Flaute

Es ist wohl eine allzu menschliche Schwäche zu glauben, daß ewig ein günstiger Wind weht, der auch nie einschläft. Ich verfiel jedoch diesem Irrtum, denn während mir die Brise ins Gesicht oder auf den Rücken blies, konnte ich mir unmöglich vorstellen, wie es wäre, in völliger Windstille gefangen zu sein. Ich wußte, daß der Wind manchmal einschlief, davon hatte ich gehört. Aber dies gehörte für mich zu den unangenehmen Dingen des Lebens, wie Krankheit und Tod, die anderen widerfahren, nicht einem selbst.

In mir stieg widerwillige Bewunderung für diesen Vogel auf, für seine stummen Wahrnehmungskräfte, seine unheimliche Geduld und seine Fähigkeit zum Alleinsein. Es schien, als wisse er, daß er durch diese gräßliche Flaute hindurch mußte, bevor er seinen Sitz verlassen konnte. Während ich ihn beobachtetee, verschwand meine Angst, und an ihre Stelle trat ein Gewahrwerden meiner Umgebung und meiner selbst, das viel schärfer war als zuvor bei meinem gedankenlosen Durchpflügen der Wellen. Ich erkannte, daß ich keineswegs etwas tun mußte; ich mußte vielmehr nichts tun –das war der unveränderbare Zustand, den mir der Gott der Winde aufgezwungen hatte. Ich mußte genauso gelassen bleiben wie der Reiher und darauf warten, daß die Brise wieder aufkam. Das würde sie tun, ich wußte es. Allerdings wußte ich genausowenig wie der Vogel, wann oder aus welchem Quadranten des Kompasses sie wieder wehen würde.