Andy brachte ihn am Abend nach
Hause und David war schlecht. Er hatte keine Ahnung, wie er es Tommy sagen
wollte, aber es war klar, dass er fragen würde und er musste ihm antworten.
Er lag am Abend im Bett und
machte sich ein paar Sätze bereit, aber er wusste, dass er nicht diese
brauchen würde. Wahrscheinlich brachte er im ersten Moment kein Wort
heraus.
Ein weiteres Problem, kein
so grosses, war, dass er Englisch hatte. Er hatte bei seiner Mutter Unterricht,
die er jetzt voll als seine Mutter akzeptiert hatte. Er wusste nicht, ob
er sich nicht einmal versprechen würde und sie mit du und Jessica
anreden würde.
Am nächsten Morgen stand
er extra spät auf, damit er möglichst knapp in die Schule kam,
um sich nicht noch vorher mit Tommy unterhalten zu müssen. Er merkte
fast zu spät, dass es schon sehr spät war, so dass er womöglich
nach dem Lehrer kam. Er stresste und schlüpfte noch knapp vor dem
Lehrer hinein. Dieser hob nur die Brauen, sagte aber nicht. Er setzte sich
schwer atmend neben Tommy.
„Wir zwei haben noch etwas
zu bereden, Dave“, sagte er und konzentrierte sich dann auf den Stoff.
In der Pause hatte er dann
aber keine Chance mehr, Tommy zu entkommen.
„Was hast du gestern Nachmittag
bei Andrew Slater im Wagen gemacht, David?“ fragte er so laut, dass es
die anderen, die ebenfalls noch dort standen das auch hörten.
„Du warst bei Slater im Wagen?“
fragte einer und David musste sich beherrschen, um nicht rot anzulaufen.
„Nein, war ich nicht. Was
hätte ich denn dort tun sollen, hä?“
Er zog Tommy, der ein wenig
verwirrt schaute, zur Seite, ohne die neugierigen Blicke zu beachten. Sie
zogen sich in eine ruhigere Ecke des Zimmers zurück.
„Dann war es also wirklich
Andrew?“ fragte Tommy.
David hob den Finger an die
Lippen und zeigte ihm damit, dass er leiser reden solle.
„Kannst du mir bitte mal erklären,
was das soll? Zuerst machst du mit der Englischlehrerin 'rum und dann sitzt
du auf einmal beim fast berühmtesten Schauspieler Amerikas im Wagen.“
David schluckte wieder. Wie
sollte er ihm das erklären? Sollte einfach gerade heraus die Wahrheit
sagen?
„Ich habe nicht mit der Sheen
rumgemacht!“ zischte er, „Sie ist mei ...“ Er konnte nicht weiterreden.
Es ging nicht. Er konnte es einfach nicht.
„Sie ist deine was? Deine
Geliebte? Freundin? Was ist mit Maraika?“
David schüttelte leicht
den Kopf.
„Sie ist weder noch. Und du
weisst so gut wie ich, dass zwischen Maraika und mir nichts läuft,
jedenfalls so gut wie nichts.“
„Was ist Sheen dann? Und was
hat das mit Slater zu tun?“
In diesem Augenblick läutete
die Glocke wieder und sie gingen zurück an ihre Plätze. Die Lehrerin,
Jessica Sheen, kam pünktlich herein und begann mit dem Unterricht.
Tommy schob einen Zettel und
Davids Ellbogen, wo ein grosses Fragezeichen darauf stand.
David fasste sich ein Herz
und schrieb zurück: ‘Sie sind meine Eltern’. Er schob den Zettel langsam
zurück.
Tommy las ihn und stiess ein
lautes, erschrockenes ‘Was?’ aus.
Alle sahen erstaunt auf Tommy
und Jessica sah ihn fragend an.
„Ist irgend etwas, Thomas?“
fragte sie.
David sah auf sein Blatt und
rührte sich nicht. Tommy hatte den Mund offen und starrte David von
der Seite her an.
Dann fasste er sich und antwortete:
„Nein, es ist nichts. Entschuldigen Sie bitte.“
David hob den Kopf und sah
Jessica an. Er nickte in Tommys Richtung. Sie nickte unmerklich und setzte
den Unterricht fort. Tommy schrieb keine weiteren Zettel mehr. Er war ausserordentlich
still in dieser Stunde.
Nach dem Läuten machte
er dann endlich wieder den Mund auf.
„Willst du mich verarschen,
David?“ fragte er leise.
Er schüttelte den Kopf.
„Du kannst sie ja fragen“,
antwortete er nur.
Tommy nahm das ernst und sprang
auf, um ihr noch nachzukommen.
„Miss Sheen, warten Sie!“
rief er.
Sie drehte sich um und sah
ihn fragend an. Scheinbar wusste sie, welche Frage er ihr stellen wollte,
denn sie antwortete sofort: „Ja, es ist wahr. David ist mein Sohn und Andrew
Slater ist sein Vater“, sagte sie so leise, dass nur er es hören konnte
und ging davon. Tommy drehte sich langsam um und kam zu David zurück.
„Wie ist das möglich?
Ich meine, du hast doch Eltern“, fragte Tommy noch immer vollkommen erschrocken
und verwirrt.
„Ja, ich habe Eltern, aber
die haben mich adoptiert. Das ist der Grund, warum ich keine Geschwister
habe. Meine Mutter, also meine Adoptivmutter, kann keine Kinder bekommen,
darum haben sie mich adoptiert.“
Tommy starrte ihn nur an.
„Das kann ich einfach nicht
glauben. Das ist doch nicht möglich. Dein grösstes Idol ist dein
Vater.“
David hob wieder den Finger
vor den Mund.
„Sei doch leise, Tommy.“
Er sah sich vorsichtig um,
aber niemand schien sie gehört zu haben. Tommy war immer noch ziemlich
blass, aber sein Mundwerk hatte er wieder zurückgewonnen.
„Was ist, kannst du mich ihm
mal vorstellen?“ grinste er.
David grinste zurück.
„Ich denke, das wird sich machen lassen.“
Tommy und David setzen sich
wieder an ihre Plätze zurück, aber sie - vor allem Tommy - konzentrierten
sich nicht auf die Stunde. Tommy war vollkommen von der Idee begeistert,
dass er Andrew Slater kennenlernen würde und dass dessen Sohn sein
bester Freund war.
Nach dieser Stunde gingen
sie in der Mittagspause in die Kantine, wo Tommy sich weiter über
Andy unterhalten wollte. Er wollte alles wissen, wie er persönlich
war, ob er auch ungeschminkt so gut aussah und alles solche Sachen.
David betonte immer wieder,
dass er leise sein sollte, und mit der Zeit schien er das dann auch zu
kapieren.
„Hey, Ellison, du hast Besuch!“
erklang da plötzlich eine laute Stimme, die durch die ganze Kantine
hindurch schrie. Alle sahen sich um.
David drehte sich erschrocken
um und sah Jim Nessiri, der junge Mann, mit dem er sich am meisten prügelte.
Er war ein Jahr älter als David, und war in der Schule kein Ass, was
vermutlich der Grund war für die Prügeleien. Er war eifersüchtig
und jedesmal, wenn klar wurde, dass David wieder eine Eins hatte, und Jim
nicht, kam es meistens zu einer Schlägerei.
David stand auf und ging auf
Jim zu, der ihn herausfordernd ansah.
„Was willst du?“ fragte David
und spannte sich, um einen eventuellen Angriff von Jim entgegenzuwirken.
„Ich will gar nichts“, antwortete
Jim grinsend, „Aber dieser Herr dort möchte dich sprechen.“
Er zeigte auf einen Mann,
der so um die dreissig sein mochte und der sich suchend umsah. Er hatte
einen Anzug an, aber man sah deutlich, dass der Mann ziemlich viel Muskeln
hatte.
David musterte den Mann und
lächelte Jim dann falsch an.
„Vielen Dank, dass du dir
die Mühe gemacht hast, mich zu informieren“, sagte er und wandte ihm
den Rücken zu.
Er ging auf den Mann zu und
sagte: „Sie haben nach mir gesucht, Sir?“
Der Mann nickte erleichtert
und lächelte. „Mein Name ist Richard Cloony. Ich bin Leibwächter
Ihres Vaters.“
David sah sich rasch um und
zeigte in eine ruhigere Ecke, wo sie sich ungestörter unterhalten
konnten.
„Er hatte heute morgen einen
Unfall mit dem Wagen. Er liegt jetzt in der Intensivstation des Central
Hospital.“
David erbleichte. Andy hatte
einen Unfall und lag auf der Intensivstation.
„Ich werde Sie zu ihm bringen,
wenn Sie wollen“, schlug Cloony ihm vor. David nickte sofort.
Tommy war ebenfalls aufgestanden
und kam auf ihn zu, gerade, als David gehen wollte.
„Hey, Mann, wo gehst du hin?“
rief er und rannte, bis er ihn erreicht hatte.
„Ich gehe zu ... meinem Vater.
Er hatte einen Autounfall“, erwiderte David und sah Tommy so an, dass dieser
merkte, wer David mit seinem Vater meinte.
Tommy nickte und meinte: „Ich
sage es den Lehrern.“
David dankte ihm und rannte
dann mit dem Leibwächter zu seinem Wagen.
„Wie ist sein Zustand?“ fragte
er, als der Leibwächter losgefahren war.
„Es ist kritisch. Die Ärzte
sind sich nicht sicher, ob er es überleben wird“, antwortete Cloony
wahrheitsgemäss.
David schluckte schwer. Kaum
hatte er seinen wirklichen Vater gefunden, da sollte er ihn auch schon
wieder verlieren. Das war doch einfach nicht fair.
Sie kamen schnell beim Krankenhaus
an, wo schon eine Menge Journalisten und Reporter warteten. Sie fotografierten
David und den Leibwächter, als sie in das von ihnen belagerte Zimmer
gingen, aber sie hatten keine Ahnung, was David mit Andy zu tun hatte.
David war viel zu verwirrt, um darauf zu reagieren.
Er trat in einen Vorraum,
hinter dessen grossen Scheiben er seinen Vater sehen konnte, der an die
vielen Geräte angeschlossen waren und kaum noch zu leben schien. Überall
auf seinem Gesicht waren Verbrennungen und Kratzer.
„Es tut mir leid. Sie dürfen
hier nicht hinein“, sagte ein Mann, der vollkommen in weiss gekleidet war
zu David.
Sofort mischte sich der Leibwächter
ein. „Er ist David Ellison. Ich habe Ihnen von ihm erzählt.“
Der Arzt zögerte und
nickte dann. „Okay. Sie können kurz zu ihm, aber nur kurz.“
David nickte dankend und zog
den grünen Sterilisierungskittel an.
Er ging in den Raum und trat
an Andys Bett. Er schien friedlich dazuliegen, aber ab und zu zuckte sein
Gesicht unter den Schmerzen, die er eindeutig haben musste.
David unterdrückte die
Tränen. Er hatte kein Recht, sich selbst leid zu tun, weil er vielleicht
seinen Vater verlieren würde. Das durfte er einfach nicht. Wäre
er mehr religiös gewesen, hätte er vielleicht für ihn beten
müssen.
„Kommen Sie bitte wieder,
Mr Ellison. Er braucht Ruhe.“
War er schon so lange hier?
Er war doch gerade erst gekommen.
Der Arzt zog ihn heraus und
meinte: „Ich werde Ihnen Bescheid geben lassen, wenn eine Veränderung
seines Zustandes eintritt.“
David nickte und ging fast
apathisch hinaus. Er wusste nicht, warum ihn das so betraf. Hätte
er Andy nur als Schauspieler gekannt, hätte es ihn sicher auch betroffen,
aber nicht so sehr. Aber er war sein Vater und nun hatte David bemerkt,
wie sehr er ihn liebte, obwohl er ihn eigentlich erst einen Tag kannte.
„Mr Ellison, ich werde Sie
nun am besten nach Hause bringen. Ruhen Sie sich dort aus.“
David nickte und ging wieder
mit dem Leibwächter durch die vielen Reporter, die fotografierten
und filmten. Er nahm sie nicht wahr.
Zuhause angekommen verkroch
er sich ohne eine Wort zu seinen Adoptiveltern in sein Zimmer und schloss
sich ein. Er wollte im Moment niemanden sehen. An Aufgaben konnte er schon
gar nicht denken. Die Schule war ihm im Moment total egal.
Er setzte sich mit angezogenen
Beinen auf das Bett und starrte an die Wand. Was würde er tun, sollte
Andy wirklich sterben? Würde er versuchen, wieder normal zu leben
und zu vergessen, dass er adoptiert war?
Er schaltete den Fernseher
an, aber nur, um etwas zu hören, nicht nur seinen eigenen Atem. Irgend
ein Mann und eine Frau redeten miteinander; er verstand sie nicht.
Nach einer Weile erregte etwas
seine Aufmerksamkeit. Die Nachrichten liefen. Er sah sich selbst, wie er
mit verstörtem Gesicht durch die Reporter geschleust wurde. Man sah
ihn nur von der Seite, aber er erkannte sich selbst.
„Andrew Slater, ein berühmter
Schauspieler, wurde heute nach einem Autounfall mit schweren Brandwunden
und inneren Verletzungen in Krankenhaus eingeliefert. Die Ärzte können
noch nicht mit Sicherheit sagen, dass er überleben wird.
Eine weitere Frage stellt
sich jedoch unseren Reportern vor Ort: Wer ist dieser junge Mann, der vom
Leibwächter Richard Cloony begleitet wird? Inwiefern steht er mit
Andrew Slater in Verbindung? Richard Cloony auf diese Frage:“ sagte eine
Frauenstimme am Fernseher. Man sah das Gesicht von Cloony, wie er von allen
Reportern umringt war.
„Kein Kommentar!“ sagte er.
Eigentlich sollte das ein
Witz sein, aber David lachte nicht.
„Wir bleiben diesem geheimnisvollen
jungen Mann auf jeden Fall auf der Spur.“
David wusste, dass sein ruhiges
Leben nun wohl vorbei sein würde. Bestimmt hatten einige Reporter
seinen Wagen verfolgt und würden bald hier auftauchen.
„David, ein paar Leute wollen
mit dir reden“, rief seine ‘Mutter’. Er seufzte. Er musste sich jetzt zusammennehmen.
Er stand auf und öffnete
die Tür. Seine Mutter stand unten an der Treppe.
„Ich habe es gehört.
Es tut mir so leid für dich“, flüsterte sie.
Er nickte nur und sah sie
fragend in Richtung Tür an.
„Es sind Reporter“, sagte
sie nur und er wusste, was sie wollten.
Er ging zögernd die Treppe
hinunter und sah viele Kameras auf ihn gerichtet, und auch Fotoapparate.
„Haltet auf ihn. Ja, so ist
gut“, riefen die Stimmen und er musste sich zusammennehmen, um nicht gleich
wieder wegzulaufen.
„Mr Ellison, Sie waren vorher
im Krankenhaus. Was haben Sie mit Andrew Slater zu tun?“ riefen weitere
Stimmen und hielten ihm ihre Mikrophone unter die Nase.
Er zögerte. Sollte er
mit der Wahrheit rausrücken? Würde das Andy auch wollen? Aber
hatte er nicht gesagt, er könne verstehen, wenn er es nicht gleich
weitersagen wolle, es aber nicht schlimm finden würde, wenn er es
tat?
„Die Kameras bleiben draussen“,
sagte er mit fester Stimme.
Die Reporter schickten ihre
Kameramänner zurück und kamen herein. Sie begrüssten seinen
Vater höflich und nahmen auf der gezeigten Couch Platz.
Thomas war auf einmal viel
erwachsener, als er es eigentlich sonst war.
„Wieso waren Sie im Krankenhaus,
Mr Ellison?“ fragte einer der Reporter und hielt seinen Block bereit, um
sich die Antwort aufzuschreiben.
„Ist es verboten, ins Krankenhaus
zu gehen?“ fragte Thomas scherzhaft zurück.
„Warum wurden Sie von Mr Cloony
begleitet?“ stellte der Reporter die Frage anders.
David zögerte und sah
seine Mutter an, die an der Wand lehnte. Sie nickte kaum merklich. Er sah
auf den Boden. Schweigen breitete sich aus. Die Reporter warteten gespannt
auf seine Antwort.
„Mr Cloony holte mich aus
der Schule ab, nachdem sich der Unfall ereignet hatte. Er hielt es für
angebracht, Andrew Slaters ... Sohn zu informieren.“
Für einen Moment verschlug
es den Journalisten die Sprache. Sie hatten sehr wohl verstanden, was er
damit sagen wollte.
„Sie sind Andrew Slaters Sohn?“
fragte eine Reporterin leise.
Er nickte und schlug die Augen
nieder.
„Sie wissen sicher, dass wir
so ziemlich jedes Gerücht auffangen. Von einem Sohn haben wir bis
jetzt noch nie etwas gehört.“
David lächelte gequält.
„Bis vor zwei Tagen habe ich auch noch nichts davon gehört. Meine
richtige Mutter hatte mich sehen wollen. Als ich das erfuhr, stellte sich
natürlich auch die Frage, wer dann mein wirklicher Vater sei. Es war
Andrew Slater. Ich habe ihn gestern zum ersten Mal getroffen.“
Die Journalisten erholten
sich langsam von ihrem Schock.
„Er hat Sie also mit Ihrer
Mutter zur Adoption freigegeben“, stellte einer fest.
David nickte. „Sie waren beide
noch ziemlich jung, wie Sie sich vielleicht denken können. Meine Mutter
war gerade sechzehn, mitten in ihrem Studium. Sie konnte sich kein Kind
leisten. Und Andy stand am Anfang seiner Karriere.“
„Wer ist Ihre Mutter?“
David starrte den Reporter
an. „Das geht niemanden etwas an!“ Seine Stimme war barsch und dudelte
keine weitere Frage in dieser Richtung.
„Sie verstehen also, warum
Sie weggeben wurden?“ wechselte ein anderer das Thema.
„Natürlich. Ich verüble
es ihnen nicht. Wäre ich an ihrer Stelle würde ich es vermutlich
gleich machen.“
Er schickte die Reporter bald
wieder weg und ging hinauf. Seiner Mutter sagte er, dass sie immer seine
Mutter bleiben würde, auch wenn seine biologischen Daten nicht mit
ihren übereinstimmten.
Er ging zurück ins Bett
und musste wieder an Andy denken. Würde er wirklich sterben? Das konnte
doch einfach nicht sein. Er durfte nicht einfach sterben. Das würde
David nicht verkraften. Er hatte eben gerade erst einen neuen Vater bekommen,
sollte er ihn jetzt schon wieder verlieren?
Als David am nächsten
Morgen aufstand, fühlte er sich elend und als hätte er kein Auge
zugetan. Es kam ihm alles so unwirklich vor, dass sein Vater im Krankenhaus
lag, nachdem er ihn gerade erst kennengelernt hatte.
Er stand missgelaunt auf,
zog sich an und ging ohne etwas gegessen zu haben aus dem Haus. Er sah
sich verstohlen um, doch keine Reporter belagerten das Haus. Da hatte er
ja noch einmal Glück gehabt.
In der Schule rannte Tommy
sofort auf ihn zu und fragte, was passiert sei. Er habe ihn in den Nachrichten
gesehen. David erzählte ihm kurz, was passiert war und versteckte
sich dann solange, bis es läutete, damit niemand anderer mehr auf
ihn zu kam und ihn darauf ansprach. Vermutlich würde es sowieso bald
die ganze Schule wissen, bis dahin wollte er wenigstens noch Ruhe haben.
Niemand in seiner Klasse sprach
ihn darauf an. Er atmete erleichtert auf. Sie hatten keine Nachrichten
geschaut. Die Stunde begann, ohne dass etwas besonderes geschehen war.
Doch mitten in der Stunde
klopfte es. Der Direktor der Schule kam herein und sprach kurz mit dem
Lehrer. Immer wieder warf er einen Blick auf David. Dieser wusste sofort,
dass es um Andy ging.
Der Lehrer winkte David zu
und er stand auf. Hinter ihm entstand Gemurmel. Der Direktor nahm ihn mit
sich hinaus und zeigte an das Ende des Ganges. Dort standen Reporter, die
von ein paar Sekretärinnen aufgehalten wurden. Als sie sahen, dass
er aus dem Zimmer gekommen war, riefen sie sofort laute Fragen durch den
ganzen Gang hindurch und stiessen die Sekretärinnen zur Seite. Die
Lichter der Kameras wurden auf ihn gerichtet und alle stellten Fragen,
die man in dem Durcheinander aber nicht verstehen konnte.
Der Direktor hob die Hände
und versuchte, die Menge zu beruhigen, allerdings aber nur mit mässigem
Erfolg. „Ich bitte Sie, Ladies und Gentlemen, bitte seien Sie ruhig. In
den anderen Zimmer ist Unterricht.“ Es waren nämlich schon Köpfe
von Lehrern durch die Türe gesteckt worden, die sich fragten, was
der Lärm hier draussen soll.
David blieb stumm und achtete
kaum auf die Reporter. Er wusste, dass er ein Statement abgeben musste,
aber was sollte er sagen?
„Meine Damen und Herren, ich
weiss nicht, was Sie von Mr Ellison wollen, doch ich bin sicher, es handelt
sich um ein Missverständnis“, versuchte es der Direktor wieder.
David schüttelte leicht
den Kopf. „Nein, Herr Direktor, es ist kein Missverständnis. Ich weiss
genau, warum diese Leute hier sind, aber ich bin nicht bereit, mit ihnen
zu reden, darum werde ich wieder ins Zimmer zurückgehen.“
Er drehte sich um und öffnete
die Tür zum Zimmer wieder. Hinter ihm ertönte wieder lautes Geschrei,
doch er kümmerte sich nicht darum. Seine Klassenkollegen starrten
ihn mit grossen Augen an. Sie wussten nicht, was draussen vor sich ging,
aber sie waren begierig darauf, es zu erfahren.
Tommy sah ihn kurz an, und
wusste gleich, von was der Lärm stammte. Er schaute genug Filme, um
den Lärm erkennen und kombinieren zu können.
Nach einer Weile kamen der
Lehrer und der Direktor wieder herein. Der Direktor verlangte, dass David
mitkäme. Die Schüler hatten ihn mit Fragen bestürmt wie
vorhin die Reporter, aber er hatte nicht geantwortet. Als der Direktor
ihn nach draussen beorderte, was er unglaublich erleichtert, dass die Reporter
von Sicherheitswächtern hinaus befördert worden waren.
Er musste mit ins Büro
des Direktor, wo dieser ihn fragend ansah. „Sie sind wohl der einzige Schüler,
der so viele Male in meinem Büro war und noch immer an der Schule
ist“, begann er.
Der Direktor war ein netter
Mann und er hegte eine grosse Sympathie für David. Das fand dieser
jedoch unfair den anderen gegenüber, doch er liess es trotzdem zu.
Was hätte er schon dagegen tun sollen? Es war ihm ja ziemlich nützlich.
„Ich weiss, Sir“, antwortete
David und versuchte ruhig zu bleiben. Auf einmal hatte er zu zittern begonnen
und konnte seine Hände kaum noch ruhig halten. Die Reporter hatten
ihn mehr erschreckt als er zugeben wollte. Sie waren auf einmal dagewesen,
da hatte er gar keine Zeit gehabt, um zu reagieren, aber jetzt, wo er in
aller Ruhe darüber nachdenken konnte, musste er zugeben, dass er nicht
mit einer solcher Reaktion von sich selbst gerechnet hätte. Er hatte
gedacht, ein paar Reporter, die ein paar Fragen stellen, mit denen werde
er schon fertig, aber scheinbar war es trotzdem nicht so einfach.
„Also, ich dulde sehr viel
von Ihnen, weil Sie ausgezeichnete Noten haben, aber das geht zu weit.
Reporter in einer Schule! Wie kommen Sie dazu, sie hierher zu bringen?
Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?“
David verstand den Direktor
zuerst nicht ganz, bis ihm klar wurde, dass dieser glaubte, er hätte
ihnen eine Nachricht geschickt, dass sie hierher kommen sollten.
„Verzeihen Sie, Sir, Sie verstehen
da etwas nicht ganz richtig“, versuchte er sich zu verteidigen, aber der
Direktor liess ihn nicht ausreden.
Scheinbar schäumte er
vor Wut. „Ich verstehe nur zu gut! Sie haben sich einen dummen Scherz erlaubt!
Das war genau einer zuviel. Ich kann Sie nicht länger an dieser Schule
dulden!“
David hob abwehrend die Hände.
Was der Direktor sagte, gefiel ihm ganz und gar nicht. „Nein, Sir, Sie
verstehen nicht...“
„Ich verweise Sie hiermit
von der Schule!“ donnerte die Stimme des Direktors durch den Raum.
David stand empört auf.
„Sir, Sie verstehen diese ganze Sache nicht. Ich bin ... ich bin Andrew
Slaters Sohn!“
Das hatte eine gewisse Wirkung
auf ihn. Obwohl der Direktor selbst wohl kaum solche Actionfilme schaute,
in denen Andrew mitspielte, war er doch einigermassen auf dem Laufenden,
weil er einen Sohn hatte, der nur ein paar Jahre jünger war als David
selbst.
„Verlassen Sie sofort mein
Büro, Mr Ellison. Solche Unverschämtheiten werde ich mir nicht
länger bieten lassen!“
David stöhnte auf. Er
war noch nie dispensiert worden und jetzt wurde er gleich verwiesen. Mit
so einer Akte würde ihn keine Schule mehr gerne nehmen wollen, auch
wenn er noch so gute Noten mitbrachte. Er versuchte noch einmal, dem Direktor
die Sachlage zu erklären, doch dieser verbannte ihn aus seinem Büro.
Wutentbrannt stürmte
David in den Gang hinaus. Ein Sicherheitsbeamter stand noch immer bei der
Tür und achtete darauf, dass keiner der Reporter wieder hineinkam.
David ging in die andere Richtung
zu seinem - ehemaligen - Schulzimmer. Dort sah er durchs Fenster. Der Lehrer
drehte ihm gerade den Rücken zu, doch Tommy bemerkte ihn sofort. Er
machte ein fragendes Gesicht, und David versuchte ihm zu erklären,
was passiert war. Er schrieb gross auf ein Blatt Papier das Wort „Verwiesen“.
Tommy liess seinen Mund auffallen und machte den Vogel, um zu zeigen, dass
der Direktor wohl einen habe.
Dann plötzlich wandte
er sich an den Lehrer und fragte etwas. Dieser runzelte die Stirn, nickte
aber. Tommy packte seine Sachen zusammen und kam aus dem Zimmer.
„Der ist wirklich zu gutgläubig.
Er glaubt tatsächlich, mir wäre schlecht“, grinste Tommy und
zusammen gingen sie den Gang entlang, „Also, was ist los? Der Direktor
hat dich verwiesen?“
„Ja, mit ziemlich eindeutigen
Worten.“
„Was? Aber warum denn? Was
kannst du dafür, wenn die Reporter dich bedrängen?“ fragt Tommy
entsetzt.
„Ich habe versucht, es ihm
zu erklären, aber er wollte mir nicht zuhören. Er glaubt, ich
habe mir einen Scherz erlaubt. Mann, dieser Typ nervt! Mein Vater liegt
im Sterben und er verweist mich von der Schule! Das ist genau das, was
ich jetzt noch gebraucht habe.“
Tommy blieb stehen und fasste
David fest an den Schultern. Er blickte ihn tief in die Augen. Eigentlich
war es bist jetzt immer David gewesen, der erwachsen war, aber jetzt war
es auf einmal Tommy.
„Hör mir zu, Dave, hör
mir zu. Dein Vater wird nicht sterben! Hörst du? Er wird überleben
und der Direktor wird auf den Knien angekrochen kommen und sich bei dir
entschuldigen!“
Das entlockte David ein leichtes
Lächeln, auch wenn er es gar nicht wollte. Tommy lächelte ebenfalls
und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schultern.
„Wir gehen jetzt in den Park
und relaxen ein wenig, okay?“
David sagte nicht nein, denn
Tommy hätte das nicht akzeptiert und hätte ihn mitgezogen. Sie
setzten sich auf die Wiese und liessen die Sonne auf ihr Gesicht scheinen.
„Die anderen haben mich gefragt,
was der Direktor von dir wolle“, sagte Tommy nach einer Weile des Schweigens.
„Und, was hast du ihnen gesagt?“
fragte David zurück. Fast wünschte er sich, Tommy hätte
ihnen die ganze Wahrheit erzählt, doch er wusste, dass dieser das
nie ohne seine Erlaubnis tun würde.
„Ich habe gesagt, ich wisse
es nicht, aber sie haben es mir nicht geglaubt“, gab Tommy zurück.
David lachte. „Natürlich
glauben sie dir das nicht. Du weisst alles über mich.“
Er liess sich nach hinten
fallen und stöhnte: „Ich wünschte, Jessica Sheen wäre nie
hier aufgetaucht.“
Sein Freund rupfte Gräser
aus und kaute auf einem. Er nahm die ganze Sache viel leichter, sie betraf
ihn auch nur indirekt. „Weisst du was? Du musst ein Statement abgeben.
Du musst die Reporter bitten, dich in Ruhe zu lassen.“
David machte eine unbestimmte
Bewegung. „Du hast gut reden. Die belagern unser Haus und sind jetzt sogar
in der Schule. Die werden mich nicht in Ruhe lassen.“
Tommy grinste leicht. „Dann
besorg dir einen Leibwächter.“
David schlug nach ihm, aber
er hatte sich schon auf die Seite gerollt. Er rollte ihm nach und sie tollten
über die Wiese wie kleine Jungs. Da sie leicht schräg war, rollten
sie hinunter, bis sie wieder auf ein gerades Stück kamen. Dort blieben
sie lachend liegen. Tommy war die beste Medizin, die David sich vorstellen
konnte.
„Weisst du was?“ fragte er
da plötzlich, „Das mit dem Statement, das ist gar keine so schlechte
Idee.“
Er stand auf und rannte zu
seiner Tasche zurück. „Ich muss Jessica suchen“, rief er Tommy zu.
Dieser hob fragend die Hände, bekam aber keine Antwort.
David rannte zurück ins
Schulhaus und schlich sich durch die Feuertür hinein. Er ging zum
Lehrerzimmer und klopfte. Ein ihm unbekannter Lehrer öffnete.
„Ist Miss Sheen hier?“ fragte
er wie ein braver Schüler.
Der Lehrer ging nachschauen
und Jessica kam zurück. Als sie ihn sah, lächelte sie ihn an.
„Es tut mir so leid, David“,
sagte sie leise. Sie umarmte ihn nicht, weil sie in der Öffentlichkeit
waren.
David neigte leicht den Kopf.
„Hast du die Telefonnummer von Andys Pressesprecher?“
Sie starrte ihn verwirrt an.
„Für was brauchst du die?“
„Tommy meinte, ich soll ein
Statement abgeben. Wenn ich die Fragen der Reporter beantworte, werden
sie mich nicht mehr so aufdringlich belästigen.“
„Haben sie dich belästigt?“
fragte sie.
David nickte. „Sie sind gestern
bei unserem Haus gewesen und heute in der Schule. Der Direx hat mich deswegen
verwiesen. Er glaubt, es sei alles nur ein dummer Scherz.“
Jessica antwortete sofort:
„Ich werde mit ihm reden und ihm die ganze Sache erklären.“
Aber David schüttelte
den Kopf. „Nein, dann wird er dich entlassen, weil du nicht gesagt hast,
dass ich dein Sohn bin. Man darf nicht seine eigenen Kinder unterrichten.“
Sie winkte ab. „Nein, ich
bin sicher, er wird das verstehen. Wenn ich es ihm genau erkläre,
wird er -“
Er unterbrach sie: „Ich will
nur die Telefonnummer von Andys Pressesprecher. Ich will nicht, dass du
irgend etwas unternimmst, okay?“ Er klang auf einmal viel erwachsener,
als er eigentlich war.
Sie nickte widerwillig und
gab ihm die Nummer von Andys Agenten, der auch für die Presse zuständig
war. Er dankte ihr und ging zum nächsten Telefon. Dort tippte er die
Nummer ein und liess es läuten.
Es dauerte eine ganze Weile,
bis jemand abnahm.
„Hallo?“
„Äh, hi, ist da Mr Carter?“
zögerte David.
„Ja, wer spricht denn dort?“
kam die leicht gereizte Antwort.
Er atmete ein und sagte: „Mein
Name ist Ellison, David Ellison. Ich wollte -“
„David, gut, dass Sie anrufen!“
Auf einmal klang die Stimme nicht mehr gereizt. Eher erleichtert. „Ich
wollte Sie auch schon anrufen, aber es gibt im Moment ganz viel Stress.“
„Äh, ja, ich wollte Sie
fragen, ob ich ein offizielles Statement abgeben kann“, begann er. Er kam
sich plötzlich wahnsinnig kindisch vor, warum wusste er auch nicht
genau.
„Wie wäre es, wenn wir
uns gleich treffen? Sagen wir in einer Viertelstunde bei Ihrer Schule,
okay?“
David willigte ein und legte
den Hörer wieder auf. Er packte seinen Rucksack und ging zum Haupttor
der Schule. Dort setzte er sich auf den Strassenrand und wartete. Nach
nur zehn Minuten kam ein teures Auto mit einer ungeheuren Geschwindigkeit
und der Fahrer öffnete ihm von innen die Tür.
„Hi, David, komm steig ein!“
David stand auf, klopfte sich
die Hosen ab und stieg in das noble Fahrzeug ein. Er gab dem Agenten die
Hand.
„Andy hat mir erzählt,
dass er einen Sohn hat, kurz bevor er den Unfall hatte. Er sagte mir, ich
solle ihn aus der Öffentlichkeit raushalten“, erzählte Carter,
während er den Wagen kehrte und auf die Strasse zurückfuhr, „Ich
glaube nicht, dass er will, dass Sie selbst ein Statement abgeben sollen,
David.“
Dieser runzelte die Stirn.
Er hatte Andy gesagt, er hätte es nicht gerne, wenn er dauernd im
Mittelpunkt stehen würde. Hatte er sich das so zu Herzen genommen,
dass er seinem Agenten gesagt hat, er solle sich darum kümmern? David
glaubte nicht, dass er sich so deutlich ausgedrückt hatte.
„Was schlagen Sie statt dessen
vor?“ fragte er.
Carter zuckte mit den Schultern.
„Ich werde eine offizielle Meldung durchgeben. Den Inhalten werde ich natürlich
mit Ihnen besprechen.“
David starrte auf die Strasse.
„Ich glaube nicht, dass das viel nützen wird“, gab er zu bedenken.
Carter warf ihm einen verwirrten
Blick zu. „Wie bitte?“
„Die Reporter wollen mich.
Sie wollen mein Gesicht, sie wollen meine Stimme, sie wollen meinen Körper.
Das kriegen sie nicht, wenn Sie die Pressemeldung mitteilen“, antwortete
David. Es erstaunte ihn, wie ruhig er das sagen konnte.
„Was schlagen Sie also vor?“
fragte nun Carter.
„Ich gebe ein Statement ab
und beantworte einige Fragen. Danach werde ich die Reporter bitten, mich
in Ruhe zu lassen, weil ich nicht weiter von Bedeutung bin.“
Carter lachte leise. „Das
ist eine gute Idee. Ich weiss zwar nicht, ob das den Worten Ihres Vaters
entspricht, aber wenn Sie das wollen ... Es ist Ihre Entscheidung.“
David nickte. „Ja, das ist
es. Und ich will es so.“
Carter zuckte mit den Schultern.
„Okay, dann schlage ich vor, wir fahren jetzt in mein Büro und besprechen
Ihren Text. Dann geben wir ein Datum für die Reporter bekannt.“
David war einverstanden. Carter
bog bei der nächsten Strasse ab und fuhr zu einem Parkgebäude.
Von dort aus gingen sie in das nächste Hochhaus. In der Tür war
ein Metalldetektor eingebaut und Sicherheitsbeamte standen überall
herum. Carter musste sich ausweisen und David bekam einen Gastausweis,
den er gut sichtbar anstecken musste. Erst nach all den Sicherheitschecks
kamen sie dann endlich in Carters Büro.
Er bot David etwas zu trinken
an, aber er lehnte ab.
„Ach ja, bevor ich es vergesse.
Glauben Sie, dass Sie mit meinem Direktor sprechen können?“ fragte
David plötzlich.
Carter setzte sich in den
Stuhl vor David und fragte verwirrt: „Mit Ihrem Direktor?“
„Er hat mich von der Schule
verwiesen, weil eine Meute von Reportern in das Schulhaus eingedrungen
ist. Er glaubt, es wäre ein Scherz von mir gewesen.“
Carter lachte. „Es wird mir
ein Vergnügen sein. Was meinen Sie, soll ich ein paar Sicherheitswächter
mitnehmen? Das macht bestimmt Eindruck.“
Nun musste auch David lachen.
Dann begannen sie einen Text zu verfassen, der die Geschichte von Davids
Treffen mit Andy erzählte. Sie brauchten ziemlich lange, weil Carter
darauf bestand, dass er perfekt war. Für die Journalisten müsse
das so sein, sonst nehmen sie es gar nicht richtig ernst.
Es war schon nach Mittag, als
sie endlich damit fertig waren. Carter lud David zum Mittagessen ein, aber
er lehnte es ab. Er wolle lieber seinen Vater besuchen. Der Agent brachte
ihn hin. Er versprach ihm, ihn morgen abend um fünf Uhr zur Pressekonferenz
abzuholen. David verabschiedete sich und ging auf die Intensivstation.
„Kann ich zu Andrew Slater?“
fragte er die Schwester am Empfang.
Sie musterte ihn. „Können
Sie sich ausweisen?“ war ihre unfreundliche Antwort. Er gab ihr den Gastausweis,
den er noch von vorher hatte, und seinen Schülerausweis.
„Ach ja, der Sicherheitsdienst
hat Ihnen die Erlaubnis gegeben ihn zu besuchen. Aber nur fünf Minuten.“
Er dankte ihr und ging durch
die Hygienebarriere, wo er den grünen Umhang anziehen musste. Als
er in das Zimmer trat, war gerade ein Arzt bei seinem Vater. Er nickte
ihm zu und richtete seinen Blick dann auf Andy. In seiner Nase steckte
ein Schlauch und in der Hand war eine Injektion. Um seinen Kopf war ein
Verband.
„Doktor, wie geht es ihm?“
fragte er den Arzt, bevor er das Zimmer verliess.
Er drehte sich um und sah
ihn an. „Seine Lage ist immer noch kritisch. Er liegt zwar nicht im Koma,
aber trotzdem ist er schwer verletzt.“
David dankte ihm und setzte
sich auf den Stuhl neben dem Bett. Er musterte den Mann. Er war nicht mehr
der Star, das Vorbild, das er bewunderte. Er war sein Vater. Und er hatte
Angst, dass er ihn verlieren könnte.
Er kam sich kein bisschen
lächerlich vor, als er zu reden anfing. Er hatte von Leuten gehört,
die behaupteten, sie hätten ihre Angehörigen reden gehört,
werden sie im Koma lagen.
„Ich habe heute mit deinem
Agenten gesprochen. Er hat mir davon abgeraten, selbst vor die Kameras
zu treten, aber ich möchte es tun. Ich bin ein schlechter Schauspieler,
aber ich glaube, das werde ich schaffen. Die werden nicht Ruhe geben, bevor
sie das haben, was sie haben wollen. Und das bin im Moment nun mal ich.
Sie sind sogar schon in die Schule gekommen. Dafür hat der Direx mich
verwiesen. Er wird es aber bald bereuen“, erzählte er und lachte dabei
leise, „Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas einmal passieren
würde. Wenn ich aus dem Haus gehe, schaue ich mich um, ob da nicht
irgendwelche Leute rumlungern, die ich nicht kenne. Sogar in der Schule
habe ich das Gefühl, als ob mich alle schräg anstarren würden.
In meiner Klasse wollen jetzt auch alle wissen, was los sei, seit diese
Reporter aufgetaucht sind. Morgen abend wird es dann die ganze Schule wissen
und der Rest der Welt.“
Er stockte und nahm instinktiv
Andys Hand. „Ich bereue es nicht, dass ich dich zum Vater habe. Ich wünschte
mir nur, dass du ein ganz normaler Mensch wärst. Dann wäre es
um einiges leichter.“
Er steht auf und verabschiedet
sich. „Ich komme morgen vor der Pressekonferenz noch einmal vorbei. Ich
habe ja jetzt alle Zeit der Welt, wenn ich nicht in die Schule muss.“
Dann ging er hinaus, zog den
grünen Umhang wieder aus und verliess das Krankenhaus. Mit gesenktem
Kopf ging er die Strassen entlang. Seine Gedanken waren irgendwo weit weg.
Er konnte später nicht sagen, ob er überhaupt irgend etwas gedacht
hatte.
Unwillkürlich nahm er
den Weg zur Schule zurück. Er wusste, dass Tommy unterdessen wieder
in den Stunden war. Er konnte es sich nicht leisten, einfach einen Tag
zu fehlen, weil er dann nicht mehr mitkam.
Er setzte sich auf eine Bank
draussen in der Sonne und wartete still darauf, dass die Glocke läutete.
Bei diesem schönen Wetter kamen alle in der Pause hinaus, Tommy würde
ihm schon über den Weg laufen. Er schloss die Augen und richtete das
Gesicht gegen die Sonne.
Als die Glocke ertönte,
reagierte er nicht, sondern blieb einfach so sitzen. Nach einer Weile spürte
er, wie sich jemand neben ihn setzte.
„Hey, Dave“, sagte Tommy.
Da erst öffnete er seine
Augen und sah seinen Freund an. „Das mit dem Statement war wirklich eine
gute Idee“, sagte er lächelnd.
Tommy grinste. „Ja, machst
du eine Pressekonferenz? Krieg ich auch einen Platz?“
David lächelte leicht.
„Andys Agent wollte sowieso eine machen und baut mich mit ein.“
David musterte die Schüler,
die sich auf dem Gelände der Schule herumtummelten. Da kam auf einmal
Carter. Ihn begleiteten vier Männer in schwarzen Anzügen und
schwarzen Sonnenbrillen. Carter nickte ihm fast unmerklich zu und ging
geradewegs in die Schule hinein. Mit offenem Mund starrte David ihm nach,
genau wie Tommy.
„Er macht es tatsächlich“,
rutschte es David heraus.
Tommy runzelte die Stirn,
während er immer noch auf die Tür starrte, hinter diese aus einem
Film entsprungene Bande verschwunden war. „Was tut er tatsächlich?“
„Ich habe ihn gefragt, ob
er mit dem Direx reden könne. Er sagte, er werde mit ein paar Sicherheitsleuten
gehen. Ich habe gedacht, es sei ein Scherz“, antwortete David und grinste
dann plötzlich. „Das Gesicht des Direx möchte ich sehen, wenn
er in sein Büro platzt.“
Tommy grinste auch. „Ja, das
müsste man auf Video aufnehmen. Wäre bestimmt sehr spassig.“
Er lachte laut und klopfte David auf die Schultern. „Freund, ich sage dir,
du wirst ein Star! Nach einer Verweisung wieder in die Schule zurück
zu können, das ist schon eine Sache für sich, vor allem in deinem
speziellen Fall.“
David zuckte ungerührt
mit den Brauen. „Darauf könnte ich verzichten. Willst du nicht meine
Rolle übernehmen?“
Tommy stand auf und stellte
sich vor ihm auf. „Sei doch nicht so pessimistisch, Mann. Dein Vater wird
wieder gesund und die Reporter lassen dich auch in Ruhe, sobald sie dich
ein paar Mal belästigt haben.“
David sagte „Haha“ und lachte
nicht. Tommy seufzte leicht und setzte sich.
Als es wieder in die Schule
zurück läutete, strömten alle Schüler hinein. Tommy
erhob sich wieder und verabschiedete sich von David.
David blieb sitzen und wartete
darauf, dass Carter endlich wieder auf dem Büro des Direx kam. Er
hätte sein Gesicht wirklich zu gerne gesehen. Ungefähr zehn Minuten
nach dem Läuten kam Carter mit seinen Bodyguards und dem Direktor
aus der Schule auf David zu.
Dieser stand sofort auf und
wischte sich die Hosen ab.
„Mr Ellison, ich widerrufe
Ihre Verweisung. Dieser Vorfall wird auch aus den Akten gestrichen. Es
tut mir aufrichtig leid, dass ich so voreilig gehandelt habe“, sagte der
Direx und streckte ihm versöhnend die Hand hin.
David nahm sie grinsend an
und packte dann seinen Rucksack. „Dann sollte ich wohl jetzt wieder in
die Klasse gehen. Sonst kriege ich noch einen Verweis, weil ich unerlaubt
von der Schule ferngeblieben bin“, scherzte er.
Dankend nickte er Carter zu
und lief zu seinem Klassenzimmer. Doch bevor er die Tür öffnete,
atmete er tief ein. Jessica Sheen stand im Klassenzimmer und schrieb etwas
an die Tafel. Seine Kollegen hörten ihr schweigend zu.
David öffnete die Tür,
entschuldigte sich kurz und setzte sich an seinen Platz. Jessica begrüsste
ihn lächelnd und fuhr dann mit dem Unterricht fort.
„Der Direx war immer noch
ganz bleich gewesen, als er meine Dispensierung widerrufen hat“, flüsterte
David Tommy zu.
Dieser grinste. „Hatte ja
auch allen Grund dazu.“
Am Abend hatte Tommy mit seiner
neuen Freundin abgemacht, während David Maraika gesagt habe, dass
er leider schon etwas anderes vorhabe, sie aber anrufen werde. Das war
gelogen.
David hatte keine Lust, jetzt
schon nach Hause zu gehen, also ging er in sein Lieblingsrestaurant und
trank etwas. Er war dort gerne allein und dachte nach. Wenn er seinen Lieblingsplatz
gerade am Fenster hatte, konnte er gemütlich den Leuten draussen zuschauen
und dabei wunderbar denken, über alles und jeden.
Im Moment dachte er an die
Zukunft. Sobald Andy wieder gesund war, musste er eine Entscheidung treffen.
Wollte er seine Eltern besser kennenlernen? Oder wollte er einfach akzeptieren,
dass seine psychischen Eltern nicht auch seine physischen waren? Er würde
gerne Jessica näher kennenlernen, und natürlich auch Andy, aber
das war schwierig. Immerhin war Jessica seine Lehrerin. Wenn herauskam,
dass sie seine Mutter war, würde man sie von der Schule werfen. Vielleicht
aber würde es Direx tatsächlich verstehen und nichts unternehmen,
sondern ihr einfach nur seine Klasse entziehen. Das wäre doch auch
möglich. Mehrere andere Schüler hatten den Vater oder die Mutter
an der gleichen Schule.
Bei Andy wurde die Sache komplizierter.
Er war gerade mitten im Dreh zu seinem neuen Film. Das zog sich bestimmt
noch über Monate hinweg. Und danach hatte er schon ein weiteres Angebot
angenommen. Und David war sich nicht sicher, ob er ihn wirklich näher
kennenlernen wollte. Er hatte sich bereit erklärt, mit ihm zu reden,
aber das hiess nicht, dass er mehr wollte. David war sich dessen wirklich
nicht ganz sicher.
Während er die Leute
auf der Strasse weiter beobachte, schwenkten seine Gedanken ab. Wie würden
die Menschen, die er kannte, auf diese Neuigkeit reagieren? Wie verhielten
sie sich hinterher ihm gegenüber? Was änderte sich? Veränderte
er sich auch?
Diese Frage beschäftigte
ihn sehr. Was war, wenn er von seiner plötzlichen Popularität
überrollt wurde? Vielleicht gefiel es ihm ja doch, auf einmal im Mittelpunkt
zu stehen. Er würde in der ganzen Welt bekannt werden.
Er schüttelte den Kopf.
Nein, er würde nicht überheblich und arrogant werden wie viele
andere, die von ihrem Ruhm überrascht wurden. Er bat morgen abend
um Verständnis dafür, dass er sein bisherigen Leben weiterleben
wollte. Es würde gar nicht erst zu dem Ruhm kommen, der ihm den Verstand
rauben konnte.
Er hatte in der letzten Nacht
nicht viel geschlafen und in der Schule hatte er kaum aufgepasst. Die anderen
Schüler hatten Fragen gestellt, viele Fragen, aber er hatte sie abgewiesen.
Nun kursierten die wildesten Gerüchte darüber, was nun wirklich
mit ihm los war. Keines traf die Wahrheit.
Je näher die Stunde kam,
in der die Pressekonferenz angesagt war, desto nervöser wurde er.
Er konnte nicht mehr still auf seinem Stuhl sitzen. Nach der Schule begleitete
ihn Tommy zum Büro von Carter. Dieser besprach noch einmal den Ablauf
mit ihm durch, und wies Tommy einen Stuhl in der vordersten Reihe zu.
Während David im Hinterzimmer
darauf wartete, dass man ihn herausholte, managte Carter die Pressekonferenz.
Er gab einige Informationen über Andys Unfalls, bevor dann endlich
die entscheidende Frage kam, wer der junge Mann war, der Andy Slater besuchte.
Carter stand auf und sah ins Publikum.
Die Meute war aufgeregt, gespannt
und es war total still, als er sagte: „Sein Name ist David Ellison, und
er ist der uneheliche Sohn von Andy Slater.“
Raunen ging durch den Raum.
Einige der Reporter hatten es noch nicht gewusst. Fragen wurden gestellt,
geschrien.
Carter versuchte, die Menge
wieder zu beruhigen und deutete, als es wieder still war, auf die Tür:
„Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen: David Ellison.“
Einer der Leibwächter
öffnete die Türe zum Hinterzimmer und David trat heraus. Blitzlichter
empfing ihn. Er neigte die Augen, damit er nicht geblendet wurde und ging
auf Carter zu. Der legte väterlich den Arm um seine Schultern und
deutete ihm, in die Menge zu sehen, damit die Reporter ihre Fotos bekamen.
Dann durfte er sich setzen.
„Mr Ellison wird jetzt ein
Statement geben.“
Damit nickte er David zu und
setzte sich wieder.
David blickte nervös
zu den vielen Leuten, die immer noch Fotos machten und ihn filmten. Er
schluckte schwer. Dann erblickte er Tommy, der mit einem breiten Grinsen
auf seinem Stuhl sass und den Daumen hochstreckte. Das linderte seine Nervosität.
Er lächelte ein bisschen und sah auf den Zettel, auf dem seine Rede
stand.
Er öffnete den Mund,
aber es kam nichts über seine Lippen. Alle waren still, warteten gespannt
auf das, was er sagen wollte, aber der Text kam ihm auf einmal schwachsinnig
und künstlich vor.
Er legte den Zettel weg und
begann zu sprechen. Seine Nervosität ist auf einmal wie weggeblasen.
„Eigentlich haben Mr Carter
und ich eine Rede vorbereitet, in der ich mich zu den geschehen Dingen
äussern wollte. Aber jetzt, da ich auf einmal vor Ihnen stehe, scheint
mir diese Rede sinnlos zu sein.
Ich weiss, was Sie wollen.
Sie wollen mich und mein ganzes Leben dazu. Es ist für Sie die Story,
mit der Sie Ihre Karriere ankurbeln können. Ich kann verstehen, wenn
Sie mich am liebsten bis auf die Knochen ausziehen möchten, um zu
sehen, was alles in mir versteckt ist. Es ist mir völlig klar, dass
Sie damit Ihren Lebensunterhalt verdienen und dass ich Sie nicht daran
hindern kann.
Ich bin neunzehn Jahre alt.
Ich bin in meinem letzten Jahr am College und möchte auf eine Universität
gehen. Der Mann, der schwerverletzt im Krankenhaus liegt, ist mein leiblicher
Vater, aber eigentlich hat er nichts mit mir zu tun. Seine Entscheidung,
mich zur Adoption freizugeben, war gut überlegt und logisch. Es besteht
keinen Grund, diese Entscheidung zu bereuen oder sie wieder gut machen
zu wollen.
Ich stehe Ihnen jetzt und
hier zur Verfügung und ich werde alle Ihre Fragen beantworten, sofern
ich dazu in der Lage bin. Aber nachher, wenn diese Pressekonferenz vorbei
ist, bin ich nichts mehr Besonderes. Dann bin ich nur wieder ein Teenager,
der versucht, mit seinem Leben klarzukommen.
Meine Damen und Herren, Sie
haben mich hier, Sie kriegen Ihre Fotos und Ihre Story. Schreiben Sie so
viel Sie wollen über mich.
Aber bitte, lassen Sie mich
mein Leben weiter leben.“
Er stoppte und sah die Reporter
und Reporterinnen an. Sie waren völlig still und warteten darauf,
dass er weiter sprach, aber er blieb still. Seine Rede war keine Meisterleistung,
das war ihm klar, aber das hatte er auch nicht gewollt. Er war nur ein
Schüler, er war kein Star. Seine Rede musste nicht perfekt sein, um
eine Wirkung zu erzielen. Vielleicht lag die Wirkung gerade darin, dass
sie nicht perfekt war. Vielleicht zeigte das den Reportern, dass er eben
nur ein Teenager war, kein Star.
Auf einmal begann jemand weiter
hinten zu klatschen. Zuerst ganz langsam, dann schneller. Nach und nach
stimmten alle mit ein.
David war erstaunt, aber wahnsinnig
erleichtert und überaus erfreut. Er lächelte und für einen
kurzen Moment fragte er sich, ob es richtig war, die Reporter abzuweisen,
wenn er noch mehr solche Momente kriegen konnte.
Doch dieser Gedanke verschwand
schnell wieder. Er wusste, dass es die richtige Entscheidung war.
Nach einer Weile hörten
sie wieder auf zu klatschen und einer nach dem anderen begann Fragen zu
stellen. Sie redeten durcheinander, bevor Carter wieder Ruhe in sie brachte
und jemanden aufrief, seine Frage vorzubringen.
David beantwortete alle, so
gut er konnte, auch wenn er sich manchmal die Antwort erlaubte, dass er
sich lieber nicht dazu äussern wolle.
Jessica Sheens Name wurde
nie erwähnt, obwohl mehrere verlangten zu wissen, wer seine Mutter
sei. Er erklärte, dass sie ihren Job verlieren könnte, würde
man erfahren, wer sie ist. Die Reporter gaben sich nicht damit zufrieden
und hackten immer wieder nach, aber sowohl David als auch Carter blieben
unerbittlich.
Und dann war die Zeit um,
Carter beendete die Pressekonferenz und drängte David ins Hinterzimmer
zurück. Er sah ihn zuerst an, als wolle er fragen, was ihm eigentlich
einfalle, einfach die Rede zu vergessen.
Aber er sagte: „Gut gemacht,
David. Dein Vater wäre stolz auf dich.“
Er lächelte und klopfte
ihm auf die Schulter, als wäre er sein Vater.
„Ich habe heute, kurz vor
der Pressekonferenz mit dem Arzt gesprochen. Er ist überzeugt, dass
das schlimmste durchgestanden ist. Zwar ist er noch nicht völlig ausser
Lebensgefahr, aber auf dem besten Weg dorthin.“
... to be continued ...