2.2 Unterdrückung der Vielfalt
Der Vielfalt an Lebensformen und Identifikationsmöglichkeiten stehen die Bemühungen des
Staates zur Vereinheitlichung gegenüber. Diese Bemühungen beginnen Anfang des 19.
Jahrhunderts mit der Unabhängigkeit Norwegens. Der junge Nationalstaat bemühte sich darum,
aus dem Bewohnern Norwegens ein Volk und eine Nation zu machen. Ihren "Höhepunkt"
erreicht die Norwegisierung, als sie sich mit Ideen des Sozialdarwinismus,
Nationalchauvinismus und Rassismus zur Jahrhundertwende koppelte.
Nationalismus
1814 ist Norwegen von Dänemark unabhängig geworden. Von 1814 bis 1940 war das Schaffen
einer Nation übergeordnetes Ziel norwegischer Politik. Also ein Nationalgefühl bei allen
Einwohnern aufzubauen - unabhängig von Wohnort und persönlichem Hintergrund.
Nationalismus ist im Laufe des 19. Jahrhunderts fester Bestandteil der Politik vieler europäischer
Staaten geworden. Diese Ideologie misstraut jeder Vielfalt wie der in Nordnorwegen.
Nationalismus setzt die Interessen der Nation an erster Stelle. Und in einer Nation sind die
Mitglieder eines Volkes mit derselben Kultur vereinigt. Nationalismus ist eine Geisteshaltung, die
davon ausgeht, dass jede Nation in ihrem eigenem Staat lebt. Politische Grenzen sollen mit
"ethnischen" und "kulturellen" Grenzen zusammen fallen (Gellner 1995:9).
Konstruktion einer Nationalkultur als Mittel zum Zweck
Diese Ideologie war um die Jahrhundertwende so wichtig, weil zu der Zeit die Mächtigen die
ersten Nationalstaaten gründeten. Für die Machthaber war es wichtig, loyale Staatsbürger zu
haben. Sie mussten also den Leuten beibringen, dass sie eine Einheit sind - das norwegische Volk.
Ob aus dem Norden oder Süden, es spielt keine Rolle, ob Bauer, Arbeiter, Pfarrer oder Arzt - egal.
Was sie auszeichnet ist, sie sind ein Volk mit "gemeinsamer Kultur", d.h. gemeinsamer Geschichte,
Tradition, Sprache und mit gemeinsamen Wertvorstellungen. Um diese Idee kann sich das
künftige Volk sammeln und sich von anderen abgrenzen, die nicht dazu gehören, z.B Schweden
oder Dänen. Wie Ernest Gellner (1995) schreibt:
Der moderne Mensch ist nicht loyal gegenüber einem Monarchen oder einem Land oder
einem Glauben, was immer er selbst sagen mag, sondern gegenüber einer Kultur
(Gellner 1995:59).
Gemeinsame Kultur wurde auch für Politik und Wirtschaft notwendig. Wie Ernest Gellner (1995)
betont, war Nationalismus zu Beginn "weder eine ideologische Verirrung noch eine Frucht
emotionaler Exzesse". Diese Ideologie sei damals zweckmässig gewesen, eine Anforderung der
neuen Industriegesellschaft, die Kommunikation über grössere Entfernungen verlangte als bisher.
Der Staat hatte für diese Vereinheitlichung zu sorgen. Kultur, Staat und Volk wurden nun
erstmals in der Geschichte eins (siehe Gellner 1983/96:57-61).
Nun stellt Gellner Nationalismus als etwas Unausweichliches dar, als automatische Reaktion auf
gegenwärtige gesellschaftliche Anforderungen. Aber es gab auch Gegenbewegungen wie den
Skandinavismus. Es ist lediglich eine Frage von Macht, welche Gruppe sich mit welcher Ideologie
durchsetzt. Aber selbst wenn sich eine Gruppe wie die der norwegischen Nationalisten durchgesetzt
hat, heisst das nicht, dass die "Unterlegenen" ihre Art zu denken aufgegeben haben. Wie ich oben
schon angetönt habe, erlebten die Nationalisten immer wieder herbe Rückschläge.
Den Erbauern der norwegischen Nation machte die heterogene Bevölkungszusammensetzung
Nordnorwegens Bauchschmerzen. "Unnationale Elemente" wie die Saamen und Kvenen erlebten
an einigen Orten eine grosse Bevölkerungszunahme - und zwar gerade in Grenzgebieten zu
Finnland und Russland. Gruppen von Saamen überquerten regelmässig die Grenzen. Die
Rentiersaamen wanderten zwischen den Winterweideplätzen im Binnenland und der Küste, die
Skolten im Nordosten zwischen dem Winterland auf der finnischen oder russischen Seite und
dem Sommerland im nordöstlichen Nordnorwegen.
Die Nationalisten stellten die nationale Gesinnung von Bewohnern in Gebieten mit heterogener
Bevölkerung in Frage. Die staatlichen Behörden sahen mit Bekümmerung darauf, dass viele
Norweger Sprache, Kleidung und Wohnformen "dieser fremden Nationalitäten" annahmen
(Bratrein und Niemi 1994:184).
Sozialdarwinismus
Der Nationalismus hatte anfangs keine negativen Einflüsse auf die Meinung über Saamen oder
Kvener vor Ort. Priester, Missionare und Staatsbeamte hatten die Saamen als tüchtige und
fleissige Menschen charakterisiert. Das änderte sich schlagartig in den Jahren nach 1870, als der
Sozialdarwinismus als Ideologie in Skandinavien Fuss fasste (Lorenz 1981:77-81).
Legitimation für restriktive Minderheitenpolitik
Diese Ideologie geht davon aus, dass es höher und tiefer stehende Kulturen gibt. Erfolgreiche
Kulturen, so die Argumentation, könnten noch höhere Niveaus von Zivilisation erreichen,
während die tiefer stehenden Kulturen untergehen müssten. Charles Darwin hatte das
Vordringen der so genannten "arischen Rasse" in Europa als Bestätigung seiner Theorie
angesehen. Einhart Lorenz (1981) deutet das so, dass Darwin damit die Basis gelegt habe für
"eine rassistische Interpretation der Evolutionslehre". Die politisch Mächtigen benutzten den
Sozialdarwinismus gegen die Arbeiterschicht und kolonisierte Völker.
In Skandinavien waren der
Soziologe Herbert Spencer und der Biologe Ernst Haeckel von grosser Bedeutung. Spencer
argumentierte dafür, dass es falsch sei, schwachen Gruppen mit staatlichen Mitteln zu helfen. So
würde man deren schlechte Eigenschaften auf kommende Generationen übertragen. Haeckel
meinte, die "nordeuropäische Rasse" stünde höher als andere "Rassen", weil deren Gehirn weiter
entwickelt sei (Lorenz 1981:77).
In fast ganz Europa vereinigten sich Nationalismus und Rassismus. Menschliche Eigenschaften
wurden plötzlich als "angeboren" und "gottgegeben" angesehen. Der darwinistische
Evolutionismus lieferte dem Rassismus "eine Anzahl scheinbar höchst triftiger
'wissenschaftlicher' Begründungen dafür, sich gegenüber Fremden abzuschliessen oder sie, wie
sich dann zeigte, sogar zu vertreiben und umzubringen" (Hobsbawm 1996:128-129).
Im damaligen Standardwerk "Norges land og folk" (Land und Leute Norwegens) aus dem Jahr
1906 unterteilt man die Menschen getreu dem sozialdarwinistischen Schema. Die
küstensaamische Bevölkerung wird ganz unten auf der Entwicklungsskala angesiedelt. Sie
scheinen, so erfährt man in dem Werk, "nach Aussagen von Ärzten, Offizieren und Priestern tief
zu stehen und degeneriend zu sein". Die Kvenen stünden über ihnen. Sie hätten Tugenden wie
Geduld und Zähigkeit (tålmodighet og seighet) vorzuweisen "sowohl körperlich wie auch geistig".
Charakteristisch für solche Ideen ist der Ethnozentrismus - die Verfechter dieser Ideologien
begründen ihre angeblich herausragende Stellung durch die Abwertung Anderer. Die Autoren
schreiben:
Es erscheint uns als sicher, dass die Norweger im Norden (...) die allerbesten Eigenschaften
der germanischen Rasse besitzen: grosser und starker Knochenbau, kräftige Muskulatur,
gut geformte Hände und Füsse und scharf entwickelte Sinne; auch im geistigen Sinne
scheint die norwegische Bevölkerung hoch begabt zu sein; davon zeugt ihr kluger, wacher
Blick und ihre schnelle Auffassungsgabe
(in Brantenberg, Hauan, Knutsen 1994:413).
Sowohl Gegner wie Unterstützer der Saamen benutzten sozialdarwinistische Argumente. P.P.
Waldenström, schwedischer Kirchenführer und Ausschussmitglied für Rentierzucht, sagte 1883,
Gott hätte die "Naturordnung" zum Besten der Menschheit eingerichtet:
Wenn der nomadisierende Volksstamm seine Mission als solche erfüllt hat und nicht zu
einer anderen Daseinsform übergehen kann, muss er aussterben
(in Lorenz 1981:79).
Der Prozess könne nicht mit Gesetzen aufgehalten werden. Nils Henrik Vult von Steyern
unterstützte die Saamen und argumentierte auch sozialdarwinistisch: Nur die Saamen und die
Rentiere wären imstande, sich im Gebirge zu ernähren. Das läge daran, dass sie Nomaden seien.
Weil nur Nomaden für den Kampf ums Dasein im Gebirge die nötigen Voraussetzungen hätten,
müsse es im Interesse des Staates sein, Rechte der Saamen zu schützen.
Dies wurde die offizielle
Haltung in Schweden: Der Untergang der Nomadenkultur solle nicht mit Gesetzen beschleunigt
werden, sondern solle in einem "freien historischen Prozess" ablaufen (Lorenz 1981:79-80).
Der Gemeindepfarrer in Varanger will den Saamen offenbar auch nichts Böses - im Gegenteil, wie
er seinem Bischof anno 1886 schrieb:
Das Lappenvolk ist ein Kindervolk in vielerlei Hinsicht. Sie stehen auf der unmittelbaren,
naiven, unentwickelten Stufe des Kindes. Es ist das Ziel der Norwegisierung, das Volk zur
Reife eines Mannes zu bringen - wenn es überhaupt möglich ist
(in Bull und Gaski 1994:250)
Der Staat setzte nun alles daran, die Saamen zu "zivilisieren". Einen Weg zur Zivilisation
beschrieb der damalige norwegische Regierungschef Johan Sverdrup: "Die einzige Art, die Lappen
zu retten, ist, sie in die norwegische Nation zu absorbieren" (Salvesen 1995:134). Saamen sollten
schnellstmöglich zu Norwegern gemacht werden. Die wichtigsten Instrumente waren die Schule,
die öffentliche Verwaltung und die Kirchenadministration (Lorenz 1981:79-80).
Norwegisierung und Zentralisierung
Besonders ab etwa 1880 wurden Saamen und Kvenen als "unnationales Element" diskriminiert,
sprachlich und kulturell unterdrückt. Ihre Kultur, so das Ziel der norwegischen Politik, sollte
verschwinden. Diese Phase dauert bis in die 1960er-Jahre an.
Zentralisierte Wissensvermittlung
;
Eine Schlüsselrolle fällt der Schule zu. Sie gibt Wissen an die jüngere Generation weiter. Es war
vor allem Wissen über "die norwegische Nation", zentriert um das südostnorwegische
Hauptstadtgebiet, das verbreitet wurde. Dieses Wissen sollte aus Saamen, Kvenen und
Nordnorwegern richtige Norweger machen. Dazu gehörte die Diskriminierung lokalen Wissens,
besonders saamischen Wissens. Viele Saamen lernten, ihre Kenntnisse zu verbergen (Jernsletten
1986:56). Lokale, saamisch sprechende Lehrer wurden bewusst in den Süden geschickt, und
national gesinnte Lehrer aus dem Süden in den Norden versetzt. Um die Jahrhundertwende
herum wurde die Schulausbildung zentralisiert. Dorfschulen wurden geschlossen und durch
grosse zentralisierte Internate ersetzt (Lorenz 1981:80-81, Bull und Gaski 1994:253).
Sprachpolitik ist Machtpolitik
Eine der wichtigsten Massnahmen der Norwegisierung war das Verbot saamischer und
kvenischer Sprache im Jahr 1880. Sprachpolitik war und ist Machtpolitik. Tove Bull und Harald
Gaski (1994: 256) schreiben: "Wünscht man sich passive und ruhige Untergebene, dann muss
man ihnen die Sprache nehmen". Mit einer Standardsprache kann man die Einwohner eines
Landes homogenisieren und fremdsprachige Minderheiten von der Teilnahme am Diskurs
ausschliessen.
Bull und Gaski illustrieren ihre These mit dem Portrait einer Saamenfrau, dessen Selbstwertgefühl
durch die norwegische Schule zerstört wurde. Sie war eine der zahlreichen Saamen, die ihre
Schulzeit in einem abseits von ihrem Zuhause gelegenen Internat verbringen musste. Mit dem
Internatssystem wollte der Staat saamische Kinder am Kontakt mit Leuten hindern, die ihnen
saamische Sprache und Kultur näher bringen könnten. Das ist eine Massnahme, die
Nationalstaaten bei Urbevölkerungen rund um den Globus anwenden. "Die Internate", so Bull
und Gaski, "sollten wie ein verfeinertes Apartheid-System funktionieren." Die Saamin, die das
alles mitgemacht hatte, erinnert sich:
Ich habe mich nie so hilflos gefühlt wie an meinen ersten Schultagen. Ich verstand nichts
davon, was der Lehrer sagte. (...) Um seine Macht zu demonstrieren, zog er mich am Ohr
und zerrte mich mit Gewalt an die Tafel. (...) Ich spüre noch seine Spucke an meinem
Gesicht. (...) Im Internat waren wir viele Meersaamen-Kinder. Aber wir durften nie unsere
Sprache sprechen. (...) Wir konnten nie über unsere schlimmen Erlebnisse sprechen. Wir
waren alleine mit unseren Gedanken, unseren Sorgen. (...) Wir wurden abgestumpfte
Menschen. Wir lernten nicht, unseren Mitschülern Offenheit zu zeigen. (...) So wurden wir
die verlorene Generation, oder vielmehr die gebrochene (knekket) Generation, Kinder, die
geistig verkrüppelt wurden, weil die Kultur eines ganzen Volkes sterben sollte
(in Bull und Gaski 1994:254-255).
Weitere Vernorwegisierungsmassnahmen waren Strassenbau, Agrarkolonisierung und
Gesetzesgebung. Gegen 1870 begann der Strassenbau in saamischen und kvenischen Gebieten
mit dem ausdrücklichen Ziel, die Isolation von Saamen und Kvenen zu sprengen. Gleichzeitig
lockte man norwegische Siedler in den Norden - so wollte man den Anteil von Norwegern
erhöhen, die Finnmark norwegisch machen. Nordskandinavien wurde zu einer "frontier area" wie
Nordamerika. 1902 beschloss der norwegische Staat, dass Land nur noch an Leute abgegeben
werden könne, die "norwegisch reden, lesen und schreiben können". Denn nur so könne man, so
die Begründung des Staates, eine "anständige" (skikket) Bevölkerung in der Region bekommen
(Bratrein und Niemi 1994:186).
Wenn Identität ein Stigma wird
Ethnische Identität wurde ein Stigma. So drückte es Harald Eidheim (1971: 50ff) in seiner
klassischen Aufsatzsammlung aus. Saamische Identität wurde etwas, das man sich nur "hinter
der Küchentür" zu zeigen getraut. Das trifft besonders für die Küstengebiete zu, wo mehr
Norweger lebten als im Inneren der Finnmark.
Eidheim forschte in einem Küstendorf in den 50er-
und 60er-Jahren, lange bevor es die ersten starken saamischen Bewegungen gab. Ihm gegenüber,
einem (noch) Unbekannten, hoben die Einheimischen ihr Norwegischsein hervor. Stolz zeigten sie
ihm, wie modern sie seien, präsentierten ihm ihre moderne Hauseinrichtung, betonten ihr Wissen
über moderne Fischereitechnik, erzählten von Reisen. Auffallend empfand er ihren "craze of
cleanliness". Denn Saamen gelten nach örtlichen Stereotypen als dreckig, faul und rückständig.
Selbstverständlich redeten sie mit ihm in ihrem örtlichen norwegischen Dialekt (Eidheim 1971:52-
53). Erst später offenbarten sie ihm, dass sie "a kind of Lapp" seien und unter dem Stigma litten,
das mit Samischsein verbunden sei (Eidheim 1971:55). Ein Stigma, das sie ihren Kindern
vorenthalten wollen - unter anderem dadurch, dass sie ihnen kein Saamisch beibringen. "They
shall not have the same handicap as we had" (in Eidheim 1971:57).
Doch nicht nur Saamen, Kvenen und Mischlinge wurden von den norwegischen
Zentralinstanzen diskriminiert. Die Norwegisierung war auch an die ethnischen (Nord-)
Norweger gerichtet. Sie galten aus der Hauptstadtperspektive als unnational eingestellt,
ausserdem in Relation zu den Südnorwegern als faul und rückständig.
Norwegisierung der ethnischen Nordnorweger
Unter diesem Image haben die Nordnorweger lange leiden müssen, auch sie mussten ihre Sprache
verstecken, wenn sie mit Norwegern aus dem Süden zu tun hatten. Erst in den 70er-Jahren
formierte sich ein nordnorwegisches Selbstbewusstsein und man begann mit der Aufarbeitung
der eigenen Geschichte, stärkte den Dialekt mit Theaterstücken in nordnorwegischer Sprache etc
(Bull und Gaski 1994:256-257).
Reidar Nielsen (1986) schreibt, ganz Finnmark leide unter einem Minderwertigkeitskomplex.
Dieser zeige sich darin, dass viele damit beschäftigt seien, ihre Ebenbürdigkeit gegenüber den
Südnorwegern zu betonen. Sie bringen immer wieder zum Ausdruck, dass sie mit dem Standard
im Süden hinsichtlich Lebensstil, Interessen und Konsum mithalten können (ein Phänomen, das
an das Verhalten der Saamen gegenüber Eidheim erinnert). Nielsen schreibt:
Einer Generation nach der anderen wurde beigebracht, dass alles Gute mit der Hurtigrute
(Linienschiff) aus dem Süden kam. Mit anderen Worten: Alle wichtigen Kulturimpulse
wurden importiert. (...) Jeder Bewohner Finnmarks wurde mit einem grundlegenden
Minderwertigkeitskomplex geboren
(Nielsen 1986 in Eidheim 1993:11, Auslassung von Eidheim).
Frøydis Eidheim (1993) machte für ihre Lizenziatsarbeit in Ethnologie Feldforschung in
Hammerfest an der Finnmarksküste. Sie erwähnt Situationen, die den Schluss zulassen, dass sich
die Einwohner hauptsächlich in Abgrenzung zu den Südnorwegern definieren - und zwar
positiv. Das ist eine Reaktion auf das negative Bild, das die Südnorweger über sie in den Medien
und Schulbüchern verbreitet haben, Nordnorwegen sei ein unlohnender Landesteil, der nur
durch Subventionen überlebt.
In Schulbüchern wurde Nordnorwegen lange Zeit nicht erwähnt.
Bis in die 60er-Jahre gab es Bücher, wo die Karte Norwegens etwas nördlich von Trondheim in der
Mitte des Landes aufhörte. Viele Bewohner der Finnmark fühlen sich ferngesteuert vom Süden,
reden von Bevormundung. Immer wieder hört man vom Koloniestatus, den Finnmark innerhalb
Norwegens inne hätte und dass dieses Verhältnis eine lange historische Konituität aufweise
(Eidheim 1993:9ff).
Eine Untersuchung über die Darstellung Nordnorwegens in Schulbüchern von 1948 bis 1997
zeigt deutlich, wie bewusst diese Nord-Süd-Dichotomie gepflegt wurde. Håkon Rune Folkenborg
(1999) hat in einer Lizenziatsarbeit (hovedoppgave) in Geschichte den Zusammenhang von
Lehrbüchern und Identität untersucht.
Folkenborg entdeckte eine implizierte Wertung in vielen
Büchern. Nordnorweger im allgemeinen und Saamen ganz besonders werden in der Entwicklung
Norwegens zu einem modernen Staat als hinterwäldlerisch dargestellt. Als "Herren der
Entwicklung" dürfen sich diejenige bezeichnen, die sich mit den "ostnorwegischen ethnischen
Norwegern" (aus der Hauptstadt-Gegend) identifizieren. Die sich mit periferen Regionen wie
Nordnorwegen identifizieren, werden ausgeschlossen von einem positiven nationalen Selbstbild
(Folkenborg in Dagbladet 1.11.99).
Erik Oddvar Eriksen (1994) schreibt, Nordnorweger hätten ein schizofrenes Bild vom Staat: Auf
der einen Seite existiert das Bild vom Staat als Unterdrücker, der die nordnorwegische
Subsistenzwirtschaft in der Phase der Nationalisierung untergraben hatte. Auf der anderen Seite
weiss man, dass der Staat für soziale Sicherheit und einen höheren Lebensstandard gesorgt hat.
Beide Sichtweisen, so Eriksen, führen zu einem Gefühl von Unterlegenheit (Eriksen 1994:328).
Seit den 70er-Jahren ist sowohl das nordnorwegische Selbstbewusstsein als auch das saamische
gewachsen. Im dritten Kapitel werde ich auf die Saamenbewegung eingehen. Jetzt möchte ich
mich mit der Vielfalt innerhalb der saamischen Gesellschaft befassen.