Ein Reihenhaus, irgendwo in Hessen. Fahl scheint der Mond, die Uhr zeigt halb drei morgens. Vorsichtig dreht er den Schlüssel im Schloss, leise öffnet er die Tür – da geht das Licht an, grell und mit der Wirkung eines plötzlichen Artillerieüberfalls. Sie steht im Flur, die Hände in die Hüften gestemmt. „Wo kommst du her?“, will sie mit dem Timbre einer verärgerten Tigerin wissen. Er stammelt: „Es war die Konferenz, wir sind dann noch  .  .  .“ „Lüg mich nicht an“, schneidet sie ihm das Wort ab, „du warst wieder bei ihr“. „Ja, ääh, aber, Liebling, immerhin ist es kein strafrechtlich relevanter Vorgang.“ „Was?“, sagt sie. „Na ja, wir sollten die Dinge erst einmal rückhaltlos aufklären.“ „Was willst du aufklären? Es steht doch fest, du betrügst mich!“ „Moment, in gewisser Weise habe ich dir vielleicht nicht zu jedem Zeitpunkt die volle Wahrheit gesagt, aber immerhin hat mein Verhalten ja nicht die Wahrheitsfindung behindert.“ „Ja“, sagt sie mit weicherer Stimme, „eigentlich hast du Recht. Wenn du mich nicht betrogen hättest, hätte ich es gar nicht herausfinden können.“ Sie legt ihm die Hand auf die Schulter: „Dein Betrug ist in Wirklichkeit ein mutiger Akt der Aufklärung. Komm, lass uns schlafen gehen.“

So ist das in Hessen, wo es viele glückliche Familien geben muss. Wer das im Rest der Republik nicht glaubt, dem liefern der Ministerpräsident Roland Koch und seine liberale Koalitionskohabitantin Ruth Wagner gerade den Beweis. Zwar hatte Koch ein, wenn nicht außereheliches, so doch in Teilen außergesetzliches Verhältnis zu einem gewissen Wittgenstein, das mit einer Verbiegung des Rechenschaftsberichtes, möglicherweise nachts um halb drei, zum Vollzug kam. Vielleicht war der Akt im engeren Sinne auch nicht strafrechtlich relevant, so dass sich Kochs politische Lebensgefährtin Ruth Wagner erst dann betrogen fühlen will, wenn der Roland vor den Kadi muss. Dies mag lebensfremd sein, aber nicht in Hessen, und ohnehin nimmt ja niemand an, nicht einmal der Westerwelle, dass die FDP mitten im Leben steht

Der weibliche Teil der Koalition also vermeidet es hartnäckig, sich betrogen zu fühlen. Der männliche Teil wiederum gesteht zwar den Betrug ein, stellt aber fest, dass es nicht so schlimm wie etwa Mord ist, den möglicherweise sogar Frau Wagner für strafrechtlich relevant halten würde. Andererseits argumentiert Koch wie alle betrügerischen Ehemänner: Erstens bin ich eigentlich treu, zweitens war es eine Verkettung unglücklichster Umstände („wir wollten dem Wittgenstein das Geld ja zurückzahlen“), drittens wird es nie wieder vorkommen. So gesehen ist gar nichts gewesen. Der Roland wird immer vor zehn zu Hause sein, und wenn es doch mal wieder halb drei werden sollte, wird die Ruth oben im Bett einfach ganz fest die Augen zumachen und nicht auf die Uhr schauen.

Neues zu Roland Koch und Jürgen Möllemann unter Misanthrop