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I. Kant, Kritik der reinen Vernunft
Des
zweiten Buchs
der
transzendentalen Dialektik
erstes
Hauptstück
Jetzt
kommen wir auf einen Begriff, der oben, in der allgemeinen Liste der
transzendentalen Begriffe, nicht verzeichnet worden, und dennoch dazu gezählt
werden muß, ohne doch darum jene Tafel im mindesten zu verändern und für
mangelhaft zu erklären. Dieses ist der Begriff, oder, wenn man lieber will, das
Urteil: Ich denke. Man sieht aber leicht, daß er das Vehikel aller Begriffe überhaupt,
und mithin auch der transzendentalen sei, und also unter diesen jederzeit mit
begriffen werde, und daher eben sowohl transzendental sei, aber keinen besondern
Titel haben könne, weil er nur dazu dient, alles Denken, als zum Bewußtsein
gehörig, aufzuführen. Indessen, so rein er auch vom Empirischen (dem Eindrucke
der Sinne) ist, so dient er doch dazu, zweierlei Gegenstände aus der Natur
unserer Vorstellungskraft zu unterscheiden. Ich, als denkend, bin ein Gegenstand
des innern Sinnes, und heiße Seele. Dasjenige, was ein Gegenstand äußerer
Sinne ist, heißt Körper, Demnach bedeutet der Ausdruck Ich, als ein denkend
Wesen, schon den Gegenstand der Psychologie, welche die rationale Seelenlehre
heißen kann, wenn ich von der Seele nichts weiter zu wissen verlange, als was
unabhängig von aller Erfahrung (welche mich näher und in concreto bestimmt)
aus diesem Begriffe Ich, so fern er bei allem Denken vorkommt, geschlossen
werden kann.
Die rationale Seelenlehre ist nun wirklich ein Unterfangen von dieser
Art; denn, wenn das mindeste Empirische meines Denkens, irgend eine besondere
Wahrnehmung meines inneren Zustandes, noch unter die Erkenntnisgründe dieser
Wissenschaft gemischt würde, so wäre sie nicht mehr rationale, sondern
empirische Seelenlehre. Wir haben also schon eine angebliche Wissenschaft vor
uns, welche auf dem einzigen Satze: Ich denke, erbaut worden, und deren Grund
oder Ungrund wir hier ganz schicklich, und der Natur einer
Transzendentalphilosophie gemäß, untersuchen können. Man darf sich daran
nicht stoßen, dass ich doch an diesem Satze, der die Wahrnehmung seiner selbst
ausdrückt, eine innere Erfahrung habe, und mithin die rationale Seelenlehre,
welche darauf erbauet wird, niemals rein, sondern zum Teil auf ein empirisches
Principium gegründet sei. Denn diese innere Wahrnehmung ist nichts weiter, als
die bloße Apperzeption: Ich denke; welche sogar alle transzendentale Begriffe möglich
macht, in welchen es heißt: Ich denke die Substanz, die Ursache etc. Denn
innere Erfahrung überhaupt und deren Möglichkeit, oder Wahrnehmung überhaupt
und deren Verhältnis zu anderer Wahrnehmung, ohne daß irgend ein besonderer
Unterschied derselben und Bestimmung empirisch gegeben ist, kann nicht als
empirische Erkenntnis, sondern muß als Erkenntnis des Empirischen überhaupt
angesehen werden, und gehört zur Untersuchung der Möglichkeit einer jeden
Erfahrung, welche allerdings transzendental ist. Das mindeste Objekt der
Wahrnehmung (z.B. nur Lust oder Unlust), welche zu der allgemeinen Vorstellung
des Selbstbewußtseins hinzu käme, würde die rationale Psychologie sogleich in
eine empirische verwandeln.
Ich denke, ist also der alleinige Text der rationalen Psychologie, aus
welchem sie ihre ganze Weisheit auswickeln soll. Man sieht leicht, daß dieser
Gedanke, wenn er auf einen Gegenstand (mich selbst) bezogen werden soll, nichts
anders, als transzendentale Prädikate desselben, enthalten könne; weil das
mindeste empirische Prädikat die rationale Reinigkeit, und Unabhängigkeit der
Wissenschaft von aller Erfahrung, verderben würde.
Wir werden aber hier bloß dem Leitfaden der Kategorien zu folgen haben,
nur, da hier zuerst ein Ding, Ich, als denkend Wesen, gegeben worden, so werden
wir zwar die obige Ordnung der Kategorien unter einander, wie sie in ihrer Tafel
vorgestellet ist, nicht verändern, aber doch hier von der Kategorie der
Substanz anfangen, dadurch ein Ding an sich selbst vorgestellet wird, und so
ihrer Reihe rückwärts nachgehen. Die Topik der rationalen Seelenlehre, woraus
alles übrige, was sie nur enthalten mag, abgeleitet werden muß, ist demnach
folgende:
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1. Die
Seele ist Substanz |
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2 Ihrer
Qualität nach einfach |
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3. Den
verschiedenen Zeiten nach, in welchen sie da ist, numerisch-identisch,
d.i. Einheit (nicht Vielheit) |
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4. Im
Verhältnisse zu möglichen Gegenständen im Raume. |
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Aus diesen Elementen entspringen alle Begriffe der reinen Seelenlehre,
lediglich durch die Zusammensetzung, ohne im mindesten ein anderes Principium zu
erkennen. Diese Substanz, bloß als Gegenstand des inneren Sinnes, gibt den
Begriff der Immaterialität; als einfache Substanz, der Inkorruptibilität; die
Identität derselben, als intellektueller Substanz, gibt die Personalität; alle
diese drei Stücke zusammen die Spiritualität; das Verhältnis zu den Gegenständen
im Raume gibt das Commercium mit Körpern; mithin stellet sie die denkende
Substanz, als das Principium des Lebens in der Materie, d.i. sie als Seele (anima)
und als den Grund der Animalität vor; diese durch die Spiritualität eingeschränkt,
Immortalität.
[...]
Da nun der Satz: Ich denke (problematisch genommen), die Form eines jeden
Verstandesurteils überhaupt enthält, und alle Kategorien als ihr Vehikel
begleitet: so ist klar, daß die Schlüsse aus demselben einen bloß
transzendentalen Gebrauch des Verstandes enthalten können, welcher alle
Beimischung der Erfahrung ausschlägt, und von dessen Fortgang wir, nach dem,
was wir oben gezeigt haben, uns schon zum voraus keinen vorteilhaften Begriff
machen können. Wir wollen ihn also durch alle Prädikamente der reinen
Seelenlehre mit einem kritischen Auge verfolgen, doch um der Kürze willen ihre
Prüfung in einem ununterbrochenen Zusammenhange fortgehen lassen.
Zuvörderst kann folgende allgemeine Bemerkung unsere Achtsamkeit auf
diese Schlußart schärfen. Nicht dadurch, daß ich bloß denke, erkenne ich
irgend ein Objekt, sondern nur dadurch, daß ich eine gegebene Anschauung in
Absicht auf die Einheit des Bewußtseins, darin alles Denken besteht, bestimme,
kann ich irgend einen Gegenstand erkennen. Also erkenne ich mich nicht selbst
dadurch, daß ich mich meiner als denkend bewußt bin, sondern wenn ich mir die
Anschauung meiner selbst, als in Ansehung der Funktion des Denkens bestimmt,
bewußt bin. Alle Modi des Selbstbewußtseins im Denken, an sich, sind daher
noch keine Verstandesbegriffe von Objekten (Kategorien), sondern bloße logische
Funktionen, die dem Denken gar keinen Gegenstand, mithin mich selbst auch nicht
als Gegenstand, zu erkennen geben. Nicht das Bewußtsein des Bestimmenden,
sondern nur die des bestimmbaren Selbst, d.i. meiner inneren Anschauung (so fern
ihr Mannigfaltiges der allgemeinen Bedingung der Einheit der Apperzeption im
Denken gemäß verbunden werden kann), ist das Objekt.
1)
In allen Urteilen bin ich nun immer das bestimmende Subjekt desjenigen Verhältnisses,
welches das Urteil ausmacht. Daß aber Ich, der ich denke, im Denken immer als
Subjekt, und als etwas, was nicht bloß wie Prädikat dem Denken anhänge,
betrachtet werden kann, gelten müsse, ist ein apodiktischer und selbst
identischer Satz; aber er bedeutet nicht, daß ich, als Objekt, ein, für mich,
selbst bestehendes Wesen, oder Substanz sei. Das letztere geht sehr weit,
erfodert daher auch Data, die im Denken gar nicht angetroffen werden, vielleicht
(so fern ich bloß das Denkende als ein solches betrachte) mehr, als ich überall
(in ihm) jemals antreffen werde.
2)
Daß das Ich der Apperzeption, folglich in jedem Denken, ein Singular sei, der
nicht in eine Vielheit der Subjekte aufgelöset werden kann, mithin ein logisch
einfaches Subjekt bezeichne, liegt schon im Begriffe des Denkens, ist folglich
ein analytischer Satz; aber das bedeutet nicht, daß das denkende Ich eine
einfache Substanz sei, welches ein synthetischer Satz sein würde. Der Begriff
der Substanz bezieht sich immer auf Anschauungen, die bei mir nicht anders als
sinnlich sein können, mithin ganz außer dem Felde des Verstandes und seinem
Denken liegen, von welchem doch eigentlich hier nur geredet wird, wenn gesagt
wird, daß das Ich im Denken einfach sei. Es wäre auch wunderbar, wenn ich das,
was sonst so viele Anstalt erfodert, um in dem, was die Anschauung darlegt, das
zu unterscheiden, was darin Substanz sei, noch mehr aber, ob diese auch einfach
sein könne (wie bei den Teilen der Materie), hier so geradezu in der ärmsten
Vorstellung unter allen, gleichsam wie durch eine Offenbarung, gegeben würde.
3)
Der Satz der Identität meiner selbst bei allem Mannigfaltigen, dessen ich mir
bewußt bin, ist ein eben so wohl in den Begriffen selbst liegender, mithin
analytischer Satz; aber diese Identität des Subjekts, deren ich mir in allen
seinen Vorstellungen bewußt werden kann, betrifft nicht die Anschauung
desselben, dadurch es als Objekt gegeben ist, kann also auch
nicht
die Identität der Person bedeuten, wodurch das Bewußtsein der Identität
seiner eigenen Substanz, als denkenden Wesens, in allem Wechsel der Zustände
verstanden wird, wozu, um sie zu beweisen, es mit der bloßen Analysis des
Satzes, ich denke, nicht ausgerichtet sein, sondern verschiedene synthetische
Urteile, welche sich auf die gegebene Anschauung gründen, würden erfodert
werden.
4)
Ich unterscheide meine eigene Existenz, als eines denkenden Wesens, von anderen
Dingen außer mir (wozu auch mein Körper gehört), ist eben so wohl ein
analytischer Satz; denn andere Dinge sind solche, die ich als von mir
unterschieden denke. Aber ob dieses Bewußtsein meiner selbst ohne Dinge außer
mir, dadurch mir Vorstellungen gegeben werden, gar möglich sei, und ich also
bloß als denkend Wesen (ohne Mensch zu sein) existieren könne, weiß ich
dadurch gar nicht.
Also
ist durch die Analysis des Bewußtseins meiner selbst im Denken überhaupt in
Ansehung der Erkenntnis meiner selbst als Objekts nicht das mindeste gewonnen.
Die logische Erörterung des Denkens überhaupt wird fälschlich für eine
metaphysische Bestimmung des Objekts gehalten.
Ein
großer, ja so gar der einzige Stein des Anstoßes wider unsere ganze Kritik würde
es sein, wenn es eine Möglichkeit gäbe, a priori zu beweisen, daß alle
denkende Wesen an sich einfache Substanzen sind, als solche also (welches eine
Folge aus dem nämlichen Beweisgrunde ist) Persönlichkeit unzertrennlich bei
sich führen, und sich ihrer von aller Materie abgesonderten Existenz bewußt
sein. Denn auf diese Art hätten wir doch einen Schritt über die Sinnenwelt
hinaus getan, wir wären in das Feld der Noumenen getreten, und nun spreche uns
niemand die Befugnis ab, in diesem uns weiter auszubreiten, anzubauen, und,
nachdem einen jeden sein Glückstern begünstigt, darin Besitz zu nehmen. Denn
der Satz: Ein jedes denkende Wesen, als ein solches, ist einfache Substanz; ist
ein synthetischer Salz a priori, weil er erstlich über den ihm zum Grunde
gelegten Begriff hinausgeht und die Art des Daseins zum Denken überhaupt
hinzutut, und zweitens zu jenem Begriffe ein Prädikat (der Einfachheit) hinzufügt,
welches in gar keiner Erfahrung gegeben werden kann. Also sind synthetische Sätze
a priori nicht bloß, wie wir behauptet haben, in Beziehung auf Gegenstände möglicher
Erfahrung, und zwar als Prinzipien der Möglichkeit dieser Erfahrung selbst,
tunlich und zulässig, sondern sie können auch auf Dinge überhaupt und an sich
selbst gehen, welche Folgerung dieser ganzen Kritik ein Ende macht und gebieten
würde, es beim
Alten
bewenden zu lassen. Allein die Gefahr ist hier nicht so groß, wenn man der
Sache näher tritt.
In
dem Verfahren der rationalen Psychologie herrscht ein Paralogism, der durch
folgenden Vernunftschluß dargestellt wird.
Was
nicht anders als Subjekt gedacht werden kann, existiert auch nicht anders als
Subjekt, und ist also Substanz.
Nun
kann ein denkendes Wesen, bloß als ein solches betrachtet, nicht anders als
Subjekt gedacht werden.
Also
existiert es auch nur als ein solches, d.i. als Substanz. Im Obersatze wird von
einem Wesen geredet, das überhaupt in jeder Absicht, folglich auch so, wie es
in der Anschauung gegeben werden mag, gedacht werden kann. Im Untersatze aber
ist nur von demselben die Rede, so fern es sich selbst, als Subjekt, nur relativ
auf das Denken und die Einheit des Bewußtseins, nicht aber zugleich in
Beziehung auf die Anschauung, wodurch sie als Objekt zum Denken gegeben wird,
betrachtet. Also wird per sophisma figurae dictionis, mithin durch einen
Trugschluß die Konklusion gefolgert.
Daß
diese Auflösung des berühmten Arguments in einem Paralogism so ganz richtig
sei, erhellet deutlich, wenn man die allgemeine Anmerkung zur systematischen
Vorstellung der Grundsätze und den Abschnitt von den Noumenen hiebei nachsehen
will, da bewiesen worden, daß der Begriff eines Dinges, was für sich selbst
als Subjekt, nicht aber als bloßes Prädikat existieren kann, noch gar keine
objektive Realität bei sich führe, d.i. daß man nicht wissen könne, ob ihm
überall ein Gegenstand zukommen könne, indem man die Möglichkeit einer
solchen Art zu existieren nicht einsieht, folglich daß es schlechterdings keine
Erkenntnis abgebe. Soll er also unter der Benennung einer Substanz ein Objekt,
das gegeben werden kann, anzeigen; soll er ein Erkenntnis werden: so muß eine
beharrliche Anschauung, als die unentbehrliche Bedingung der objektiven Realität
eines Begriffs, nämlich das, wodurch allein der Gegenstand gegeben wird, zum
Grunde gelegt werden. Nun haben wir aber in der inneren Anschauung gar nichts
Beharrliches, denn das Ich ist nur das Bewußtsein meines Denkens; also fehlt es
uns auch, wenn wir bloß beim Denken stehen bleiben, an der notwendigen
Bedingung, den Begriff der Substanz, d.i. eines für sich bestehenden Subjekts,
auf sich selbst als denkend Wesen anzuwenden, und die damit verbundene
Einfachheit der Substanz fällt mit der objektiven Realität dieses Begriffs gänzlich
weg, und wird in eine bloße logische qualitative Einheit des Selbstbewußtseins
im Denken überhaupt, das Subjekt mag zusammengesetzt sein oder nicht,
verwandelt.