DAVID HUME (1711 - 1776)
Eine Untersuchung über den menschlichen
Verstand
Zweiter Abschnitt
ÜBER DEN URSPRUNG DER VORSTELLUNGEN
Jedermann wird anstandlos zugeben, daß ein beträchtlicher Unterschied zwischen den
Auffassungen des Geistes besteht, wenn jemand den Schmerz übermäßiger Hitze oder
die Lust mäßiger Wärme empfindet, und wenn er später diese Wahrnehmung in seinem
Gedächtnis zurückruft oder durch seine Einbildungskraft vorausnimmt. Diese Vermögen können vielleicht die Auffassungen
der Sinne nachahmen oder abbilden, aber nie die Stärke und Lebendigkeit des
ursprünglichen Gefühls vollkommen erreichen. Als Äußerstes ließe sich selbst bei ihrer
vollsten Kraftentfaltung von ihnen nur behaupten, sie stellten ihren Gegenstand so
lebhaft vor uns hin, daß wir
beinahe
sagen könnten, wir empfänden oder sähen ihn. Doch vermögen sie niemals, es sei denn, daß der Geist
durch Krankheit oder Wahnsinn zerrüttet ist, einen Höhepunkt der Lebendigkeit zu
erreichen, bei dem diese Auffassungen gar nicht mehr voneinander zu unterscheiden
wären. Die Dichtung kann selbst in ihren glänzendsten Farben nie Gegenstände der
Natur in einer Weise ausmalen, daß man die Beschreibung für eine wirkliche Landschaft hielte. Der lebendigste Gedanke bleibt
immer hinter der dumpfsten Wahrnehmung zurück.
Einen gleichen Unterschied können wir durch alle anderen Auffassungen des Geistes
verfolgen. Ein Zornanfall wirkt ganz anders auf den Menschen als der bloße Gedanke an
diese Gemütserregung. Wenn mir erzählt wird, daß jemand verliebt ist, so kann ich den Sinn leicht verstehen und mir ein richtiges
Vorstellungsbild von seinem Zustande machen; aber ich kann niemals dieses
Vorstellungsbild mit den wirklichen Störungen und Aufregungen des Affekts
verwechseln. Wenn wir uns auf unsere vergangenen Gefühle und Neigungen besinnen,
ist unser Gedanke ein treuer Spiegel, der seinen Gegenstand wahrhaftig abbildet; aber die von ihm angewandten Farben sind blaß und trübe im
Vergleich zu jenen, in welche unsere ursprünglichen Auffassungen gekleidet waren. Es
bedarf keiner feinen Unterscheidungsgabe noch eines metaphysischen Kopfes, um die
Verschiedenheit zwischen beiden festzustellen.
Man kann deshalb alle Auffassungen des Geistes in zwei Klassen oder Arten teilen, die sich durch den verschiedenen Grad ihrer Stärke und Lebhaftigkeit
unterscheiden. Die minder eindringlichen und lebendigen nennt man gewöhnlich
Gedanken oder
Vorstellungen. Für die andere Art fehlt es der englischen wie den
meisten anderen Sprachen an einem Wort, vermutlich, weil außer für philosophische
Zwecke es nicht erforderlich war, sie unter einem allgemeinen Ausdruck oder Namen zu befassen. Nennen wir sie daher ein wenig frei Eindrücke;
wobei ich das Wort in einem von dem gewöhnlichen etwas abweichenden Sinne
gebrauche. Unter der Bezeichnung
Eindruck
verstehe ich also alle unseren lebhafteren
Auffassungen, wenn wir hören, sehen, tasten,
lieben, hassen, wünschen oder wollen. Eindrücke sind von Vorstellungen
unterschieden, welche die weniger lebhaften Auffassungen sind, deren wir uns bewußt
werden, wenn wir uns auf eine jener oben erwähnten Wahrnehmungen oder Regungen
besinnen.
Auf den ersten Blick erscheint wohl nichts so schrankenlos wie das menschliche
Denken, das sich nicht nur aller menschlichen Macht und Autorität entzieht, sondern
sich nicht einmal in den Grenzen der Natur und der Wirklichkeit halten läßt. Es kostet
die Einbildungskraft nicht mehr Mühe, Ungeheuer zu bilden und unverträgliche
Gestalten und Erscheinungen zusammenzufügen, als sich die natürlichsten und
vertrautesten Gegenstände vorzustellen. Und während der Körper auf einen
Planeten beschränkt ist, auf dem er mit Mühe und Beschwerde umherkriecht, kann der
Gedanke uns in einem Augenblick in die entferntesten Gegenden des Weltalls tragen; ja
selbst darüber hinaus, ins grenzenlose Chaos, wo die Natur angeblich in gänzlicher
Verwirrung liegt. Was niemals gesehen oder gehört worden ist, läßt sich doch
15
vorstellen, und nichts übersteigt die Macht des Gedankens, das ausgenommen, was
einen unbedingten Widerspruch einschließt.
Ob nun gleich das Denken diese unbegrenzte Freiheit zu besitzen scheint, so werden
wir doch bei näherer Untersuchung finden, daß es in Wirklichkeit durch sehr enge
Grenzen eingeschlossen ist, und all diese schöpferische Kraft
20
des Geistes auf weiter
nichts hinauskommt, als auf die Fähigkeit der Verbindung, Umstellung, Vermehrung
oder Verminderung des Stoffes, den uns Sinne und Erfahrung liefern. Denken wir uns
einen goldenen Berg, so verbinden wir nur zwei widerspruchslose Vorstellungen, Gold
und
Berg,
die uns von früher bekannt sind. Ein tugendhaftes Pferd können wir uns
vorstellen, weil wir aus
25
unserem eigenen inneren Empfinden uns die Tugend
vorstellen können, und diese läßt sich mit der Gestalt und dem Aussehen eines Pferdes
vereinigen, eines Tieres, das uns vertraut ist. Kurz, aller Stoff des Denkens ist entweder
von unserem äußeren oder inneren Gefühl abgeleitet. Einzig die Mischung und
Zusammensetzung fällt dem Geist und dem Willen zu. Oder, um mich
philosophisch
auszudrücken: all unsere Vorstellungen oder schwächeren Auffassungen sind Abbilder
unserer Eindrücke oder lebhafteren Auffassungen.
Dies zu beweisen, werden hoffentlich folgende zwei Gründe ausreichen. Erstens: wir
finden bei der Zergliederung unserer Gedanken oder Vorstellungen immer, seien sie
auch noch so zusammengesetzt oder erhaben, daß sie sich
35
in einfache Vorstellungen
auflösen, die einem früheren Empfinden oder Gefühl nachgebildet sind. Selbst solche
Vorstellungen, welche auf den ersten Blick am weitesten von diesem Ursprung entfernt
scheinen, erweisen sich bei näherer Prüfung als daraus entsprungen. Die Vorstellung
Gottes im Sinne eines allwissenden, allweisen und allgültigen Wesens entsteht aus der
Besinnung auf
40
die Vorgänge in unserem eigenen Geiste und aus der Steigerung dieser
Eigenschaften der Güte und Weisheit ins Grenzenlose. Wir mögen diese Untersuchung
noch so weit fortführen, immer werden wir finden, daß jede von uns geprüfte
Vorstellung einem gleichartigen Eindruck nachgebildet ist. Wer behaupten will, dieser
Satz sei nicht allgemein und ausnahmelos wahr, dem
45
bietet sich eine und zwar leichte
Methode, ihn zu widerlegen: er zeige diejenige
Vorstellung auf, welche nach seiner Meinung nicht aus dieser Quelle geschöpft ist.
Dann wird es uns obliegen, wollen wir unsere Lehre halten, den Eindruck oder die
lebhafte Auffassung beizubringen, welche ihr entspricht.
Zweitens: Wenn zufällig jemand wegen eines organischen Fehlers für eine
Art von
Wahrnehmung nicht empfänglich ist, so finden wir immer, daß er ebenso unempfänglich
für die entsprechenden Vorstellungen ist. Ein Blinder kann sich keinen Begriff von
Farben machen, noch ein Tauber von Tönen. Wenn einer von beiden den ihm fehlenden
Sinn zurück erhält, so öffnet sich mit diesem neuen Einlaß für seine Wahrnehmungen
auch ein neuer Einlaß für die Vorstellungen, und es macht ihm keine Schwierigkeit, sich diese Gegenstände
vorzustellen. Ebenso verhält es sich, wenn ein zur Erregung einer bestimmten
Wahrnehmung geeigneter Gegenstand noch nie mit dem Organ in Berührung kam. Ein
Lappländer oder Neger hat keinen Begriff vom Wohlgeschmack des Weines. Und
obwohl Fälle eines ähnlichen geistigen Mangels selten oder niemals vorkommen, wo jemand ein seiner Gattung eigentümliches Gefühl oder einen
Affekt nie erlebt hat oder dessen gänzlich unfähig ist, so läßt sich hier doch das gleiche,
wenn auch in geringerem Grade, beobachten. Ein Sanftmütiger kann sich keine
Vorstellung von eingewurzelter Rachsucht oder Grausamkeit machen; und ein
selbstsüchtiges Herz kann sich die Höhepunkte der Freundschaft und Großmut nicht vorstellen. Es wird anstandlos zugegeben, daß
andere Wesen viele Sinne besitzen mögen, von denen wir uns kein Vorstellungsbild
machen können; weil uns ihre Vorstellungen nie auf die einzige Weise zugeführt worden
sind, durch die eine Vorstellung in den Geist eintreten kann, nämlich durch wirkliches
Empfinden und Wahrnehmen.
Es gibt indessen eine dem entgegenstehende Erscheinung, die beweisen könnte, daß
ein Aufsteigen von Vorstellungen, unabhängig von den ihnen entsprechenden
Eindrücken, nicht unbedingt unmöglich ist. Ich glaube, es wird wohl bereitwillig
zugegeben werden, daß die einzelnen gesonderten Vorstellungen von Farben, die durch
das Auge eingehen, oder von Tönen, welche das Ohr zuführt, wirklich voneinander verschieden und doch zu gleicher Zeit
einander ähnlich sind. Gilt dies nun von verschiedenen
Farben, so
muß es nicht minder
von verschiedenen Schattierungen derselben Farbe gelten; jede Schattierung erzeugt
eine gesonderte, von den übrigen unabhängige Vorstellung. Wollte man dies leugnen,
so wäre es möglich, durch eine stetige Abstufung von Schattierungen eine Farbe unmerklich in die ihr am fernsten stehende
überzuführen; und wer keinen Unterschied für die Mittelstufen anerkennen will, darf
ohne Ungereimtheit auch nicht die Gleichheit der Endglieder ableugnen. Angenommen
nun, ein Mensch habe sich dreißig Jahre lang seines Augenlichts erfreut, sei mit Farben
allerart vollkommen vertraut geworden, ausgenommen mit einer bestimmten Schattierung, z. B. von Blau, die ihm
zufällig nie begegnet ist. Legt man ihm alle verschiedenen Schattierungen dieser Farbe
vor, außer dieser einen, stetig absteigend von der dunkelsten zur hellsten, so wird er
offenbar da eine Lücke auffassen, wo jene Schattierung fehlt, und sich eines größeren
Abstands zwischen den anstoßen den Farben an dieser Stelle als an allen anderen bewußt werden. Ich frage nun, ob es
ihm möglich wäre, aus seiner eigenen Einbildungskraft das hier Fehlende
zu ergänzen und die Vorstellung dieser besonderen Schattierung in sich aufsteigen zu
lassen, obgleich seine Sinne sie ihm niemals zugeführt hatten? Ich glaube, nur wenige
werden meinen, daß er es nicht könne; und dies kann als Beweis gelten, daß einfache
Vorstellungen nicht immer und überall von den entsprechenden Eindrücken
herstammen; indes ist dieser Fall so vereinzelt, daß er kaum unserer Beachtung wert ist
und nicht verdient, daß wir allein seinetwegen unseren allgemeinen Grundsatz abändern.
Hier haben wir also einen Satz, der nicht allein in sich einfach und verständlich scheint,
sondern der auch bei richtiger Anwendung jede Streitfrage ebenso verständlich machen
und all jenes Gewäsch beseitigen könnte, welches so
lange die metaphysischen
Gedankengänge beherrscht und in Unehre gebracht hat. Alle Vorstellungen, besonders
die abstrakten, sind von Natur matt und dunkel; der Geist hat sie nur wenig in der
Gewalt, sie werden leicht mit anderen ähnlichen Vorstellungen verwechselt; und haben
wir häufig einen Ausdruck gebraucht, wenn auch ohne feste Bedeutung, so bilden wir
uns leicht ein, daß
15
eine bestimmte Vorstellung mit ihm verknüpft sei. Im Gegensatz
dazu sind alle Eindrücke, d. h. alle Wahrnehmungen, äußere wie innere, stark und
lebendig; die Grenzen zwischen ihnen sind genauer bestimmt, und, was sie anlangt, ist
es nicht leicht, zu irren oder fehlzugreifen. Haben wir daher Verdacht, daß ein
philosophischer Ausdruck ohne irgend einen Sinn oder eine Vorstellung
20
gebraucht
werde, was nur zu häufig ist, so brauchen wir bloß nachzuforschen,
von welchem Eindruck
stammt diese angebliche Vorstellung her?
Und läßt sich durchaus kein solcher aufzeigen, so
wird dies zur Bestätigung unseres Verdachts dienen. Indem wir die Vorstellungen in ein
so klares Licht stellen, dürfen wir billig hoffen, allem Streit, der über ihre Natur und
Wirklichkeit sich erheben
25
könnte, ein Ende zu machen.1
Dritter Abschnitt
ÜBER DIE ASSOZIATION DER VORSTELLUNGEN
Es ist offenbar, daß ein Prinzip für die Verknüpfung zwischen den verschiedenen
Gedanken oder Vorstellungen des Geistes besteht, und daß sie bei ihrem Erscheinen im
Gedächtnis oder in der Einbildungskraft einander in gewissem Grade methodisch und
regelmäßig einführen. Bei ernsthafterem Nachdenken
30
oder Gespräch ist dies so
auffallend, daß irgend ein einzelner Gedanke, der die regelmäßige Folge oder Kette von
Vorstellungen durchbricht, sofort bemerkt und zurückgewiesen wird. Und selbst in
unseren wildesten und schwärmendsten Phantasien, ja in unseren Träumen, läßt die
Überlegung uns finden, daß die Einbildungskraft nicht ganz aufs Geratewohl
ausschweifte, sondern daß
35
zwischen den verschiedenen einander folgenden
Vorstellungen doch noch eine Verknüpfung bestehen blieb. Wollte man das
ungebundenste und freieste Gespräch niederschreiben, so würde man sofort ein Etwas
beobachten, welches es bei allen Übergängen verknüpfte. Oder wo dies fehlt, da wird die
Person, welche den Faden des Gesprächs abbrach, doch angeben können, daß in ihrem
4u
Geist insgeheim eine Folge von Gedanken sich abgewickelt habe, durch die sie
allmählich vom Gegenstand der Unterhaltung abgelenkt worden sei. In verschiedenen
Sprachen, selbst dort, wo nicht die geringste Verknüpfung oder Beeinflussung vermutet
werden kann, zeigt es sich, daß Wörter, die höchst zusammengesetzte Vorstellungen
ausdrücken, doch nahezu einander entsprechen; ein sicherer Beweis dafür, daß die einfachen, in den zusammengesetzten
enthaltenen Vorstellungen durch irgend ein allgemeines Prinzip verbunden sind,
welches auf die ganze Menschheit den gleichen Einfluß übt.
Obwohl die Verknüpfung verschiedener Vorstellungen zu augenfällig ist, um der
Beachtung zu entgehen, so finde ich doch nicht, daß irgend ein Philosoph versucht hat, alle Prinzipien der Assoziation aufzuführen und zu ordnen; und doch
scheint der Gegenstand des Interesses wert. Soviel ich sehe, gibt es nun drei Prinzipien
der Vorstellungsverknüpfung, nämlich
Ähnlichkeit, Berührung
in Zeit oder Raum, und
Ursache
und
Wirkung.
Daß diese Prinzipien zur Verknüpfung von Vorstellungen dienen, dürfte
wenig Zweifeln begegnen. Ein Gemälde führt unsere Gedanken naturgemäß zu dem
Urbild (Ähnlichkeit); die Erwähnung des einen Gemachs in einem Gebäude bringt ganz
natürlich die Frage und das Gespräch auf die anderen (Berührung); und wenn wir uns
eine Wunde vorstellen, so läßt es sich kaum vermeiden, an den Schmerz zu denken, der
ihr folgt (Ursache und Wirkung). Daß aber diese Aufzählung vollständig sei und weiter keine Prinzipien der Assoziation
beständen, mag sich schwer auf eine für den Leser oder uns selbst befriedigende Art
beweisen lassen. Alles, was sich in solchen Fällen tun läßt, kommt darauf hinaus,
mehrere Einzelfälle durchzugehen, sorgfältig das Prinzip zu untersuchen, welches die
verschiedenen Gedanken aneinander knüpft, und nicht aufzuhören, ehe wir das Prinzip so allgemein wie möglich gestaltet
haben.2 Je
mehr Fälle wir untersuchen und je mehr Sorgfalt wir anwenden, um so größere Sicherheit
werden wir gewinnen, daß die Aufstellung, die wir aus der Gesamtübersicht gewinnen,
erschöpfend und vollständig ist.
Vierter Abschnitt
SKEPTISCHE ZWEIFEL IN BETREFF DER VERSTANDESTÄTIGKEITEN
Erster Teil
Alle Gegenstände der menschlichen Vernunft und Forschung lassen sich
30
naturgemäß
in zwei Arten zerlegen, nämlich in
Beziehungen von Vorstellungen
und in
Tatsachen.
Von der
ersten Art sind die Wissenschaften der Geometrie, Algebra und Arithmetik; und kurz
gesagt, jede Behauptung von entweder intuitiver oder demonstrativer Gewißheit.
Daß
das Quadrat der Hypothenuse gleich ist den Quadraten der beiden Seiten,
ist ein Satz, der eine
Beziehung zwischen diesen Figuren ausdrückt.
Daß dreimal fünf gleich der Hälfte von dreißig ist,
drückt eine
Beziehung zwischen diesen Zahlen aus. Sätze dieser Art sind durch die reine Tätigkeit
des Denkens zu entdecken, ohne von irgend einem Dasein in der Welt abhängig zu sein.
Wenn es auch niemals einen Kreis oder ein Dreieck in der
Natur gegeben hätte, so würden doch die von Euklid demonstrierten Wahrheiten für
immer ihre Gewißheit und Evidenz behalten.
Tatsachen, der zweite Gegenstand der menschlichen Vernunft, sind nicht in gleicher
Weise als gewiß verbürgt; ebensowenig ist unsere Evidenz von ihrer Wahrheit, wenn
auch noch so stark, von der gleichen Art wie bei der vorhergehenden. Das Gegenteil
jeder Tatsache bleibt immer möglich, denn es kann niemals einen Widerspruch in sich
schließen und wird vom Geist mit derselben Leichtigkeit und Deutlichkeit vorgestellt, als
wenn es noch so sehr mit der Wirklichkeit übereinstimmte.
Daß die Sonne morgen nicht
aufgehen wird,
ist ein nicht minder verständlicher Satz und nicht widerspruchsvoller, als
die Behautung,
daß sie aufgehen wird.
Wir würden daher vergeblich versuchen, seine
Falschheit zu demonstrieren. Wäre er demonstrativ falsch, so enthielte er einen
Widerspruch und ließe sich niemals deutlich vom Geiste vorstellen.
Es dürfte also des Interesses wert sein, die Natur jener Evidenz zu erforschen, die uns
jede wirkliche Existenz und Tatsache sicherstellt, welche über das
gegenwärtige
Zeugnis der Sinne oder die Angaben unseres Gedächtnisses hinausgehen. Es fällt auf,
daß dieser Teil der Philosophie bei den Alten wie bei den Neueren wenig gepflegt
worden ist; und daher mögen unsere Zweifel und Irrtümer bei der Verfolgung einer so
wichtigen Untersuchung um so entschuldbarer sein, als wir diese schwierigen Pfade
ganz ohne Führer und Weiser
20
beschreiten. Sie können sich sogar als nützlich erzeigen,
wenn sie die Wißbegierde wecken und jenes unbedingte Vertrauen und
Sicherheitsgefühl zerstören, welches Gift für alle Vernunfttätigkeit und freie Forschung
ist. Die Entdeckung von Mängeln in der üblichen Philosophie, wenn solche vorhanden,
wird meines Erachtens nicht entmutigen, sondern gerade, wie so oft, ein
25
Ansporn sein,
etwas Vollständigeres und Befriedigenderes zu erstreben, als bisher dem Publikum
geboten wurde.
Alle Denkakte, die Tatsachen betreffen, scheinen sich auf die Beziehung von
Ursache
und
Wirkung zu
gründen. Einzig mit Hilfe dieser Beziehung können wir über die Evidenz
unseres Gedächtnisses und unserer Sinne hinausgehen.
Würde man jemanden fragen,
warum er irgend eine Tatsache glaubt, die nicht gegenwärtig ist, z. B. daß sein Freund
auf dem Lande oder in Frankreich sich befindet, so würde er einen Grund angeben, und
dieser Grund würde eine andere Tatsache sein, etwa ein von ihm erhaltener Brief, oder
die Kenntnis seiner früheren Entschließungen und Zusagen. Findet jemand auf einer
wüsten Insel eine Uhr oder sonst eine Maschine, so würde er schließen, daß einst
Menschen auf dieser Insel gewesen sind. All unsere Gedankengänge, die Tatsachen
betreffen, sind von derselben Art. Es wird hier beständig vorausgesetzt, daß zwischen
der gegenwärtigen Tatsache und der aus ihr abgeleiteten eine Verknüpfung besteht.
Wäre kein Band zwischen ihnen vorhanden, so wäre
die Ableitung völlig haltlos. Eine
in der Dunkelheit vernommene artikulierte Stimme und vernünftige Rede versichern uns
die Gegenwart irgend einer Person. Und warum? Weil dies die Wirkungen menschlicher
Bildung und Beschaffenheit und eng mit dieser verknüpft sind. Zergliedern wir alle
anderen Gedankengänge solcher Art, so werden wir finden, daß sie sich auf die
Beziehung von Ursache und Wirkung gründen und daß diese Beziehung eine
nahe oder entfernte, eine direkte oder parallele ist. Hitze und Helligkeit sind
Parallelwirkungen des Feuers, und die eine Wirkung kann mit Recht der anderen
abgeleitet werden.
Wollen wir also eine befriedigende Aufklärung über die Natur jener Evidenz
erhalten, die uns der Tatsachen versichert, so müssen wir untersuchen, wie wir zur
Kenntnis von Ursache und Wirkung gelangen.
Ich wage es als einen allgemeinen und ausnahmelosen Satz hinzustellen, daß die
Kenntnis dieser Beziehung in keinem Falle durch Denkakte a priori gewonnen wird;
sondern daß sie ganz und gar aus der Erfahrung stammt, indem wir finden, daß gewisse Gegenstände beständig in Zusammenhang stehen. Es
werde einem Manne von noch so starker natürlicher Vernunft und Begabung ein
Gegenstand vorgelegt - ist dieser ihm gänzlich fremd, so wird er selbst bei der
genauesten Prüfung der sinnlichen Eigenschaften desselben nicht imstande sein,
irgendwelche von seinen Ursachen oder Wirkungen zu entdecken. Gesetzt den Fall, Adam hätte anfänglich durchaus vollkommene Vernunftkräfte
besessen, so hätte er doch aus der Flüssigkeit und Durchsichtigkeit des Wassers nicht
herleiten können, daß es ihn ersticken, noch aus der Helligkeit und Wärme des Feuers,
daß es ihn verzehren würde. Kein Gegenstand enthüllt jemals durch die Eigenschaften,
die den Sinnen erscheinen, die Ursachen, die ihn hervorgebracht haben, noch die Wirkungen, die aus ihm entspringen werden;
auch kann unsere Vernunft ohne Beistand der Erfahrung niemals irgendwelche
Ableitungen in bezug auf wirkliches Dasein und Tatsachen vollziehen.
Dieser Satz:
daß Ursachen und Wirkungen nicht durch die Vernunft, sondern durch
die Erfahrung zu entdecken sind,
wird leicht für solche Gegenstände zugegeben werden,
von denen wir uns erinnern, daß sie uns früher gänzlich unbekannt gewesen sind;
müssen wir uns doch bewußt sein, daß wir damals völlig unfähig waren, vorauszusagen,
was aus ihnen entstehen werde. Man gebe einem Menschen, der keinen Schimmer von Naturwissenschaft hat, zwei glatte
Marmorstücke; und er wird nie entdecken, daß sie in einer Weise aneinander haften
werden, die große Kraft erfordert, wenn man sie in senkrechter Richtung trennen will,
während sie dem seitlichen Druck nur geringen Widerstand entgegensetzen. Bei
Vorgängen, die wenig Analoges im gewöhnlichen Naturlauf besitzen, gibt man ebenfalls
anstandlos zu, daß man sie nur aus der Erfahrung kennt; auch bildet niemand sich ein, daß die Entladung des Schießpulvers
oder die Anziehungskraft eines Magneten je durch Begründungen a priori entdeckt
werden könnte. Ebenso sträuben wir uns nicht, all unsere Kenntnis von Wirkungen,
deren Abhängigkeit von einem verwickelten Getriebe oder einem verborgenen Aufbau
der Teile angenommen wird, der Erfahrung zuzuschreiben. Wer wollte behaupten, den letzten Grund dafür angeben zu können,
daß Milch und Brot eine geeignete Nahrung für Menschen, aber nicht für Löwen oder
Tiger ist?
Doch die gleiche Wahrheit scheint vielleicht auf den ersten Blick nicht die gleiche
Evidenz zu haben, wenn sie sich auf Ereignisse bezieht, die uns von
unserem ersten Eintritt in die Welt an vertraut geworden sind, die eine genaue
Analogie zu dem ganzen Naturlauf zeigen, und die von den einfachen
Eigenschaften der Dinge abhängen sollen, nicht von einem verborgenen Aufbau der
Teile. Wir sind geneigt, uns einzubilden, wir könnten diese Wirkungen ohne Erfahrung
durch reine Tätigkeit unserer Vernunft entdecken. Wir meinen, wenn wir plötzlich in die
Welt gestellt würden, so hätten wir von Anfang an herleiten können, daß eine
Billardkugel durch Stoß einer anderen Bewegung mitteilen würde, und daß wir nicht auf
das Ereignis hätten zu warten brauchen, um mit Gewißheit darüber auszusagen. So groß
ist der Einfluß der Gewohnheit, daß da, wo sie am stärksten ist, sie nicht nur unsere
natürliche Unwissenheit verdeckt, sondern auch sich selbst verbirgt, und nur deshalb
nicht da zu sein scheint, weil sie in höchstem Grade vorhanden ist.
Um uns aber zu überzeugen, daß alle Naturgesetze und alle Vorgänge an Körpern
ausnahmelos nur durch Erfahrung gekannt werden, mögen vielleicht folgende
Überlegungen genügen. Wird uns ein beliebiger Gegenstand vorgelegt und wir sollen
die von ihm ausgehende Wirkung angeben, ohne frühere Beobachtungen zu Rate zu
ziehen - auf welche Weise, in aller Welt, soll der
Geist dabei zu Werke gehen? Er muß
sich ein Ereignis erfinden oder ausdenken, das er dem Gegenstand als dessen Wirkung
zuschreibt; es ist aber klar, daß diese Erfindung nur durchaus willkürlich sein kann.
Der Geist kann unmöglich je die Wirkung in der angenommenen Ursache finden, selbst
bei der genauesten Untersuchung und Prüfung. Denn die Wirkung ist von der Ursache
ganz und gar verschieden und kann folglich niemals in dieser entdeckt werden. Die
Bewegung der zweiten Billardkugel ist ein völlig verschiedenes Ereignis von der
Bewegung der ersten; auch ist in der einen nichts enthalten, das die leiseste Andeutung
der anderen lieferte. Ein Stein oder ein Metallstück, das in die Luft erhoben und dort
ohne Stütze gelassen wird, fällt sofort nieder; betrachten wir
25
aber die Sache a priori,
läßt sich wohl irgend etwas an dieser Lage entdecken, das die Vorstellung einer
Bewegung des Steins oder Metalls nach unten eher als nach oben oder nach irgend
einer anderen Richtung erzeugte?
Und wie die erste Einbildung oder Erfindung einer besonderen Wirkung in allen
Naturvorgängen da willkürlich bleibt, wo wir nicht die Erfahrung befragen, so
müssen wir als willkürlich auch das angenommene Band oder die Verknüpfung zwischen
Ursache und Wirkung ansehen, die sie zusammenhält und es unmöglich macht, daß eine
andere Wirkung aus der Tätigkeit dieser Ursache folge. Sehe ich z. B. eine Billardkugel
sich in gerader Linie gegen eine andere bewegen - selbst angenommen, die Bewegung
der zweiten Kugel falle
mir zufällig als das Ergebnis der Berührung oder des Stoßes ein
- kann ich mir nicht vorstellen, daß hundert verschiedene Ereignisse ebensogut aus
dieser Ursache hervorgehen könnten? Könnten nicht alle beiden Kugeln in voller Ruhe
verharren? Könnte nicht der erste Ball in gerader Linie zurückprallen, oder von dem
zweiten nach irgend einer Seite oder Richtung abspringen? All
diese Annahmen sind
widerspruchlos und vorstellbar. Weshalb sollten wir also der einen den Vorzug geben,
die nicht widerspruchloser oder vorstellbarer ist als die übrigen? Alle Denkakte a priori
werden nie imstande sein, uns eine Unterlage für diese Bevorzugung zu liefern.
Mit einem Wort, jede Wirkung ist ein von ihrer Ursache verschiedenes
Ereignis. Sie
kann daher in der Ursache nicht entdeckt werden, und was man
sich zuerst a priori von ihr erfindet oder vorstellt, muß gänzlich willkürlich sein. Und
selbst nachdem sie uns in den Sinn gekommen, muß ihr Zusammenhang mit der Ursache
ebenso willkürlich scheinen; weil es immer eine Menge anderer Wirkungen gibt, die der
Vernunft genau so widerspruchlos und natürlich dünken müssen. Vergeblich würden wir uns also anmaßen, den Ablauf eines einzelnen
Ereignisses zu bestimmen, oder irgend eine Ursache oder Wirkung herzuleiten, ohne den
Beistand von Beobachtung und Erfahrung.
Hieraus läßt sich der Grund entnehmen, warum kein Philosoph, der verständig und
bescheiden ist, sich jemals angemaßt hat, die letzte Ursache irgend eines Naturvorgangs anzugeben oder deutlich die Betätigung jener Kraft aufzuzeigen,
welche jede einzelne Wirkung im Weltall hervorbringt. Es gilt als höchstes Bestreben der
menschlichen Vernunft, die Prinzipien, welche die Naturerscheinungen erzeugen,
einfacher zu gestalten und die vielen einzelnen Wirkungen durch Denkakte auf Grund
von Analogie, Erfahrung und Beobachtung in einige wenige allgemeine Ursachen einmünden zu lassen. Aber die Ursachen
dieser allgemeinen Ursachen würden wir vergeblich zu entdecken suchen, und wir
werden auch niemals imstande sein, in irgend einer bestimmten Erklärung derselben
Befriedigung zu finden. Diese letzten Grundkräfte und Prinzipien sind ganz und gar der
menschlichen Wißbegierde und Forschung verschlossen. Elastizität, Schwerkraft, Kohäsion der Teile, Mitteilung der Bewegung
durch Stoß: dies sind wahrscheinlich die letzten Ursachen und Prinzipien, die wir jemals
in der Natur entdecken werden; wir können uns noch glücklich genug schätzen, wenn wir
durch sorgfältige Untersuchung und Vernunfttätigkeit die besonderen Erscheinungen
bis oder nahe bis auf diese allgemeinen Prinzipien zurückführen können. Die vollkommenste Naturwissenschaft
schiebt nur unsere Unwissenheit ein wenig weiter zurück, wie vielleicht die
vollkommenste Geisteswissenschaft nur dazu dient, weitere Gebiete unserer
Unwissenheit aufzudecken. So ist die Betrachtung der menschlichen Blindheit und
Schwäche das Ergebnis aller Philosophie und begegnet uns bei jeder Wendung, trotz all unserer Versuche, sie zu umgehen oder zu vermeiden.
Ebensowenig ist die Geometrie, wenn die Naturwissenschaft sie zu Hilfe nimmt, jemals
imstande, diesem Mangel abzuhelfen, oder uns zur Kenntnis letzter Ursachen zu führen,
trotz aller Genauigkeit in ihrem Gedankengang, die man mit Recht von ihr rühmt. jeder Teil der angewandten Mathematik geht von der
Annahme aus, daß die Natur ihren Vorgängen gewisse Gesetze zugrunde legt; und
abstrakte Gedankengänge werden nur herangezogen, um die Erfahrung bei der
Entdeckung dieser Gesetze zu unterstützen, oder deren Einfluß in besonderen Fällen, in
denen es auf genaue Grade der Entfernung oder Maße ankommt, zu bestimmen. So ist es ein durch Erfahrung entdecktes Bewegungsgesetz,
daß das Moment oder die Kraft eines bewegten Körpers in geradem Verhältnis
proportional ist zum Produkt aus der Masse in die Geschwindigkeit und folglich, daß eine
geringe Kraft das größte Hindernis forträumen oder das größte Gewicht heben kann,
wenn durch irgend eine Einrichtung oder ein Getriebe wir die Schnelligkeit dieser Kraft so weit verstärken, daß sie die Übermacht
über ihre Gegenkraft erhält. Die Geometrie hilft uns bei der
Anwendung dieses Gesetzes, durch Angabe der richtigen Größenverhältnisse aller Teile
und Formen, die in einer beliebigen Maschine verwendet werden können; doch die
Entdeckung des Gesetzes selbst verdankt man allein der Erfahrung, und alle abstrakten
Denkakte der Welt könnten uns auch keinen Schritt diesem Wissen näherbringen. Wenn
wir a priori Denkakte vollziehen und einen Gegenstand oder eine Ursache rein, wie sie
dem Geist erscheint, betrachten, unabhängig von aller Beobachtung, dann könnte sie
uns niemals den Begriff eines so unterschiedenen Gegenstandes, wie es ihre Wirkung ist,
nahelegen; viel weniger, uns die untrennbare und unverletzliche Verknüpfung zwischen
ihnen anzeigen. Es müßte ein höchst scharfsinniger Mensch sein, der
10
durch
Vernunfttätigkeit allein entdecken könnte, daß Kristalle die Wirkung der Hitze und Eis die
Wirkung der Kälte seien, wenn er nicht vorher mit der Wirksamkeit dieser Eigenschaften
vertraut war.
Fünfter Abschnitt
SKEPTISCHE LÖSUNG DIESER ZWEIFEL
Erster Teil
Der philosophische Eifer, ebenso wie der religiöse, scheint die eine Unzuträglichkeit nach
sich zu ziehen: daß er trotz seines Strebens nach Verbesserung
unserer Sitten und
Ausrottung unserer Laster durch unvorsichtige Handhabung leicht eine herrschende
Vorliebe großzuziehen dient und den Geist mit heftiger Entschiedenheit gerade nach der
Seite drängt, die schon zu viel Anziehung durch das Übergewicht und den Hang des
natürlichen Temperaments ausübt. Gewiß kann unsere Philosophie, während wir der
großherzigen
Seelenstärke des philosophischen Weisen nachstreben und unsere
Genüsse ausschließlich auf die geistigen zu beschränken suchen, am Ende der Epiktets
und anderer Stoiker gleich werden, nämlich nur ein verfeinertes System der Selbstsucht,
und wir vernünfteln uns ebenso aus aller Tugend wie aus allen geselligen Freuden
heraus. Während wir aufmerksam die Eitelkeit des menschlichen Lebens beobachten und alle Gedanken auf die leere und vergängliche
Natur von Reichtum und Ehren richten, schmeicheln wir vielleicht dabei nur
unserer natürlichen Trägheit, die aus Haß auf das unruhige Treiben der Welt
und die Mühen der Geschäfte einen Vernunftvorwand sucht, um sich ganz
unbeschränkt gehen zu lassen.
Eine Art der Philosophie scheint indessen dieser Unzuträglichkeit weniger
unterworfen, und zwar deshalb, weil sie mit keinem herrischen Affekt des
menschlichen Geistes zusammentrifft und mit keiner natürlichen Neigung oder
Liebhaberei verschmelzen kann; das ist die akademische oder skeptische
Philosophie. Die Akademiker reden immerfort von Zweifeln und Zurückhaltung des Urteils, von der Gefahr übereilter Bestimmungen, von
sehr engen
Schranken, die den Untersuchungen des Verstandes zu ziehen sind, und vom
Verzicht auf alle Spekulationen, die nicht in den Grenzen des gewöhnlichen
Lebens und Handelns liegen. Nichts widerstrebt daher mehr als diese Philosophie der lässigen Trägheit des Geistes, seiner vorlauten Anmaßung, seinen stolzen
Ansprüchen und seinem abergläubischen Vertrauen. Sie unterdrückt jeden Affekt außer
der Liebe zur Wahrheit, und dieser Affekt wird nie und kann nie einen zu hohen Grad
erreichen. Es ist daher erstaunlich, daß diese
Philosophie, die beinahe überall nur
harmlos und unschuldig sein kann, zum Gegenstand so vieler grundloser Vorwürfe und
übler Nachreden gemacht wird. Vielleicht aber setzt sie gerade der Umstand, der sie so
unschuldig macht, hauptsächlich dem Haß und Groll der Menge aus. Da sie den
ausschweifenden Affekten nicht schmeichelt, gewinnt sie wenig Anhänger; da sie sich
vielen
Lastern und Torheiten entgegenstellt, erweckt sie sich Feinde im Überfluß, die sie als
freigeistig, lästerlich und irreligiös brandmarken.
Wir brauchen auch nicht zu befürchten, daß diese Philosophie bei ihren Versuchen,
unsere Forschungen auf das gewöhnliche Leben zu beschränken, jemals die
Gedankengänge des gewöhnlichen Lebens untergraben und ihre Zweifel bis zur Zerstörung alles Handelns wie alles Spekulierens treiben würde. Die
Natur wird immer ihre Rechte wahren und zuletzt über jedwede abstrakte
Vernunfttätigkeit obsiegen. Sollten wir z. B. wie im vorigen Abschnitt zu dem Schlusse
gelangen, daß in allen Denkarten auf Grund von Erfahrung der Geist einen Schritt tut,
der nicht durch eine Begründung oder ein Verstandesverfahren gestützt wird, so ist doch keine Gefahr, daß diese Denkakte, von denen
fast unser ganzes Wissen abhängt, je durch solche Entdeckung getroffen werden
könnten. Wird der Geist nicht durch eine Begründung zu diesem Schritte veranlaßt, so
muß er durch ein anderes Prinzip von gleichem Gewicht und Wert dazu geführt werden;
und dieses Prinzip wird seinen Einfluß so lange erhalten, wie die menschliche Natur sich gleich bleibt. Was das für ein Prinzip ist, mag
wohl der Mühe einer Untersuchung wert sein.
Angenommen, ein Mensch von ausgezeichneten Fähigkeiten der Vernunft und der
Überlegung würde plötzlich in diese Welt gestellt, so würde er freilich sofort eine stetige
Folge von Gegenständen und Ereignissen beobachten: aber irgend etwas weiteres zu entdecken, wäre er nicht imstande. Er würde anfangs durch
keinen Denkakt imstande sein, die Vorstellung von Ursache und Wirkung zu fassen,
weil die besonderen Kräfte, durch welche alle Naturvorgänge sich vollziehen, niemals
den Sinnen erscheinen. Ebensowenig ist es ein vernünftiger Schluß: bloß weil
ein
Ereignis in
einem
Falle dem anderen vorhergeht, deshalb sei das eine die Ursache, das andere die Wirkung. Ihr Zusammenhang
kann ja willkürlich und zufällig und kein Grund vorhanden sein, das Dasein des einen
aus dem Auftreten des anderen abzuleiten. Kurz, solch ein Mensch könnte ohne weitere
Erfahrung nie Vermutungen oder Gedankengänge über Tatsachen bilden oder irgend
einer Sache sicher sein, die nicht unmittelbar seinem Gedächtnis und seinen Sinnen gegenwärtig ist.
Weiter angenommen, daß er mehr Erfahrung gewonnen und lange genug in der Welt
gelebt hat, um den ständigen Zusammenhang gleichartiger Gegenstände oder Ereignisse
beobachtet zu haben - was ist die Folge dieser Erfahrung? Er leitet unmittelbar das
Dasein des einen Gegenstandes aus dem Auftreten des anderen ab. Dennoch hat ihm all seine Erfahrung keinerlei Vorstellung
oder Kenntnis der geheimen Kraft geliefert, durch die der eine
Gegenstand den anderen hervorbringt, noch wird er durch irgend einen Prozeß der
Vernunfttätigkeit darauf geführt, diese Ableitung zu vollziehen. Trotzdem fühlt er sich
gedrungen, es zu tun, und sollte er auch überzeugt sein, daß sein Verstand keinen
Anteil an dem Vorgang hat, so würde er nichtsdestoweniger bei derselben Denkweise
verharren. Es gibt also ein anderes Prinzip, das ihn zu dieser Schlußfolgerung bestimmt.
Dies Prinzip ist Gewohnheit oder Übung. Wo immer die Wiederholung einer bestimmten
Handlung oder Tätigkeit die Neigung hervorruft, dieselbe Handlung oder Tätigkeit ohne
irgend einen Anstoß durch einen Denkakt oder Verstandesvorgang, zu erneuern: da
sagen wir stets, diese Neigung sei die
Wirkung der
Gewohnheit.
Wir behaupten nicht, mit
der Anwendung dieses Wortes den letzten Grund einer solchen Neigung angegeben zu
haben. Wir deuten damit nur auf ein Prinzip der menschlichen Natur, das allgemein
anerkannt und durch seine Wirkungen uns wohl vertraut ist. Vielleicht können wir
unsere Nachforschungen nicht weiter treiben noch uns anmaßen, die
Ursache dieser
Ursache anzugeben, sondern müssen daran als an dem letzten aufweisbaren Prinzip all
unserer Erfahrungsschlüsse uns genügen lassen. Wir können ganz zufrieden sein, so
weit zu kommen und sollten uns nicht über die Beschränktheit unserer Fähigkeiten
beklagen, die uns nicht weiter bringen. Und soviel ist gewiß, wir stellen hiermit einen
wenigstens sehr verständlichen,
wenn nicht wahren Satz auf, indem wir behaupten:
anläßlich des beständigen Zusammenhangs zweier Gegenstände, z. B. Hitze und
Flamme, Gewicht und Masse, werden wir allein durch Gewohnheit bestimmt, das eine
beim Auftreten des anderen zu erwarten. Ja, diese Hypothese scheint die einzige zu sein,
welche das schwierige Problem erklärt, warum wir aus tausend Fällen etwas
ableiten,
das wir aus
einem
Falle, der in keiner Hinsicht von jenen abweicht, abzuleiten nicht in der
Lage waren. Die Vernunft ist eines so verschiedenen Verfahrens nicht fähig. Die
Schlüsse, die sie aus der Betrachtung
eines
Kreises zieht, sind die nämlichen, die sie aus
einem Überblick über alle Kreise des Weltalls bilden würde. Aber niemand, der nur
einen
Körper auf Anstoß eines
3o
anderen sich hat bewegen sehen, könnte daraus ableiten,
daß jeder andere Körper auf einen gleichen Anstoß hin sich bewegen würde. Alle
Ableitungen aus Erfahrung sind daher Wirkungen der Gewohnheit, nicht der
Vernunfttätigkeit.3
So ist die Gewohnheit die große Führerin im menschlichen Leben. Dieses
35
Prinzip ist es
allein, das unsere Erfahrung uns nutzbringend gestaltet und uns für die Zukunft eine
Kette gleichartiger Ereignisse erwarten läßt, wie die in der Vergangenheit aufgetretenen.
Ohne den Einfluß der Gewohnheit blieben wir gänzlich in Unwissenheit über jede
Tatsache, die über das unmittelbar dem Gedächtnis und den Sinnen Gegenwärtige
hinausreicht. Wir würden niemals
40
die Mittel den Zwecken anzupassen wissen, noch
unsere natürlichen Kräfte zur Erzeugung irgend einer Wirkung anzuwenden verstehen.
Es wäre auf einmal mit allem Handeln und mit dem besten Teil geistiger Arbeit vorüber.
Hier ist indes die Bemerkung am Platze, daß uns zwar unsere Schlüsse aus der Erfahrung
über Gedächtnis und Sinne hinausführen und uns Sicherheit
über Tatsachen geben,
die an den fernsten Orten und in frühesten Zeiten
geschehen sind; daß aber immer irgend eine Tatsache den Sinnen oder dem Gedächtnis
gegenwärtig sein muß, von der diese unsere Schlüsse den ersten Ausgang nehmen.
Findet jemand in einem wüsten Lande die Überreste prächtiger Architektur, so wird er
schließen, daß das Land in alten Zeiten von gesitteten Einwohnern angebaut worden ist; begegnete er nichts derartigem, so
könnte er solche Ableitung nie vollziehen. Wir lernen die Ereignisse früherer Zeiten aus
der Geschichte; aber dazu müssen wir die Bände durcharbeiten, in denen diese
Belehrung enthalten ist, und von da mit unseren Ableitungen von einem Zeugnis zum
anderen fortschreiten, bis wir bei den Augenzeugen und
Zuschauern dieser fernen Ereignisse anlangen. Kurz, wenn wir nicht von einer dem
Gedächtnis oder den Sinnen gegenwärtigen Tatsache ausgehen, so bleiben unsere
Gedankengänge reine Hypothesen; wie eng miteinander verknüpft die einzelnen Glieder
auch sein mögen, die ganze Kette von Ableitungen hätte keine Grundlage, noch
könnten wir je durch sie zur Kenntnis eines wirklich Seienden gelangen. Wenn ich jemand frage, warum er eine bestimmte Tatsache
glaubt, die er berichtet, so muß er irgend einen Grund nennen, und dieser Grund wird
eine andere damit verknüpfte Tatsache sein. Da sich dies aber nicht auf solche Weise
in infinitum fortsetzen läßt, so muß er schließlich bei einer Tatsache Halt machen, die
seinem Gedächtnis oder seinen Sinnen gegenwärtig ist, oder alter zugeben, daß sein Glaube gänzlich unbegründet ist.
Was ist nun das Schlußergebnis von alledem? Ein einfaches - wenn auch allerdings
recht weit ab von den gewöhnlichen Theorien der Philosophie. Aller Glaube an
Tatsachen oder wirkliches Sein stammt lediglich von irgend einem Gegenstand, der dem
Gedächtnis oder den Sinnen gegenwärtig ist, und von einem gewohnheitsmäßigen Zusammenhang zwischen diesem und einem anderen
Gegenstande. Oder mit anderen Worten: hat man gefunden, daß in vielen Fällen zwei
Arten von Dingen, Flamme und Hitze, Schnee und Kälte, stets miteinander in
Zusammenhang standen, so wird, wenn sich den Sinnen Flammen oder Schnee erneut
darbieten, der Geist durch Gewohnheit getrieben, Hitze oder Kälte zu erwarten und zu
glauben,
daß eine derartige Eigenschaft
besteht und sich bei größerer Annäherung offenbaren wird. Dieser Glaube ist das
notwendige Ergebnis, wenn der Geist in solche Umstände gerät. Es ist ein seelischer
Vorgang, der in dieser Lage so unvermeidlich ist, wie der Affekt der Liebe, wenn wir
Wohltaten empfangen, oder des Hasses, wenn man uns Leid antut. All diese Vorgänge sind eine Gattung natürlicher Instinkte, welche
keine Vernunfttätigkeit, d. h. kein gedankliches und verstandesgemäßes Verfahren
hervorzubringen noch zu verhüten fähig ist. [ . . .]
Anmerkungen
1. Wahrscheinlich haben diejenigen, welche angeborene Vorstellungen leugnen, damit weiter
nichts gemeint, als daß alle Vorstellungen Abbilder unserer Eindrücke seien; allerdings muß zugegeben
werden, daß die hier gebrauchten Ausdrücke weder so vorsichtig gewählt, noch genau genug bestimmt
sind, um allen Mißverständnissen über ihre Lehre vorzubeugen. Denn was versteht man unter
angeboren?
Bedeutet angeboren das gleiche wie natürlich, so müssen wir jede Auffassung und
Vorstellung des Geistes als angeboren oder natürlich anerkennen, in welchem Sinne wir auch dies
letztere Wort gebrauchen: als Gegensatz zum
Ungewöhnlichen, Künstlichen oder Wunderbaren. Soll angeboren bedeuten: gleichzeitig mit der
Geburt, so scheint mir der Streit leichtfertig; es lohnt sich auch nicht der Mühe, zu untersuchen, in
welchem Zeitpunkt das Denken beginnt, ob vor, bei oder nach der Geburt. Ferner scheint das Wort
Vorstellung
von Locke und anderen gewöhnlich in einem sehr laxen Sinne genommen zu werden;
nämlich als Bezeichnung jeder Art von Auffassung, für Wahrnehmungen und Affekte sowohl als für
Gedanken. Aber dann möchte ich wohl wissen, was bei dieser Bedeutung mit der Behauptung
eigentlich gemeint ist, die Selbstliebe, die Kränkung über Unrecht oder die Geschlechtsliebe seien
nicht angeboren?
Werden aber die Bezeichnungen
Eindrücke
und
Vorstellungen
im oben erklärten Sinne gebraucht und
wird unter
angeboren
das verstanden, was ursprünglich, d. h. von keiner vorangegangenen Auffassung
das Abbild ist, dann können wir wohl behaupten, daß alle unsere Eindrücke angeboren und unsere
Vorstellungen nicht angeboren sind.
Offen gestanden bin ich der Ansicht, daß Herr Locke in diese Fragestellung von den Schulgelehrten
hineingelockt worden ist, die durch unbestimmte Ausdrücke ihre Streitigkeiten ermüdend in die Länge
ziehen, ohne je den strittigen Punkt zu berühren. Eine gleiche Zweideutigkeit und Weitschweifigkeit
scheint sich durch alle Gedankengänge dieses großen Philosophen auf diesem wie auf den meisten
anderen Gebieten zu ziehen.
2. So ist z. B. Kontrast oder Widerstreit auch eine Verknüpfung zwischen Vorstellungen, doch läßt sie
sich vielleicht als eine Mischung von
Verursachung
und
Ähnlichkeit
betrachten. Wo zwei Dinge einander
widerstreiten, zerstört eines das andere, d. h. die Ursache der Vernichtung eines Gegenstandes und die
Vorstellung dieser Vernichtung schließen die Vorstellung seines früheren Daseins ein.
3
Meistens unterscheiden Schriftsteller, selbst auf dem Gebiete der
Moral, Politik
und
Physik,
zwischen
Vernunft
und
Erfahrung,
in der Voraussetzung, daß diese Begründungsarten gänzlich voneinander
verschieden seien. Die erstere gilt als das alleinige Ergebnis unserer intellektuellen Vermögen, welche
a priori das Wesen der Dinge betrachten, die Wirkungen untersuchen, die aus deren Tätigkeit folgen,
und daraus besondere Prinzipien für Wissenschaft und Philosophie aufstellen. Letztere stammt
angeblich gänzlich von den Sinnen und der Beobachtung, durch welche wir die tatsächlichen
Ergebnisse aus der Wirksamkeit bestimmter Gegenstände kennen lernen und daraus abzuleiten
vermögen, was künftig aus ihnen sich ergeben wird. So lassen sich z. B. die Begrenzung und
Beschränkung der Staatsregierung und eine gesetzliche Verfassung entweder durch die
Vernunft
verteidigen, die aus der Erwägung der großen Schwäche und Verderbtheit der menschlichen Natur uns
lehrt, daß niemand ohne Gefahr mit unbeschränkter Machtvollkommenheit betraut werden kann;
oder durch
Erfahrung
und Geschichte, die uns von dem ungeheueren Mißbrauch berichten, den der
Ehrgeiz zu allen Zeiten und in allen Ländern mit solch unvorsichtigem Vertrauen getrieben hat.
Die gleiche Unterscheidung zwischen Vernunft und Erfahrung hat in all unseren Erwägungen statt, die
die Lebensführung betreffen; so vertrauen und folgen wir dem erfahrenen Staatsmann, Heerführer,
Arzt oder Kaufmann, und schieben geringschätzig den ungeübten Neuling beiseite, sei er auch von
Natur noch so begabt. Wird auch zugegeben, daß die Vernunft recht einleuchtende Vermutungen über
die Folgen einer bestimmten Handlungsweise unter bestimmten Umständen bilden kann, so gilt sie
dennoch ohne den Beistand der Erfahrung für unvollkommen, die allein imstande ist, den
Grundsätzen, die durch Studieren und Nachdenken gewonnen werden, Beständigkeit und Gewißheit zu
verleihen.
Wenn nun auch diese Unterscheidung so allgemein in jeder Lebenslage, in der Praxis wie in der
Theorie, angenommen wird, trage ich doch kein Bedenken, auszusprechen, daß sie im Grunde
irrtümlich, mindestens oberflächlich ist.
Prüfen wir jene Begründungen, die in einer der obengenannten Wissenschaften als die alleinigen
Wirkungen der Vernunfttätigkeit und der Überlegung gelten, so wird sich zeigen, daß sie schließlich an
irgend ein allgemeines Prinzip oder einen Schluß einmünden, für den sich kein anderer Grund angeben
läßt, als Beobachtung und Erfahrung. Zwischen ihnen und jenen Regeln, die man gewöhnlich als das
Ergebnis der reinen Erfahrung ansieht, besteht nur der Unterschied, daß erstere nicht ohne einen
Verlauf im Denken und einige Überlegung über das Beobachtete aufgestellt werden können, will man
dessen Umstände genau erfassen und die Folgen darlegen. Dagegen ist bei letzteren das erfahrene
Ereignis genau und
vollständig dem gleich, was wir als Ergebnis bestimmter Verhältnisse ableiten. Die Geschichte
eines Tiberius oder Nero läßt uns eine gleiche Gewaltherrschaft befürchten, wenn unsere
Monarchen der Schranken des Gesetzes und des Parlaments ledig würden; aber die
Beobachtung irgend eines Betrugs oder einer Grausamkeit im bürgerlichen Leben genügt, um
mit Hilfe von etwas Nachdenken in uns dieselbe Besorgnis zu erwecken; denn sie dient als ein
Beispiel der allgemeinen Verderbtheit der menschlichen Natur, und zeigt uns, wie gefährlich es
ist, ein volles Vertrauen in menschliche Wesen zu setzen. In beiden Fällen ist Erfahrung
letzten Endes die Grundlage unserer Ableitungen und Schlüsse.
Auch der jüngste und unerfahrenste Mensch hat sich durch Beobachtung manche allgemeine
und richtige Regel über menschliche Angelegenheiten und die Führung des Lebens gebildet;
doch ist nicht zu leugnen, daß, will jemand danach handeln, er in höchstem Grade dem Irrtum
ausgesetzt sein wird, bis Zeit und reichere Erfahrungen diese Regeln erweitern und ihn lehren,
sie richtig zu gebrauchen und anzuwenden. In allen Lagen und Vorkommnissen gibt es eine
Menge besonderer und anscheinend geringfügiger Umstände, die selbst der begabteste Mensch
zunächst leicht übersieht, obgleich die Richtigkeit seiner Schlüsse, und folglich die Klugheit
seines Benehmens, ganz davon abhängen. Überdies fallen dem jungen Anfänger das allgemein
Beobachtete und seine Regeln nicht immer bei der richtigen Gelegenheit ein, und er kann sie
auch nicht gleich mit der nötigen Ruhe und Urteilskraft anwenden. Die Wahrheit ist, daß ein
unerfahrener Denker überhaupt kein Denker sein könnte, wenn er völlig ohne Erfahrung wäre;
geben wir jemandem dies Beiwort, so meinen wir es nur vergleichsweise, und halten ihn zwar
für erfahren, aber in geringerem und unvollkommnerem Grade.
HUME, DAVID:
Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Übersetzt von
RAOUL RICHTER,
mit einer Einleitung hrsg. von
JENS KULENKAMPFF.
Philosophische Bibliothek Band Nr. 35. 11.
durchges. Auflage Hamburg 1984, S. 17-25, 35-42, 52-59. (Hervorhebungen kursiv im Original
gesperrt.)