dem Bild der Nacht gehört, welches die Nähe zum Tod in sich birgt.
Somit wird in der 2. Strophe ein Bild des Todes gezeigt, welches sich durchaus
von den üblichen Anschauungen zum Tod unterscheidet. Er wird nicht als das
schreckliche unentrinnbare Schicksal angesehen, sondern im Gegenteil als
friedlichen, ja sogar heiligen Zustand, der in der Nacht auf eine gewisse Art
allgegenwärtig ist, herbeigesehnt.
Die dritte Strophe gibt den
eigentlichen Anstoss zu der ganz am Anfang aufgestellten Behauptung bezüglich
der Thematik des Gedichtes. Hier wird die Beziehung zwischen Mensch und Natur
direkt angesprochen, und das in einer allgemeinen Form, welche nicht nur für
eine Nacht gilt, sondern allgemeine Gültigkeit in der gegenwärtigen Zeit
besitzt. “Doch immer rührt der schwarze Flug der Vögel / Den Schauenden, das
Heilige blauer Blumen” Das Bild der “blauen Blume” ist eine, aus der Romantik
überlieferte Chiffre, die “die Sehnsucht nach der unendlichen Vereinigung von
Mensch und Natur”[2] widerspiegelt. Novalis hat dieses Bild in seinem Roman
“Heinrich von Ofterding” geprägt, in dem der Held im Traum einen blauen
Blumenkelch erblickt, aus dem ihm ein Frauengesicht entgegenblickt. Später
erkennt er, daß dieses Gesicht, das Gesicht seiner Geliebten war.
Der Schauende, der die Vögel
ziehen sieht, fühlt diese verlorene Bindung. Er kann jedoch nicht sagen, was es
ist, was er fühlt, da er versucht etwas zu “denken” was er “vergessen” hat.
Trakl gibt damit vermutlich seiner Wahrnehmung Raum, in der er dieses “Ziehen”
zwar noch erfassen kann, jedoch das Wissen um den Ursprung von diesem Gefühl
verloren hat. Die Bedeutung dieser Entfremdung wird mit den letzten Wörtern
dieser Strophe am deutlichsten: “erloschene Engel” Wahrscheinlich gibt Trakl
damit seine negative Sicht seiner Zeit wieder, in der es nur noch wenig oder
sogar keine Hoffnung mehr auf eine positive Wendung, auf eine Vereinigung mit
den Ursprüngen gibt, da diese Ursprünge nur noch als unbewusstes Gefühl
existieren, dem die Grundlage, das Wissen entzogen wurde.
In der letzten Strophe wird
ein Bild erzeugt, welches sich etwas von der bisherigen Bilderwelt abhebt zumal
die Schwester am Ende in Erscheinung tritt. Es ist insofern auch etwas aus dem
Zusammenhang entrückt, da es sich auch hier nicht mehr um die Beschreibung der
gleichen Nacht handelt. Es ist die Beschreibung einer Traumerscheinung. Die erste
Zeile wird auch hier verwendet, um den Zeitpunkt und damit auch die Umgebung
darzustellen. “Wieder nachtet die Stirne im mondenem Gestein” Die folgenden
Zeilen scheinen keinen Zusammenhang zu dieser ersten Strophe und auch
untereinander zu haben. “Ein strahlender Jüngling / Erscheint die Schwester in
Herbst und schwarzer Verwesung” Wenn man jedoch annimmt, dass es sich bei dem
ersten Vers um die Beschreibung eines Schlafenden handelt, so lässt sich auch
die Verbindung zu den anderen Zeilen herstellen, welche man als Erscheinungen
eines Traumes deuten kann. Das Gedicht endet mit dem Erscheinen der Schwester,
in einer Welt, die dem Tod geweiht ist. Um das Bild der Schwester zu deuten,
ist die Bedeutung der Beziehung zwischen Trakl und seiner Schwester eine sehr
wichtige Voraussetzung. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Beziehung sehr
eng gewesen ist, was der Bedeutung doch noch nicht ganz gerecht wird. Allein
schon daran, dass die beiden ein inzestuöses Verhältnis hatten lässt sich die
Besonderheit der Beziehung erkennen. In Trakls Kinderjahren war sie wohl auch
die einzige, die Zugang zu ihm hatte, und die vor allem seine Interessen
geteilt hatte, die sowohl der Dichtkunst bzw. der Kunst allgemein galten, sowie
dem Drogenrausch. Zwar hatte Trakl wohl auch drückende Schuldgefühle wegen
dieser Beziehung, allerdings hatte er in ihr eine Verstehende seiner Gedanken-
und Gefühlswelt, welche einen Ausgleich und einen Rückzug gegen seine restliche
Umwelt bildete. Dies bekommt auch in diesem Gedicht Ausdruck. Dem Schlafenden
erscheint die Schwester als eine Art Hoffnung. Die Welt um ihn herum ist durch
Verwesung gekennzeichnet, und in Mitten dieser Verwesung erscheint die
Schwester. Die Verbindung zur zweiten Zeile dieser Strophe lässt sich nur sehr
vage ziehen. Der “strahlende Jüngling” könnte eine Folge der Erscheinung der
Schwester sein, da sie das einzige ist, was im Kontrast zu der negativen Welt
steht. Auf jeden Fall wird in diesem Gedicht erneut die Position der Schwester
auf eine extrem positive Weise stilisiert. Sie wird eine Art Erretterin, welche
der Schlafende im Traum vorhersieht. Es ist gut möglich, daß diese letzte
Strophe ein Produkt aus einem reellen Traums von Trakl ist, da er Träume, ob
natürliche oder durch Drogen künstlich erzeugte, oft als Ausgangspunkt seiner
Dichtung genommen hat.
Abschließend ist zu sagen, daß all die verwendeten Bilder, Chiffren und Metaphern neben dem einem aussagendem Inhalt zu einem sehr großen Teil zur Erzeugung von Atmosphäre und Stimmungen dienen. Es werden im Kopf des Lesers Bilder erzeugt, welche zusammengesetzt ein großes Geflecht aus einzelnen Bildern, Eindrücken und Stimmungen ergeben. Allein durch die Farbgebung und die Nacht, als Zeitraum des Gedichtes wird ein sehr dunkles, stilles Gefühl der Weite kreiert. Dies ist auch der Punkt, an dem ich für mich selbst entscheiden kann, ob ein Gedicht nach meinen Kriterien gelungen ist oder nicht. Wenn es gewisse Bilder erzeugen kann, die eine intensive Stimmung hervorrufen, ohne vielleicht zu wissen warum genau diese Bilder entstehen, ist ein Hauptkriterium erfüllt. Selbstverständlich gilt dies nur für Dichtung, welche mit der Hilfe von Assoziation arbeitet oder dies sogar Hauptstilmittel ist. Bei politischer Dichtung ist diese Weise der Betrachtung sicherlich unangebracht, doch wenn Dichtung es schafft unbewusste Assoziationen hervorzurufen, so kann man von einem Hinwegsetzen der Sprache sprechen, wodurch Dichtung in meinen Augen erst in vollem Maße zur Geltung kommt.
Literaturverzeichnis:
- [1] Clemens Heselhaus Deutsche Lyrik der Moderne
- [2]
- Kurt Pinthus Menschheitsdämmerung
- Blickpunkte Texte im Unterricht (Expressionistische Lyrik)