Unbegründete Ängste

Genauso geschah es; der Tanker und ich verpaßten einander weit, und während wir unserer getrennten Wege gingen, wurde mir klar, daß ich eine ungeheure Menge Energie damit vergeudet hatte, mir Sorgen über etwas Zukünftiges zu machen, das gar nicht kam. Ich mußte wachsam sein, das Vorhandensein eines Schiffs geistig notieren, mir einprägen, daß es irgendwo dort draußen war, als potentielle Gefahr. Aber ich mußte mich auch davor hüten, zu früh zu reagieren, denn meine Vision von einem Unglück, die so lebendig vor meinem inneren Auge stand, konnte sich schlicht als unbegründete Angst und nichts sonst erweisen. Als ich die Kielwelle des Tankers querte, begannen meine Befürchtungen zu weichen. Damals wußte ich es zwar noch nicht, aber ich machte meine ersten zögernden Schritte hin zur Meisterung, nicht so sehr meines Bootes oder meiner selbst, sondern der Wirklichkeit. Ich lernte, daß ich, bevor ich einem scheinbar bedrohlichen Objekt auswich, erst nahe genug hinsegeln und ermitteln mußte, was es war, wohin es fuhr und ob es mir Schaden zufügen würde. Dann, erst dann konnte ich entscheiden, ob ich abdrehen, beschleunigen oder weitersegelen sollte.

Als ich älter und erfahrener wurde, begriff ich, daß die Fähigkeit zwischen tatsächlichen und vermeintlichen Gefahren zu unterscheiden, von grundlegender Bedeutung für ein gutes Urteilsvermögen ist und daß Menschen, die diese Fähigkeit nicht besitzen, schwer benachteiligt sind. Sie verharren in der Befürchtung, es drohe eine Katastrophe, denken nur darüber anch, was passieren könnte, und versuchen es zu verhindern, bevor es überhaupt geschieht. Sie sind nicht Herr der Realität, obwohl sie das gewöhnlich glauben; sie sind Herr der Irrealität, weil sie zulassen, daß ihre Ängste – diese Erfindungen einer unzuverlässigen Phantasie – ihr Leben beherrschen. Man hat den Eindruck, als schafften sie es nicht, eine geheime Barriere zu durchbrechen, welche die Furchtsamen von den Selbstsicheren trennt.

Wir leben in einer Welt, die so chaotisch ist, daß wir zu dem Glauben gelangt sind, nur eine Maschine mit elektronischen Schaltungen könne die ständigen Veränderungen und Wechsel bewältigen. Wir schaffen mathematische Modelle und stopfen sie in diese Maschine, damit sie uns das sagen können, von dem wir glauben, daß wir es wissen wollen. Wir fordern die Maschinen auf, uns die ultimativen „Was-wenn-Fragen“ zu beantworten. Was, wenn die Zinssätze ins Unermeßliche steigen? Was, wenn die Sonne aus dem Himmel herausfällt? Die Maschinen sagen es uns, und wir benutzen die Antworten, um hier einen Knopf zu drücken oder dort einen Schalter zu betätigen. Diese Art des Vorgehens hat jedoch ein großes Manko, abgesehen von der Tatsache, daß sie nur manchmal funktioniert: Wir sind so sehr damit beschäftigt, die Zukunft zu verhindern, daß es nie ein Jetzt gibt.
Wenn ich es mir recht überlege, könnte die Haupttugend meiner blauen Slup sehr gut darin bestanden haben, daß sie mich zwang, in der Gegenwart zu leben und zu viele ungesunde Spekulationen darüber zu vermeiden, was an irgendeinem unbestimmten Punkt in der Ferne, den ich nicht klar sah, passieren könnte. In Wahrheit weiß ich bereits soviel über meine Zukunft, wie ich wissen muß. Das einzige von Bedeutung für mich ist also die Entscheidung, was ich mit der mir zugemessenen Zeit anfange. Ich kann an der Küste bleiben, gelähmt vor Angst, oder ich kann meine Segel heißen, meine Flagge aufholen und in der Brise davonsegeln.