Prolog
Ich konnte nicht mehr morphen.
Es war zu spät. Ich würde sterben.
Mir war schlecht.
Ich konnte nicht glauben was
ich da noch sehen musste.
Lena lag leblos neben mir.
Aus ihrem Mund und ihren Augen rann Blut.
Sie war tot. Sie war sofort
gestorben.
Aber in ihrem Arm lag völlig
unversehrt Mereen.
Ich wollte zu ihr. Ich musste
wenigstens sie noch retten.
Aber als ich mich aufrappeln
wollte, versagten meine Beine.
Meine gesamte linke Seite
und mein Rücken waren offen.
Eine riesige Wunde.
Wenn ich gewollt hätte,
hätte ich in die Wunde greifen können und einige Innereien heraus
ziehen können.
Ich wunderte mich, warum ich
überhaupt noch lebte.
Irgendwie schaffte ich es,
Lenas Hände zu erreichen.
Ich umschloss und betrachtete
sie. Sie waren durch und durch Menschlich. Und dennoch waren sie mir vertraut.
In meinen letzten Augenblicken
dachte ich an mein vergangenes Leben.
Ich dacht an meine Freunde,
die Animorphs.
An Cassies Scheune.
Sie war jetzt ein Trümmerhaufen.
Ich dachte an den Kampf gegen
die Yirks.
Dann dachte ich an meine Familie.
Ich sah das Gesicht meines
Vaters und meiner Mutter.
Und dann erinnerte ich mich
an Elfangor.
Früher, als ich noch
jung war, hatte ich mir immer gewünscht so zu sein wie er.
Mein Wunsch war in Erfüllung
gegangen
Ich war ein Prinz, ein grosser
Held.
Ich hatte mithelfen können,
die Yirks zu besiegen.
Dann schossen mir noch weitere
Gedanken durch den Kopf.
Ich dachte an Lena.
Genau wie Elfangor, hatte
ich mich in einen Menschen verliebt.
Lena........
Ich war glücklich mit
ihr gewesen.
Mir wurde schwarz vor Augen.
Ich dachte noch weiter.
Genau wie Elfangor würde
ich jetzt auch auf der Erde sterben.
Aber ich starb allein.
Die BlueBox lag neben mir
im Dreck.
Ich dachte an meine Tochter.
Würden die Menschen Mereen
lebend finden?
Da fiel mir noch etwas ein.
Mir der freien Hand tastete
ich nach der serra.
Als ich sie fand, konzentrierte
ich mich ein letztes Mal. Hoffentlich würden Jake und die anderen
sie jemals verstehen können.
Ich legte die serra in Mereens
Hände.
Dann sah ich in den Himmel.
Langsam schwanden meine Sinne.
Ich hielt Lenas Hand fest
umschlossen..............
Und in dem Moment in dem ich
starb, lachte er
Die Stimmen
„AAAAAAAAHHHHH!!!!!!“
Ein gellender Schrei schallte
durch das Bockses Waisenhaus.
„Mereen!“ Misses Protwing
rauschte in das Zimmer.
„Kind, bist du in Ordnung?“
Mereen atmete schwer. Sie
sass kerzengerade in ihrem Bett. Ihr Gesicht war noch blasser als sonst.
„Waren es wieder diese Träume?“
Mereen schluckte. Sie hatte
beim besten Willen jetzt keine Lust auf Umarmungen die sie trösten
sollten.
„Nein....nein Misses Protwing.
Es ist alles in Ordnung. Es waren nicht diese....“ sie räusperte sich
„.....Träume“
Die Betreuerin lächelte.
„Was sollte es denn sonst gewesen sein?“
Mereen knubbelte ihre Bettdecke
zusammen. „Naja..... da war etwas am Fenster und hat mich erschreckt....“
log sie. Misses Protwing lächelte noch immer. „Kind, wir sind im dritten
Stock!“
Mereen biss sich auf die Lippe
„Ein Vogel....?“ versuchte sie noch, aber bei ihrer Betreuerin gab es kein
Entrinnen. Misses Protwing war schon ziemlich alt und arbeitete schon in
diesem Waisenhaus, als es gerade erst fertig gestellt worden war.
Sie drückte Mereen an
sich. „Kind, vielleicht wäre es besser einen echten Psychiater aufzusuchen...“
Das war zu viel. „ICH BIN
NICHT VERRÜCKT!“ schrie Mereen.
„Scchhhh...das hat ja auch
niemand behauptet. Aber vielleicht kann er dir helfen diese Träume
los zu werden. Dann könntest du wieder schlafen, und..“
„Nein...es ist schon gut.
Das geht von alleine weg. Ich möchte jetzt schlafen.“
Mereen zwang sich ein Lächeln
ab.
„Also gut...dann... Gute Nacht!“
Misses Protwing drückte
sie noch ein mal. Dann verliess sie das Zimmer.
Es war wieder dunkel. Mereen
legte sich wieder hin und starrte an die Decke.
Was hatte die Stimme noch
gesagt?
„Ich werde mich rächen.....ich
werde zuerst deine Familie und dann dich töten....Und irgendwann werde
ich auch deine Freunde vernichten......“
An die Bilder die sie zusätzlich
gesehen hatte, konnte sie sich nicht erinnern.
„Welche Familie?“ dachte sie
bei sich.....
Mereen war dreizehn Jahre alt
und schon so lange sie denken konnte Vollwaise. Aus dem Bockses Waisenhaus
war sie die älteste. Sie kannte Misses Protwing seit sie hier herein
gekommen war.
Über ihre Eltern wusste
sie fast nichts, noch nicht einmal ihre Namen. Nur von ihrer Mutter wusste
sie, das sie, mit Mereen im Arm, hier, als das Waisenhaus noch nicht erbaut
war, tot aufgefunden worden war.
Irgendwie wurde um all das
ein grosses Geheimnis gemacht: Ihren Fragen wurde ausgewichen und die Todesursache
verschwieg man ihr.
Mereen war das alles ziemlich
egal gewesen- bis vor wenigen Wochen. Da hatte es mit den Träumen
angefangen
Eigentlich hatte sie schon
von klein auf Träume gehabt, aber so schlimm wie jetzt war es noch
nie!
Früher hatte sie ab und
zu mal im Schlaf verschwommene Bilder gesehen, die ihr am nächsten
Tag gleich wieder aus dem Gedächtnis gerutscht waren.
Jetzt wurden diese Bilder
immer deutlicher und Stimmen kamen hinzu, aus denen sie sich keinen Reim
machen konnte. Obwohl sie sich später nicht mehr genau erinnern konnte,
blieb doch ein Teil der Träume in ihr hängen und schien ein endloses
Puzzle zu ergeben.
Seither bemerkte Mereen auch
die ungewöhnlichen Eigenschaften an sich.
Sie war blass, aber es war
nicht diese kränkliche, weisse Farbe, sondern eher ein gesunder Grauton;
ja vielleicht sogar ein wenig bläulich. Richtig, wie kann grau gesund
aussehen? Aber es geht anscheinend....
Sie konnte so lange an die
Luft gehen wie sie wollte, sie bekam noch nicht einmal einen Hauch von
rosa auf den Wangen.
Sie hatte grosse, tiefgrüne
Augen, die immer glitzerten.
Ihr Haar war schwarz. Ein
seltsamer Schwarzton, der im Licht bläulich glänzte. Misses Protwing
und alle anderen Betreuerinnen meinten immer, so eine Farbe hätten
sie niemals gesehen.
Mereen konnte sehr schnell
denken. Besonders Mathematik. Sie konnte sich diese ganzen Formeln merken
und auch konstruieren. Schneller als irgendein anderer aus ihrer Klasse.
Und laufen und springen war
ihre grosse Stärke.
Manchmal hatte sie das Gefühl,
Stunden laufen zu können. Und sie geriet wirklich nie sehr früh
ausser Atem.
Und springen? Weitsprung?
Hochsprung? Darin war sie unschlagbar.
Das alles war ihr jetzt erst
bewusst geworden.
Und auch erst jetzt, nahm
sie die staunenden und ehrfürchtigen Blicke der anderen Leute war.
Anscheinend wussten alle,
was es mit ihrer Familie auf sich hatte, nur sie selber nicht.....
Am nächsten Morgen wachte
sie wie immer früh auf. „Gott sei Dank“ murmelte sie „Heute ist Samstag“.
Samstage mochte sie immer
besonders gerne.
Erstens: Keine Schule
Zweitens: Heute würde
sie wieder Professor Femrig besuchen. Sie konnte über alles mit ihm
reden. Und ein Thema was sie Momentan beschäftigte, waren eben diese
Träume.
Während sie sich einen
Socken überstreifte, legte sie sich einige Fragen die sie stellen
wollte zurecht.
Und in einem war sie sich
sicher: Irgendwas hatte das alles mit ihrer Familie zu tun...
Vor ihrem Besuch bei Professor
Femrig, ging es natürlich erst in den Speisesaal zum Frühstück.
Während Mereen sich Spiegelei
auf ihren Teller schaufelte, beobachtete sie die anderen Kinder.
Da waren Carola, Maria, Jennifer,
Florian, und noch viele andere. Sie konnte alle gut leiden. Aber eine beste
Freundin oder gar einen besten Freund hatte sie nicht. Sowieso hatte sie
auch niemand als beste Freundin haben wollen.
„Hey, Mereen!“
Mereen wirbelte herum.
„Oh. Hi Sabrina.“
Sabrina schnappte sich den
Stuhl neben Mereen.
„Ich hab gehört, du hattest
wieder schlechte Träume?“
Wenn es ein Mädchen gab,
was Mereen nicht leiden konnte, war es Sabrina. Sie war eben so eine richtige
Ziege. Tat immer so, als wenn sie gut Freund mit dir wäre und hinter
deinem Rücken..........
Naja, man musste sich auf
jeden Fall nicht wundern, wenn man mit Sabrina geredet hatte und am nächsten
Tag gefragt wurde, ob dieses oder jenes Gerücht stimmte.
„Kann sein...“ nuschelte Mereen
während sie einen Schluck von ihrer Milch nahm und sich bemühte
schnell fertig zu werden, um Sabrina abzuschütteln.
„Aber, aber, warum denn so
sauer heute Morgen?“
Mereen verdrehte die Augen
als Sabrina sie falsch anlächelte.
„Ach ja, ich gehe heute in
den Fechtclub“ sprach Sabrina weiter, ohne auf die Reaktion der Anderen
zu achten, die sich alle an die Stirn tippten. Anscheinend hatte Sabrina
das schon allen erzählt.
„Ein Fechtclub?“
„Ja, aber ich glaube nicht
das du das schaffen würdest. Mit Laufen hat das nämlich nichts
zu tun...“
„Glaubst du, Laufen
ist das einzige was ich kann?“ fragte Mereen ärgerlich.
„Natürlich nicht“ entgegnete
Sabrina in ihrer hochmütigsten Stimme „Aber ich glaube kaum, das du
so gut fechtest, wie du Matheformeln runterlaierst!“
Nach dem Frühstück
ging Mereen quer durch die Eingangshalle zu dem Büro des Professors.
Sie ärgerte sich immer
noch über Sabrina. „Jetzt werde ich erst recht nicht hingehen“ dachte
sie bei sich „Ich lass mich doch nicht provozieren!“
Als sie an der Glasvitrine
des Wahrzeichens des Waisenhauses vorbei ging, stutzte sie auf einmal.
„Was war das?“ murmelte sie.
Langsam drehte sie sich um.
Sie konnte das Wahrzeichen
sehen.
Es war sehr schlicht: Ein
kleines blaues Kästchen, was nur wegen einer sonderbaren Geschichte
zum Symbol dieses Waisenhauses geworden war.
Einen Moment schien es, als
wenn dieses Ding angefangen hätte zu sprechen. Und wieder hatte Mereen
das Gefühl, von Stimmen überrollt zu werden.
[........Rache.......ich werde
meine Rache bekommen........Lasst sie in Ruhe.......sie haben nichts mit
der Geschichte zu tun..........Rache......Rache...]
Plötzlich spürte
Mereen eine Kältewälle über ihrem Rücken und einen
stechenden Schmerz, als wenn ihr jemand mir dem Messer ein paar Hiebe verpasst
hätte, breitete sich in ihrer Brust aus.
„Miss Mereen?“
Das Gefühl war sofort
wieder verschwunden. Sie starrte auf das Kästchen. Das alles kam ihr
bekannt vor.....hatte sie das geträumt? Ja....die....die...Blue.....
„Miss Mereen!“
Mereen drehte den Kopf.
„Oh, Professor Femrig.“
„Stimmt etwas nicht, Mädchen?“
So ein Mist! Warum hatte sie
der Professor gerade jetzt gestört! Jetzt war ihr der Gedanke schon
wieder entschlüpft!
„Doch, doch, alles in Ordnung“
„Dann ist gut. Ich wollte
dir nur sagen, das unser Termin verschoben wurde.“
„So?“
„Ja, wegen dem Fechtclub.
Hast du schon davon gehört? Du könntest ruhig hingehen.“
„Ja...wenn sie meinen.“
„Ich muss sowieso noch etwas
vorbereiten.“
„Gibt es Neuigkeiten?“
„Das kann man wohl sagen.
Aber ich will dir erst nachher genaueres sagen. Das was ich mit dir zu
bereden habe, dürfte dich interessieren.“
Etwas widerwillig machte sich
Mereen auf den Weg zu der Fechthalle. Sie konnte sie sofort finden (dank
Sabrina, die ihr den Weg noch lang und breit und mindestens hundert mal
erklärt hatte).
Da der erste Kurs erst in
einer halben Stunde beginnen sollte, setzte sie sich vor die Halle und
dachte über ihre Träume nach- und über das seltsame Gefühl
von eben.
Nach einiger Zeit kam eine
Gruppe von Betreuern ihres Weges. Sie scharrten sich um die Zeitung von
heute.
Sie konnten Mereen nicht sehen,
denn erstens waren sie lautstark mit sich selbst beschäftigt und zweitens
hatte sich Mereen schon halb hinter einen Vorhang verkrochen, der sie halbwegs
verbarg.
„Also nein!“
„Das ist ja unglaublich! Sie
haben es also doch getan!“
„Ich mache mir sorgen wegen
Mereen. Wenn Femrig ihr alles erzählt, könnte sie einen Schock
bekommen.“
„Bei Femrig doch nicht! Der
wird es ihr so schonend beibringen, dass es fast selbstverständlich
für sie wäre.“
„Da wäre ich mir nicht
so sicher. Das Kind wird sicher aufgeregt sein.“
Dann verschwanden sie aus
Mereens Hörfeld.
„Das muss ja furchtbar wichtig
sein, was Femrig mir da erzählen will“ dachte sie.
Und plötzlich: [.......Ich
bin zwar nicht mehr so stark wie früher, aber diese Hände können
immer noch töten.......Ich werde das nicht zulassen...... Prinz, was
wollt ihr erreichen..........Ich sage euch nichts! NIEMALS!]
Mereen griff sich an den Kopf.
Und dann riss sie vor Schreck die Augen weit auf.
[Lasst Mereen in Frieden........
MEREEN!..................]
Der Fechtclub
[.......jetzt zeigt ihr Angst?............]
Dann plötzlich eine andere
Stimme.
[....Bitte, lasst uns verschwinden......Ihr
werdet jetzt doch nicht feige sein Prinz.......Ich denke nicht nur an mich,
im Gegensatz zu euch......Ihr wollt mir ein schlechtes Gewissen machen?........Bitte.......Jetzt
sind eure Freunde nicht mehr da Prinz. Ohne sie, seid ihr NICHTS.....]
Die Stimmen hatten Gestalt
angenommen. Jede Stimme hörte sich anders an. Eine war voll von Kälte
und Grausamkeit. Nur sehr schwach. Aber man konnte die Bosheit spüren.
Die andere Stimme klang entschlossen
und war voller Stolz.
Die dritte Stimme hingegen
hörte sich ängstlich und besorgt an.
Aber alle waren zu schwach
als dass man sie irgendwem zu schreiben könnte.
[....Habt ihr gehört
Prinz.....EIN NICHTS....]
„Mereen, würdest du bitte
da weg gehen? Ich will die Halle aufschliessen.“
Erschrocken sah sie
in das Gesicht des Hausmeisters.
„Meine Güte, du bist
ja noch weisser als die Wand! Ist etwas passiert?“
Mereen schüttelte den
Kopf.
„Gut, dann mach Platz, ich
will die Fechthalle aufschliessen.“
Nachdem die Halle offen war,
blieb Mereen keine Zeit mehr um nach zu denken.
Fast alle Kinder aus dem Heim
strömten in die Halle.
Manche die das Fechten lernen
wollten, manche die nur zusehen wollten.
Am Ende war die Halle so voll,
das Letztere weggeschickt werden mussten.
Madame Lemonde, eine Betreuerin
und Lehrerin aus Frankreich, hatte den Unterricht übernommen.
Sie war eine unruhige, sehr
schmale Frau, die nie stillstehen konnte. Mereen hatte sie nie richtig
gemocht.
„Also Kinder“ schnatterte
die Lehrerin „Ich werde euch heute die Grundregeln des Fechtens beibringen....“
Mereen sah sich um. Da waren
viele Mädchen und Jungen die sie gut kannte. Unter ihnen war natürlich
auch Sabrina. Ausgerechnet die! Sie grinste ihr frech zu.
„Ich denke, wir werden mit
dem Florett beginnen.“
Ein Mädchen von weiter
hinten hob die Hand. „Aber Madame! Wir sind doch gar nicht richtig angezogen...“
Das stimmte. Ausser Madame
Lemonde hatte keiner die passenden Sachen an.
„Aber Kind, das macht doch
nichts! Wir lernen doch erst die Grundbegriffe und die Grundschritte. Noch
seid ihr nicht so weit, um richtig zu fechten.“ Schnatter schnatter...
Die Lehrerin stellte sich
richtig in Pose.
Der Boden war mit Matratzen
ausgelegt und in der hinteren Ecke des Raumes stand etwas, was an einen
Schirmständer erinnerte, nur das da keine Schirme, sondern Degen,
Säbel und Florette waren.
„Also Kinder, der Abstand
zum Gegner, wie heisst der?“
Am liebsten hätte Mereen
ihr den Vogel gezeigt. Woher in aller Welt, sollten sie das wissen?
Als die Lehrerin merkte, dass
niemand eine Antwort hatte, beantwortete sie die Frage selber.
„Man nennt das Ganges.
Und wer kann mir sagen....ach, es hat ohnehin keinen Zweck... Das lösen
der Deckung nennt man Finte und die Deckung selber Parade. Und jetzt versuche
ich euch das alles beizubringen.“
Sie holte einen lagen Stock
und dann versuchte sie den Kindern „Ganges“, „Parade“ und „Finte“ bildlich
zu machen, indem sie unbeholfen mit dem Stock vor sich her wedelte.
Mereen hörte schon nicht
mehr zu.
Sie versuchte sich einen Sinn
aus den Stimmen und Worten zu machen. Vergeblich.
Plötzlich hallte wieder
eine Stimme, oder mehr ein Gefühl das eine Stimme bildete, durch ihren
Kopf, aber diese war klar, eine wahre Stimme, mit einem richtigen Klang.
Als ob jemand mit ihr reden würde.
[Achte auf die Klinge und
auf meine Augen.......hörst du....auf die Klinge und auf die Augen.....]
Die Stimme kannte sie nicht.
Sie klang nicht böse, aber bestimmt und ernst. Mereen kannte keinen,
der so eine Stimme hatte.
[Klinge....Augen....]
Wieder wurde sie in ihren
Gedanken unterbrochen.
„So, ich hoffe, ihr habt das
jetzt alle begriffen....mal sehen.....Mereen, kannst du mir eine Parade
zeigen?“
Was? Eine Parade? Was war
das noch mal...? Die Deckung? Oder...?
„Oh...“
Nicht schon wieder.
Jetzt steckte sie aber in
der Klemme.
„Mereen!“
Mereen sog scharf die Luft
durch ihre Zähne.
„Mist, Mist, Mist.....“ murmelte
sie auf dem Weg zu Madame Lemonde, aber natürlich so leise, das man
sie nicht hören konnte.
Die Lehrerin reichte ihr ebenfalls
einen langen Stock.
„Dann zeig mal was du kannst!“
Widerwillig nahm Mereen
den Stock in die rechte Hand.
Am liebsten wäre sie
im Erdboden versunken.
„Also...“
[Achte auf......]
Plötzlich hatte Mereen
das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füssen weggezogen.
Die Stimme war wieder da. Nicht verschwunden, wie die anderen.
[....Achte auf....]
Diese Stimme ergriff immer
mehr und mehr Besitz über sie, hüllte sie ein....aber alles was
sie sagte stimmte auch...
[Achte auf die Augen....]
Mereen war es, als würde
sich in den Augen der Lehrerin ihr Vorhaben spiegeln.
Und danach richtete sie sich.
Sie bewegte sich, als hätte
sie diesen Sport schon Jahre lang studiert.
[Achte auf die Klinge...]
Es war wie ein Traum.
Keiner dieser Alpträume
die sie immer hatte, sondern ein Traum in dem man zu schweben schien.
Diese Hülle, die die
Stimme bildete war wie ein schützender warmer Mantel.
[....Achtung...!]
Mereen wich geschickt einem
leichten, aber gezielten Hieb ihrer Widersacherin aus.
Widersacherin?
Aber das war doch ihre Lehrerin...oder?
Auf einmal fühlte Mereen
ausser dem Gefühl der Geborgenheit auch noch Hass und Ungewissheit.
Und dann war der Traum vorbei.
Plötzlich und unerwartet.
Aber der Fechtkampf war ebenfalls
beendet.
„Kind, wie kommt es, das ich
von so einem Talent nichts weiss?“
„Äh...wie?“
„Mereen, du hast Fechtschritte
gemacht, die man dir frühestens in einer hohen Schule fürs Fechten
beigebracht hätte, und die waren sogar wunderbar elegant.“
Mereen bemerkte alle staunenden
Blicke um sie herum.
„Oh....ja....natürlich...“
„Also gut, dann hoffe ich,
das sich die anderen ein Beispiel genommen haben. Los, sucht euch einen
Partner....“
Keiner wollte es mit Mereen
versuchen.
Sie hatten alle Angst geschlagen
zu werden.
Mereen selber war ziemlich
verwirrt.
Die Stimme......die Stimme......
Am Ende blieb dann nur noch
Sabrina übrig.
Mereen seufzte.
Da blieb ihr wohl nichts anderes
übrig, als es mit dieser Tussi zu versuchen.
„Also los Kinder!“
Das war das Stichwort:
Die Stimme schaltete sich
wieder ein, als wenn jemand einen Schalter gedrückt hätte.
Und Sabrina fing an drauf
los zu dreschen.
Während sich Mereen abmühte
den Schlägen auszuweichen, gab ihr die Stimme aus ihrem Kopf immer
mehr Anweisungen.
Nach links....
Nach rechts....
Wieder nach rechts....
Aber Sabrinas Paraden waren
nicht gut.
Sie waren leicht zu durchbrechen.
Dann würde sie den Feind
besiegen....
Langsam merkte Mereen, das
sie die Kontrolle über die Stimme verlor. Wieder breitete sich Hass
in ihr aus.
Die Gedanken wurden immer
intensiver...
Feind......Feind......Feind......
Ihr Arm schnellte in die Höhe
als Sabrina wieder einmal völlig die Parade vergessen hatte.
Und noch schneller sauste
ihr Arm wieder hinab.
Der Stock traf Sabrina hart
an der Schulter.
Dann machte es „klick“ in
Mereens Kopf.
Die Stimme und somit auch
der Hass waren fort.
Mereen starrte auf ihren Stock,
dann auf die Schulter des Feindes.....nein.....von Sabrina....
„Ahh! Spinnst du?“
Sabrina weinte.
Wieder wurden sie angestarrt,
aber es waren weder Bewunderung noch staunen in den Gesichtern der Kinder.
Madame Lemonde rauschte heran.
„Was macht ihr für einen
Unsinn? Hört sofort auf damit!“
Als ob sie nicht sah, dass
der Kampf schon längst zu ende war.
„Was ist hier passiert?“
Mereen war angespannt.
Ein Teil der Stimme steckte
noch in ihr.
Und dieses Erlebnis ebenfalls....
Sabrina hörte auf zu
weinen und sah sie zuerst ärgerlich, dann ängstlich an.
„I-ich habe sie----verärgert....
Ich denke...“
Wie?
Sabrina schob keine Schuld
auf sie?
Dabei war sie doch schuld
an dem Ganzen....oder die Stimme....
Selbst wenn es so gewesen
wäre wie Sabrina sagte, , im Normalfall hätte sie alles zu ihren
Gunsten verdreht.
Auch die anderen schien das
zu wundern.
Mereen merkte, das sie Sabrina
unentwegt anstarrte.
Sabrina wurde zu einem Arzt
gebracht.
Sobald die Lehrerin mit ihr
aus der Halle war, breitete sich auf allen Gesichtern in der Halle ein
schadenfrohes Grinsen aus.
„Super, du hast es geschafft
Mereen!“
„Ja, endlich ist Sabrina einmal
dran!“
„Du hättest deinen Blick
sehen sollen- einfach zum fürchten!“
„Kein Wunder, das Sabrina
lieber still war!“
Ihr Blick?
„Sabrina dachte bestimmt,
das du sie verhauen würdest!“
„Ich hab mich total erschreckt
als ich deine Augen sah!“
„Ja, sie haben grün geleuchtet,
wie die eines Tieres!“
Alle waren begeistert.
Sowas hatte es noch nie gegeben.
Sabrina und Angst!
Trotzdem konnte Mereen sich
nicht so richtig freuen...
Diese Satz ging ihr jetzt
nicht mehr aus dem Kopf......“Wie ein Tier“.........
! Weiter zu Teil 2 !