IV. Die Erzeugung des Objekts durch das Subjekt, dargestellt an einigen Passagen aus der Einleitung zur „Phänomenologie des
           Geistes"

Iris Bühler
 

1. Selbstentwicklung des EINEN Prinzips, des Geistes

Es findet bei Hegel eine „Entwicklung" statt. „Subjekt", „Geist", „Bewußtsein", „Begriff" befindet sich auf der Reise von der unmittelbaren zur vermittelten Identität von Subjekt und Objekt, wobei es stets eine Entsprechung der Bewußtseinsgrade mit ihrem jeweiligen Gegenstand gibt - Entsprechung, die Hegel „Wahrheit" nennt.
So gibt es auf der niedrigsten Stufe insofern eine Entsprechung vom Bewußtseinsgrad der „sinnlichen Gewißheit" - dem sinnlichen, unmittelbaren Wissen, „Wissen des Unmittelbaren oder Seienden"  - mit seinem Gegenstand, einem bloßen „Hier", „Jetzt", „Dieser", „Ich", etc., als diese eben bereits genannten, differenzierten Elemente auf der Stufe der „sinnlichen Gewißheit" lediglich allgemeine, indifferente, gegeneinander gleichgültige Momente der „sinnlichen Gewißheit" darstellen, welche auf dieser Stufe in einem Nicht-Bezug zueinander, im Selbstbezug mit sich, und in der „sinnlichen Gewißheit" als solcher, der an sich seienden, reinen, widerspruchslosen, unmittelbaren Totalität, identisch mit sich selbst sind:

„Es ist also nur die ganze sinnliche Gewißheit selbst, welche an ihr als Unmittelbarkeit festhält, und hierdurch alle Entgegensetzung, die im vorherigen stattfand, aus sich ausschließt. Diese reine Unmittelbarkeit geht also das Anderssein [...] nichts mehr an. Ihre Wahrheit erhält sich als sich selbst gleichbleibende Beziehung, die zwischen dem Ich und dem Gegenstande keinen Unterschied der Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit macht, und in die daher auch überhaupt kein Unterschied eindringen kann."

Der Gegenstand „an sich" - ein unmittelbares „Hier", „Jetzt", „Dieses" - erweist sich alsbald als „Gegenstand-fürs-Bewußtsein" und damit als Begriff (oder einer Art „Vorläufer" davon), den das Bewußtsein vom Gegenstand, der auf der Stufe der „sinnlichen Gewißheit" ein materieller ist, hat. Es sind also Begriffe,  die das Bleibende, Wahre und Wirkliche von einem jeweils schwindenden, auswechselbaren, materiellen Inhalt darstellen (Haus, Baum, Kuh, Gras, etc.) - wobei das Wahre und Wirkliche der sinnlichen, konkreten, materiellen Gegenstände (Beiherspielendes, Momente des „An-sich-seins" oder der Unmittelbarkeit des Geistes auf seiner niedrigsten Entwicklungsstufe, der „sinnlichen Gewißheit") insofern vom Begriff (Bewußtsein) erfaßt und dargestellt, nämlich in seiner Selbstbewegung und Vermittlung aufgehoben, erfahren und begriffen wird, als die Wahrheit und das Bleibende alles Raum-Zeitlichen, des „Dieses", „Hier", „Jetzt" eben ist, was es (zunächst) nicht scheint zu sein - nicht-bleibend(es), nicht-wirklich(es), un-wahr(es); es ist nicht, es ist nicht was es schien zu sein: „Wesen", Wirklich(es) überhaupt. „Das Wirkliche ist nicht ein Räumliches [...]" , es ist die Prämisse des objektiven Idealismus selbst, eine bewegte, ideelle, geistige Einheit, nämlich bei Hegel der  sich entwickelnde, entäußernde, und seine Entäußerungen wieder in sich zurücknehmende Geist (Begriff, Bewußtsein).
Von dem ersten, unmittelbar identischen Subjekt-Objekt geht es durch mannigfache Stufen bis hin zur höchsten, mit sich selbst vermittelten Identität von Subjekt und Objekt, wobei die vermittelte Identität dadurch erreicht wird, daß alle Objektivierungen, das heißt Entäußerungen des Geistes, bzw. begriffene materielle (und ideelle) Gegenstände, ins Subjekt zurückgenommen werden (Entäußerung der Entäußerung oder Er-Innerung). Das heißt, selbst Entäußerung und Objektivierung bleiben Subjekt-intensiv (räumlich ausgedrückt: innerlich, intern):

„Das Geistige allein ist das Wirkliche; es ist das Wesen oder An-sich-seiende, - das sich Verhaltende oder Bestimmte, das Anderssein und Für-sich-sein - und in dieser Bestimmtheit oder seinem Außer-sich-sein in sich selbst Bleibende [Hervorhebung d. A.]; - oder es ist an und für sich."

Dies bedeutet weiterhin, daß es ein echtes „Außen", ein echtes „Objekt" in Bezug auf das Subjekt bei Hegel, den Geist, gar nicht gibt:

„Der Übergang nämlich vom ersten Gegenstande und dem Wissen desselben zu dem andern Gegenstande, an dem man sagt, daß die Erfahrung gemacht worden sei, wurde so angegeben, daß das Wissen vom ersten Gegenstande, oder das Für-das-Bewußtsein des ersten An-sich, der zweite Gegenstand selbst werden soll. Dagegen es sonst scheint, daß wir die Erfahrung von der Unwahrheit unseres ersten Begriffs an einem andern Gegenstande machen, den wir zufälligerweise und äußerlich etwa finden, so daß überhaupt nur das reine Auffassen dessen, was an und für sich ist, in uns falle. In jener Ansicht aber zeigt sich der neue Gegenstand als geworden durch eine Umkehrung des Bewußtseins selbst [Kursivdruck Hervorhebung Hegels, Unterstreichung Hervorhebung d. A.]."

Alles „Seiende" erweist sich derart nur als jeweils unterschiedliche Bestimmungen des einen Prinzips, des Weltgeistes. Echte Entäußerung, ein echtes Außen, also ein vom Weltgeist (Subjekt) unabhängiges, setzt die Annahme von zumindest ZWEI gültigen Prinzipien voraus: Weltgeist UND Nicht-Weltgeist, Subjekt UND Nicht-Subjekt, nämlich Subjekt UND Objekt.
Bei Hegel rangiert Objekt nur als Entäußerung des Weltgeistes, sei es die Natur als räumliche Entäußerung des Geistes, oder die Geschichte als zeitliche Entäußerung des Geistes. In anderen Worten, EIN postuliertes Prinzip (Geist, Weltgeist, absoluter Geist) entwickelt IN SICH alle seine aufeinanderfolgenden Bestimmungen als „Entäußerungen", die, indem sie begriffen werden, sich wieder aufheben (ins Subjekt zurückfallen); wobei die noch näher zu untersuchende Dialektik den Motor dieses (rückblickenden) „Werdens eines schon Gewordenen" darstellt.
 
 
 

2. Methode und Gegenstand als zwei Seiten derselben Sache

Methode (Begriff, Begriffsentwicklung) und konkreter Gegenstand (Inhalte) auf den jeweiligen Entwicklungsstufen stimmen deshalb überein, weil beide eben nur verschiedene Bestimmungen ein- und desselben Weltgeistes sind, der sich von bloßer, sinnlicher Gewißheit bis hin zum absoluten Wissen entwickelt.
Methode und Gegenstand sind für Hegel „substantiell das Gleiche" , insofern die Methode (Begriff) das Ansich, der Gegenstand das Außersich und die begriffene Einheit der beiden in ihrer Entgegensetzung das Anundfürsich des sich entwickelnden (entwickelt habenden) Geistes darstellen. Es sei an dieser Stelle erlaubt, kurz auf das direkt mit der „Phänomenologie" zusammenhängende Werk Hegels, der „Logik" zu verweisen; dort lesen wir bzgl. der eben angesprochenen Verhältnisse und Bestimmungen u.a. :

„Die Methode ist daraus als der sich selbst wissende, sich als das Absolute, sowohl Subjektive als Objektive zum Gegenstande habende Begriff, somit als das reine Entsprechen des Begriffs und seiner Realität, als eine Existenz, die er selbst ist, hervorgegangen. Was hiermit als Methode zu betrachten ist, ist nur die Bewegung des Begiffs selbst..." .

Und in der „Vorrede" der „Phänomenologie" vermerkt Hegel:

„Von der Methode dieser Bewegung oder der Wissenschaft könnte es nötig scheinen, voraus das Mehrere anzugeben. Ihr Begriff liegt aber schon in dem Gesagten, und ihre eigentliche Darstellung gehört der Logik an oder  ist vielmehr diese selbst. Denn die Methode ist nichts anderes als der Bau des Ganzen in seiner reinen Wesenheit aufgestellt."

Derart stellen für Hegel Methode und Gegenstand, entgegen der herkömmlichen mathematisch-wissenschaftlichen Herangehensweise, die auf der formal-logischen Prämisse des dualistischen, unüberwindbaren Getrenntseins von Methode (Subjekt, Ich, „A" ) und einem ihr äußerlich vorfindbaren, zu untersuchendem Gegenstande (Objekt, unabhängige Außenwelt, „Nicht-A" ) beruht, zwei Extreme oder Pole derselben Sache, des Ganzen, nämlich Selbstbewegung und Selbstentwicklung  des Weltgeistes dar: Zur (Selbst-)Darstellung des „Absoluten", zur Darstellung „wesentlicher Verhältnisse", nämlich der „Wahrheit" und „Wirklichkeit" im Sinne von Hegels (!) Verständnis , ist jene Herangehensweise, die lediglich „mangelhaftes Erkennen"  zu ihrem Resultate hat, völlig untauglich, denn:

„Sie setzt nämlich Vorstellungen von dem Erkennen als einem Werkzeuge und Medium, auch einen Unterschied unserer selbst von diesem Erkennen voraus; vorzüglich aber dies, daß das Absolute auf einer Seite stehe, und das Erkennen auf der andern Seite für sich und getrennt von dem Absoluten doch etwas Reelles, oder hiermit, daß das Erkennen, welches, indem es außer dem Absoluten, wohl auch außer der Wahrheit ist, doch wahrhaft sei; eine Annahme, wodurch das, was sich Furcht vor dem Irrtume nennt, sich eher als Furcht vor der Wahrheit zu erkennen gibt."
 

3.  Bewußtseinsgrade und ihre Kompetenzen

Gemäß der verschiedenen Entwicklungsstufen, also unterschiedlich aufeinander bezogener, aber jeweils korrespondierender Seins- und Bewußtseinsgrade, unterscheidet Hegel unter anderem Denken als Verstand, und Denken als Vernunft. Das Denken als Verstand nimmt eine Trennung von (leerem) Ansich (Inhalt, der konkrete Gegenstand, das Besondere) und der „...von außen an dieses [leere Ansich, d. A..] herankommende[n] Bestimmtheit"  (Form, Bewußtseinsgrad) vor, wohingegen das Denken als Vernunft beide Momente in ihrer Entgegengesetztheit als Einheit verbindet, miteinander vermittelt und aus dem „leeren Ansich" ein „An-und-für-sich-Bestimmtes" macht, womit Inhalt und Form, Besonderes und Allgemeines, Gegenstand des Bewußtseins und Bewußtsein selbst, als vermittelte identisch sind (Synthese).
 
 
 
 

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